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DOI: 10.1055/s-2006-958823
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Nutzenbewertung von Antidepressiva - Der Alltag dient der Wissenschaft
Publication History
Publication Date:
22 January 2007 (online)
Auch die Psychotherapie habe den Weg in eine evidenzbasierte Zukunft eingeschlagen, formulierte Prof. Michael Linden, Berlin, bei einem Satellitensymposium am Rande des DGPPN zum Thema "Grenzen und Chancen einer Nutzenbewertung von Antidepressiva. Wissenschaftliche Erkenntnisse zwischen Arzt, IQWIG und Patient." Gerade bei Psychopharmaka wie Antidepressiva hänge der Therapieerfolg in der täglichen Praxis nicht nur von der Wirksamkeit einer Substanz ab, sondern auch von ihrer Wirkung in der Hand des Therapeuten. Deshalb können Anwendungsbeobachtungen (AWBs) oder Phase-IV-Studien eine höhere Aussagekraft als Zulassungsstudien der Phasen II und III haben, wenn sie gut konzipiert, ethisch abgesichert und korrekt dokumentiert werden, erklärte er.
Manche AWB verfolge nur den Zweck, neue Präparate in die ärztliche Praxis zu bringen. Deshalb sollten sich interessierte Kollegen über das Konzept, die Fallzahlen und die geplante Veröffentlichung der Studie möglichst in einem namhaften Journal informieren lassen und diese auch nachprüfen, riet der Experte. Auch Phase-IV-Studien sollten von einer Ethik-Kommission überprüft sein. Wissenschaftlich aussagekräftige Anwendungsbeobachtungen haben ein festes Studienziel, d.h. sie sind prospektiv. Die Therapie geht nach einem festen Plan und einer standardisierten Methodik vor. Im Unterschied zu Phase-II- und -III-Studien sind ihre Patientenzahlen meist wesentlich höher und die Ein- bzw. Ausschlusskriterien weiter gefasst. Patienten mit Komorbiditäten und/oder langen Therapievorläufen mit verschiedensten anderen Arzneimitteln werden häufiger einbezogen. Sie orientieren sich an der Wirksamkeit, nicht der Wirkung eines Arzneimittels und beziehen alltägliche praktische Probleme wie Betreuung, Kontrollmöglichkeiten o.ä. mit ein. Auch Therapieuntreue und Nichtbeachten ärztlicher Empfehlungen können auftreten. Solche Erkenntnisse müssen ebenfalls im Ergebnis berücksichtigt werden.
Die teilnehmenden Ärzte sind nicht nur Spezialisten, sondern Generalisten, die das Arzneimittel bei ihren Patienten in der alltäglichen Praxis einsetzen. Nach ihren Verordnungskriterien spielen die einfache Anwendung, die gute Verträglichkeit und die eigenen Erfahrungen mit der Substanz die größte Rolle. Bei den teilnehmenden Fachärzten hingegen ist die Komedikation weiterer Psychopharmaka sehr häufig, was eigentlich auf einen Verstoß gegen die gültigen Leitlinien hinausläuft, bemerkte Linden. Häufig werde auch die Dosierung durch den Arzt verringert, da viele Patienten nicht so stark und deutlich erkrankt sind wie solche, die in Phase-II- und -III-Studien rekrutiert werden.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse von Anwendungsbeobachtungen, wie, warum und mit welchem Erfolg Ärzte ein Arzneimittel nutzen, das sogenannte drug management. Sie beleuchten die "ärztliche Kunst", also den Kompromiss zwischen Leitlinientreue und individueller Erfahrung.
Dr. Jürgen Sartorius
Satellitensymposium: "Die Therapie von Depression mit Schmerz im Spannungsfeld von Klinik und Ökonomie" am 22. November, unterstützt von Lilly Deutschland