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DOI: 10.1055/s-2007-977643
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Gesundheitsreform: Die Ankündigungsrepublik
Publication History
Publication Date:
05 April 2007 (online)
Die sogenannte Gesundheits”reform” hat die beiden Kammern des deutschen Parlamentarismus passiert. Falls der Bundespräsident das Gesetz ausfertigt, bleibt zu konstatieren: die große Koalition ist mit ihrer Jahrhundertnovelle als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Das Gesetz ist - kein Wunder, bei schon intellektuell nicht zu vereinbarenden konträren Positionen - zu einem reinen Termingesetz verkommen, in dem Zieltermine für gesundheitspolitische Veränderungen annonciert werden, die im Wesentlichen nach Ablauf der derzeitigen Legislatur liegen. Dieses gesetzgeberische Machwerk ist auch noch handwerklicher Murks, da in einem Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an die Gesundheitspolitiker von Schwarz-Rot der schnellste Bedarf für ein Korrekturgesetz zur noch nicht in Kraft getretenen Gesundheits”reform” angemeldet wird. Insgesamt neun Fehler sind schon jetzt aufgefallen und die anderen Fehler werden auch an das Licht der Öffentlichkeit kommen. Die bereits jetzt bekannten Fehler betreffen nicht stimmige Termine, Kostenbeteiligungen der Krankenkassen bei der Selbsthilfe, Regelungen für die private Krankenversicherung beim aufoktroyierten Basistarif, Satzungsleistungen der Krankenkassen und die Künstlersozialkasse.
Sollte das Gesetz zum 01. 04. 2007 in Kraft treten, passiert zunächst gar nichts. Für die deutsche Ärzteschaft besteht ein veränderungsfreier Zeitraum von etwa 1,5 Jahren, der intensiv zum Widerstand gegen die Gesetzesumsetzung genutzt werden kann. Von größter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das verabschiedete, aber in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtete Vertragsarztrecht-Änderungsgesetz. Mit diesem Gesetz erschließen sich praktisch unbegrenzte Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Ärzten, der Tätigkeit an mehreren Praxissitzen, der Zusammenarbeit mit anderen Heilberufen und vieles mehr. Für den unternehmerisch denkenden Arzt, der sich nicht als Einzelkämpfer in einer Einzelpraxis versteht, ist dies das Gebot der Stunde. Es ist zu befürchten, dass der Arzt, der diese neue Herausforderung nicht annimmt, auf der Strecke bleibt.
Bei der Entwicklung der Gesundheits”reform” hat es - wie bei anderen politischen Themen - im parlamentarischen Raum Änderungen im Verfahren der politischen Willensbildung gegeben, die bedenklich stimmen müssen. Zunehmend wird in einem Ausmaß, das mit den Regelungen unserer Verfassung nicht mehr in Einklang zu bringen ist, in unlegitimierten politischen Hinterzimmerkartellen - in Form einer Politoligarchie, die den schönen Namen Koalitionsausschuss trägt - das Maß der Dinge festgelegt und anschließend durch das Parlament gepeitscht. Dabei lässt eine Mixtur von Drohung mit Parteidisziplin - verbunden mit dem Ende der politischen Karriere - und Anreizen für die weitere politische Zukunft den Abgeordneten - der nach unserer Verfassung eigentlich nur seinem Gewissen verantwortlich sein soll - als Auslaufmodell erscheinen. Eine parlamentarische Reform ist sicherlich dringender als eine vermurkste Gesundheits”reform”.
Zu bedenken wäre eine Änderung des Wahlrechtes, um auf jeden Fall eine handlungsfähige parlamentarische Mehrheit zu haben und keine nicht lebensfähigen Koalitionen, die als Ergebnis von Sachzwängen verkauft werden. Die Rechte des Parlamentes müssen gestärkt werden, um den Typ des Berufsparlamentariers zu vermeiden, dessen Schicksal - und damit sein Einkommen - von seinen politischen Vorgesetzten abhängt.
Es muss wieder klar werden, dass die Parteien bei der politischen Willensbildung mitwirken, sie aber nicht diktatorisch alleinig bestimmen. Es muss auch ein Ende haben, dass sich eben diese Parteien alle vier Jahre beim Wähler mit nebulösen Versprechen einen Freifahrschein abholen, der am Tage nach der Wahl nach Belieben - oft im genauen Gegensatz zum Versprochenen - benutzt wird.
Dies alles führt in eine gefährliche Schieflage für unser Gemeinwesen. Die nicht mehr zu leugnende Politikverdrossenheit der Bürger dokumentiert dies. Die deutsche Ärzteschaft ist eine gesellschaftspolitisch relevante Größe. Dies zu erkennen und zu nutzen, ist eine wichtige Zukunftsaufgabe.