Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(7): 357
DOI: 10.1055/s-2006-949596
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Adipositas: Alarm erfolgt noch immer zu zögerlich

Gerald Klose
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Publikationsdatum:
08. August 2006 (online)

Adipositas ist für die Gesundheitsprognose wie eine früh verpasste Qualifikation im Berufsleben - Anschluss zu halten. Den Anschluss an eine normale Lebenserwartung zu halten - wie im Falle unseres Themas - wird immer schwerer. Auch der Alarm zu Konsequenzen erfolgt noch immer spät und vergleichsweise verhalten. Inzwischen sind durch die Einbeziehung der politischen Ebene Initiativen nationaler und internationaler Zusammenschlüsse bis hin zur WHO erfolgt. Ziel ist die Eindämmung der inzwischen weltweit über eine Milliarde Personen betreffende Epidemie. Als adäquate Strategie gegen die Pathogenese - Fehlernährung und Bewegungsmangel - gilt dabei die Prävention. Dazu tragen zwar zahlreiche Präventionsprogramme bei, doch die ihnen begegnende Risikowahrnehmung - eine Voraussetzung der notwendigen Motivation - beschränkt sich auf viel zu kleine Gruppen.

Zu spät kommt eine Prävention allerdings bei manifester Adipositas. Aber auch deren Behandlung erscheint häufig als unattraktiv, einmal wegen bestehender Zweifel am Krankheitswert und zum anderen wegen refraktärer Situationen. Selbst auf professionellen Ebenen ist die Behandlung häufig inkonsequent, Abgrenzungsstrategien bei der Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung tragen dazu bei. So wird der solidarisch zu finanzierenden Therapie anerkannter Morbidität - zum Beispiel von Diabetes mellitus - eine aus der Erstattungsmöglichkeit herausfallende Therapieform gegenüber gestellt: die Lifestyle-Behandlung. Dass die gesetzliche Krankenversicherung nicht mit einem kosmetisch begründeten Behandlungswunsch belastet werden soll, dürfte kaum kontrovers sein. Weniger verständlich ist dagegen die Vorenthaltung der Leistung, wenn der salutogene Beitrag durch die ursachengerechte Therapie, also bei Diabetes mellitus der viszeralen Adipositas, evident ist.

Die Gründe für eine gefährliche Unterbehandlung von Adipositas sind vielfältig. Dazu gehören auch nicht stringente Informationen, und es ist ein Glück, dass Notfall & Hausarztmedizin eine Ausgabe den wichtigen Facetten des Problems Adipositas widmet. Paradigmatisch für Krankheitswert und die Perspektive ursächlicher Behandelbarkeit ist das Metabolische Syndrom.

In dem Übersichtsartikel von Prof. Janka zum direkten Einfluss des Metabolischen Syndroms auf das kardiovaskuläre Risiko erfahren wir aktuelle Daten zur Häufigkeit in Deutschland, Ätiologie und Konsequenzen. Alters- und definitionsabhängig liegt die Prävalenz zwischen etwa 23 % und fast 50 %. Es wird dargestellt, wie und in welchem Umfang sowohl falsche Lebensgewohnheiten wie genetische Faktoren hierzu beitragen. Zu den wichtigsten Konsequenzen gehören Diabetes mellitus und kardiovaskuläre Erkrankungen. In der Kontroverse um den Begriff eines Metabolischen Syndroms begründet Janka den Vorteil eines Konzeptes, Risiken besser zu erkennen und zu begegnen.

Dem Beitrag zur aktuellen Innovation in der Arzneimitteltherapie des Metabolischen Syndroms, eines CB1-Blockers, steht eine praxisnahe Übersicht zum Stellenwert der Lebensstilveränderung, einer unverzichtbaren Voraussetzung weiterer Maßnahmen gegenüber. Prof. Sailer belegt den Nutzen von Gewichtsabnahme und körperlicher Aktivität und beschäftigt sich auch mit Hindernissen bei deren Umsetzung.

Die medikamentöse Therapie bei Adipositas wurde dem Titel der Übersicht vom Stellenwert eines neuen Therapieprinzips, dem CB1-Antagonismus vorangestellt, um auf einen möglichen Paradigmenwechsel hinzuweisen, nämlich einer gleichzeitigen therapeutischen Antwort auf mehrere Komponenten des Metabolischen Syndroms. Der Beitrag begründet Indikationen und Ziele als adjuvant aufgefasste Maßnahmen auf der Grundlage bisheriger Evidenz gewichtsreduzierender Maßnahmen.

Somit sind die Übersichten zu Adipositas in dieser Ausgabe ein Beitrag zur risikobasierten Indikationsstellung von Behandlungsmaßnahmen. Sie liefern weiterhin leitliniengerechte Optionen, unter welchen Umständen eine Eskalation der Behandlungsintensität von Lebensstil zu adiuvanter Pharmakotherapie einen therapeutischen Nutzen hat. Hieraus ergibt sich wegen der positiven Implikationen auf Komponenten des Metabolischen Syndroms - nämlich dem Rückgang der viszeralen Adipositas, der Verbesserung von Dyslipidämie und der mit Adiponektin-Erhöhung erreichten Verringerung der Insulinresistenz - der Stellenwert eines neuen therapeutischen Prinzips, des CB1-Antagonismus. Auch dieses wird sich in der Zukunft am Ergebnis klinischer Endpunktstudien endgültig messen lassen müssen.

Prof. Dr. med. Gerald Klose

Klinikum Links der Weser, Bremen