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DOI: 10.1055/s-2002-30692
Zur Publikation von Weimar et al. „Kostenanalyse der Schlaganfallbehandlung in Deutschland”
Kommentar aus der Sicht der Kommission 1.06 „Stroke Units und akute Schlaganfallbehandlung” der Deutschen Gesellschaft für NeurologieComment to the Publication of Weimar et al. „Cost of Stroke Care in Germany”Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. Mai 2002 (online)
Die deutschen Neurologen sind mit dem Konzept der Stroke Unit als Einrichtung zur interdisziplinären Akut- und Erstbehandlung von Schlaganfallpatienten unter neurologischer Leitung und dem Konzept der Stroke Unit als zentraler Steuerungseinheit einer geschlossenen Versorgungskette für Schlaganfallpatienten mit dem hohen Anspruch angetreten, höhere Versorgungsqualität mit besserem Outcome zu noch günstigeren Preisen zu realisieren. Schon der Nachweis einer besseren Ergebnisqualität ist wegen der immer nur bei einem Teil der Patienten wirksamen Therapiemaßnahmen und heterogener externer Einflüsse nur schwer zu führen. Selbst in schon lange vor den Stroke Units etablierten Einrichtungen anderer Fachdisziplinen, wie den kardiologischen Herzinfarktstationen, ist bisher der Nachweis nicht gelungen, dass durch die inzwischen flächendeckende, qualitativ äußerst hochstehende Akutversorgung der Herzinfarktpatienten die Gesamtletalität dieser Klientel signifikant gesenkt werden konnte oder dass dadurch gar die Lebenserwartung der Bevölkerung gestiegen ist. Dass die Kosten durch die modernen interventionellen kardiologischen Verfahren wesentlich höher sind als früher, ist hingegen unstrittig.
Immerhin kann die Neurologie nach der vorliegenden Publikation für sich in Anspruch nehmen, dass sie für eine volksmedizinisch bedeutende, schwer wiegende Krankheit ihres Fachgebietes, den Schlaganfall, Anhaltszahlen der anfallenden Kosten liefern kann. Dieses Wissen stellt für die Arbeiten zur leistungsgerechten Gestaltung der DRGs (diagnosis related groups) eine wertvolle Vorarbeit dar. Demnach entfallen für die Behandlung eines Schlaganfallpatienten etwa 9000 DM Kosten auf die Leistungen der Akutkrankenhäuser und etwa 7000 DM auf Leistungen der Rehabilitationseinrichtungen.
Die nähere Betrachtung des Zahlenmaterials der vorliegenden statistischen Analyse von insgesamt 5192 Schlaganfallpatienten, davon 3417 Schlaganfallpatienten aus Stroke Units, 1308 Patienten aus neurologischen Allgemeinstationen, jedoch nur 467 Patienten aus internistischen Kliniken, macht allerdings erneut ernüchternd klar, wie schwer, ja geradezu unmöglich es ist, Daten aus selbst gut durchorganisierten Teilbereichen unseres Gesundheitssystems zu erhalten, die inhaltlich zuverlässig und repräsentativ sind. Die wesentlichen Ergebnisse der Studie stellen sich wie folgt dar:
(1) Das Outcome nach Behandlung auf der Stroke Unit war signifikant besser, als das Outcome nach Behandlung auf einer internistischen Station, allerdings hatten die Internisten mit einem signifikant höheren Lebensalter der Patienten beim Eintritt in die Klinik und mit einer höheren Komorbidität ihrer Klientel zu kämpfen. Nach statistischer Korrektur für diese beiden Faktoren ließ sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsformen mehr nachweisen. Das liegt an den zwangsläufig außerordentlich breiten Konfidenzintervallen bei der Berechnung der Odds Ratio, die jede und damit keine Interpretation zulassen. Der mögliche mathematische Hintergrund für dieses Dilemma ist im Fall der vorliegenden Studie eine extreme Ungleichgewichtigkeit der Anzahl der auf Stroke Units behandelten neurologischen Patienten gegenüber der um den Faktor 8 geringeren Zahl internistischer Patienten. Ursprünglich hatten die Autoren eine Zahl von 2000 internistischen Fällen geplant, und entsprechend viele internistische Kliniken hatten ihre Mitarbeit zugesagt. Viele, vor allem die kleineren Häuser hatten dann jedoch, nach anfänglicher Mitarbeit und Dokumentation, keine oder fast keine Daten mehr geliefert, und nur wenige internistische Abteilungen nahmen schließlich noch an der Studie teil. Dadurch, dass meist größere und entsprechend engagierte internistische Abteilungen weiter Daten lieferten, hat sich das Ergebnis innerhalb des Spektrums der medizinischen Kliniken möglicherweise zugunsten einer besonders qualifizierten Behandlung verschoben. Gleichzeitig hat der Wegfall vieler internistischer Patienten die Gruppengrößen bei den statistischen Analysen so klein werden lassen, dass keine validen Vergleiche mehr möglich sind.
(2) Die stationäre Behandlungsdauer während der Akutphase des Schlaganfalls waren in Stroke Units und den dazugehörigen neurologischen Kliniken signifikant kürzer als in internistischen Abteilungen. Daraus resultierte trotz des initial höheren, diagnostischen und therapeutischen Aufwandes zunächst eine Kosteneinsparung. Dieser Unterschied verlor sich durch die anschließende, insgesamt wesentlich längere stationäre Rehabilitationsbehandlung der neurologisch behandelten Patienten. Hierfür lassen sich verschiedene Gründe anführen:
(2.1) Mit dem Ziel, den Schlaganfallopfern die bestmögliche medizinische Hilfe zur Erlangung der Selbständigkeit zukommen zu lassen („Rehabilitation vor Rente”), haben die neurologischen Stroke Units 33 (24) % ihrer Patienten einer stationären Rehabilitation zugeführt, die internistischen Abteilungen jedoch nur 17 (16) %. Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die direkten Verlegungen ohne Unterbrechung der stationären Behandlung. Daraus resultiert eine wesentlich längere durchschnittliche stationäre Rehabilitationsdauer der Stroke-Unit-Patienten (ca. 18 Tage) gegenüber den internistischen Schlaganfallpatienten (ca. 12 Tage). Trotz (oder wegen?) höheren Alters und höherer Gesamtmorbidität wurden weitaus mehr internistische Schlaganfallpatienten nach Hause entlassen als Schlaganfallpatienten aus der Stroke Unit. Dadurch erscheint die Kostenlast wesentlich geringer. Retrospektiv lässt der Datensatz eine Analyse der Indikationsstellung zur stationären Rehabilitationsbehandlung nicht zu. Aus methodischen Gründen konnten Kosten für Pflegeaufwand, die bei den internistischen Patienten möglicherweise größer ausfielen, in die Berechnung nicht eingehen.
(2.2) Aus verschiedenen Gründen behandeln die deutschen Rehabilitationskliniken ihre Patienten in 2-, 3- oder 4-Wochen-Blöcken zeitlich unflexibel, nach unserer Erfahrung zur Zeit überwiegend in 3-Wochen-Blöcken, entsprechend 15 Werktagen. Das spiegelt sich exakt in den hier ermittelten Liegezeiten in den Rehabilitationskliniken wieder. Der Hauptgrund ist, dass dieser Zeitraum üblicherweise für eine Rehabilitationsmaßnahme nach Schlaganfall bewilligt wird und nach Ablauf von 10 Werktagen eine Verlängerung um weitere 15 Werktage beantragt werden kann. Die Verkürzung der stationären Behandlungszeiten um mehrere Tage durch die straffe Organisation der Diagnostik und Therapie in den Stroke Units wird durch die derzeitige Steuerungspraxis der stationären Rehabilitationszeiten wieder aufgehoben. Hier erscheint uns ein Umdenken erforderlich in dem Sinne, dass bei Erreichen eines vorher definierten Therapieziels der Patient auch vor Ablauf der 3-wöchigen Rehabilitationsbehandlung entlassen und ambulant weiterversorgt wird. Die festgefügten Zeitblöcke der stationären Rehakliniken dürften entscheidend dazu beigetragen haben, dass die stationäre Gesamtbehandlungszeit der Stroke-Unit-Patienten im Vergleich zu den anderen nicht mehr signifikant kürzer ausfiel. Durch die Festlegung eines Rehabilitationszieles bereits am Ende der Stroke-Unit-Behandlung in Abstimmung mit dem Rehabilitationsneurologen sollte eine den individuellen Bedürfnissen des Patienten angepasste Rehabilitation mit Verkürzung der Liegezeiten in der Rehabilitationseinrichtung möglich sein. Solange allerdings der Kostenträger entscheidet, in welche Rehabilitationseinrichtung der Patient geht, und ob ambulant oder stationär rehabilitiert wird, oder die Rehaklinik alleine bestimmt, wie lange der Patient behandelt wird, werden mögliche Einsparpotenziale nicht genutzt.
(2.3) Eine zuverlässige Aussage zu den Kosten der Schlaganfallversorgung im Vergleich neurologischer versus medizinischer Abteilungen ist aufgrund der vorliegenden Datenlage nicht möglich. Schon alleine dadurch, dass zwar die Kosten für Rehabilitationsbehandlungen erfasst wurden, nicht jedoch für resultierende Pflegeaufwendungen, ist der Tagessatz neurologischer und medizinischer Kliniken nicht vergleichbar. Die Tagessätze der Krankenhäuser stellen immer eine Mischkalkulation dar. Wenn auf der einen Seite hohe Pflegesätze für Stroke-Unit-Betten erfasst werden, auf der anderen Seite günstige Tagessätze großer internistischer Abteilungen gegengerechnet werden, so ist eine sachliche Kostenanalyse nicht mehr möglich. Nur durch eine fallbezogene Kostenanalyse, wie sie voraussichtlich mit den diagnosis related groups (DRGs) möglich sein wird, werden sich entsprechende Zahlen ermitteln lassen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn alle Leistungen einschließlich der Rehabilitations- und Pflegeaufwendungen gleichwertig erbracht und erfasst werden.
Unbeschadet durch diese Einwände bleibt es das große Verdienst der Arbeitsgruppe von Weimar et al. und der Sponsoren, sich erstmals mit sehr großem Aufwand diesem schwierigen Thema genähert und eine Basis für zukünftige verbesserte Analysen geliefert zu haben.
Was können wir als Stroke-Unit-Ärzte und Neurologen aus der vorliegenden Arbeit und ihrer Problematik lernen?
(1) Solange keine wesentlich größere Kostentransparenz in unserem Gesundheitswesen hergestellt wurde, sind kosten- und arbeitskraftaufwändige Studien der vorliegenden Art nicht Erfolg versprechend. Sie können zu keinem verlässlichen und für Strukturentscheidungen verwertbaren Resultat führen. Hier muss intensiv daran gearbeitet werden, Randbedingungen zu schaffen, die exakte Vergleiche ermöglichen.
(2) Ein strenger Vergleich in der Ergebnisqualität zwischen internistischen Kliniken und neurologisch geführten Stroke Units kann es bis auf weiteres nicht geben. Dazu wäre es erforderlich, die Patienten nach einem randomisierten Verfahren der einen oder anderen Behandlungsform zuzuführen. Ein solches Ansinnen scheitert zur Zeit an ethischen Grenzen. Will man dennoch einen solchen Vergleich durchführen, so muss sichergestellt sein, dass die Patientenzahlen in beiden Gruppen mehrere tausend Individuen umfassen, damit durch mathematische Verfahren Ungleichgewichte korrigiert werden können, aber gleichzeitig noch ausreichend große Subgruppen für aussagekräftige statistische Vergleiche übrig bleiben. Bereits die vorliegende Studie hat mehrere 100 000 DM verschlungen, man kann sich leicht vorstellen, wie aufwändig ein derartiges Unterfangen wird.
(3) Stroke Units arbeiten hocheffektiv und effizient, sie verbessern das Outcome der Patienten im Hinblick auf Lebensqualität und auf die Überlebenschance, wie internationale Studien belegen. Es ist letztlich eine politische Entscheidung, ob wir uns das leisten wollen. Wir sollten uns aber gleichzeitig fragen, ob es Möglichkeiten gibt, diese Kosten ohne weiteren Qualitätsverlust zu reduzieren. Wir sehen dafür Möglichkeiten, z. B. indem stationäre Rehabilitationsbehandlung nur dann indiziert wird, wenn eine gleich gute Behandlung ambulant nicht möglich ist, oder dadurch, dass nur Patienten einer Rehabilitationsbehandlung zugeführt werden, die auch tatsächlich rehafähig sind, andernfalls sind sie einer häuslichen oder institutionellen Pflege zu übergeben. Zukunftsziel muss es sein, die Versorgungskette nach der Akutbehandlung auf der Stroke Unit reibungsloser zu gestalten, idealerweise ohne Wechsel der Kostenträger und damit einhergehenden Verzögerungen in der Behandlung. Die verbesserte Versorgung des Schlaganfallpatienten mit der Liegezeitverkürzung in der Akutklinik kann sich nur dann nachhaltig auszahlen, wenn die Versorgungskette voll durchstrukturiert ist. Verdienst des Stroke-Unit-Konzeptes der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ist es, diese Versorgungskette gemeinsam mit allen Beteiligten zu schaffen und zu optimieren.
(4) Das Stroke-Unit-Konzept der DGN erweist sich im vorliegenden Kontext als Aufklärungsmedium der Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten unseres Gesundheitswesens. Damit übernimmt die Stroke Unit Vorbild- und Vorreiterfunktion. Wir sollten weiter dem Ziel eines wissenschaftlich begründeten, qualitativ hochrangigen, ethisch einwandfreien und ökonomisch durchdachten Casemanagement des Schlaganfallpatienten zustreben. Hier werden uns in Zukunft die sich aus der Einführung der DRGs ergebenden Möglichkeiten eines permanenten, öffentlichen Benchmarkings helfen, die gesteckten Ziele zu erreichen.
Für die Autoren
Prof. Dr. E. B. Ringelstein
Prof. Dr. med. E. Bernd Ringelstein
Klinik und Poliklinik für Neurologie · Univ.-Klinikum Münster · WWU
Albert-Schweizer-Straße 33
48129 Münster