Rehabilitation (Stuttg) 2004; 43(4): 187-198
DOI: 10.1055/s-2004-828346
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Aktueller Stand der rehabilitativen Versorgung von Patienten nach Schlaganfall

Development of Guidelines for Rehabilitation of Patients with Stroke: Analysis of Therapeutic ProceduresP.  W.  Schönle1, 3 , R.  Kattein3 , S.  Brüggemann2 , H.  Klosterhuis2
  • 1Fachbereich Psychologie, Universität Konstanz
  • 2Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Berlin
  • 3Neurologisches Rehabilitationszentrum Magdeburg
Initiiert und gefördert durch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Berlin
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Publication Date:
19 August 2004 (online)

Zusammenfassung

Im Rahmen des von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) initiierten Leitlinienprogramms, das auf die Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien für die Rehabilitation abzielt, wurden in der vorliegenden Untersuchung 8 evidenzbasierte Therapiemodule (ETM) auf der Grundlage einer systematischen Recherche und Analyse der wissenschaftlichen Literatur der Jahre 1988 bis 2002 gebildet. Sie wurden um 5 praxisbasierte Module (PTM) ergänzt, für die keine wissenschaftliche Evidenz eruiert werden konnte, um die gesamte Breite der neurologischen Rehabilitation der Patienten mit Schlaganfällen erfassen zu können. Den Therapiemodulen wurden die in der Klassifikation Therapeutischer Leistungen (KTL) dokumentierten Leistungseinheiten der Schlaganfallrehabilitation bei BfA-Patienten zugeordnet. Insgesamt wurden die Datensätze von 8876 AHB(Anschlussheilbehandlung)-Patienten der BfA aus den Jahren 2001 und 2002 mit 142 951 KTL-Kodes und 1 071 885 Terminen ausgewertet, bei denen die Diagnose Schlaganfall gestellt und mit I60, I61, I62, I63, I64 oder G45 bzw. G81 nach ICD-10 kodiert worden war. Letztere wurden einbezogen, wenn einer der I-Kodes in einem der restlichen Diagnosefelder zusätzlich vorkam. Es zeigte sich, dass für die Schlaganfallrehabilitation in den untersuchten Kliniken ein komplexes multimodales Behandlungskonzept angeboten wird und in fast allen Kliniken die ganze Breite der verschiedenen Therapiemodule zur Anwendung kommt. So nehmen die Patienten an Leistungen aus durchschnittlich 7,3 verschiedenen Therapiemodulen teil. Im Vordergrund stehen dabei die „motorischen Module”, die in der AHB-Phase, der akuten Phase der Rehabilitation, in allen Kliniken die größte Bedeutung haben. Hirnleistungstraining, Sprachtherapie und insbesondere ETM 7 (Kompetenztraining/Steigerung der psychischen Leistungsfähigkeit) kommen hingegen weniger zur Anwendung und bilden möglicherweise erst in späteren Phasen der Rehabilitation Behandlungsschwerpunkte. Eine sehr große Variabilität zeigte sich zwischen den einzelnen Kliniken 1. hinsichtlich der Anzahl der Patienten, die ein Therapiemodul in Anspruch nahmen (einzelne Module variierten beispielsweise zwischen 18 und 100 %) und 2. hinsichtlich der Therapieintensität und der Therapiedauer. Für die Interpretation der relativ großen interklinischen Unterschiede können verschiedene Ursachen herangezogen werden. Intrinsisch könnten krankheits- und „organ”spezifische Faktoren eine Rolle spielen, insofern als beim Schlaganfall sowohl hinsichtlich des Funktionsstörungsprofils als auch hinsichtlich des Schweregrads der einzelnen Funktionsstörung und des Gesamtschweregrades der kombinierten Funktionsstörungen erhebliche Unterschiede zwischen den Patienten zu beobachten sind. Ferner könnte die Belastbarkeit, die schnelle körperliche und/oder geistige Erschöpfbarkeit von Bedeutung sein. Andererseits könnten extrinsische Faktoren, wie z. B. Personalmangel in bestimmten Bereichen oder organisatorische Aspekte, eine gewisse Rolle spielen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer Optimierung der Schlaganfallrehabilitation im Sinne der Leitlinienvorgabe und -implementierung. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass bei der Entwicklung der Leitlinien die Ursachen der hohen Variabilität zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse der Untersuchung die Bereiche der Rehabilitation auf, in denen dringender Forschungsbedarf gegeben ist.

Abstract

The Federal Insurance Institute for Salaried Employees (BfA, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) in Berlin took the initiative to develop evidence-based guidelines for rehabilitation including stroke rehabilitation. In the present study we performed a systematic survey of the scientific literature on stroke rehabilitation and deduced 8 evidence-based therapeutic modules. They were supplemented by 5 practice-based modules to cover the full range of interventions currently applied in stroke rehabilitation. Modules are clusters of various interventions which were aggregated according to the rehabilitative goal they have in common. Data were analysed from 8,876 BfA patients, the total population of „neuro”-patients in 2001 and 2002 with 142,951 interventions and 1,071,885 appointments. Stroke diagnoses covered ICD-10 codes I60, I61, I62, I63, I64 or were coded by G45, G81 and one of these I-codes. Stroke rehabilitation as provided in daily practice was found to be a complex multimodal treatment programme in all hospitals which were studied. On average, patients receive treatments from 7.3 therapeutic modules. A dominating role is played by „motor modules”. Obviously, they play a major role in acute stroke rehabilitation in all hospitals compared to cognitive retraining, language therapy and especially improvement of psychic functions, which were significantly less applied. A dramatic variation could be shown to exist between the rehabilitation hospitals (1) with respect to the number of patients who were treated with a given module (e. g., some modules showed variations between 18 % and 100 %), and (2) with respect to treatment intensity and treatment duration per week. Several factors can be taken into account for interpretation of this high variance. Intrinsically, the high variation in symptomatology after stroke can play a major role, as both the deficit profile and the level of severity of a given deficit and the combined severity level can vary from patient to patient. On the other hand, extrinsic factors such as lack of staff may also account for some of the differences. In any case, the results show the necessity to optimize stroke rehabilitation by development and implementation of guidelines. Yet, they also point to a need for further research into rehabilitation interventions and procedures to yield evidence for the approximately 30 % of „only” practice-based interventions.

Literatur

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1 Die so definierte Klinikgröße lässt keine direkten Rückschlüsse auf die Bettenzahl einer Klinik zu. Sie konstatiert allerdings die BfA-Belegung und kann damit Hinweise auf die rentenversicherungsspezifische Einschätzung der Qualität der Rehabilitation geben.

2 Die einzelnen Schlaganfallkodes sind: I60 Subarachnoidalblutung, I61 Intrazerebrale Blutung, I62 Sonstige nichttraumatische intrakranielle Blutung, I63 Hirninfarkt, I64 Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet, G45 Zerebrale transitorische ischämische Attacken und verwandte Syndrome, G81 Hemiplegie.

3 Einen Überblick über die Module gibt Tab. [1].

4 Diese globalen Vorgaben könnten sich insbesondere auf die Intensität und Dauer der Interventionen beziehen.

Prof. Dr. Dr. med. Paul-Walter Schönle

NRZ Magdeburg

Gustav-Ricker-Straße 4

39102 Magdeburg

Email: paul.schoenle@uni-konstanz.de