Gesundheitswesen 2005; 67 - VF_P16
DOI: 10.1055/s-2005-920704

Narrationsanalyse als Methode zum besseren Verständnis pflegender Angehöriger

C Geister 1
  • 1Universität Leipzig

Hintergrund/Ziele und Forschungsfragen:

Studien aus verschiedenen Ländern weisen darauf hin, dass Angehörige sich durch die Pflegesituation überwiegend stark bis sehr stark belastet fühlen. Obwohl sich die meisten Hauptpflegepersonen Unterstützung und mehr Auszeiten wünschen, ist die Inanspruchnahme von professionellen Diensten und Entlastungen nach wie vor verhalten. Offenbar treffen die derzeitigen Versorgungsangebote den Bedarf vieler pflegender Angehöriger nicht. In diesem Beitrag soll die Analyse biografischer Narrationen als eine Methode zum tieferen Verständnis pflegender Angehöriger dargestellt werden. Grundlage ist eine qualitative Studie mit Töchtern, die ihre Mütter pflegen. Material und Methoden: Es wurden mit zwölf pflegenden Töchtern biografisch-narrative Interviews geführt. Zentrales Auswahlkriterium war, dass die Tochter Hauptpflegeperson ihrer Mutter ist. Die Frauen wurden gebeten, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Die Interviews wurden wortwörtlich transkribiert und anschließend in Anlehnung an die von Gabriele Rosenthal (1987; 1995) entwickelte Methode der biografischen Fallrekonstruktion analysiert. Es zeigen sich verallgemeinerbare Aspekte. Ergebnisse: Unter Berücksichtigung der Lebensgeschichte wird deutlich, dass die pflegerische Versorgung für Angehörige ein biografisch bedeutsames Handeln darstellt, das oft Konsequenz einer jahrzehntelangen Sorgebeziehung ist. Aufgaben können nicht delegiert werden, weil sie als persönliche Verpflichtung verstanden werden. Dieser Aspekt kam bei der Versorgungsgestaltung bisher zu kurz. Schlussfolgerungen und Diskussion: Der biografisch narrative Zugang liefert wichtige Hinweise über das Selbstverstehen pflegender Angehöriger in ihrer Familie, dem Gesellschafts- und dem Gesundheitssystem. Häusliche Versorgung durch die Familie kann nur bedarfsgerecht konzeptualisiert werden, wenn familiäre und lebensgeschichtliche Aspekte sowie das individuelle Sorgeverständnis pflegender Angehöriger stärkere Berücksichtigung finden.