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DOI: 10.1055/s-2005-920702
Entscheidungsteilhabe von Tumorpatienten im medizinischen Behandlungsprozess
Hintergrund/Ziele und Forschungsfragen: Die Beziehung von Arzt und Patient wird im aktuellen Diskurs unter dem Label Shared Decision Making diskutiert, dessen wesentliches Charakteristikum die Stärkung der Patientenautonomie innerhalb der Arzt-Patient-Interaktion ist. Allerdings ist das Modell zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht eindeutig konzeptualisiert, für seine Alltagstauglichkeit gibt es nur vereinzelt empirische Evidenz. Auf der Grundlage bislang gefundener Forschungsresultate erscheint nunmehr eine differenzierte Herangehensweise notwendig, die subjektiven Bedeutungsinhalten aller am Entscheidungsprozess Beteiligten und strukturellen Determinanten einen breiteren Raum gibt. Untersucht werden sollte die Entscheidungsteilhabe von stationären Tumorpatienten: (a) inwieweit möchten Patienten in medizinische Entscheidungsprozesse einbezogen werden bzw. wurden sie tatsächlich einbezogen; (b) welche Inhaltsmuster verbinden Patienten mit der Entscheidungsteilhabe und (c) welche Variablen eröffnen einen differenzierten Erklärungszugang. Material und Methoden: Die Stichprobe umfasst 533 Tumorpatienten (unterschiedlicher Lokalisation), die zu 3 Messzeitpunkten (im Akutkrankenhaus sowie nach einem viertel / nach einem Jahr) mit einem weitestgehend standardisierten Fragebogen schriftlich (bzw. postalisch) befragt wurden. Ergänzend wurden fokussierte Interviews mit 13 nach der Methode des theoretical sampling ausgewählten Patienten durchgeführt. Ergebnisse: Ein Großteil der Krebspatienten möchte in einem oder mehreren Bereich(en) der medizinischen stationären Versorgung in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Neben der Therapieentscheidung betrifft das auch Entscheidungen in eher „randständigen“ Bereichen der medizinischen Behandlung. Dabei variiert das Verständnis von Entscheidungsteilhabe bei den Befragten, wobei wiederholt rollenspezifische funktionelle Differenzierungen zwischen Patient und Arzt (z.B. Fachwissen, Prestige, Asymmetrie der Beziehung) erklärend reflektiert werden. Viele Patienten preferieren nicht die formale (geteilte) Entscheidungsautonomie, sondern wünschen sich die Aufrechterhaltung alltagsweltlicher Kommunikationsmuster, worunter vor allem eine authentische Arzt-Patient-Beziehung zu subsummieren ist. Das kann durchaus mit paternalistischen Handlungsstrategien seitens des Arztes einher gehen. Schlussfolgerungen und Diskussion: Das Konzept einer geteilten Entscheidungsfindung ist auch im Rahmen onkologischer Krankheitsbilder relevant. Allerdings wird es notwendig sein, dieses Konzept stärker krankheitsspezifisch zu modellieren und insbesondere die existenzielle Bedrohlichkeit eines Tumorleidens und die Komplexität medizinischer Entscheidungen in diesem Bereich zu berücksichtigen.