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DOI: 10.1055/s-2004-835166
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Stellungnahme zur Kritik am Wirksamkeitsnachweis von Cholinesterasehemmern - Demenzkranke bitte nicht diskriminieren
Publication History
Publication Date:
04 October 2004 (online)
Herr Jörg Blech hat wieder zugeschlagen. Vor einem Jahr nutzte er das Sommerloch, um im „Spiegel” den Krankheitswert u.a. bedeutsamer psychischer Krankheiten in Frage zu stellen. Diesmal tut er im „Spiegel” (33/2004, 118-119) zu Azetylcholinesterasehemmern kund, dies seien „Pillen zum Vergessen”, „die teuren Pillen helfen den Patienten nicht”. Solche Botschaft wird in Deutschland anscheinend begierig aufgenommen: prompt darf er das Blech (es möge erlaubt sein, den schnodderigen Stil des „Spiegel” versuchsweise zu imitieren) auch im Fernsehen verbreiten. Dabei erweist sich der Beitrag als schlecht recherchiert: Herr Blech beruft sich u.a. auf Experten des Institutes für Allgemeinmedizin der Universität Hamburg und behauptet, diese gehörten „zu den 14 führenden Gruppen im bundesweiten Kompetenznetz Demenzen”. Davon ist - wie die Allgemeinmediziner inzwischen richtig stellten - keine Rede. Der einzige Bezug des Institutes für Allgemeinmedizin zu den Demenzen ist eine dort durchgeführte Analyse von Publikationen über Wirksamkeitsstudien mit Cholinesterasehemmern, die eine geringe Effektstärke und methodische Mängel offenbart habe. Diese Offenbarung ist wahrlich nicht neu; entscheidend ist jedoch, wie man das interpretiert. Die Hamburger Analyse ist bisher unpubliziert, so dass sie sich einer Beurteilung entzieht.
Erstaunlicherweise ist auch der Direktor des neuen Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Herr Prof. P.T. Sawicki, auf diesen Zug aufgesprungen. Jedenfalls soll er in einem Interview der Neuro-Psychiatrischen Nachrichten (2004; 8: 3) geäußert haben: „Wenn bewiesen wäre, dass Antidementiva dafür sorgen, dass demente Patienten länger in ihrer häuslichen Umgebung verbleiben können, dass sie länger alleine zurecht kommen und es ihnen durch die Einnahme der Medikamente besser geht, wäre das eine gute Sache, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Eine Vergleichsstudie zwischen Donepezil und Plazebo ... zeigt, dass es keine signifikanten Unterschiede im Behandlungserfolg gibt”. Falls Sawicki sich so geäußert haben sollte, so müsste er, um in seiner künftigen Rolle zu überleben, noch einige Vorsicht lernen. Denn solche Aussagen - so denn korrekt zitiert - könnten sogar rechtliche Konsequenzen haben.
Gemeint ist wohl die sog. AD2000-Studie [1], die auch von Blech als einer der Belege für die vermeintliche Wirkungslosigkeit der Cholinesterasehemmer herangezogen wird. AD2000 hatte bereits zuvor auch in Laienmedien für Aufmerksamkeit gesorgt. Was hat es damit auf sich?
AD2000 war die erste nicht vom Hersteller finanzierte (sondern vom britischen National Health System (NHS)), plazebo-kontrollierte Wirksamkeitsstudie von Donepezil (Aricept®) bei Alzheimer-Demenz. Die primären zu prüfenden Fragen waren vielfältig: Bewirkt Donepezil relevante Besserungen nicht-kognitiver Symptome und Verhaltensstörungen? Wie lange sollte behandelt werden? Gibt es klinische oder genetische Merkmale, die einen Nutzen vorhersagen? Sagt die Response nach zwölf Behandlungswochen den längerfristigen Nutzen voraus? Ist Donepezil kosteneffizient? Eine weitere Frage galt der Wirksamkeit von Aspirin (wobei über die Ergebnisse gesondert berichtet werden soll).
Primäre Endpunkte waren Aufnahme in ein Pflegeheim und fortschreitende Behinderung (definiert als Verlust eines vorgegebenen Mindestmaßes basaler oder instrumenteller Aktivitäten des täglichen Lebens). Die Studie war zunächst auf den Einschluss von 3000 Patienten angelegt und wurde wegen Rekrutierungsproblemen vorzeitig abgebrochen. Die Patienten wurden zunächst auf 5 mg/Tag Donepezil oder Plazebo randomisiert, nach zwölf Wochen auf 5 mg/Tag oder 10 mg/Tag Donepezil oder Plazebo rerandomisiert (d.h. ursprüngliche Plazebo-Patienten und ursprüngliche Donepezil-Patienten auf Plazebo oder Donepezil), um dann theoretisch unbegrenzt für Perioden von 48 Wochen behandelt zu werden, die durch 6- bzw. 4-wöchige medikamentenfreie Auswaschphasen unterbrochen wurden. Einschlusskriterium war ausdrücklich, dass der behandelnde Arzt unsicher bezüglich eines zu erwartenden Therapieerfolges sein sollte.
Statt der geplanten n = 3000 konnten nur n = 566 Patienten tatsächlich rekrutiert werden. Von diesen initial randomisierten Patienten wurden nur n = 486 rerandomisiert. Nur n = 293 beendeten die ersten 48 Wochen. Nur n = 194 traten in die zweite 48-wöchige Periode ein, die von nur n = 111 abgeschlossen wurde. Nur n = 20 schlossen die dritte Periode ab. Zu diesen Verlusten trug bei, dass Patienten aufgrund der - zeitlich kollidierenden - Therapieempfehlung (Leitlinie) des NICE (National Institute for Clinical Excellence) von der Möglichkeit offener Behandlung mit Cholinesterasehemmern Gebrauch machten; zuvor bot AD2000 ihnen die Chance kostenloser Behandlung.
Nach einem Behandlungsjahr und nach drei Jahren unterschieden sich die Donepezil- und Plazebo-Gruppe nicht bezüglich der Raten der Institutionalisierung (9/14 % bzw. 42/43 %) und nicht bezüglich fortschreitender Behinderung (18/18 % bzw. 58/59 %). Dasselbe galt für die sekundären Outcome-Maße. Donepezil war aber bezüglich kognitiver Funktionen - gemessen als MMSE-Score (Mini-Mental-State-Examination) - mit 0,8 Punkten signifikant überlegen.
Zunächst gilt es festzuhalten, dass AD2000 ausschließlich Donepezil und keine anderen Cholinesterasehemmer untersuchte. Eine Generalisierung der Ergebnisse auf die anderen Cholinesterasehemmer - wie von Blech und anderen suggeriert - ist also zumindest fragwürdig. Die Ergebnisse von AD2000 stehen in Konflikt mit allen bisher durchgeführten Studien und deren Meta-Analysen zu Donepezil [2] und zu den Cholinesterasehemmern generell [3] [4]. Die Cochrane-Collaboration [2] kam in ihrer jüngsten Meta-Analyse von 16 randomisierten, doppelblinden, plazebo-kontrollierten Studien mit Behandlungsdauern von 12, 24 oder 52 Wochen bei n = 4365 Patienten zu dem Ergebnis, dass Donepezil signifikante Wirkungen auf kognitive Funktionen, Alltagsaktivitäten und Verhalten hat. Die Meta-Analyse von Trinh et al. [3] ergab auf der Basis von 29 Studien für kognitive Symptome und Alltagsaktivitäten begrenzte („modest”) Effekte aller Cholinesterasehemmer gleichermaßen (neben den zugelassenen Donepezil, Rivastigmin und Galantamin wurden auch Metrifonat, Tacrin und Velnacrin berücksichtigt) im Vergleich zu Plazebo. Die Meta-Analyse von Lanctôt et al. [4] beschränkte sich auf die drei zugelassenen und fand in 16 Studien mit n = 5159 Patienten gegenüber Plazebo 9 % (signifikant) mehr globale Responder. Die NNT (number needed to treat) betrug 7 für mindestens das Ausbleiben einer globalen Verschlechterung über den Beobachtungszeitraum bzw. NNT = 12 für eine mindestens minimale globale Besserung.
Wie lassen sich die Diskrepanzen erklären? Wie von den Autoren der AD2000-Studie selbst und dem begleitenden Kommentar [5] herausgestellt (und von Blech und Sawicki unterschlagen), hat AD2000 die Wirksamkeit von Donepezil auf kognitiver und funktioneller Ebene bestätigt, und zwar erstmals über mehr als ein Jahr. Dieses positive Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht beachtlich. Die kognitiven Effekte wurden mit einem hierfür wenig geeigneten, nämlich unzureichend änderungssensitiven Instrument (MMSE) geprüft. Für Zulassungsstudien wird deshalb die Verwendung der erheblich aufwändigeren ADAS (Alzheimer-Disease-Assessment-Scale) oder eines ähnlich sensitiven Verfahrens verlangt. Der gefundene Unterschied im MMSE-Score (0,8) entspricht einer Verzögerung um drei Monate [5] der symptomatischen Verschlechterung im Spontanverlauf (das ist nicht mit Verzögerung der Krankheitsprogression gleichzusetzen). Dieser Gewinn von drei Monaten vergleicht sich mit fünf bis sieben Monaten auf der Basis des ADAScog-Scores in den Zulassungsstudien.
Er ist u.a. deshalb beachtlich, weil AD2000 sehr weite („alltagsrelevante”) Einschlusskriterien vorsah, die ausdrücklich nicht einen Therapieerfolg mit Donepezil erwarten lassen sollten. Diese Befunde sind des weiteren beachtlich insofern, als im Design von AD2000 die Rerandomisierung und insbesondere die mehrfachen (methodologisch unverständlichen), mehrwöchigen Auswaschphasen tendenziell Unterschiede zwischen Donepezil und Plazebo nivellieren mussten. Sie sind auch beachtlich, weil das Design keine optimale Dosierung erlaubte (was vor dem Hintergrund des angestrebten naturalistischen Ansatzes methodisch unverständlich ist). Schließlich war das Kollektiv heterogen, indem es u.a. 16 % zusätzlich eine vaskuläre Demenz und 51 % vaskuläre Risikofaktoren oder Krankheiten aufwiesen. Dabei berücksichtigte die Auswertung von AD2000 an keiner Stelle die möglicherweise konfundierenden Wirkungen der randomisierten, offenen Zusatzmedikation mit Aspirin (erstaunlich, dass die Herausgeber des Lancet das haben durchgehen lassen).
Die ursprüngliche Fallzahlplanung für AD2000 hatte ergeben, insgesamt n = 3000 Patienten rekrutieren zu müssen, um einen Effekt auf die Hauptzielvariablen (Institutionalisierung bzw. Behinderung in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren, 90 % Power, um eine 20 %ige Differenz zu entdecken) nachweisen zu können. Darauf weist auch der begleitende Kommentar [2] explizit hin. Die Fallzahlschätzung wurde anscheinend post-hoc revidiert, um die tatsächlich bei Studienabbruch erreichte Fallzahl valide erscheinen zu lassen. Damit ist AD2000 keine konfirmatorische Studie, sondern eine explorative. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund des hohen Rate vorzeitig ausgeschiedener Patienten. Die Frage der Wirkung von Donepezil auf die Institutionalisierung ist also unverändert offen. Das erkennt auch der begleitende Kommentar [5] mit dem Hinweis an, auch nach AD2000 bestehe keine abschließende Gewissheit und weiterer Forschungsbedarf.
Über die methodischen Schwächen von AD2000 hinausgehend fragt sich, ob erst und nur der Nachweis einer Verzögerung der Institutionalisierung bzw. Behinderung der Wirkung von Donepezil klinische Relevanz verleiht. Mit gutem Grund messen die Zulassungsbehörden für die Beurteilung der klinischen Relevanz der Globalbeurteilung (CGI) besondere Bedeutung bei. Hier ist bedeutsam, wie viele Patienten profitieren (Responderanalyse), und weniger, wie sich das im Mittelwert darstellt. AD2000 enthält keine solchen Responderanalysen (die verwendete skalenbasierte Einschätzung der Behinderung entspricht dem nicht).
Die Institutionalisierung hängt von zahlreichen anderen, unabhängigen Faktoren als dem Schweregrad der Demenz ab (z.B. der Verfügbarkeit von pflegenden Angehörigen). Die Rate der Institutionalisierung als Kriterium für klinische Relevanz zu fordern, diskriminiert Demenzkranke. Mit dem fehlenden Nachweis der Kosteneffizienz in AD2000 die Berechtigung einer Therapie mit Cholinesterasehemmern in Frage zu stellen, diskriminiert Demenzkranke gegenüber anderen Kranken. Allokationsentscheidungen auf Basis der Kosteneffizienz sind im deutschen Versorgungssystem bisher so nicht vorgesehen, denn sie würden explizite Rationierung bedeuten.
Die o.g. NNT aus Meta-Analysen ist - insbesondere weil es sich um eine spontan progressive Krankheit handelt - eindruckvoller Beleg für klinisch relevante Wirkungen: sieben bis zwölf Patienten müssen behandelt werden, um einen dem Wirkstoff zuzuschreibenden, zusätzlichen Behandlungserfolg zu erzielen. Diese NNT kann sich gut mit den in anderen Indikationsgebieten erzielten Effekten messen. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass stärkere Effekte zweifellos wünschenswert wären und von derzeit in Entwicklung befindlichen Wirkstoffen erhofft werden.
Literatur
- 1 Courtney C, Farrell D, Gray R, Hills R, Lynch L, Sellwood E, Edwards S, Hardyman W, Raftery J, Crome P, Lendon C, Shaw H, Bentham P. AD2000 Collaborative Group . Long-term donepezil treatment in 565 patients with Alzheimer's disease (AD2000): randomised double-blind trial. Lancet. 2004; 363 2105-2115
- 2 Birks JS, Harvey R. Donepezil for dementia due to Alzheimer's disease (Cochrane Review). In: The Cochrane Library. I Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd.. 2004; 2
- 3 Trinh NH, Hoblyn J, Mohanty S, Yaffe K. Efficacy of cholinesterase inhibitors in the treatment of neuropsychiatric symptoms and functional impairment in Alzheimer disease: a meta-analysis. JAMA. 2003; 289 210-216
- 4 Lanctot KL, Herrmann N, Yau KK, Khan LR, Liu BA, LouLou MM, Einarson TR. Efficacy and safety of cholinesterase inhibitors in Alzheimer's disease: a meta-analysis. CMAJ. 2003; 169 557-564
- 5 Schneider LS. Commentary on AD2000: donepezil in Alzheimer's disease. Lancet. 2004; 363 2100-2101