Aktuelle Dermatologie 2005; 31(1/02): 46-51
DOI: 10.1055/s-2004-826056
Kleine Kulturgeschichte der Haut
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Von der Sprache unserer Haut (Afrika)

The Diction of Our Skin (Africa)M.  Schwarz
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Publication Date:
07 February 2005 (online)

Ob in Afrika, in Asien, Australien oder Europa - ob in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft - ob in einer „weniger entwickelten”, ob in einer „entwickelteren” Gesellschaft - die gering behaarte Haut des menschlichen Organismus ist besonders dafür geeignet, als „Schreibgegenstand” zu dienen und damit den Angehörigen einer Sippe oder Gesellschaft Informationen zu übermitteln.

Die Möglichkeit, großflächige Gemälde mit teilweise dreidimensionalem Aspekt, Tätowierungen und andere Zeichen auf der Haut zu arrangieren, schafft einen Informationsträger, der mit vergänglichen oder unvergänglichen Zeichen Aspekte von symbolischer, religiöser, heilender oder sozialer Bedeutung zum Ausdruck zu bringen vermag.

Das Hautorgan hat sicherlich eine besondere Bedeutung, ist es doch die „letzte Schicht” zwischen dem Individuum und seiner Umwelt. Es bietet sich also an, durch Modifizierungen der Haut bestimmte Informationen - nonverbal - an die Umwelt, an die Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft weiterzugeben. Menschen aller Völker haben die Haut als eine Fläche betrachtet, auf der es sich leicht einrichten lässt, vieldeutige, zuweilen an Verzierungen reiche und - ebenso häufig - künstlerisch wertvolle Ausdrucksformen zu schaffen. Sie bietet ein weites Feld für kreative Tätigkeit.

Unabhängig vom jeweiligen kontinentalen Bezug, sind die Informationen vermittels des Hautschmuckes vielfältig. Die Verzierung der Haut in Afrika dokumentiert dabei oftmals den individuellen Lebenszyklus des Trägers, seine soziale Stellung, zuweilen den beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg, bestimmte religiöse oder jahreszeitliche Bezugspunkte, oftmals allerdings auch „nur” einen kosmetischen Aspekt. Durch den afrikanischen Haut- und Körperschmuck werden auch individuelle Vorstellungen einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung und Hierarchie dargestellt, legitimiert und bestätigt. Viele Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: Wird eine zeitweilige (Farbe) oder dauerhafte (Narbe) Veränderung am Hautorgan vorgenommen? Erfolgt die Kennzeichnung des Hautorgans aus sozialem, religiösem, kosmetischem oder medizinischem Aspekt? Wie alt ist der Träger der artefiziellen Hautveränderung, ist er weiblich oder männlich? Welche Ornamentik, welche Farben und welche Lokalisationen werden für den Hautschmuck gewählt? Wer hat ihn (freiwillig/unfreiwillig) angefertigt? Wie teuer war er? Ist ein Sinnzusammenhang innerhalb der verschiedenen Ornamente des Körperschmucks überhaupt gewollt? Oder erfolgt er heutzutage nur aus touristischer Intention? In vielen Gesellschaften Afrikas ist die Malerei am Körper in der Defensive, gelegentlich verkommt sie tatsächlich zum Touristenspektakel.

„Dieses Leit-Zeichen,
das ich in dein Fleisch einzeichne,
macht dich in Zukunft
als mein Kind kenntlich.”

Mit diesen Worten wendet sich die höchste Kreatur an ihre Abkömmlinge. In den Augen der Gbaya (Volksstamm in Südkamerun, im Südsudan) trägt jeder belebte Gegenstand eine Markierung. Der Volksstamm unterscheidet z. B. zwischen „Zeichen Gottes” (Dap so), Hautveränderungen, die ohnehin vorhanden sind (z. B. auch Naevuszellnaevi, Missbildungen u. a.) und „Zeichen von menschlicher Hand” (Dap gon ne er bii). Diese aber sind Tätowierungen, Narben von Unfällen und Verletzungen, aber auch Bemalungen, Schmucknarben u. a. [3].

Das Regelwerk mit Art und Weise, Ästhetik, künstlerischer Gestaltung von Bemalungen, Narbenzeichnungen und Tätowierungen wird von der jeweiligen Gemeinschaft aufgestellt und weitervererbt. Das Individuum mit der so veränderten Haut wird zur lebenden Skulptur, zum Kunstwerk erhoben, das durch die bewusste Gestaltung zum Ausdruck menschlicher Kultur wird, die andererseits von der Kunst der nicht beeinflussten umgebenen Natur deutlich abgegrenzt erscheint.

„Zeige mir deine Haut, zeige mir dein Gesicht, und ich sage dir, wer du bist.” Diese Aussage scheint in ihrer Gültigkeit besonders für die geschmückte Haut auf dem afrikanischen Kontinent zu gelten.

Die Veränderungen am Hautorgan durch die Beibringung von Schmucknarben, Tätowierungen, die Verwendung von Schminke bei Bemalungen, aber auch das Nutzen von Masken und Gewändern stellt eine Symbolik dar. Bei entsprechender Übung und Erfahrung kann man darin lesen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit können die Veränderungen am Hautorgan in einen

sozialen Hintergrund, medizinischen Hintergrund, religiös-mythischen Hintergrund und künstlerisch-kosmetischen Hintergrund

eingeteilt werden [4] [7] [8]. Zweifelsohne am umfangreichsten sind die sozialen Hintergründe der dem Hautorgan beigebrachten Veränderungen. Dazu können gezählt werden:

Stammeszugehörigkeit Alter und Geschlecht Reifungs-/Erfahrungszyklus gesellschaftliche Stellung besondere Qualitäten, wie z. B. Tapferkeit des Symbolträgers.

Von dem sozialen Hintergrund der am Hautorgan vorhandenen Veränderungen in Form von Schmucktätowierungen oder Narben kann der medizinische Aspekt deutlich abgegrenzt werden [1] [6] [8].

Dazu zählen:

Einbringung von heilkräftigen und schadensabwehrenden Substanzen in die Haut Schadensabweisende Narbenstrukturen und Bemalungen Narben durch Aderlässe Narben aufgrund einer symptomatischen Behandlung (z. B. zur Verbesserung des Visus: Narben über dem Auge, zur Besserung von Schläfenkopfschmerzen: Narben im Schläfenbereich).

Weiterhin abgegrenzt werden kann ein religiös-mythischer Hintergrund der Veränderung am menschlichen Hautorgan; Bemalungen und Narben können hier als Ausdruck einer bestimmten religiös-mythischen Verehrung gedeutet werden. Die individuelle Symbolik kann aber auch als Mahnung und Erfüllung an bzw. von göttlichen Aufträgen verstanden werden. Letztlich abgegrenzt werden muss der kosmetische Aspekt, hier haben Schmucknarben, die Verwendung von Schminke und Tätowierungen lediglich die Funktion einer Verzierung, sie können als kommunikatives Element mit zuweilen deutlich erotischem Aspekt angesehen werden.

Literatur

  • 1 Bartels M. Die Medicin der Naturvölker. Ethnologische Beiträge zur Urgeschichte der Medicin. Leipzig; Th. Grieben's Verlag (L. Fernau) (Holzminden: Reprint-Verlag-Leipzig, o. J.) 1893
  • 2 Bernatzik H A. Haare und Haartrachten.  Atlantis. 1937;  9 8-16
  • 3 Faik-Nzuji C. Afrika: Mensch, Natur und Kunst. Düsseldorf; Albatros 2003
  • 4 Gröning K (Hrsg). Geschmückte Haut: eine Kulturgeschichte der Körperkunst. München; Frederking & Thaler 1997
  • 5 Le Monde diplomatique (Hrsg). Atlas der Globalisierung. Berlin; taz Verlags- und Vertriebs GmbH 2003
  • 6 Loth H (Hrsg). Altafrikanische Heilkunst. Leipzig; Philipp Reclam jun 1984
  • 7 Mittag H (Hrsg). Die Haut im medizinischen und kulturgeschichtlichen Kontext. Marburg; Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 2000
  • 8 Müller K E, Ritz-Müller U. Soul of Africa. Magie eines Kontinents. Köln; Könemann 1999
  • 9 Schebesta P. Zwerge als Wildbeuter.  Von der Jagdleidenschaft der Bambuti vom Ituri (Belgisch-Kongo) Atlantis. 1937;  9 211-216
  • 10 von Sydow E. Kunst und Kulte von Benin.  Atlantis. 1938;  10 53-55

CA Dr. med. Markus Schwarz

Ostseeklinik Dierhagen GmbH

Wiesenweg 1 · 18347 Ostseebad Dierhagen

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