Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(12): 626
DOI: 10.1055/s-2006-960769
Praxismanagement

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Vertragsarztrechtsänderungsgesetz - Praxisinhaber kann Ärzte anstellen

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Publication Date:
03 January 2007 (online)

Am 1. Januar 2007 soll das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄG) in Kraft treten. Es schafft völlig neue unternehmerische Möglichkeiten für Einzel- und Gemeinschaftspraxen: Sie können zum Beispiel mehrere Ärzte anstellen oder mehrere Zweigpraxen errichten.

Vertragsarztrecht soll dem liberalisierten Berufsrecht angepasst werden

Das VÄG ist die Konsequenz aus der Liberalisierung der Muster-Berufsordnung durch den 107. Deutschen Ärztetag in Bremen. Das Vertragsarztrecht soll jetzt dem liberalisierten Berufsrecht angepasst werden und geht in einzelnen Regelungen noch darüber hinaus. Das Inkrafttreten kann sich unter Umständen verschieben, weil vorher noch untergesetzliche Regelungen wie zum Beispiel der Bundesmantelvertrag Ärzte geändert werden müssen.

Erstmals erlaubt das VÄG eine fachübergreifende Anstellung von Ärzten; so kann ein Internist beispielsweise einen Kinderarzt einstellen und damit das Leistungsspektrum seiner Praxis erweitern. Damit geht das Gesetz über die geltenden Berufsausübungsregeln hinaus. Da diese Länder- und nicht Bundessache sind, könnte dieser Punkt eventuell verfassungswidrig sein, gab der Münchner Arztrechtler Dr. Ralph Steinbrück auf dem Bayerischen Internistenkongress zu bedenken.

Neu ist auch eine Teilzulassung. Ein Arzt kann, ob als Angestellter oder als Freiberufler, auf Antrag einen zeitlich vollen oder hälftigen Versorgungsauftrag wahrnehmen. Auch eine spätere Halbierung der zunächst vollen Zulassung ist durch eine schriftliche Erklärung gegenüber dem Zulassungsausschuss möglich, ebenso eine Wiederaufstockung von 50 auf 100 %. Steinbrück hält dies vor allem für Ärztinnen, die Beruf und Familie miteinander verbinden müssen, für eine günstige Möglichkeit.

Künftig erlaubt: Doppeltätigkeit im Krankenhaus und in einer Praxis

In Zukunft wird auch die Doppeltätigkeit als Arzt im Krankenhaus und in einer Praxis oder einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) erlaubt sein. Das könnte das Ende des Belegarztwesens sein, räumte der Rechtsanwalt ein, wenn ein „Run” auf § 115b SGB V einsetzt, der die ambulante Versorgung durch Krankenhäuser ermöglicht. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass ein Krankenhausträger einen Chefarzt zu 50 % beschäftigt und ihm erlaubt, mit weiteren 50 % bei einem anderen Vertragsarzt oder als Angestellter in einem MVZ mitzuarbeiten.

Durch die Anstellung von Ärzten werden Einzel- und Gemeinschaftspraxen den MVZ gleichgestellt. Mit der Möglichkeit zur Anstellung von Ärzten, die unterschiedliche Fachgebiete ausüben, geht das VÄG deutlich über das Berufsrecht hinaus, das dies zum Beispiel in Bayern, Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein untersagt. Anwalt Steinbrück sieht auch hier verfassungsrechtliche Probleme.

Ohne Begrenzung ist die Anstellung von Ärzten in nicht gesperrten Planungsbereichen. In gesperrten Planungsbereichen ist sie möglich, wenn etwa ein Vertragsarzt auf seine Zulassung verzichtet und sich in einer Praxis anstellen lässt. Das wäre denkbar, wenn die eigene Praxis nicht so gut läuft oder wenn jemand aus Alters- oder Krankheitsgründen seine beruflichen Aktivitäten reduzieren möchte.

„Fremdarbeiter führen dem Unternehmen Praxis Gewinne zu”

Letztlich läuft das Ganze auf unternehmerische Strukturen in der bislang wesentlich durch die Einzelpraxis geprägten vertragsärztlichen Versorgung hinaus. Steinbrück beschreibt das kurz und bündig so: „Fremdarbeiter führen dem Unternehmen Praxis Gewinne zu.” Nach seinen Worten gibt es in Deutschland bereits etliche Vorverträge für derartige Anstellungen, die nur noch auf das Inkrafttreten des VÄG warten. Ob man künftig Zulassungen sammeln kann und wie viele Ärzte man anstellen darf, muss noch im Bundesmantelvertrag geklärt werden. Die KBV möchte wohl die Obergrenze bei drei Vollzeit- oder vier Teilzeit-Angestellten ziehen.

In gesperrten Planungsbereichen bleibt es bei dem schon jetzt erlaubten Job-Sharing, allerdings nicht mehr auf einen Angestellten beschränkt, sondern es dürfen dann beliebig viele angestellt werden. Die geltende Begrenzung der Leistungsausweitung auf höchstens 103 % wird aufgeweicht; bei lokaler Unterversorgung darf das Leistungsvolumen der Praxis auf bis zu 200 % ansteigen.

Anstellung von Hochschullehrern für Allgemeinmedizin

Ein Unikum im Gesetz ist die Möglichkeit für Allgemeinärzte, Praktiker oder hausärztliche Internisten, einen Hochschullehrer für Allgemeinmedizin in der Praxis anzustellen. Steinbrück vermutet, dass man damit den Hochschullehrern mehr Praxisnähe vermitteln möchte. Er hält es nicht für ausgeschlossen, dass in Zukunft ein Vertragsarzt in seiner Praxis drei voll tätige weitere Vertragsärzte anstellt und diese für sich arbeiten lässt.

Eigentliche Sensation ist die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft

Die eigentliche „Sensation” der Gesetzesänderung sieht der Jurist in der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft. Sie ist sowohl im selben Planungsbereich als auch Planungsbereich übergreifend und auch KV-übergreifend unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Damit wird eine MVZ- oder Gemeinschaftspraxis-ette auch bundesweit künftig zulässig.

Klaus Schmidt

Planegg

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