Klin Monbl Augenheilkd 2006; 223(1): 18-23
DOI: 10.1055/s-2005-858866
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Einige Anmerkungen zur Präzision der Sehschärfemessung

Some Remarks on the Precision of Visual Acuity MeasurementsG. P. Paliaga1
  • 1Ehemaliges Centro per lo Strabismo, Como
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Publikationsverlauf

Eingegangen: 1.7.2005

Angenommen: 26.9.2005

Publikationsdatum:
17. Januar 2006 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Mit Sehschärfemessungen bewerten wir Krankheitsverläufe, Therapieerfolge, Unfallschäden, Berufs- und Erwerbstauglichkeit. Dabei wird oft nur intuitiv erfasst, dass es sich bei der Sehschärfe um eine Variable handelt, die von der Sehfunktion selbst ebenso abhängig ist wie von den Untersuchungsbedingungen. Präzision und Treffgenauigkeit von Sehschärfemessungen müssen bewusst bleiben, ggf. quantifiziert und statistisch interpretiert werden, damit klinische Fehlentscheidungen vermieden werden. Methodik: Die Einflussgrößen bei Sehschärfemessungen werden analysiert. An Beispielen wird die Präzision der Sehschärfemessung mit Standardverfahren (Standardsehprobentafeln mit zeilenweiser Darbietung) sowie Grenz- und Treppenmethoden analysiert und quantifiziert. Als Mittel zur Bewertung von Vergleichsmessungen (Verlaufskontrollen) für Standardverfahren sowie für Grenz- und Treppenmethoden werden Vertrauensbereiche und Toleranzgrenzen beschrieben. Ergebnisse und Schlussfolgerungen: Die korrekte statistische Aufarbeitung von Sehschärfemessungen mit Standardverfahren ist vergleichsweise aufwändig, weil es bei den Erstuntersuchungen und der Verlaufskontrolle mindestens 3 - 4 standardisierter Einzelmessungen bedarf. Grenz- und Treppenmethoden liefern demgegenüber leichter nutzbare Daten durch die Art der Datengewinnung. Alle beschriebenen Bewertungsverfahren können nur auf logMAR-Sehschärfewerte angewandt werden. Die Präzision von Sehschärfemessungen muss bewusst bleiben, damit klinische Fehlentscheidungen vermieden werden.

Abstract

Background: Visual acuity measurements are used to determine the course of diseases, treatment outcomes, consequences of accidents, and the occupational ability of a patient. The fact, that visual acuity depends both on visual function as well as on the circumstances of examination, is often understood more intuitively than explicitly. Precision and accuracy of visual acuity measurements must be kept in mind, and occasionally need to be quantified and statistically evaluated, to avoid clinical errors. Methods: Factors influencing acuity measurements are analyzed. Using appropriate examples the precision of acuity measurements is evaluated and quantified with standard vision test charts and threshold or staircase procedures. Limits of confidence and limits of tolerance are described for the statistical evaluation of consecutive visual acuity measurements. Results and conclusions: The statistical evaluation of standard procedures is relatively time consuming, as 3 to 4 standardized measurements are needed on first examination and on follow-up. Threshold and staircase methods, however provide more feasible data, due to the examination technique. All evaluation procedures described here, can only be applied with logMAR acuity readings.

Literatur

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1 Die Regeln zur Beendigung der Prüfung können den Messwert der Sehschärfe sowie die Wiederholbarkeit bzw. Präzision beeinflussen.

2 Die Berechnung des arithmetischen Mittels und der Standardabweichung einer Stichprobe von Sehschärfemessungen ist nur zulässig, wenn die Sehschärfemessungen in logMAR quantifiziert werden.

3 Zu behaupten, eine Veränderung des Funktionszustandes werde durch einen Messwert bewiesen, der sich nicht innerhalb eines Intervalls befindet, das durch den Mittelwert einer vorherigen Stichprobe von Messungen plus/minus 1,96 Standardabweichungen definiert ist, und - noch dazu - dieses Intervall mit dem Begriff Vertrauensintervall zu bezeichnen, stellt einen schweren methodischen Fehler dar.

4 Diese Definition ist streitig, aber von den Statistikern zugelassen [7] die folgende Definition ist einwandfrei: „Die Wahrscheinlichkeit 95 % besagt, dass bei häufiger berechtigter Anwendung dieses Verfahrens die berechneten Vertrauensbereiche in etwa 95 % der Fälle den Parameter überdecken und ihn in nur 5 % aller Fälle nicht erfassen” [6]. Es ist zu betonen, dass in der Literatur zur Variabilität von wiederholten Sehschärfemessungen der Begriff „Vertrauensgrenzen” sehr oft fälschlicherweise dafür verwendet wird, die Extremwerte von Messungen einer Stichprobe mit einem Abstand von 1,96 Standardabweichungen oder mehr zum Mittelwert zu quantifizieren.

5 Im Handel sind Programme erhältlich, mit denen man mithilfe der Grenz- oder der Staircase-Methode eine Sehschärfemessung mittels Präsentation von Optotypen direkt am Computerbildschirm vornehmen kann (z. B.: MOS, MultiOptiSistem - 2ftecnovision).

Prof. Dr. med. Gian Paolo Paliaga

Viale Masia 97

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