RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-2004-830947
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Multiple Sklerose
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
04. August 2004 (online)
In den vergangenen fünf Jahren hat sich eine Reihe von Paradigmenwechseln ergeben, die unser Verständnis der Multiplen Sklerose bedeutsam geändert haben.
Zum einen haben umfangreiche histologische und pathologische Untersuchungen starke Hinweise dafür ergeben, dass die Pathologie der MS heterogen ist und dieser Heterogenität wahrscheinlich unterschiedliche ätiopathogenetische Mechanismen zugrunde liegen. Ob die von Lucchinetti, Brück und Lassmann vorgeschlagene Klassifikation in vier Subtypen oder Varianten - definiert durch das Ausmaß von Entzündung, Antikörperablagerung und Oligodendrozytenschädigung - auf Dauer Bestand hat, lässt sich derzeit nicht absehen.
Der zweite Paradigmenwechsel betrifft die Wiederentdeckung des axonalen Schadens als eines wesentlichen Bestandteils der Pathologie der Multiplen Sklerose. Diese axonale Schädigung ist nicht nur Endresultat eines langjährigen chronisch-entzündlichen Prozesses, sondern tritt bereits in Frühstadien der Erkrankung auf. Eine Reihe von Untersuchungen belegen, dass die permanente neurologische Behinderung gerade vom Ausmaß der axonalen Schädigung und nicht etwa der Entmarkung diktiert wird.
Der dritte Paradigmenwechsel bezieht sich auf die in den letzten zwei Jahren deutlich gewordene Erkenntnis, dass es sich bei der MS nicht nur um eine Erkrankung der weißen Substanz handelt, sondern dass auch die graue Substanz insbesondere auch kortikal, ganz wesentlich betroffen ist.
Der vierte Paradigmenwechsel bezieht sich darauf, dass die Entzündung im Verlauf der MS nicht nur schädlich ist, sondern unter Umständen auch wesentlich für die Reparatur eingetretenen Schadens. Dies hat unmittelbare therapeutische Implikationen. Schließlich ist zu erwähnen, dass mit der Kernspintomographie die Diagnostik der Multiplen Sklerose eine weitgehende Änderung erfuhr, die Niederschlag in neuen diagnostischen Kriterien fand.
Wir haben in den letzten zehn Jahren die Einführung partiell wirksamer immunmodulierender Substanzen erfahren. Vermutlich im nächsten Jahr wird das erste Präparat einer zweiten Generation immunmodulierender Substanzen in den Handel kommen. Das weitergehende Verständnis der Pathogenese der Erkrankung und ihrer Heterogenität gibt Anlass zur Hoffnung, dass weitere kausal orientierte Therapieverfahren zur Verfügung stehen. Insbesondere wird es darauf ankommen, neben immunmodulierenden Substanzen solche zu prüfen und in den Markt zu bringen, die Remyelinisierung und axonale Regeneration, bzw. Neuroprotektion ermöglichen. Dessen ungeachtet kommt einer gezielten symptomatischen Therapie ganz entscheidende Bedeutung gerade für die Lebensqualität der betroffenen Patienten zu.
Mit dem vorliegenden Sonderheft sollen viele der hier kurz aufgeführten Aspekte im Lichte der neuen Erkenntnisse beleuchtet werden. Ich freue mich, dass alle angesprochenen Kollegen - ausgewiesene Fachleute auf diesem Gebiet - sich bereit erklärt haben, durch ihre Beiträge eine Übersicht über die aktuelle MS-Diagnostik und Therapie zu geben.