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DOI: 10.1055/s-2004-828650
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Landesverband Hamburg - Offener Brief des Berufsverbandes deutscher Nervenärzte e.V.
Publication History
Publication Date:
09 June 2004 (online)
Gesetzlich versicherte Hamburger Patienten mit psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen dürfen am medizinischen Fortschritt nicht mehr teilhaben.
Wir Nervenärzte, Neurologen und Psychiater behandeln Patienten mit schwerwiegenden und lebensverändernden psychischen und körperlichen Erkrankungen wie Schizophrenie, Depression, Manisch-Depressive Erkrankungen, Alzheimer-Erkrankungen, Epilepsie, Parkinson, Multiple Sklerose, Schlaganfall und andere.
Die meisten dieser Patienten sind auf eine regelmäßige, langfristig wirksame und gut verträgliche Medikation angewiesen. Die früher eingesetzten Medikamente sind häufig reich an unangenehmen Nebenwirkungen, so dass die Behandlungsmitarbeit oft eingeschränkt war. In den letzten Jahren wurden verbesserte Arzneimittel entwickelt mit einer dramatischen Verbesserung der Lebensqualität und des Krankheitsverlaufs.
Der erfolgreiche Abbau von Klinikbetten, der Erhalt der sozialen Integration und die verbesserten Rehabilitationschancen wurden oft erst durch die verbesserten neuen Arzneimittel und das verminderte Rückfallrisiko möglich. Dies wird von Experten ebenso wie von Betroffenverbänden und Selbsthilfegruppen einhellig bestätigt.
Viele dieser neuen Medikamente sind sehr teuer, ermöglichen jedoch erhebliche Einsparungen durch verminderte stationäre Behandlungen und verbesserte Heilungschancen. Die Arzneiverordnungskosten betragen hier oft mehrere hundert Euro/Quartal, in Einzelfällen auch deutlich mehr.
Im KV-Bezirk Hamburg bewilligen die Krankenkassen für die medikamentöse Behandlung dieser Krankheitsbilder jedoch lediglich 57 €/Quartal für Mitglieder und 69 €/Quartal für Rentner (Stand 2003). Eine adäquate medikamentöse Versorgung ist hiermit nicht zu gewährleisten. Mit Androhung drakonischer Geldstrafen bis hin zum Praxisbankrott sollen jetzt die verantwortlichen Ärzte willfährig gemacht werden und Patienteninteressen dem Spardiktat der Krankenkassen geopfert werden.
Deshalb warnen wir als Gesamtheit der ambulant und klinisch tätigen Nervenärzte, Psychiater und Neurologen eindringlich und mit großer Sorge vor dieser Fehlentwicklung.
Wir wollen Patienten vor einschneidenden Verschlechterungen bewahren, die oft durch ihre Erkrankung in der Vertretung ihrer berechtigten Interessen beeinträchtigt sind.
Wir treten ein für eine qualifizierte und den Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften entsprechende Pharmakotherapie, die auch den Kassenpatienten weiterhin eine Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben ermöglicht. Wir wenden uns ausdrücklich gegen eine Zweiklassenmedizin in der Pharmakotherapie.
Auch angesichts knapper Ressourcen im Gesundheitswesen wird hier kurzsichtig am falschen Platz gespart. Die Folgekosten der chronischen und schwerwiegenden Erkrankungen wie krankheitsbedingte Ausfallzeiten, Frühberentungen, häufigere und längere stationäre Aufenthalte werden nicht berücksichtigt.
Trotz der existenzbedrohenden Geldrückforderungen der Krankenkassen von uns verordnenden Ärzten halten wir bislang eine Versorgung nach den Kriterien medizinischer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit aufrecht. Allerdings sehen wir uns hier zu einem unerträglichen Spagat zwischen wissenschaftlich begründeten Therapieleitlinien und dem Spardiktat gezwungen.
Wenn wir Ärzte gezwungen würden, gegen unsere erklärte Überzeugung und gegen allgemein anerkannte Therapierichtlinien, an falscher Stelle zu sparen, hätte dies fatale Konsequenzen. Die bisher eingesetzten neueren und besser verträglichen Medikamente wie z.B. Zyprexa®, Risperdal®, Seroquel®, Solian®, Zeldox®, Trevilor®, Edronax®, Zoloft®, Gladem®, Seroxat®, Cipramil®, Remergil®, Aricept®, Reminyl®, Exelon® und viele andere könnten wegen der unzureichenden Geldmittel nicht mehr verordnet werden. Dies trifft auch zu für neu eingeführte Medikamente gegen Epilepsie, Morbus Parkinson und Multiple Sklerose.
Viele Patienten würden auf ein bewährtes, gut wirksames und verträgliches Medikament verzichten müssen, Rückfälle und starke Nebenwirkungen in Kauf nehmen müssen.
Wir wollen durch diesen Aufruf einen schlimmen Missstand dokumentieren und bekämpfen. Hierfür hoffen wir auf Unterstützung der Patienten, der Betroffenen-Organisationen, der Rehabilitationseinrichtungen, der Medien, der Klinikärzte und natürlich ganz besonders der politischen Entscheidungsträger in unserem Bemühen, die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen zu bewegen, auch den gesetzlich versicherten Patienten, eine moderne und die Lebensqualität sichernde adäquate Pharmakotherapie zu ermöglichen.
Korrespondenzadresse:
Dr. Ute Bavendamm
Schatzmeisterin des BVDN Hamburg
Oskar-Schlemmer-Str. 15
22115 Hamburg