Diabetologie und Stoffwechsel 2007; 2 - P197
DOI: 10.1055/s-2007-982292

Blutglukose-Wahrnehmungstraining (BGAT nach Cox) in der Praxis: Einjahres Katamnese

G Fehm-Wolfsdorf 1, J Pohl 2, A Peters 3
  • 1Lübecker Institut für Verhaltensmedizin, Lübeck, Germany
  • 2Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Psychologie, Halle, Germany
  • 3Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Medizinische Klinik I, Lübeck, Germany

Das BGAT ist ein strukturiertes verhaltensmedizinisches Trainingsprogramm für Personen mit Typ 1 Diabetes, die unter Hypoglykämieproblemen leiden. In 8 Gruppen- oder Einzelsitzungen wird das rechtzeitige Erkennen und Vermeiden von Hypo- und Hyperglykämie erlernt. Wir untersuchten hier die „Effectiveness“, d.h. die Wirksamkeit des BGAT unter Versorgungsbedingungen. Zum Zeitpunkt T1=vor dem Training nahmen 411 Personen an einer Erhebung zu Hypoglykämie-Wahrnehmung und -verhalten, zu Depressivität, Lebensqualität, Hypoglykämieangst und Selbstwirksamkeit teil. T2 lag bei Kursende (N=309), T3 ein Jahr danach. Die Stichprobe ist zu T1 wie folgt gekennzeichnet: mittleres Alter 45,9 Jahre, Diabetesdauer 22,5 Jahre, 36,6% Pumpenträger, Folgeerkrankungen bei 36%, letzter HbA1-Wert 6,9 (4,7–10,5), Führerschein 89,3%, 14% fahren nie. Zu T1 lag die Zahl der Depressiven außerordentlich hoch (31,8% klinische oder milde Depression, erfasst mit dem BDI; zum Vergleich in der Diabetes Prevention Study 10,3%). Die Katamnese-Stichprobe (N=142) unterscheidet sich in allen wichtigen Variablen nicht von der Restgruppe aus T1 (N=269).

Die Anzahl mittelschwerer (Fremdhilfe) bzw. schwerer Hypos mit Bewusstlosigkeit wurde in Abhängigkeit vom Zeitpunkt und der Güte der berichteten Hypo-Wahrnehmung (Hypos erkennbar bei BG über/unter 50mg/dl) mit Varianzanalysen und nachfolgenden Kontrastanalysen nach Kirk ausgewertet. Mittels McNemar Tests wurde die Anzahl von Patienten mit keinen/mittelschweren/schweren Hypos zu T1-T2-T3 verglichen. Alle hier berichteten Ergebnisse beziehen sich auf die Katamnesestichprobe. Die mittlere Anzahl schwerer Hypos sank von 1,06 zu T1 auf 0,20 zu T3 (p<.001). Mittelschwere Hypos wurden zu T1 im Mittel 2,23 berichtet, zu T3 0,71 (p<.001). Personen, die zu T1 Hypos schon bei 50mg/dl wahrnehmen konnten, schnitten zu allen Zeitpunkten besser ab (Haupteffekt Gruppe). 21 Patienten geben zu T1 schwere und zu T3 keine Hypos an. Diese Verbesserung ist signifikant im Vergleich zu den 5 Pat., die zu T1 keine und zu T3 schwere Hypos berichteten (p<.01). 32 Pat. berichten zu T1 mittelschwere und zu T3 keine Hypos, 12 Pat. verändern sich entgegengesetzt (p<.01).

Die Wahrnehmungsschwelle („Symptome spüren bei welchem niedrigen Glukosewert“) verbesserte sich von T1 zu T2 (p<.001) und blieb ein Jahr später konstant. Das gleiche Veränderungsmuster – signifikante Verbesserung von T1 zu T2, die zu T3 erhalten bleibt – gilt für die Depressivität und die Lebensqualität. Reduziert werden durch das Training z.B. die Belastung für die Familie sowie die Sorge, ohnmächtig zu werden.

Die Katamneseerhebung zeigt eindrücklich, dass die im Training erreichten Verbesserungen längerfristig aufrechterhalten bzw. noch ausgebaut werden können. Die erfassten psychologischen Parameter sind wichtige Moderatoren einer langfristigen Veränderung der Einstellung und des Verhaltens, und wirken damit stabilisierend auf das im Training Gelernte.