Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(6): 269
DOI: 10.1055/s-2003-37070
CME
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Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Hebung - Der konkrete Fall

Acute coronary syndromes without ST-elevation - case reportM. Weber1 , C. Hamm1
  • 1Abteilung für Kardiologie (Direktor: Prof. Dr. C. Hamm), Kerckhoff Klinik Bad Nauheim
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Publikationsverlauf

eingereicht: 13.12.2002

akzeptiert: 10.1.2003

Publikationsdatum:
06. Februar 2003 (online)

Anamnese: Bei einer 79-jährigen, rüstigen Patientin traten etwa um 11.30 Uhr erstmals heftige linksthorakale Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm aus der Ruhe heraus auf. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Patientin im Alltag beschwerdefrei belastbar; es bestand keine Angina pectoris-Symptomatik. Der Notarzt gab Nitrospray s. l., 500 mg ASS i. v. (Aspisol®) und 5000 IE unfraktioniertes Heparin i. v. (Liquemin®). Darunter besserten sich die Beschwerden; bei Aufnahme in eine periphere Klinik war die Patientin jedoch nicht komplett beschwerdefrei. Bei der Patientin waren kein Diabetes mellitus und keine kardialen Vorerkrankungen bekannt. An kardiovaskulären Risikofaktoren bestanden ein medikamentös gut eingestellter arterieller Hypertonus und eine medikamentös behandelte Hypercholesterinämie.

Aufnahmebefund: Die Patientin (165 cm, 79 kg) befand sich in gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Der Kreislauf war stabil, der kardiopulmonale Untersuchungsbefund unauffällig. Das EKG ergab einen Sinusrhythmus, Herzfrequenz 84/min, Linkstyp, ST-Streckensenkungen > 2 mV in V4-V6, sonst eine unauffällige Herzstromkurve und regelrechte Messzeiten. Laborchemisch waren CK 96 U/l (Norm 10-70 U/l), LDH 243 U/l (Norm 120-240 U/l) und Troponin T 0,92 ng/ml (Norm < 0,08 ng/ml) erhöht. Die übrigen Parameter lagen im Normbereich.

Verlauf: Zur weiteren Therapie wurde eine Dauerinfusion von 900 IE/h unfraktioniertem Heparin i. v. (Liquemin®) und eine Dauerinfusion mit einem Nitropräparat 3 mg/h i. v. (Isoket®) verabreicht. Zusätzlich erhielt die Patientin eine orale Betablockertherapie. Darunter besserte sich die Symptomatik weiter. Die Patientin war aber nicht beschwerdefrei, so dass sie noch am selben Tag zur weiterführenden invasiven Diagnostik in eine Klinik mit Herzkatheterlabor verlegt wurde.

Befund bei Übernahme und weiterer Verlauf: Bei Übernahme (ca. 16.30 Uhr) klagte die Patientin weiterhin über thorakale Schmerzen. Der klinische Untersuchungsbefund war bei stabilen Kreislaufverhältnissen unauffällig, es waren keine relevanten ventrikulären Herzrhythmusstörungen aufgetreten. Das EKG zeigte unverändert zum vorangehenden Befund ST-Streckensenkungen in V4-V6. Laborchemisch bestand nun eine deutliche Erhöhung der kardialen Marker CK (972 U/l, Norm 140 U/l), CK-MB (143 U/l, Norm 24 U/l), LDH (452 U/l, Norm 135-214 U/l) und Troponin T (1,21 ng/ml, Norm < 0,08 ng/ml).

Nach Übernahme wurde sofort, zusätzlich zu der bestehenden Therapie, ein GP IIb/IIIa-Antagonist (Tirofiban, Aggrastat® 3,2 ml (10 µg/kgKG) als Bolus mit nachfolgender Dauerinfusion von 2,9 ml/h (2 µg/kg KG pro min)) gegeben. Auf die Gabe von Clopidogrel wurde zunächst verzichtet, da eine sofortige Koronarangiographie vorgesehen war. Diese konnte um 17.15 Uhr begonnen werden und erbrachte den Befund einer koronaren Zweigefäßerkrankung mit führender hochgradiger Bifurkationsstenose des Ramus circumflexus (RCX) und des ersten Ramus marginalis (RM1) sowie einer weiteren 80 - 90 %-Stenose des Ramus interventricularis anterior (RIVA). Es erfolgte die interventionelle Therapie mit primärer Stentimplantation (Zeta Multi Link 3,0/8 mm, Guidant®) in den RCX und ebenfalls primärer Stentimplantation (Zeta Multi Link 3,0/8 mm, Guidant®) in den RIVA mit gutem Ergebnis. Bei Beendigung der Prozedur um 18.30 Uhr war die Patientin beschwerdefrei. Noch auf dem Untersuchungstisch erhielt sie eine Sättigungsdosis Clopidogrel (4 Tabletten Iscover®, Plavix®). Der weitere Verlauf gestaltete sich komplikationslos, und die Patientin war beschwerdefrei auf Stationsebene belastbar. Die ST-Streckenveränderungen bildeten sich deutlich zurück, und die Patientin konnte am folgenden Tag in die zuweisende Klinik zurückverlegt werden.

Therapieempfehlung bei Verlegung: Niedermolekulares Heparin für 3 Tage, Acetylsalicylsäure 100 mg tgl. lebenslang, Clopidogrel 75 mg tgl. für 9 Monate, Atorvastatin 20 mg tgl., Metoprololsuccinat 98,5 mg tgl., Ramipril 5 mg tgl., Hydrochlorothiazid 25 mg tgl.

Diagnosen: 1) Akutes Koronarsyndrom mit nicht ST-Hebungsinfarkt. 2) Koronare Zweigefäßerkrankung mit hochgradigen Stenosen des Ramus circumflexus und des Ramus interventricularis anterior. 3) Arterielle Hypertonie.

Dr. med. Michael Weber

Abteilung für Kardiologie, Kerckhoff Klinik

Benekestraße 2-8

61231 Bad Nauheim

eMail: Michael.Weber@kerckhoff.med.uni-giessen.de