ergoscience 2006; 1(1): 14-25
DOI: 10.1055/s-2006-926657
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prävention in der Vorschule - Ein ergotherapeutisches Bewegungsförderungsprogramm auf dem Prüfstand

An Occupational Therapy Programme to Improve Motor Skills at Preschool LevelA. Nacke1 , P. Diezi-Duplain2 , R. Luder2
  • 1pluspunkt, Zentrum für Prävention, Therapie und Weiterbildung
  • 2Päd. Hochschule Zürich
Further Information

Publication History

eingereicht: 6.1.2005

angenommen: 3.2.2006

Publication Date:
27 April 2006 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Der Behandlungsbedarf von Bewegungsstörungen im Vorschulalter nimmt zu, immer mehr Kinder fallen durch eingeschränkte Bewegungskompetenzen auf. Es stellt sich die Frage, ob eine in den Kindergartenunterricht integrierte, gezielte, auf ergotherapeutische Prinzipien aufgebaute Bewegungsförderung im fein- und grobmotorischen Bereich eine sinnvolle Möglichkeit zur Prävention motorischer Entwicklungsdefizite bietet.

Ziel: Mit der vorliegenden Studie wurde ein Bewegungsförderungsprogramm für die Vorschule evaluiert. Das Programm überträgt Prinzipien aus der Ergotherapie in die primäre Prävention und ist als Weiterbildung für Lehrpersonen und Erzieher konzipiert.

Methode: In 2 empirischen Studien (n = 37 [Vorstudie] und n = 68) wurde in der Schweiz mit Kindern im 1. Kindergartenjahr (4 - 5 Jahre) während 12 Wochen bzw. eines halben Jahres (ohne Ferienunterbrechung) unter Anleitung einer Ergotherapeutin ein Bewegungsförderprogramm (pluspunkt BEWEGUNG) durchgeführt. In einem klassischen Pre-/Posttest-Verfahren mit 2 Kontrollgruppen wurden die Wirkungen des Programms untersucht. Kontrollgruppe 1 erhielt keine spezielle motorische Förderung, Kontrollgruppe 2 wurde ebenso lange und ebenso häufig motorisch gefördert wie die Experimentalgruppe, aber ohne ein spezifisches Programm.

Ergebnisse: Die Kinder der Experimentalgruppen in beiden Studien verbesserten sich in Bezug auf verschiedene motorische Kompetenzen (Grafomotorik, Ballprellen, Rückwärtsgang auf einer Linie) zwischen Pre- und Posttest signifikant stärker als die der beiden Kontrollgruppen. Das Förderprogramm wirkte sich insbesondere bei der Verbesserung komplexer Bewegungskompetenzen aus. Kinder mit geringeren Eintrittskompetenzen profitierten stärker von dieser Art der Förderung. Das spezifische Förderprogramm wirkte besser als eine unspezifische, zeitlich gleich intensive Förderung.

Diskussion und Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Bewegungsförderungsprogramm wirksam in der Vorschule eingesetzt werden kann, wobei das nötige Wissen und Können den Vorschullehrpersonen in vertretbarer Zeit vermittelt werden kann (2-tägiges Einführungsseminar, wöchentliche Einführungsstunden mit theoretischer Vorbereitung über den Zeitraum von 12 bzw. 24 Wochen). Die geförderten Kinder steigerten ihre Bewegungskompetenz deutlich. Weitere Untersuchungen mit größeren Gruppen und verschieden langer Maßnahmedauer sind notwendig. Ebenso muss der langfristige Erfolg der Weiterbildungsmaßnahme evaluiert werden, um die Wirksamkeit der Maßnahme zu optimieren.

Abstract

Background: The need to treat motor-dysfunction in preschool children is increasing, a rising number of children attract attention through limited competence in motor-skills. The question arises, whether a specific program to enhance hand and body motor-skills based on occupational therapy principles should be integrated into the kindergarten, to prevent developmental deficits in motor-function.

Objective: This study evaluates a motor-skill enhancement program for preschool children. The program transfers principles of occupational therapy into primary prevention and is conceptually a training program for preschool and other teachers.

Method: In two studies (N = 37 and N = 68) in Switzerland a motor skill enhancement program (pluspunktBEWEGUNG) was implemented by an occupational therapist over a 12- rsp. 24-week period with 4 to 5 years old children. A classical pre- and post-test design with two control groups was used to evaluate the outcome. Control-group 1 received no special motor training, control-group 2 was trained with the same intensity and frequency as the experimental-group but without specific program.

Results: The experimental-group children in both studies improved their competence in following motor-skills (graphomotorskills, bouncing a ball, walking backwards on a straight line) significantly in comparison with the two control-groups. The training program was especially effective in enhancing complex motor-skills. Children with lower entrance competency improved especially with a specific training. The specific training program had a better outcome then the unspecific training with same intensity and frequency.

Discussion and Conclusion: The results point towards an effective implementation of a specific training program in preschool. The necessary knowledge and ability of the personal involved can be conveyed in a justifiable time-span (2 day Seminar, weekly introductions with theoretical preparation over the period of 12 rsp. 24 weeks). The trained children improved their motor-skills considerably. Further studies with larger groups and a variety of training durations are necessary. Likewise should the longterm effect of the teacher-training be evaluated to optimate the effectivity of the method..

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Angela Nacke, ET

pluspunkt, Zentrum für Prävention, Therapie und Weiterbildung

Spinnereistr. 40

CH-8645 Jona

Email: angela.nacke@pluspunkt-zentrum.ch