Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(12): 591
DOI: 10.1055/s-2006-960761
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pädiatrische Themen auch für Nicht-Pädiater

Gerhard Gaedicke
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Publication Date:
03 January 2007 (online)

Ende September 2006 tagten die Präsidenten der meisten nationalen pädiatrischen Gesellschaften Europas in Rom auf Einladung der „European Pediatric Association, UNEPSA”, um die Regierungen und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass es einen großen Förderungsbedarf gibt, um die Gesundheitssituation von Kindern und Jugendlichen in Europa zu verbessern beziehungsweise zu sichern.

Der wissenschaftliche, medizinische und soziale Fortschritt der letzten Jahrzehnte zählt zweifellos zu den großen Errungenschaften unserer Zeit: Rückgang der Kinder- und Säuglingssterblichkeit, Krankheitsprävention, beispielsweise durch diagnostisches Screening auf seltene angeborene Krankheiten, Impfprävention, zum Beispiel von Infektionskrankheiten, Heilung von schweren Krankheiten, wie Krebserkrankungen im Kindesalter. Aber diese Erfolge kommen nicht allen zugute: Es gibt einerseits nicht hinnehmbare Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern Europas und andererseits auch solche innerhalb eines jeden europäischen Landes. Glauben Sie nicht, dass Deutschland eine Sonderrolle hätte! Der Armutsbericht der Bundesregierung wird Sie aufrütteln, denn arme Kinder sind kranke Kinder.

Darüber hinaus sind wir mit vielen Herausforderungen und dramatischen Änderungen konfrontiert: Geburtenrückgang, Überalterung der Bevölkerung, Integration von Menschen aus anderen Kulturen und Ethnien, ein unglaublicher Wandel im Lebensstil von Kindern und Jugendlichen, bedingt durch die verschiedenen Medien und die Globalisierung. Viel zu häufig gibt es auch bei uns Kinderarbeit, körperliche Misshandlung, sexuellen Missbrauch und Kindesvernachlässigung. Dabei fehlt es gleichzeitig an einer altersgerechten Erziehung, die die körperlichen, emotionalen und geistigen Fähigkeiten der Kinder fördert.

Wenn man sich das alles vor Augen führt, erkennt man schnell, welche außerordentlichen Anstrengungen wir in Europa ergreifen müssen, um die medizinische, soziale und pädagogische Situation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Es gibt vor allem einen großen Bedarf an wissenschaftlicher Forschung und pädiatrischer Fort- und Weiterbildung. Es ist zu befürchten, dass mit dem Geburtenrückgang auch die Zahl der Kinderärzte abnimmt. Damit besteht die Gefahr, dass pädiatrisches Fachwissen nur noch in spezialisierten Krankenhausabteilungen verfügbar ist, nicht mehr in der Breite. Man kann das verhindern, indem man die pädiatrische Fort- und Weiterbildung auch auf praktische Ärzte ausdehnt, die zusammen mit den Kinderärzten in unserem Land die medizinische Grundversorgung gewährleisten. Eine ausschließlich pädiatrische Grundversorgung, wie sie in der ehemaligen DDR und vielen sozialistischen Ländern bestand und teilweise noch heute besteht, gehört bei uns in Deutschland - aus der Sicht der Pädiatrie - leider der Vergangenheit an. Für die Fortbildung bedeutet das, dass jeder praktische Arzt, der die Zulassung für die Versorgung von Kindern hat, einen gewissen Anteil seiner CME-Punkte zukünftig über pädiatrische Themen erwerben müsste. Evaluierbare Zeitschriftenartikel, internetbasierte multimediale CME-Module und Fortbildungskongresse sind diejenigen Medien, die mit pädiatrischen Inhalten zunehmend auch von Nicht-Pädiatern genutzt werden sollten. Wir sind der Schriftleitung der vorliegenden Zeitschrift dankbar, mit ihrem Schwerpunktthemenheft „Pädiatrie” hier einen richtungsweisenden Anfang gemacht zu haben.

Univ.-Prof. Dr. Gerhard Gaedicke

Berlin