Zusammenfassung
Wie kaum eine andere medizinische Disziplin ist die Gynäkologie gezwungen, sich nicht nur mit den somatischen Beschwerden, sondern auch mit der Verunsicherung, den Befürchtungen und Ängsten ihrer Patientinnen zu befassen. Ob eine bestimmte Untersuchung, eine gestellte Diagnose oder eine eingeleitete Behandlung zum Auslöser einer psychischen Belastung wird, hängt von der subjektiven Bewertung des jeweiligen Geschehens durch die betreffende Patientin ab. Diese subjektive Bewertung ist nur teilweise vom behandelnden Arzt beeinflussbar. Sie beruht in erster Linie auf den bisher gemachten und im Gehirn verankerten Erfahrungen der betreffenden Patientin. In diesem Beitrag wird versucht, die Gründe herauszuarbeiten, die Menschen entweder besonders vulnerabel oder aber besonders resistent für psychoemotionale Belastungen machen. Es wird dargestellt, wie die im Lauf des Lebens gemachten Erfahrungen in Form handlungsleitender, das Denken und Fühlen bestimmender neuronaler Verschaltungsmuster verankert werden. Die Auswirkungen kontrollierbarer und unkontrollierbarer Belastungen und die damit einhergehende nutzungs- und erfahrungsabhängige Veränderung neuronaler Verschaltungen werden beschrieben. In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Aneignung innerer Haltungen herausgestellt und nach den Bedingungen und Voraussetzungen gefragt, die die Herausbildung Ressourcen-stärkender Grundüberzeugungen ermöglichen.
Abstract
In gynecological practice, psychoemotional irritation, fear, anxiety and feelings of helplessness are much more often seen and play a much greater role than in may other somatic medical disciplines. Whether or not a certain diagnosis or treatment will trigger a psychoemotional stress response is primarily dependent on the subjective judgment and the appraisal of the situation by the individual patient. This response can only partly be influenced by the medical practitioners. It is governed by the previous experiences made by the individual patient in the course of her life. This contribution describes how such subjective experiences of failure and of success in mastering difficult situations are anchored in the brain. Alternating experiences of the controllability and the uncontrollability of stressors are required for the facilitation and stabilization of neuronal networks and synaptic connections. Based on the current knowledge about the use- and experience-dependent adaptive modification and reorganization of neuronal connectivity, the reasons are discussed which will make certain patients either more vulnerable or more resistant to stressful life events. It is described why the internalized attitudes and views of the individual patient are of uttermost importance for her appraisal. The prerequisites and conditions for the acquisition of resource-strengthening attitudes and views are discussed.
Schlüsselwörter
Stress - Angst - Bewertung - Ressourcen - erfahrungsabhängige Plastizität
Key words
stress - anxiety - resources - appraisal - experience‐dependent plasticity
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Prof. Dr. Gerald Hüther
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
von-Siebold-Straße 5
37075 Göttingen
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