Aktuelle Neurologie 2003; 30(5): 247-255
DOI: 10.1055/s-2003-39967
Aktueller Fall
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Läsion im ventrolateralen prämotorischen Kortex beeinträchtigt die Greiffunktion

A Lesion in the Ventrolateral Premotor Cortex Causes Difficulties in GraspingC.  Dettmers1 , J.  Liepert2 , F.  Hamzei2 , F.  Binkofski2, 3 , C.  Weiller2
  • 1Neurologisches Therapiecentrum, MEDIAN Reha-Zentrum, Hamburg
  • 2Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik Hamburg-Eppendorf
  • 3Neurologische Universitätsklinik Lübeck
Wir danken dem Kuratorium ZNS für die Sachmittelunterstützung des NTC
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Publication Date:
12 June 2003 (online)

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Zusammenfassung

Wir beschreiben einen 58-jährigen Patienten, der zwei Jahre zuvor einen vorderen, embolisch bedingten Mediateilinfarkt rechts erlitten hatte. Zum Aufnahmezeitpunkt in der Rehabilitationseinrichtung zeigte er prima vista ein Bewegungsmuster wie bei einer armbetonten Hemiparese links. Spontan setzte er die betroffene, linke Hand fast nicht ein. Er hatte gute selektive Fingerfunktion, aber eine hochgradig gestörte Greiffunktion. Insbesondere kleine Gegenstände konnte er mittels Spitzgriff (Präzisionsgriff) nur mit großer Mühe erfassen. Große Zylinder konnte er mittels Faustgriff greifen. Er konnte Gegenstände schlecht in der Hand manipulieren und sie durch Tasten schlecht erkennen. Das Reichen war sicher. Das Störungsbewusstsein war gering. Er zeigte keine andere Form der Apraxie. Die Störung war nicht durch das Ausmaß der Parese, durch Ataxie oder kognitive Defizite zu erklären. Es lagen keine sensiblen Störungen vor. Die Kernspintomographie zeigte eine Läsion im rechten ventralen prämotorischen Kortex (PMv) bei intaktem primärmotorischen Kortex (M1). Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) zeigte lediglich eine sehr leichte Störung (grenzwertige Amplitudenminderung bei normalen Latenzzeiten). Tierexperimentelle und funktionell bildgebende Arbeiten legen nahe, dass der ventrale prämotorische Kortex an der physiologischen Kontrolle komplexer, zielgerichteter und handlungsorientierter Handbewegungen wesentlich beteiligt ist. Zusammen mit dem anterioren intraparietalen Kortex (AIP) gehört PMv zu einem parietoprämotorischen Regelkreis auf dem lateralen Kortex, der die sensomotorische Kontrolle von präzisen Handbewegungen koordiniert. Dieser Regelkreis gehört zu einer Reihe spezifischer parietoprämotorischer Regelkreise, die verschiedene Aspekte der spatiotemporalen Kontrolle von Bewegungen verarbeiten. Unseres Wissens nach handelt es sich bei dieser Kasuistik um die Erstbeschreibung einer fokalen Läsion im PMv des Menschen, die eine Beeinträchtigung der Greiffunktion verursacht. Bei der hier beschriebenen Störung handelt es sich um einen Fall der unimodalen Apraxie, einer fokalen motorischen Störung, die sich innerhalb einer Modalität äußert.

Abstract

We describe a 58-year old teacher, who suffered an anterior embolic infarction in the right hemisphere two years ago. He presented moderate left-sided hemiparesis mainly in the arm without any sensory deficits. He did not use his hand spontaneously any more. His hand looked flat and shapeless. There was hardly any spasticity in the long finger flexors. He was able to stretch all fingers selectively. In contrast, he had enormous difficulties to grasp small objects with a precision grip. His whole hand prehension was not impaired, so he was able to grasp large objects with his fist. Preshaping for grasping was reduced. In the course of grasping objects with different orientations rotation of the wrist was diminished. He experienced serious difficulties in manipulating and recognizing objects by manipulating them (stereognosis). The transportation phase of his arm towards objects was intact. Degree of pareses, ataxia or cognitive deficits could not account for the deficit. There were no sensory deficits. There were no other forms of apraxia. He had limited understanding of his deficit. Magnetic resonance imaging showed a lesion in the ventral premotor cortex (PMv). Primary motor cortex (M1) containing the hand representation did not show any abnormality. Transcranial magnetic stimulation (TMS) revealed a borderline reduction of the amplitude with normal latencies. This indicates a minor reduction in the amount of fibres of the pyramidal tract. However, this does not account for the patient's grasping difficulties. The case study is discussed in the context of animal studies and functional imaging. Both show that PMv is essential in grasping. To our knowledge this is the first description of a lesion in human PMv causing difficulties in grasping. Such a deficit belongs to the entity of unimodal apraxias, higher motor disorders expressed in only one modality.