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DOI: 10.1055/s-2005-920694
Die Angst des Hausarztes vor dem Kopfschmerz: Qualitative Analyse einer Studie mit standardisierten Patientinnen
Hintergrund/Ziele und Forschungsfragen: Sechs standardisierte 'Patientinnen' (SP), von denen 3 die Rolle ängstlich und 3 neutral spielten, suchten 52 Hausärzte in der Region Düsseldorf auf und klagten über Kopfschmerzen. Jeder Hausarzt wurde von beiden SP-Typen besucht. Die Behandlungsvariabilität war insgesamt hoch. Bei den ängstlich gespielten 'Patientinnen' wurden deutlich mehr Diagnostikschritte (wie Überweisung zu Computertomographie, Neurologen, Augenarzt) unternommen als bei den neutral gespielten. Ein Ziel der Studie war es, Einblick zu gewinnen in die Gründe für die Behandlungsvariabilität auf Patient-Arzt-Ebene. Material und Methoden: Eine Woche nach dem Besuch der zweiten SP deckte eine Studienärztin den jeweiligen Hausärzten gegenüber die Identität der SPs auf und führte halbstrukturierte narrative Interviews mit ihnen. Die Transkripte der Interviews mit solchen Ärzten, die den SPs eine Überweisung in Aussicht gestellt hatten, wurden nach dem vorher definierten Code „Begründungen der Ärzte für ihre Handlungen und für die Einleitung einer weiteren spezialärztlichen Diagnostik“ mit der Methode der qualitativen Textanalyse von 2 Untersuchern unabhängig voneinander analysiert. Ergebnisse: Faktoren für weitere diagnostische Schritte waren das gespürte Leiden der ‘Patientin', die Artikulation von Befürchtungen, grobe Auffälligkeiten im neurologischen Befund und Begrenzung eigener diagnostischer Möglichkeiten. Die Ärzte gaben als Gründe für ihr Verhalten an: Eingehen auf Wunsch der Patienten, eigener Aktivismus und Glaube an (Untersuchungs-)Rituale bei gleichzeitiger Unsicherheit und Angst, etwas falsch zu machen. Bei den Ärzten zeigte sich allerdings eine Diskrepanz zwischen den genannten Entscheidungskriterien und ihrem tatsächlichem Verhalten in den Konsultationen. Schlussfolgerungen und Diskussion: Arztseitige wie auch patientenseitige Faktoren sind verantwortlich, wenn Entscheidungen für teure, aber überflüssige Untersuchungen fallen. Da ärztliche Entscheidungen auch irrational und gefühlsmäßig geprägt sind, kann nur die Stärkung rationaler Elemente der Entscheidungsfindung einen Ausweg bieten und die diagnostische Sicherheit von Hausärzten verbessern. Das dient zugleich dem Schutz der Patienten vor Überdiagnostik.