ergoscience 2006; 1(1): 1-4
DOI: 10.1055/s-2006-926621
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Publication History

Publication Date:
27 April 2006 (online)

Liebe Leserin, lieber Leser,

als 1959 das 1. deutschsprachige Lehrbuch der Ergotherapie Beschäftigungstherapie - Einführung und Grundlagen im Georg Thieme Verlag erschien, war dies ein Meilenstein für diesen noch jungen Beruf. Damals ging es darum, für die 1. geregelte beschäftigungstherapeutische Ausbildung mit staatlicher Anerkennung eine Grundlage für den systematischen Wissenserwerb zu schaffen. Bis in die 90er-Jahre sollte dieses 3-mal aktualisierte Buch für Generationen von Ergotherapeuten das einschlägige ergotherapeutische Grundlagenwerk bleiben.

Vor Ihnen liegt heute die 1. Ausgabe von ergoscience, einer Peer-reviewten, von Herausgebern geführten, wissenschaftlichen Fachzeitschrift für die Ergotherapie im deutschsprachigen Bereich. Das Journal trägt der Tatsache Rechnung, dass sich die Arten und Halbwertszeiten des Wissens und die Formen des Wissenserwerbs für die ergotherapeutische Profession inzwischen drastisch gewandelt haben:

Erstens hat sich das theoretische und methodische Wissen der Ergotherapie in den letzten Jahrzehnten in Anlehnung an die Entwicklungen der medizinischen Fachgebiete, in denen Ergotherapie zum therapeutischen Spektrum gehört, stark ausdifferenziert und vervielfältigt. Neben der Ausbildung gehören Fort- und Weiterbildungen in einschlägigen Behandlungsmethoden heute zum Standard jeder ergotherapeutischen Berufsbiographie.

Zweitens zeichnet sich seit ca. 10 Jahren eine weitere Entwicklung ab: In Fachpublikationen beginnen sich Ergotherapeuten mit einer Vielfalt theoretischer Konzepte zu befassen, die es der Ergotherapie erlauben, im interdisziplinären Arbeitsfeld von Therapie, Rehabilitation, Gesundheitsförderung und Prävention eine eigene Perspektive zu formulieren. Noch laufen diese Diskussionen relativ unverbunden zu den Themen klassischer ergotherapeutischer Fort- und Weiterbildung. Es gibt viele nebeneinander stehende Fachbegriffe, die einerseits zum Nachdenken anregen und andererseits für Verwirrung in der sehr praktisch orientierten Profession sorgen. Die Ursprünge dieser Konzeptionen und Begriffe finden sich überwiegend im englischsprachigen Bereich. Die Diskussion ihrer kulturellen Übertragbarkeit bzw. Adaption hat gerade erst begonnen.

Drittens - und dies ist wesentlich für die Entstehung der Zeitschrift - hat seit wenigen Jahren die Akademisierung der deutschsprachigen Ergotherapie begonnen. Sie bietet der Profession erstmals die Chance, sich mit den eigenen Grundlagen, Methoden und Bedingungen der ergotherapeutischen Praxis und Theorie systematisch auseinander zu setzen. Ergotherapeutische Forschung und die Mitarbeit in interdisziplinären Forschungsprojekten intensivieren und vervielfältigen sich in den nächsten Jahren über den Ausbau von Master- und Promotions-Studiengängen. Die ergotherapeutische Ausbildung in der Schweiz wird in diesem Jahr grundlegend auf Hochschulniveau angehoben. Auch in Österreich sind hierfür erste Weichen gestellt. Unter diesen Bedingungen ist zu erwarten, dass sich das Selbstverständnis der Profession, ihre Grundlagen und Methoden verstärkt von innen heraus durch Forschung reflexiv und diskursiv weiterentwickeln.

Viertens ist dies allerdings auch kein Luxus, sondern absolute Notwendigkeit. Die gegenwärtigen Entwicklungen im Gesundheitswesen sowie die demographischen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen fordern die Ergotherapie heraus, ihren gesellschaftlichen Wert zu begründen, die Wirksamkeit ihrer Methoden nachzuweisen und so das Überleben der Profession langfristig zu sichern.

Genau hierzu will ergoscience einen substanziellen Beitrag leisten, indem sie:

der Berufsgruppe in der Professionalisierung und Akademisierung ein Publikationsorgan gibt, das über seine Rubriken den unterschiedlichen Interessen von Ergotherapeuten an Information, Kommunikation und wissenschaftlicher Auseinandersetzung gerecht wird. Die Zeitschrift soll ein Forum sein, das der Darstellung und Auseinandersetzung unterschiedlicher Sichtweisen Raum verleiht; den Austausch und die Vernetzung Studierender, Forschender, Lehrender und Praktiker anregt und fördert, sodass Vernetzungen entstehen, die Hochschulen und Praxisfelder miteinander verbinden. Ergebnisse werden verständlich dargestellt und ihre Bedeutung für die Praxis und weitere Forschung erläutert. Praktiker werden ausdrücklich eingeladen und angefragt, Beiträge in Bezug auf ihre Praxisrelevanz zu kommentieren; wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die Ergotherapie, Betätigung und menschliches Handeln als Forschungsgegenstand haben. So soll sie dazu beitragen, dass bisher nebeneinander stehende Wissensbereiche der Ergotherapie über einen gemeinsamen Fokus miteinander in Verbindung kommen. Ein transparentes und zügiges Review-Verfahren sichert die Qualität der Beiträge, dessen Beurteilungskriterien unter www.thieme.de/ergoscience/review verfahren einzusehen sind; über für die Ergotherapie relevante nationale, internationale und interdisziplinäre Forschungsergebnisse berichtet. Hierzu setzt sich das Herausgeberteam aus den Ländern Deutschland, Österreich, Schweiz und Niederlande sowie der Beirat international zusammen. Herausgeberteam und Beirat kommen aus verschiedenen Fachrichtungen und arbeiten an Fachhochschulen, in der klinischen Forschung oder Praxis. Sie sind national und international in der Berufsgruppe vernetzt und haben Erfahrungen z. B. in Theoriebildung, Evidence-based Practice und klinischer Forschung; ein Forum für den Diskurs über die Positionierung der Ergotherapie im Gesundheitswesen und im gesellschaftlichen Kontext bietet. Die zu führende Auseinandersetzung über den gesellschaftlichen Auftrag und das Mandat der Ergotherapie soll auch zur interdisziplinären Verständigung und zum Austausch mit den Empfängern ergotherapeutischer Dienstleistungen anregen.

Wir freuen uns auf Sie als interessierte, wissenshungrige, kritische und mitdiskutierende Leserinnen und Leser!

Für das Herausgeberteam

Ulrike Marotzki

Prof. Dr. Ulrike Marotzki

HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit, BSc & MSc Studiengang für Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie

Goschentor 1, R. 222

31134 Hildesheim

Email: Marotzki@hawk-hhg.de

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