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DOI: 10.1055/s-2003-40066
Frühzeitige Erkennung der Arteriosklerose
Early Detection of ArteriosclerosisPublication History
Publication Date:
20 June 2003 (online)
![](https://www.thieme-connect.de/media/ultraschall/200303/lookinside/thumbnails/10.1055-s-2003-40066-1.jpg)
Wir können davon ausgehen, dass jeder Zweite von uns an Komplikationen der kardiovaskulären Arteriosklerose sterben wird. In der westlichen Welt sind kardiovaskuläre Krankheiten noch immer für mehr als 50 Prozent der Todesfälle verantwortlich. Die hohe Mortalität ist natürlich auch von einer entsprechend hohen Morbidität begleitet. Die sozio-ökonomischen Auswirkungen auf das ohnehin bereits unter finanziellen Sorgen leidende Gesundheitssystem sind beträchtlich. Es müsste somit unser Anliegen sein, das Krankheitsgeschehen in seiner frühesten Entwicklung zu diagnostizieren und einzudämmen, um die späteren fatalen Folgen zu vermeiden. Bis anhin war jedoch die Ausgangssituation äußerst ungünstig. In der kardiovaskulären Medizin konnten bisher einzig die späten klinischen Manifestationen diagnostiziert werden. Bei kritischer Betrachtung ist auch einzuräumen, dass nicht eine eigentliche Therapie, sondern nur eine palliative Schadensbegrenzung praktiziert wurde. Wenn erst beim akuten Koronarsyndrom, beim Hirnschlag oder bei der manifesten peripheren arteriellen Durchblutungsstörung (PAVK) die Diagnose der generalisierten Atherosklerose gestellt wird, kann die Behandlung nur noch symptomatisch und nicht mehr kausal sein. Von 100 Patienten mit einer PAVK melden sich 24 mit einer Claudicatio intermittens (Fontaine Stadium II) und nur einer mit einer kritischen Ischämie (Stadium III oder IV); diesen stehen 75 „asymptomatische” (Stadium I) Patienten mit nicht diagnostizierter und somit auch nicht behandelter PAVK gegenüber [4]. In der Denkweise der Ärzteschaft entspricht das Stadium II mit der Claudicatio intermittens einer harmlosen Einschränkung der Lebensqualität, dem Stadium I wird kaum ein Krankheitswert zugeordnet, obwohl bereits ältere großangelegte epidemiologische Studien aus Europa (Basler Studie) oder Amerika das Gegenteil beweisen [4].
Inzwischen hat sich herauskristallisiert, dass von allen Manifestationen der Atherosklerose - Herz, Hirn, Extremitäten, Niere, Darm [1] [5] [7] [9] - die PAVK den bösartigsten Verlauf aufweist [4]. Nach einer zehnjährigen Beobachtungsperiode leben von der Gruppe der Patienten mit Claudicatio intermittens nur noch 25 %, aber auch das Kollektiv der asymptomatischen Patienten hat sich auf die Hälfte reduziert, wohingegen das entsprechende Alterskollektiv ohne Verschlusskrankheit zu 80 % überlebt. Bereits bei asymptomatischer PAVK ist die Gesamtmortalität, korrigiert für sämtliche bekannten Risikofaktoren, dreimal höher, die kardiovaskuläre Mortalität sogar sechsmal höher als im Vergleichskollektiv. Die Notwendigkeit einer frühzeitigen Diagnostik ist offensichtlich.
Die Einführung der Duplexsonographie hat die vaskuläre Diagnostik sämtlicher Versorgungsgebiete wesentlich erleichtert und verbessert. Diese Technik wird aber auch heute noch vorwiegend zum Nachweis hochgradiger Stenosen oder Verschlüsse bei symptomatischen Patienten eingesetzt [1] [5] [7] [9]. Statt am Ende der Entwicklungskaskade einzugreifen, versucht man neuerdings die Entstehung der Atherosklerose zu verhindern oder wenigstens in den frühen Phasen der noch langsamen Entwicklung einzudämmen. Die diagnostische Voraussetzung dazu steht uns in der Form des hochauflösenden Ultraschalls seit einiger Zeit zur Verfügung. Wie die Übersichtsarbeiten von Balletshofer et al. [3] sowie Ludwig et al. [6] in diesem Heft aufzeigen, bieten sich die Erfassung der endothelialen Dysfunktion und die Messung der Intima-Media-Dicke an. Die beiden nicht-invasiven Ultraschalltechniken eröffnen völlig neue Perspektiven in der Diagnostik, bieten aber auch Ansätze für epidemiologische sowie Interventionsstudien jeder Art. Auch hier sind aber nur zuverlässige Resultate erzielbar, wenn die anscheinend sehr einfache Technik gemäß strengsten wissenschaftlichen Kautelen eingesetzt und die bekannten Interaktionen berücksichtigt werden [2] [3] [6] [8].
Noch vor wenigen Jahren ist man davon ausgegangen, dass der initiale Schritt in der langen Entwicklung der Arteriosklerose in der Schädigung der endothelialen Innenschicht des Gefäßes durch die bekannten Risikofaktoren liegt. Inzwischen ist bekannt, dass der morphologischen Veränderung bereits eine funktionelle Störung des Endothels vorausgeht. Diese ist mit Hilfe der flussinduzierten Dilatation der Arterie nachweisbar. Scherkräfte führen zu einer gesteigerten endothelialen Stickoxyd-Produktion (NO) und damit zur Gefäßaufweitung. Nur das normal funktionierende Endothel führt zur erwarteten Dilatation, bei zunehmender endothelialer Schädigung ist im Sinne der Dysfunktion diese Dilatation vermindert. Erst anschließend kommt es zu den immer noch minimalen morphologischen Läsionen mit Einlagerung von Schaumzellen in der subendothelialen Gefässschicht. Mit zunehmender Ausprägung sind diese als „fatty streaks” erkennbar. In einer weiteren Phase kommt es zur Akkumulation von extrazellulärem Lipid. Die Anreicherung von Monozyten oder Makrophagen, die Stimulation der Myozyten, Fibroblasten sowie der Matrix führen zu einer Verdickung der Gefäßinnenschicht. Mit der Ultraschalltechnik kann diese Verdickung des Intima-Media-Komplexes dokumentiert werden. Die funktionelle Störung sowie die frühen morphologischen Veränderungen wären nach heutigem Erkenntnisstand weitgehend reversibel. Erst später kommt es zur stenosierenden Sklerosierung und Verkalkung.
Die endotheliale Dysfunktion und die verdickte Innenschicht der Gefäße sind frühe, aber eindeutige Indikatoren einer sich entwickelnden Atherosklerose mit allen negativen klinischen Konsequenzen. Als prognostische Indikatoren weisen sie nicht nur auf die späteren klinischen Manifestationen hin, sondern sind auch eng mit den bekannten Risikofaktoren wie Nikotinabusus, Dyslipidämie, Diabetes mellitus, Hypertonie aber auch dem Alter korreliert. Verschiedene Interventionsstudien haben die günstige Beeinflussbarkeit der beiden Parameter aufgezeigt. Die gezielte medikamentöse Behandlung und die Anpassung des Lebensstils führen nachgewiesenermaßen zu einer Verlangsamung der Progression oder sogar zu einer gewissen Regression der Arteriosklerose-Indikatoren. Zumindest als Surrogatmarker können die prämorphologische endotheliale Dysfunktion und die frühe morphologische Intima-Media-Verdickung als vielversprechende Zielparameter für präventivmedizinische Ansätze gelten.
Literatur
- 1 Arning C. Perivaskuläre Gewebsvibrationen; ein Kriterium hochgradiger Stenosen der A. carotis interna. Ultraschall in Med. 2001; 22 62-65
- 2 Balletshofer B M, Goebbel S, Rittig K, Lehn-Stefan A, Renn W, Enderle M, Dietz K, Häring H U. Einfluss der Untersuchererfahrung auf intra- und interindividuelle Variabilität bei der Erfassung der peripheren Endothelfunktion mittels hochauflösendem Ultraschall. Ultraschall in Med. 2001; 22 231-235
- 3 Balletshofer B M, Rittig K, Stock J, Häring H U. Indikatoren einer beginnenden Atherosklerose: Erfassung der endothelialen Dysfunktion mittels hochauflösendem Ultraschall. Ultraschall in Med. 2003; 24 153-161
- 4 Criqui M H, Langer R D, Fronek A, Feigelson H S, Klauber M R, McCann T J, Browner D. Mortality over a period of 10 years in patients with peripheral arterial disease. N Engl J Med. 1992; 326 381-386
- 5 Dietrich C F, Ignee A, Seitz K H, Caspary W F. Duplex-Sonographie der Viszeralarterien. Eine Übersicht. Ultraschall in Med. 2001; 22 247-257
- 6 Ludwig M, v. Petzinger-Kruthoff A, , v. Buquoy M, Stumpe KO. Intima-Media-Dicke der Karotisarterien: Früher Indikator für Arteriosklerose und therapeutischer Endpunkt. Ultraschall in Med. 2003; 24 162-174
- 7 Mindach M. Enge Korrelation zwischen niedrigen zerebralen Flussgeschwindigkeiten und lakunären Hirninfarkten. Ultraschall in Med. 2001; 22 274-278
- 8 Stifft F, Dammers R, Tordoir J, Hoeks A. Echtzeit-Registrierung der flussabhängigen Dilatation der A. brachialis zur Endothelfunktionsbestimmmung. Ultraschall in Med. 2003; 24 34-39
- 9 Zeller T, Frank U, Späth M, Roskamm H. Farbduplexsonographische Darstellbarkeit von Nierenarterien und Erkennung hämodynamisch relevanter Nierenarterienstenosen. Ultraschall in Med. 2001; 22 116-121
K. A. Jäger
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