ZFA (Stuttgart) 2003; 79(1): 39-42
DOI: 10.1055/s-2003-37865
Deprofessionalisierung

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Verlust der professionellen Autonomie oder: Das Leid darüber, dass wir nicht mehr das tun können, was wir für richtig halten

 Heinz-HaraldAbholz
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Publication Date:
14 March 2003 (online)

Was meine ich?

Da ist Frau Maien, die partout nicht auf den gewünschten HbA1-Wert kommt, den sie nach Diabetes-Strukturvertrag erreichen muss. Ich muss mich bemühen, sie zur Schwerpunktpraxis zu überweisen. Dies obwohl ich weiß, dass dies alles Unsinn ist, kenne ich doch Frau Maien seit 15 Jahren und weiß, dass der nun 64jährigen Dame andere Dinge wichtiger sind, als sich an die Diät zu halten oder mit der Insulininjektion zu beginnen. Denken wir mal: Ich finde ein Urologie-Screening mittels Sonographie, PSA etc. vernünftig, kann es aber nicht abrechnen. Also biete ich es als IGEL-Leistung meinen Patienten an. Diejenigen, die es zahlen können und wollen, bekommen es. Auf wieder einmal einem neuen Formular habe ich zu dokumentieren, was ich mir von der gerade verordneten physikalischen Therapie verspreche, was mein Behandlungsziel ist. Widerwillig schreibe ich »Gesundung, Wiederherstellung, Kompensation« und ähnliches auf den Zettel - und bin dabei gedemütigt, derartigen Unsinn aufschreiben zu müssen. Die ICD-Nummern bei den AUs sind für mich per Computer schwierig aufzubringen, also lasse ich es. Wie lange darf ich da noch mit Geduld der Kassen rechnen? - So frage ich. Ein Patient wird zum medizinischen Dienst gerufen, weil er bei depressiver Grundstimmung mit zahlreichen funktionellen Störungen nach meiner Einschätzung noch länger nicht arbeitsfähig ist. Das Ergebnis ist, dass der Patient sich bei zahlreichen Spezialisten vorstellen soll, um abzuklären, ob er nicht doch ein Ulcus hat oder nicht doch eine orthopädische Krankheit vorliegt bzw. die vor einem Jahr durchgeführte kardiologische Untersuchung auch heute noch ausreichend repräsentativ ist. Ein Patient drängt auf eine Knochendichte-Messung zur Früherkennung - also wird dies als IGEL-Leistung vermittelt, selbst wenn ich diese Untersuchung für überflüssig halte. Frau Karl mit ihren dicken, arthrotisch-arthritischen Knien will eine Salbe; die Heparinsalbe würde immer so gut helfen. Ich kann sie nicht verschreiben, weil in der Dauer und Häufigkeit ihrer Beschwerden keine Indikation besteht, also entscheide ich mich widerwillig für die Tablette Diclofenac - was wahrscheinlich auch nicht besser hilft und ein höheres Nebenwirkungsrisiko beinhaltet. Herr Schön will wieder seine Omeprazol, weil dadurch der Stuhlgang so gut abginge. Na gut, er lässt es sich nicht ausreden, dann wird eben eine Ulcusdiagnose oder die einer Refluxösophagitis angegeben. Wenn ich weiterhin an der Diabetikerversorgung teilnehmen will, dann werden mir »Nachhilfestunden« vorgeschrieben, bei denen ich Vorgaben für meine zukünftige Versorgung in diesem Bereich kennen lerne, die mir selbst unsinnig erscheinen.

Die hier mit Beispielen illustrierten Dinge sind für den niedergelassenen Arzt heute Alltag: Sie machen ihm deutlich, dass er - obwohl Arzt und zudem eigener Unternehmer - durch zahlreiche Vorgaben nicht mehr Herr der Lage ist. Dies ist nicht mehr die Beschreibung einer Profession mit Professioneller Autonomie, so wie sie für den Arztberuf als charakteristisch galt.

Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz

Heinrich-Heine-Universität

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf