ZFA (Stuttgart) 2005; 81(9): 363
DOI: 10.1055/s-2005-836902
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nebenwirkungen von EbM

S. Dunkelberg1
  • 1Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. September 2005 (online)

Das Schwerpunktthema dieses Heftes und zugleich das Motto unserer Jahrestagung ist „Evidenz und Praxisrealität”, ein aktuelles, vielfältiges und viel diskutiertes Thema. Nutzen und Einsatzgebiet für EbM sind meines Erachtens zwar in Details noch in der Diskussion, aber im Großen und Ganzen gut beschrieben. Hier eine kurze, persönliche Quintessenz:

Die EbM-Bewegung hat mit der systematischen und kritischen Synthese des vorhandenen Wissens und den damit einhergehenden Änderungen in der Einstellung der Ärzte die Medizin maßgeblich beeinflusst, auch wenn in Studien leitliniengerechtes und reales Handeln oft noch stärker abweichen, als durch plausible Gründe erklärbar (vgl. den Beitrag von Fiegen in diesem Heft). Die Einordnung der Evidenz als ein Baustein der Entscheidungsfindung und nicht als Kochbuchmedizin ist mittlerweile allgemein anerkannt. Die Bedingungen und Präferenzen des individuellen Patienten sind neben der Evidenz die wichtigsten Faktoren bei der Entscheidungsfindung. Wie der Beitrag von Brenner et al. in diesem Heft zeigt, beeinflussen aber auch Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems, inwieweit als vernünftig erkannte Maßnahmen in die Versorgung umgesetzt werden. In großen Teilen muss das hausärztliche Handeln mit fehlender Evidenz leben, entweder, weil die Tatbestände so komplex sind, dass sie schwer zu messen sind, oder die Patientenmerkmale z. B. hinsichtlich Begleiterkrankungen so von Studienpopulationen abweichen, dass die Ergebnisse nicht übertragbar sind. Auch in Zukunft werden viele Fragen offen bleiben.

Ich möchte an dieser Stelle auf die weniger gut beschriebenen Nebenwirkungen von EbM eingehen. Denn wie für jedes ordentliche Medikament gilt auch für die EbM: Keine Wirkung ohne Nebenwirkungen. Und wie bei allen Neuerungen wird den unerwünschten Wirkungen initial zu wenig Beachtung geschenkt. Häufig auftretende Nebenwirkungen bei der Anwendung in der Praxis sind: Schwindel, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Mundtrockenheit.

Schwindel beim Hausarzt korreliert signifikant mit der Häufigkeit der Beurteilungen: „Eine Wirksamkeit ist derzeit nicht sicher nachzuweisen.” und „Nutzen und Risiken sind sorgsam abzuwägen.” und ist vermutlich auf eine Steigerung der Unsicherheit zurückzuführen.

Kopfschmerzen treten typischerweise im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Analyse von Studien auf und können begleitet werden durch typisch sprachliche Lautäußerungen wie „AR, nein ARR, oder war es ARI, verdammt, wie ist die NNT”. Zur Linderung der EbM induzierten Kopfschmerzen sind Trainings gut geeignet, siehe auch den CME-Beitrag in diesem Heft.

Bauchschmerzen werden zurückgeführt auf die Beschädigung des Glaubens an medizinische Therapien und den Verlust von therapeutischen Optionen. Die Häufigkeit dieser Nebenwirkung stieg in den letzten Jahren parallel zur Zahl der Substanzen, deren Indikation eingeschränkt wurde und erreichte ihren Höhepunkt mit den COX-2-Hemmern. Begünstigender Faktor für das Auftreten von Bauchschmerzen ist ein hoher Leidensdruck des Patienten, der wiederum die Hilflosigkeit des Hausarztes verstärkt („was habe ich denn noch in der Hand, um zu helfen, wenn man mir alles wegnimmt”) und so zu einem gehäuften Auftreten dieser Nebenwirkung führt.

Mundtrockenheit ist offensichtlich auf den erhöhten Kommunikationsbedarf mit den Patienten zurückzuführen und lässt sich durch Merkblätter reduzieren (vgl. den Beitrag von Rosemann in diesem Heft).

Als weitere, seltene Nebenwirkung ist die soziale Ausgrenzung beschrieben. Es ist noch nicht ganz geklärt, inwieweit dies wirklich auf die Anwendung von EbM zurückzuführen ist. Hier der Fallbericht einer Betroffenen: „Mein vierjähriger Sohn verweist mich des Zimmers, wenn er Arzt spielen will. Ich vermute, es hängt vor allem damit zusammen, dass er meinen inneren Widerspruch gegen seine Spritzenbesessenheit spürt. Die evidenzinfizierte Mutter will die geliebte Spritze nicht rausrücken, sondern nur Tropfen oder lieber noch einen warmen Wickel verordnen, weil sie immer an die Patienten im Notdienst denkt, die unbedingt Diclo i. m. haben wollen.”

Die Nebenwirkungen sind im Allgemeinen benigne, lassen meist im Laufe der Anwendung nach und beeinträchtigen die Anwendung in aller Regel nicht. Die Nutzen-Risiko-Abwägung von EbM fällt somit eindeutig zugunsten des Nutzens aus. Nichts desto trotz können Nebenwirkungen die Befindlichkeit des Hausarztes beeinträchtigen und sollten ernst genommen werden.

Viel Freude beim Lesen
Ihre
Sandra Dunkelberg

Dr. med. S. Dunkelberg

Fachärztin für Allgemeinmedizin · Institut für Allgemeinmedizin · Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistraße 52

20246 Hamburg

eMail: dunkelbe@uke.uni-hamburg.de