psychoneuro 2005; 31(10): 487
DOI: 10.1055/s-2005-922005
Leserbrief

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Diskussionsbeitrag zu Fritze: Benachteiligung wegen psychischer Krankheit? psychoneuro 2005; 4: 222-224 - Benachteiligung wegen psychischer Krankheit!

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Publication Date:
17 January 2006 (online)

 

Zu dem auf meine Initiative zurückgehenden Petitionsverfahren, welches freundlicherweise von verschiedener Seite Unterstützung erfuhr und auf welches sich die Ausführungen von Fritze beziehen, hat der Deutsche Bundestag bereits am 10.03.2005 den Beschluss gefasst, das Grundanliegen der Sache nach zu unterstützen und den Vorgang der Bundesregierung und den Bundestagsfraktionen zur Kenntnisnahme zu überweisen (Aktenzeichen Pet 4-15-07-7617-011862).

Richtig ist, worauf Fritze hinweist, dass die streitgegenständliche Problematik "nur" im Bereich der Privatversicherungen auftritt (PKV, Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherung), nicht aber bei den Sozialversicherungen oder privaten Sachversicherungen (Rechtsschutz, Hausrat, Kfz-Schaden, Unfall etc.): Bei letzteren macht die Versicherungswirtschaft keine Unterscheidung zwischen "Psychos" und "Nicht-Psychos". Mit schleichender Erosion der Sozialversicherungen gewinnen die Privatversicherungen aber steigende Bedeutung, so dass ehemalige Psychiatrie- und Psychotherapiepatienten kaum länger mit dem Argument vertröstet werden können, der Sozialstaat würde sie notfalls auffangen. "Kassenpopel" sind allerorts bereits jetzt schon Patienten zweiter Klasse. Die anstelle der gesetzlichen BU-Versicherung nunmehr in § 43 SGB VI gewährte Erwerbsminderungsrente stellt - vor allem bei nur teilweiser Erwerbsminderung, die gleichwohl zum Arbeitsplatzverlust führen wird - für den größten Teil der Beitragszahler keinen signifikanten Nettounterschied zu Sozialhilfeleistungen (jetzt: AL II) dar. Nach Auskunft des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) betrugen die Leistungen für das Rentenzugangsjahr 2004 in den westlichen Bundesländern für Männer bei teilweiser Erwerbsminderung im Durchschnitt 423 Euro und für Frauen 312 Euro. Wer wollte diesen "Schutz" als ausreichend bezeichnen, zumal diese Ansprüche auch erst nach mindestens drei Beitragsjahren gewährt werden.

Für den Bereich des Berufsunfähigkeitsschutzes hat der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GdV) im Petitionsverfahren selber eingestanden, dass es "Schwierigkeiten" bereite, vormalige Psychotherapie- und Psychiatriepatienten zu versichern. Wenn sich aber selbst schon die Versicherungslobby dieser Diktion bedient, wird man große Vorsicht walten lassen müssen, das Problem zu unterschätzen. Soweit sich der GdV darauf beruft, in Einzelfällen würden auch Risikoausschlüsse mit ehemaligen Psychotherapiepatienten vereinbart, war er auf Anfrage bezeichnenderweise nicht in der Lage, auch nur eine einzige Gesellschaft zu benennen, die diese Kulanz praktizieren würde. Möglicherweise werden einzelne Assekuranzen solche Risikoausschlüsse bei familientherapeutischer Eheberatung, Befindlichkeitsstörungen ohne nennenswerten Krankheitswert o.ä. tatsächlich anzubieten bereit sein, aber bei handfesten psychischen Erkrankungen oberhalb der Schwelle der reaktiven Störung, zumal wenn stationär behandelt wurde, gilt wegen des unterstellten Somatisierungsrisikos psychischer Erkrankungen weiterhin: "Psychos" sind innerhalb der Rückfragezeiträume von fünf bzw. zehn Jahren, berechnet gem. § 187 BGB, nicht versicherbar. Gleiches in soweit gilt auch für Risikolebensversicherungen. Wem gegenüber die Versicherungswirtschaft dies bestreiten möchte, der möge sich mit den Maklern vor Ort unterhalten, die diese Feststellung jeden Tag bestätigt finden.

Die Praxis der Versicherungsgesellschaften, personenbezogene Daten zu erheben, zu verarbeiten und an sog. Wagnispoole weiterzuvermitteln, beruht allein auf allgemeinen Geschäftsbedingungen. Einen gesetzlichen Rahmen für dieses Vorgehen hat der Gesetzgeber bislang nicht zur Verfügung gestellt. Wenn ein vormaliger Psychiatrie- oder Psychotherapiepatient innerhalb der Rückfragezeiträume unvorsichtig einen Antrag stellt, gemäß seiner Wahrheitspflicht aus § 16 Abs. 1 VVG die vormalige Behandlung benennt und daraufhin abgelehnt wird, muss er diesen Umstand bei erneuter Antragstellung andernorts auf Nachfrage angeben. Wenn sich dann herausstellt, dass eine Versicherungspolice wegen einer vormaligen psychischen Störung nicht zustande kam, stehen die Aussichten sehr schlecht, dass sich eine andere Gesellschaft aus Kulanz erbarmen wird.

Die Problematik ist weit größer, als an dieser Stelle abgehandelt werden kann, aber die Petition beruhte nicht lediglich auf einem Missverständnis, wie der Beitrag von Fritze nahe legt. Weder wird man sagen können, dass private Versicherungsgesellschaften Verbraucherschutzorganisationen seien, die nur im besten Interesse der Kunden handeln: Auch wenn den Privatversicherungen bei abnehmenden Sozialleistungen zunehmend der Sicherstellungsauftrag zuwächst, fühlen sich die Vorstände und Aufsichtsräte bislang nur den pekuniären Interessen der Aktionäre gegenüber verpflichtet. Noch wird sich im Kern bestreiten lassen können, dass diskriminierende Ungleichbehandlungen von vormaligen Psychiatrie- und Psychotherapiepatienten gegenüber rein somatisch behandelten Patienten nicht in der Welt seien. Über den sachlichen Grund dieses Geschäftsgebahrens lässt sich streiten. Sicherlich wird uns die Thematik aufgrund weiterhin zu erwartender Leistungsausgliederungen aus den Sozialversicherungen in den kommenden Jahren fortgesetzt beschäftigen.

Korrespondenzadresse

Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer

Sophienstr. 18

50321 Brühl