Diabetologie und Stoffwechsel 2007; 2 - P213
DOI: 10.1055/s-2007-982308

Wieviel Insulin benötigen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Typ-1-Diabetes? Percentilenkurven basierend auf 77094 Beobachtungsjahren von 22223 Patienten der DPV-Wiss-Datenbank

S Wiegand 1, T Reinehr 2, D Weitzel 3, R Stachow 4, B Rami 5, K Raile 1, I Knerr 6, A Herbst 7, M Grabert 8, R Holl 8
  • 1Charité-Universitätsmedizin Berlin, Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Berlin, Germany
  • 2Vestische Kinderklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Herdecke, Germany
  • 3Deutsche Klinik für Diagnostik, Wiesbaden, Germany
  • 4Kinder-Reha-Klinik, Westerland/Sylt, Germany
  • 5Universitätskinderklinik Wien, Wien, Austria
  • 6Universitätskinderklinik Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Germany
  • 7Universitätskinderklinik Bonn, Bonn, Germany
  • 8Universität Ulm, Abt. für Epidemiologie, Ulm, Germany

Fragestellung: Der tägliche Insulinbedarf zwischen einzelnen Patienten variiert erheblich, auch nach Bezug auf das Körpergewicht und ist nur schwer vorhersagbar. In der Betreuung diabetischer Patienten stellt sich deshalb oft die Frage, wann ein Insulinbedarf so ungewöhnlich ist, dass differenzialdiagnostische Überlegungen angestellt werden sollten (auffallend geringer Insulinbedarf: persistierende Restsekretion? MODY-Diabetes? Manipulation? auffallend hoher Insulinbedarf: Resistenz durch Antikörper? Non-Compliance? Überinsulinisierung?). Bisher liegen kaum Daten zum Insulinbedarf pädiatrischer Patienten vor, in Lehrbüchern werden meist nur persönliche Erfahrungswerte verbreitet.

Material und Methode: Die DPV-Dokumentation stellt eine multizentrische Initiative zur standardisierten prospektiven Dokumentation diabetischer Patienten dar. Anonymisierte Daten werden für externe Qualitätsvergleiche (QS-DPV) und versorgungs-epidemiologische Auswertungen (DPV-Wiss-Projekt) eingesetzt. Im März 2006 lagen 247195 Datensätze mit Dokumentation der von Patient/Familie berichteten Insulintherapie von 22223 Patienten mit Typ-1-Diabetes vor (52% Jungen, 48% Mädchen, mittleres Manifestationsalter 7,7 Jahre, maximales Alter: 25 Jahre). Datensätze während der Remission (<2 Jahre) wurden nicht einschlossen. 222 Zentren aus Deutschland und Österreich beteiligen sich an der DPV-Initiative. Geglättete Percentilenkurven des Insulinbedarfs und multivariate Modelle zur Analyse von Einflussfaktoren wurden mit dem Statistikpaket SAS realisiert.

Ergebnisse: Der Median des Insulinbedarfs pro kg Körpergewicht steigt von der Kindheit zur Pubertät an (5.–50.–95. Percentile mit 5 Jahren: 0,48–0,72–1,08 E/kg, mit 15 Jahren: 0,51–0,90–1,37 E/kg). Das Maximum wird mit 13 Jahren erreicht (0,56–0,92–1,38 E/kg). Mädchen haben vor und in der Pubertät einen höheren Insulinbedarf als Jungen und erreichen das Maximum früher (im Mittel mit 12 Jahren versus 14 Jahren bei Jungen). Nach der Pubertät sinkt der Insulinbedarf kontinuierlich (24 Jahre: 0,40–0,70–1,22 E/kg). Patienten mit Insulinpumpentherapie benötigen im Mittel 0,09 E/kg und Tag weniger Insulin als Patienten mit Insulininjektionen (p<0,0001). In einem multivariaten Modell waren neben Alter, Geschlecht und Diabetesdauer die Therapieform, der Einsatz von schnell- oder langwirkenden Analoginsulinen sowie der alters- und geschlechts-standardisierte BMI signifikante Einflussfaktoren auf den täglichen Insulinbedarf.

Schlussfolgerung: Diese standardisiert erhobenen Daten aus einem großen Patientenkollektiv erlauben es, die Grenzen des normalen Insulinbedarfs, und damit die Indikation für weiterführende Diagnostik, objektiv zu definieren. Multizentrisch erhobene Daten aus der realen Patientenversorgung erlauben es, persönliche Erfahrungen an einer großen Patientengruppe kritisch zu überprüfen. Dieser Ansatz kann auf andere chronische Erkrankungen in der Pädiatrie übertragen werden.