Aktuelle Dermatologie 2005; 31(1/02): 46-51
DOI: 10.1055/s-2004-826056
Kleine Kulturgeschichte der Haut
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Von der Sprache unserer Haut (Afrika)

The Diction of Our Skin (Africa)M.  Schwarz
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CA Dr. med. Markus Schwarz

Ostseeklinik Dierhagen GmbH

Wiesenweg 1 · 18347 Ostseebad Dierhagen

Publication History

Publication Date:
07 February 2005 (online)

Table of Contents

Ob in Afrika, in Asien, Australien oder Europa - ob in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft - ob in einer „weniger entwickelten”, ob in einer „entwickelteren” Gesellschaft - die gering behaarte Haut des menschlichen Organismus ist besonders dafür geeignet, als „Schreibgegenstand” zu dienen und damit den Angehörigen einer Sippe oder Gesellschaft Informationen zu übermitteln.

Die Möglichkeit, großflächige Gemälde mit teilweise dreidimensionalem Aspekt, Tätowierungen und andere Zeichen auf der Haut zu arrangieren, schafft einen Informationsträger, der mit vergänglichen oder unvergänglichen Zeichen Aspekte von symbolischer, religiöser, heilender oder sozialer Bedeutung zum Ausdruck zu bringen vermag.

Das Hautorgan hat sicherlich eine besondere Bedeutung, ist es doch die „letzte Schicht” zwischen dem Individuum und seiner Umwelt. Es bietet sich also an, durch Modifizierungen der Haut bestimmte Informationen - nonverbal - an die Umwelt, an die Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft weiterzugeben. Menschen aller Völker haben die Haut als eine Fläche betrachtet, auf der es sich leicht einrichten lässt, vieldeutige, zuweilen an Verzierungen reiche und - ebenso häufig - künstlerisch wertvolle Ausdrucksformen zu schaffen. Sie bietet ein weites Feld für kreative Tätigkeit.

Unabhängig vom jeweiligen kontinentalen Bezug, sind die Informationen vermittels des Hautschmuckes vielfältig. Die Verzierung der Haut in Afrika dokumentiert dabei oftmals den individuellen Lebenszyklus des Trägers, seine soziale Stellung, zuweilen den beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg, bestimmte religiöse oder jahreszeitliche Bezugspunkte, oftmals allerdings auch „nur” einen kosmetischen Aspekt. Durch den afrikanischen Haut- und Körperschmuck werden auch individuelle Vorstellungen einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung und Hierarchie dargestellt, legitimiert und bestätigt. Viele Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: Wird eine zeitweilige (Farbe) oder dauerhafte (Narbe) Veränderung am Hautorgan vorgenommen? Erfolgt die Kennzeichnung des Hautorgans aus sozialem, religiösem, kosmetischem oder medizinischem Aspekt? Wie alt ist der Träger der artefiziellen Hautveränderung, ist er weiblich oder männlich? Welche Ornamentik, welche Farben und welche Lokalisationen werden für den Hautschmuck gewählt? Wer hat ihn (freiwillig/unfreiwillig) angefertigt? Wie teuer war er? Ist ein Sinnzusammenhang innerhalb der verschiedenen Ornamente des Körperschmucks überhaupt gewollt? Oder erfolgt er heutzutage nur aus touristischer Intention? In vielen Gesellschaften Afrikas ist die Malerei am Körper in der Defensive, gelegentlich verkommt sie tatsächlich zum Touristenspektakel.

„Dieses Leit-Zeichen,
das ich in dein Fleisch einzeichne,
macht dich in Zukunft
als mein Kind kenntlich.”

Mit diesen Worten wendet sich die höchste Kreatur an ihre Abkömmlinge. In den Augen der Gbaya (Volksstamm in Südkamerun, im Südsudan) trägt jeder belebte Gegenstand eine Markierung. Der Volksstamm unterscheidet z. B. zwischen „Zeichen Gottes” (Dap so), Hautveränderungen, die ohnehin vorhanden sind (z. B. auch Naevuszellnaevi, Missbildungen u. a.) und „Zeichen von menschlicher Hand” (Dap gon ne er bii). Diese aber sind Tätowierungen, Narben von Unfällen und Verletzungen, aber auch Bemalungen, Schmucknarben u. a. [3].

Das Regelwerk mit Art und Weise, Ästhetik, künstlerischer Gestaltung von Bemalungen, Narbenzeichnungen und Tätowierungen wird von der jeweiligen Gemeinschaft aufgestellt und weitervererbt. Das Individuum mit der so veränderten Haut wird zur lebenden Skulptur, zum Kunstwerk erhoben, das durch die bewusste Gestaltung zum Ausdruck menschlicher Kultur wird, die andererseits von der Kunst der nicht beeinflussten umgebenen Natur deutlich abgegrenzt erscheint.

„Zeige mir deine Haut, zeige mir dein Gesicht, und ich sage dir, wer du bist.” Diese Aussage scheint in ihrer Gültigkeit besonders für die geschmückte Haut auf dem afrikanischen Kontinent zu gelten.

Die Veränderungen am Hautorgan durch die Beibringung von Schmucknarben, Tätowierungen, die Verwendung von Schminke bei Bemalungen, aber auch das Nutzen von Masken und Gewändern stellt eine Symbolik dar. Bei entsprechender Übung und Erfahrung kann man darin lesen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit können die Veränderungen am Hautorgan in einen

  • sozialen Hintergrund,

  • medizinischen Hintergrund,

  • religiös-mythischen Hintergrund und

  • künstlerisch-kosmetischen Hintergrund

eingeteilt werden [4] [7] [8]. Zweifelsohne am umfangreichsten sind die sozialen Hintergründe der dem Hautorgan beigebrachten Veränderungen. Dazu können gezählt werden:

  • Stammeszugehörigkeit

  • Alter und Geschlecht

  • Reifungs-/Erfahrungszyklus

  • gesellschaftliche Stellung

  • besondere Qualitäten, wie z. B. Tapferkeit des Symbolträgers.

Von dem sozialen Hintergrund der am Hautorgan vorhandenen Veränderungen in Form von Schmucktätowierungen oder Narben kann der medizinische Aspekt deutlich abgegrenzt werden [1] [6] [8].

Dazu zählen:

  • Einbringung von heilkräftigen und schadensabwehrenden Substanzen in die Haut

  • Schadensabweisende Narbenstrukturen und Bemalungen

  • Narben durch Aderlässe

  • Narben aufgrund einer symptomatischen Behandlung (z. B. zur Verbesserung des Visus: Narben über dem Auge, zur Besserung von Schläfenkopfschmerzen: Narben im Schläfenbereich).

Weiterhin abgegrenzt werden kann ein religiös-mythischer Hintergrund der Veränderung am menschlichen Hautorgan; Bemalungen und Narben können hier als Ausdruck einer bestimmten religiös-mythischen Verehrung gedeutet werden. Die individuelle Symbolik kann aber auch als Mahnung und Erfüllung an bzw. von göttlichen Aufträgen verstanden werden. Letztlich abgegrenzt werden muss der kosmetische Aspekt, hier haben Schmucknarben, die Verwendung von Schminke und Tätowierungen lediglich die Funktion einer Verzierung, sie können als kommunikatives Element mit zuweilen deutlich erotischem Aspekt angesehen werden.

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Sozialer Hintergrund

Es gibt Stämme in Afrika, welche die Zugehörigkeiten zu ihrer Sippe kennzeichnen. Intention ist dabei nicht allein die Markierung des Individuums als zugehörig zu einer bestimmten Gemeinschaft. Ziel ist es auch, das Individuum vor dem Verlust zu schützen, es wiedererkennbar zu machen und zu zeigen, woher es kommt.

Die Shilluk - Rinderhirten im Südsudan - verehren einen König, der vornehmlich rituelle Aufgaben besitzt. Angehörige dieses Volksstammes sind durch einen halbkreisförmigen Narbenbesatz im unteren Stirnbereich (bis zum Antitragus reichend) gekennzeichnet. Diese Skarifizierung wird in der Kindheit durchgeführt, wobei die Haut an einem Angelhaken hochgezogen und dann mit einem Messer kreisförmig entfernt wird [4] (Abb. [1]).

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Abb. 1 Halbkreisförmiger Narbenbesatz der Stirn als Charakteristikum der Shilluk, Südsudan (Quelle: Bert Leidmann).

Andere Stämme, wie die Yaelima im Kongo, kennzeichnen die Stammeszugehörigkeit durch konzentrische Kreise im Schläfenbereich. Diese Kreise allerdings haben eine vielfältige Bedeutung, u. a. werden sie als Zeichen angesehen, mit dem der so „Markierte” zum Licht des Wissens gelangt. Die konzentrischen Kreise können zur Stammeskennzeichnung allerdings auch an anderen Stellen des Körpers gefertigt werden [3].

Alter und Geschlecht als Ursache für die Symbolik auf der Haut bieten sicherlich in Afrika den vielfältigsten Variantenreichtum.

Die im zentralen Hochland von Kenia lebenden Kikuyu, auch die Samburu, zeigen innerhalb ihrer zahlenmäßig reichen gesellschaftlichen Formierung ein ausgeprägtes Altersklassensystem. Besonders auffällige Formen des Körperschmuckes tragen die jungen, unabhängigen (kriegerischen) Männer. Kikuyu-Tänzer können Körperbemalungen aus einer Mischung aus Kreide und Fett zeigen, während Samburu-Angehörige der Kriegerkaste sich besonders prächtig mit einer Ockerbemalung im Gesicht- und Halsbereich darstellen (Abb. [2]). Gesellschaftlichen Einfluss, wenn es um die Gestaltung der Geschicke der Sippe geht, haben allerdings nur die unscheinbar agierenden Ältesten der Gesellschaft. Wie in anderen Stämmen Afrikas auch, haben in Kenia die gesellschaftlichen Veränderungen dazu geführt, dass körperbemalte Kikuyu oder Samburu nur noch selten anzutreffen sind. Das gilt natürlich nicht für entsprechende Touristenresorts an den Stränden der kenianischen Küste.

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Abb. 2 Samburu-Krieger.

Bei den Nuba, bäuerlichen Stämmen im südlichen Sudan, haben verwendete Körperfarben und die Art und Weise, die Haare zu frisieren, einen strengen Altersbezug. Weiß und Rot sind die allerersten Farben, die Jungen im Alter von etwa 8 Jahren benutzen dürfen. Sobald sie zu den jungen Männern gehören, darf die Farbe Gelb verwendet werden. Schwarze Bemalungen allerdings sind erst erlaubt, wenn der Aspirant nach einiger Zeit offiziell in den entsprechenden neuen Altersgrad aufgenommen wird. Sehr genau achten die Nuba darauf, dass diese Tradition eingehalten wird. Hingegen werden bei der Körperbemalung im Gesicht und am übrigen Körper Tiere dargestellt, die, angepasst an die menschliche Anatomie, symbolisch verfremdet werden. Eine sehr große Bedeutung bei den Nuba findet auch die Gestaltung des Kopfhaares. Jungen im frühen Altersgrad haben eine sehr kleine Haarkappe, bei älteren Jugendlichen wird die Haarkappe größer, sie kann in einzelne Sektionen geteilt werden. Eine durchgehende Haarkappe kann sich in Form eines Bandes von der Stirn bis zum Nacken gestalten. Um die kunstvoll gestalteten Frisuren nicht zu zerstören, wird des Nachts nicht selten auf Nackenstützen geschlafen [4] (Abb. [3]). Alte Männer dagegen scheren sich das Haupthaar.

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Abb. 3 Junger Nuba-Mann mit gemalter Gesichtsmaske (Leni Riefenstahl Produktion).

In anderen Gebieten Afrikas, z. B. bei den Berbern im Antiatlasgebiet Marokkos und Algeriens, schützen sich die Frauen vor den negativen Kräften des „Bösen Blicks”. Abgewehrt werden sollen dadurch Krankheit und Tod. Besonders können die negativen Kräfte des „Bösen Blicks” durch die Körperöffnungen in die Menschen eindringen. Deshalb müssen entsprechende Tätowierungen, Bemalungen, besonders in den Arealen der Körperöffnungen (Mund, Augen), lokalisiert sein. Schutz vor dem „Bösen Blicks” findet man aber nicht nur bei den Berbern, sondern z. B. auch bei den Bororo, nomadischen Hirtenfrauen in der Republik Niger [4].

Reifungs- und Erfahrungszyklus eines Individuums auf dem afrikanischen Kontinent können ebenso - eng an spezifische Körperverzierungen, die mit dem Alter und Geschlecht verbunden sind, angelehnt - Ursache für eine große Vielfalt sein.

Erste Narben bekommen Kinder bereits unmittelbar nach der Geburt, weitere Skarifizierungen können folgen, bei den Frauen nach der ersten Menstruation, nach der Geburt des ersten Kindes oder nach dessen Abstillen. Oftmals wird erst durch das Tragen von Narben anerkannt, dass es sich um einen „echten” Mann oder eine „echte” Frau handelt. Bei anderen afrikanischen Stämmen, wie bei den Ga’anda in Nigeria müssen die Frauen bis zum Erwachsenwerden, förmlich zum Aufzeigen ihrer Heiratsfähigkeit, eine mehrjährige Körpergestaltung über sich ergehen lassen, die den gesamten Rumpf und die Oberschenkel in einer genau festgelegten überlieferten Ordnung mit Narben verziert. Bei wieder anderen Stämmen hingegen hat sich dieser Ritus nicht durchgesetzt, hier erfolgt eine umfangreiche Skarifizierung z. B. erst nach der Geburt des ersten Kindes (z. B. bei den Nuba-Frauen im Südsudan). Bei ihnen werden die Narben in einer festen Ordnung von drei Phasen angelegt. Im Alter von ungefähr 10 Jahren finden sich erste am Rumpf, kurz nach der ersten Menstruation unter dem Brustbereich. Vervollständigt werden die Skarifizierungen nach dem Abstillen des ersten Kindes auf dem Rücken, den Armen und den Beinen. Die dekorative Deutung lässt sich allerdings nicht nur mittels der Narben ausmachen. Nur diejenigen Mädchen, die noch nie schwanger waren, bestreichen den gesamten Körper mit einer Mischung aus Öl und Ocker; diese ist in ihrem Farbton als Spezifikum für den Vaterklan des Mädchens anzusehen [4] [8]. Zu Beginn der ersten Schwangerschaft werden die Haare der Frauen rasiert, erst nach der Geburt des Kindes dürfen sie wieder wachsen. Außerdem wird durch die Farbe des Rockes gekennzeichnet, ob die Menopause erreicht, ob gerade abgestillt wurde oder das erste Kind erwartet wird. Während der umfangreichen Skarifizierungen wird versucht, die außerordentlich schmerzhafte Prozedur durch diverse Heilkräuter zu lindern.

Im individuellen Erfahrungs- und Reifungszyklus allerdings werden auch Familienangehörige adjustiert. So müssen z. B. die Massai-Mädchen kurz nach der Initiation und Beschneidung heiraten; dabei haben sich Brautführer und die Familie der Braut im Gesicht und am Hals ocker zu schminken. So unterschiedlich die Farbe Weiß in der Verwendung für die einzelnen Regionen und Stämme Afrikas different zu betrachten ist, findet man sie andererseits relativ häufig als Bemalungsfarbe für die Initiationsriten bei Jungen und Mädchen. Die Feiern der Reife sind im Leben von Jugendlichen als wesentliches Ereignis anzusehen, werden sie doch durch den Ritus in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen. Jugendliche werden dabei bestäubt oder bemalt, oftmals von Kopf bis Fuß. Weiß soll dabei das Zeichen der Reinheit und Versinnbildlichung des Übergangszustandes sein. Der Farbe Weiß wird außerdem dabei eine reinigende, heilende Wirkung zugesprochen. Der Farbstoff wird aus Kaolin, hellem Lehm, Mehl oder zermahlenen Muscheln hergestellt. Bei den Stämmen der Lobi in Burkina Faso werden die jungen Mädchen bei den Initiationsfeiern mit einem Skelettmuster aus weißer Farbe von Kopf bis Fuß gekennzeichnet. Die Ahnen werden hierdurch wieder lebendig. Viele tausende Kilometer entfernt, bei den Xhosa in Südafrika, müssen sich die jungen Erwachsenen in den Zeiten der Initiation mehrere Monate außerhalb ihrer Gesellschaft aufhalten. Auch sie sind weiß bemalt, zeigen sie doch dadurch den besonderen Übergangszustand deutlich auf. Bei den Fingo, in der Nähe von Zwasiland lebend, stellt die Farbe Weiß periorbital benutzt, die Hoffnung dar, eine baldige Mutterschaft zu erreichen [3] [4] [8].

Nicht vergessen werden darf, dass bestimmte Skarifizierungen, Kunstnarben, aber auch Körpermalereien Auskunft über die gesellschaftliche Stellung einer Person geben können. Oftmals sind die Kosten zur Finanzierung der Spezialisten so hoch, dass sie nicht von jedem Stammesmitglied aufgebracht werden können. Andererseits sind, wie bei den Mangbetu-Frauen (Nordost-Kongo), bestimmte Tätowierungen und Narbenverzierungen ohnehin nur als Zeichen sozialer Abgrenzung für eine bestimmte gesellschaftliche Elite vorgesehen. Die dabei verwendeten Muster sind auf Holzfiguren, die für diesen lokalen Adel vorgesehen waren, verewigt [8] [10].

Innerhalb des sozialen Kontextes sind es auch oftmals ganz individuelle Qualitäten wie Tapferkeit, Attribute der Anerkennung und Auszeichnung, die mittels einer Veränderung der gegebenen Hautstruktur zum Ausdruck gebracht werden können. Die im Omo-Tal (Südwestäthiopien) lebenden Angehörigen bäuerlicher Gesellschaften besitzen auffallend vielfältige Schmucknarben, die auch persönliche Leistungen/kleinere Heldentaten, Geschick bei der Jagd darstellen. Auch die Nuba-Männer des Südsudans besitzen Narben, die sowohl überstandene Krankheiten als auch außergewöhnliche persönliche Leistungen dokumentieren [4] [8] [9].

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Medizinischer Hintergrund

Auf den ersten Blick schwer zuzuordnen sind sicherlich auch die Bemalungen und Narbenbildungen mit medizinischem Hintergrund. Wie bereits angedeutet, können dabei die Gesundheit kräftigende bzw. den Schaden abweisende Substanzen in die Haut eingebracht werden. Sie bilden dann eigentlich auch sehr individuelle Kennzeichen, an denen man Menschen wiedererkennt. Die wie Schmucknarben aussehenden Veränderungen periumbilikal bei den Dagara-Kindern (Burkina Faso) sind in erster Linie kurz nach der Geburt angelegt worden, um Infektionen abzuweisen, die aus einer unsauberen Abtrennung der Nabelschnur resultieren. Dagegen weisen Narben in der Nabelgegend bei den Luluwa-Frauen (Katanga-Becken, Kongo) auf die enge Beziehung zu den Ahnen und auf die Kontinuität der Generationen hin. Der überwiegende Teil der aus medizinischen Gründen eingebrachten Narben lässt allerdings eine symbolische Interpretation kaum zu [1] [3] [8].

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Religiös-mythischer Hintergrund

Ebenso vielfältig sind Narben und andere Schmuckelemente am Hautorgan aus religiös und religiös-mythischen Gründen. Hier scheint es eine unendliche Symbolvielfalt zu geben, stellen die Zeichen auch Andenken zur Mahnung bzw. zur Erfüllung einer gesellschaftlichen Norm dar.

So ist es nicht selten, dass ausgewählte Farben, sowohl im Bereich des Gesichtes aufgetragen als auch am übrigen Rumpf, bestimmten Göttern oder anderen übersinnlichen Wesen zugeordnet werden. Eine rote Maske bei den Nkanu im Kongo symbolisiert den Geist Kakunga, der Unheil - wie Krankheit und Naturkatastrophen - von der menschlichen Gemeinschaft fernhält. Die Farbe Rot wird durchaus häufig mit menschlichem Blut in Beziehung gebracht, so kann Rot als Farbe des Lebens betrachtet werden, anderenorts sind allerdings mit der Farbe Rot Tod und Vergänglichkeit verbunden. Allenthalben finden sich auf dem afrikanischen Kontinent zudem unterschiedliche Rotschattierungen, für die es im europäischen Sprachgebrauch keine Entsprechung gibt, so dass eine Zuordnung bisweilen unmöglich ist [4] [8].

Bestimmte Narbenzeichen verkörpern Vielfachbedeutungen aus dem Mythos des Stammes, Mahnung und Lebensregel. Einige Stämme besitzen ein ganzes System für im Laufe des Lebens an bestimmten Stellen des Körpers zu applizierende Narbenmuster, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden: Bei den Ohendo-Frauen werden 1. „Zeichen der Ordnung” (Tondongo) von 2. „Zeichen des Mondes” (Angondo) und 3. Nkombe (Symbole der Dankbarkeit und des Wunsches nach Langlebigkeit) unterschieden [3] (Abb. [4]). Das Neumondzeichen (Lowawale) aus dem Zyklus der „ordnungbringenden Narben” (Tondongo) stellt sich als mit den Spitzen nach oben gezeichnete Mondsichel dar, die mit einer senkrechten Linie gestützt wird, wobei die Mondsichel zwischen den Brüsten angelegt wird und die senkrechte Stützung kurz vor dem Nabel endet. Symbolisch lässt sich dieses Neumondzeichen dem Schöpfungsmythos der Ohendo zuordnen, nach deren Vorstellungen auf dem Mond ein Geist wohnte, der in Absprache mit den Ahnen und Naturgeistern über das Schicksal der entsprechenden Frau in dem beginnenden Neumond entscheidet. Der Mondgeist entscheidet über Fruchtbarkeit (oder Unfruchtbarkeit) der Frau, besitzt damit deutlichen Einfluss auf das Schicksal der schutzbefohlenen Person. Er mahnt die junge Frau auch, einen untadeligen Lebenswandel aufzuzeigen, um die Gunst des Geistes zu erhalten. Ein anderes Zeichen aus der Gruppe der „ordnungbringenden Narben” (Tondongo) sind die beiden doppelten Rauten, die sich an ihren seitlichen Ecken berühren und in der Regel oberhalb der Hüften (beidseits) eingeritzt werden (Longéngéndé). Dieses Zeichen steht für die Vereinigung des Mannes mit der Frau, in seiner zweiten Bedeutung ist dieses Symbol allerdings auch - gemäß des Mythos der Ohende - als Zeichen der Vereinigung der Frau mit dem Mondgeist anzusehen. Die Ohendo glauben, dass jede Frau zwei Gatten besäße, einen menschlichen und einen geistigen. Der geistige Gatte lebe tagsüber in ständiger Verbindung mit der Frau, er verlässt des Nachts seinen Platz, um dem menschlichen Gatten „Freizügigkeit” zu erlauben. Demgemäß muss es den Ohendo-Männern verboten sein, während des Tages Geschlechtsverkehr mit ihren Frauen zu haben. Halten sie sich an diese Regel nicht, gehen sie Gefahr, von einem eifersüchtigen Geistgatten umgebracht zu werden.

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Abb. 4 Topographie der Zeichen der Ohendo (aus [3]).

Ein anderes Zeichen, diesmal aus der Gruppe der „Monde” (Angondo) stellen kleine Mondsicheln dar, die die Form zweier Schildkröten annehmen, die in entgegengesetzte Richtung schauen. Schildkröten sind Kreaturen mit Intelligenz; diese Schildkrötenmuster werden in der Regel in Bereiche des Oberschenkels skarifiziert, gleichzeitig wird mit dem Symbol der auseinanderlaufenden Schildkröten auf die Bigamie hingewiesen. Mit diesem Zeichen wird die junge Frau ermahnt, dass, falls der Ehemann eine zweite Frau mit nach Hause bringt, sie selbst nie das Gleiche wie die andere, neue Frau tun darf. Die neu ins Haus gebrachte Frau muss als Feindin angesehen werden, man soll sich hüten.

Der gesamte Narbenzyklus der Ohendo kann als Mahnung, als Anleitung für einen ausgewogenen Lebenslauf, für Kinderreichtum, Glück in der Ehe u. a. angesehen werden. Offenkundig werden ganz praktische Ratschläge erteilt [3].

Die Schmucknarben auf den Wangen der Dagara in Burkina Faso werden nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus mythischen Gründen angebracht, stellen sie doch das „Zeichen der Schlange” (Python) dar. Diese mythische Schlange soll die Kinder - bei hoher Kindersterblichkeit in Burkina Faso - auf ihrem Weg zwischen den lebenden und den toten Welten begleiten. Falls ein Kind stirbt, soll es doch bei der Wiedergeburt wiedererkannt werden [3].

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Künstlerisch-kosmetischer Hintergrund

Wieder andere Bemalungen und Skarifizierungen haben einen rein kosmetischen Aspekt mit deutlich erotischer Funktion. Sie können auch als kommunikatives Element verstanden werden. Finden sich beispielsweise bei den Baluba (Kongo) rautenförmige Muster im Bereiche des Bauches oder auf den Hüften, so werden diese Narben als jene, „die den Augen der Männer schmeicheln” betrachtet. Der wichtigste Zweck dieser Narben besteht darin, das männliche Verlangen zu wecken und die Aufmerksamkeit auf die eigene Person zu lenken [4].

Unbedingt vom kosmetisch-kommunikativen Aspekt in die Betrachtung einzubeziehen ist der Haarschmuck. Auch hierbei muss der soziale Hintergrund bei den jeweiligen Stämmen mit ihren zuweilen typischen Haartrachten berücksichtigt werden. So kann der bereits durch seine auffällige Narbenzeichnung im Stirnbereich erwähnte Shilluk-Mann als Krieger seine Haare in Form eines Hahnenkammes, unterstützt durch kleine eingebrachte Lehmkügelchen für den Zopfbereich, gestalten [2] (Abb. [5]).

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Abb. 5 Frisur eines Shilluk - Kriegers, die Zöpfe und Lehmknötchen sind in Form eines Hahnenkammes geflochten (aus [2]).

Bei der Haartracht der Bidyogo-Frauen (oberer Nilbereich/Sudan) werden Palmöl, Ocker und Kügelchen aus rotem Lehm in die Haarmasse eingeknetet, erwünschter Nebeneffekt ist die Glättung des krausen Haares. Andere Rezepturen geben Kuhmist, Lehm und Kuhurin an, um daraus einen Brei zu mischen, der als Masse auf den behaarten Kopf aufgetragen wird, sich relativ schnell erhärtet und unter gelegentlicher Benetzung mit frischem Kuhurin zur letztlichen „Reifung” gelangt (Abb. [6]). Nach einigen Tagen kann die hart gewordene Masse abgeklopft werden. Durch diese Prozedur entfetten die Haare völlig, können nun mit Rinderfett eingeschmiert werden und prangen danach rotgefärbt und strähnig im Glanz der Sonne. Die rote Farbe entsteht durch das im Kuhurin enthaltene Ammoniak, es kann dabei auch noch eine Abstimmung mit dem übrigen Ocker, das am Hautorgan verwendet wurde, angestrebt werden.

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Abb. 6 Haartracht einer Bidyogo-Frau: die Haare sind mit Palmöl und Ocker dick eingebunden, darin eingeknetete Kügelchen aus rotem Lehm (aus [2]).

Im Rahmen eines Überblicks können nur ausgewählte Beispiele punktuell betrachtet werden. Es wird deutlich, dass Bemalungen und Skarifizierungen, Narben, häufig einen Komplex an Interpretationen mit sozialen, medizinischen, religiös-mythischen, kosmetischen Aspekten besitzen. Viele Zeichen an der Haut sind nur in der gegebenen Ethnie, in dem jeweiligen Stamm, einer Interpretation zugänglich. Die Interpretationen müssen sich von Stamm zu Stamm zuweilen deutlich unterscheiden. Berücksichtigt werden muss zudem, dass viele afrikanische Staaten ausgeprägte Skarifizierungen seit einiger Zeit gesetzlich verboten haben.

Den deutschen Dermatologen, die im Rahmen von Wochen-/Monatseinsätzen bzw. einige wenige auch über Jahre hinweg für eine Hilfsorganisation in afrikanischen Ländern wie Kenia, Malawi, Uganda und Tansania (um nur einige Beispiele zu nennen) tätig sind, begegnen allerdings nur selten Menschen mit so veränderten Hautstrukturen in ihrer täglichen Arbeit. Allenfalls Narben, Tätowierungen oder Bemalungen des Hautorgans bei bestehenden Krankheiten, in der Regel durch Naturheiler beigebracht, werden gelegentlich wahrgenommen. Hinzu kommt, dass durch die auch auf dem afrikanischen Kontinent zu beobachtende Urbanisierung, das Entstehen von riesigen Slumgürteln um die Großstädte wie Addis Abeba, Nairobi, Lagos oder Johannisburg, die natürlichen Bedingungen für das Entstehen von Zeichnungen an der Haut mit sozialem Hintergrund, religiös-mythischem Hintergrund oder Gründen der ausschließlichen Verzierung bzw. Kosmetik immer mehr verschwinden. Bevölkerungswachstum, Verarmung und Landflucht führen auch hier zur Zerstörung des gesellschaftlichen Rahmens für das Fortführen der teilweise jahrhundertealten Tradition. Die Zerstörung der Familienbande, das Zerreißen der Sozialgefüge von Dorfgemeinschaften und der zunehmend nackte Existenzkampf ums Überleben sind auf dem „Schwarzen Kontinent” ebenso Folge der Materialisierung wie der Globalisierung des alltäglichen Lebens [5].

Die „Sprache an der Haut” zu entdecken, gelingt offenkundig immer häufiger nur noch in abgeschiedenen ländlichen Regionen, wie sie z. B. im südwestlichen Äthiopien, im südlichen und östlichen Kongo, in Zentralkenia, im nördlichen Nigeria und Kamerun existieren. Wir können nur ahnen, welche Auswirkungen der Kampf ums Erdöl im Südsudan, Nigeria und in Gabun haben wird.

Irgendwie „domestiziert” gibt es jedoch die Sprache auf der Haut selbst im so zivilisiert erscheinenden Europa: während des Karnevals, auf Fußballspielen, im Punk-Milieu, in den Tattoo- und Piercing-Studios, im Theater, im Fernsehen, im Zirkus und tagtäglich anderswo.

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Danksagung

Für die Bereitstellung der Fotografien danke ich Herrn Bert Leidmann (Abb. [1]), der Leni Riefenstahl Produktion (Abb. [3]) sowie dem Albatros-Verlag (Abb. [4]).

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Literatur

  • 1 Bartels M. Die Medicin der Naturvölker. Ethnologische Beiträge zur Urgeschichte der Medicin. Leipzig; Th. Grieben's Verlag (L. Fernau) (Holzminden: Reprint-Verlag-Leipzig, o. J.) 1893
  • 2 Bernatzik H A. Haare und Haartrachten.  Atlantis. 1937;  9 8-16
  • 3 Faik-Nzuji C. Afrika: Mensch, Natur und Kunst. Düsseldorf; Albatros 2003
  • 4 Gröning K (Hrsg). Geschmückte Haut: eine Kulturgeschichte der Körperkunst. München; Frederking & Thaler 1997
  • 5 Le Monde diplomatique (Hrsg). Atlas der Globalisierung. Berlin; taz Verlags- und Vertriebs GmbH 2003
  • 6 Loth H (Hrsg). Altafrikanische Heilkunst. Leipzig; Philipp Reclam jun 1984
  • 7 Mittag H (Hrsg). Die Haut im medizinischen und kulturgeschichtlichen Kontext. Marburg; Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 2000
  • 8 Müller K E, Ritz-Müller U. Soul of Africa. Magie eines Kontinents. Köln; Könemann 1999
  • 9 Schebesta P. Zwerge als Wildbeuter.  Von der Jagdleidenschaft der Bambuti vom Ituri (Belgisch-Kongo) Atlantis. 1937;  9 211-216
  • 10 von Sydow E. Kunst und Kulte von Benin.  Atlantis. 1938;  10 53-55

CA Dr. med. Markus Schwarz

Ostseeklinik Dierhagen GmbH

Wiesenweg 1 · 18347 Ostseebad Dierhagen

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Literatur

  • 1 Bartels M. Die Medicin der Naturvölker. Ethnologische Beiträge zur Urgeschichte der Medicin. Leipzig; Th. Grieben's Verlag (L. Fernau) (Holzminden: Reprint-Verlag-Leipzig, o. J.) 1893
  • 2 Bernatzik H A. Haare und Haartrachten.  Atlantis. 1937;  9 8-16
  • 3 Faik-Nzuji C. Afrika: Mensch, Natur und Kunst. Düsseldorf; Albatros 2003
  • 4 Gröning K (Hrsg). Geschmückte Haut: eine Kulturgeschichte der Körperkunst. München; Frederking & Thaler 1997
  • 5 Le Monde diplomatique (Hrsg). Atlas der Globalisierung. Berlin; taz Verlags- und Vertriebs GmbH 2003
  • 6 Loth H (Hrsg). Altafrikanische Heilkunst. Leipzig; Philipp Reclam jun 1984
  • 7 Mittag H (Hrsg). Die Haut im medizinischen und kulturgeschichtlichen Kontext. Marburg; Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 2000
  • 8 Müller K E, Ritz-Müller U. Soul of Africa. Magie eines Kontinents. Köln; Könemann 1999
  • 9 Schebesta P. Zwerge als Wildbeuter.  Von der Jagdleidenschaft der Bambuti vom Ituri (Belgisch-Kongo) Atlantis. 1937;  9 211-216
  • 10 von Sydow E. Kunst und Kulte von Benin.  Atlantis. 1938;  10 53-55

CA Dr. med. Markus Schwarz

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Abb. 1 Halbkreisförmiger Narbenbesatz der Stirn als Charakteristikum der Shilluk, Südsudan (Quelle: Bert Leidmann).

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Abb. 2 Samburu-Krieger.

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Abb. 3 Junger Nuba-Mann mit gemalter Gesichtsmaske (Leni Riefenstahl Produktion).

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Abb. 4 Topographie der Zeichen der Ohendo (aus [3]).

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Abb. 5 Frisur eines Shilluk - Kriegers, die Zöpfe und Lehmknötchen sind in Form eines Hahnenkammes geflochten (aus [2]).

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Abb. 6 Haartracht einer Bidyogo-Frau: die Haare sind mit Palmöl und Ocker dick eingebunden, darin eingeknetete Kügelchen aus rotem Lehm (aus [2]).