ZFA (Stuttgart) 2004; 80(3): 102
DOI: 10.1055/s-2004-818793
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nehmen wir sie an die Hand . . .

W. Niebling
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. März 2004 (online)

„Meine Methode, bislang unbekannt hier und möglicherweise auch andernorts, Studenten an die Medizin heranzuführen ist es, sie jeden Tag in das Hospital mitzunehmen um Patienten zu sehen und deren Symptome und körperlichen Befunde zu erfassen. Dann frage ich die Studenten auf was sie bei den Patienten geachtet haben und zu ihren Überlegungen und Wahrnehmungen bezüglich der Ursachen und Behandlungsprinzipien von Erkrankungen . . .” Der Verfasser dieses pädagogischen Manifestes war Franciscus de la Boe Sylvius. Er wurde 1614 in Hanau geboren und starb als berühmter Arzt und Universitätsprofessor 1672 in Leiden. Den meisten von uns dürfte er durch die Beschreibung der Sylvischen Fissur an der Hirnoberfläche bekannt sein, wenigen vielleicht durch seine Bemühungen um die Entwicklung einer blutreinigenden Substanz, an deren Ende ein Wacholderdestillat stand, der Gin.

Warum diese Remineszenz an eine historische Persönlichkeit der Medizingeschichte? Die Antwort: Der Unterricht am Krankenbett, für damalige Zeiten ungewöhnlich, ja unerhört wurde im niederländischen Leiden des 17. Jahrhunderts durch Franciscus de La Boe Sylvius in der universitären Ausbildung verankert. Er führte seine Studenten „an der Hand” zu den Patienten und ermöglichte Ihnen dadurch Lernen unter authentischen klinischen Bedingungen.

Das nach der neuen Approbationsordnung obligate Blockpraktikum in der Allgemeinmedizin beinhaltet, bei allen Schwierigkeiten in der Umsetzung, für unser Fach ungeahnte Möglichkeiten:

Unterricht am Patienten in einem idealen Verhältnis von 1 : 1 (ein Student, ein Lehrarzt) Verknüpfung von vorhandenem Wissen mit neuer klinischer Erfahrung Förderung von aktivem Lernen und selbstreflektivem Handeln Vermittlung von Fertigkeiten orientiert am Bedarf des Studierenden sowie Prägung von Haltung und innerer Einstellung zum Arztberuf.

Erste Rückmeldungen unserer Studenten waren mehr als ermutigend. Positiv beurteilt wurden insbesondere

die motivierende Atmosphäre in den Lehrpraxen als Studierende von den Patienten anerkannt und ernstgenommen zu werden die Möglichkeit eigenständig untersuchen sowie Haus- und Heimbesuche machen zu können Motivation und Engagement der Lehrärzte und ihrer Mitarbeiter.

Erstaunt waren die Studentinnen und Studenten

über die Vielfalt und Breite der hausärztlichen Tätigkeit mit einer deutlich von der Klinik abweichenden Vorgehensweise und über das empathische Arzt-Patientenverhältnis.

Dieses Lob, zugegeben fragmentarisch dargestellt, tut uns gut, besonders in einer Zeit, da die Allgemeinmedizin gesundheitspolitisch wieder einmal ins Hintertreffen zu geraten scheint. Nutzen wir die Chance, nehmen die Studenten an der Hand und führen sie zu unseren Patienten. Es ist eine Investition in die Zukunft unserer hausärztlichen Profession.

W. Niebling