ZFA (Stuttgart) 2007; 83(8): 339-341
DOI: 10.1055/s-2007-984469
GHA-Nachrichten

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PJ in der Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung: zwei große Themen beim 32. Symposium der Allgemeinmedizin und Hochschule

PJ in General Practice and Health Service Research: two Great Themes with 32. Symposium of the General Practice and UniversityN. Kuth 1
  • 1Lehrgebiet für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Aachen
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Publikationsverlauf

eingereicht: 08.06.2007

akzeptiert: 28.06.2007

Publikationsdatum:
15. August 2007 (online)

Vom 17-18.3.2007 fand in München zum 32. Mal das Symposium der „Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin e. V.“ (früher „Vereinigung der Hochschullehrer und Lehrbeauftragten für Allgemeinmedizin e. V.“) statt.

Die Schwerpunkte der Vorträge und Diskussionen (abrufbar unter www.gha-info.de) waren das Praktische Jahr (PJ), das seit 2006 auch in allgemeinmedizinischen Praxen durchgeführt werden kann, sowie die Versorgungsforschung.

Prof. Donner-Banzhoff analysierte „Versorgungsforschung in der Allgemeinmedizin“ nach methodischen Kriterien wie z. B. Fragestellung (deskriptiv, defizitorientiert, analytisch, interventionell), Studiendesign (Fallbericht, Querschnitt, Fall-Kontroll, Kohorte, RCT) und Datenbasis und erläuterte diese anhand von Studien.

Prof. Szecsenyi stellte die Entwicklung eines Arbeitsschwerpunktes im Bereich der Versorgungsforschung am Beispiel der Universität Heidelberg dar. Angefangen als Lehrbereich in den 70-iger Jahren, verfügt die Abteilung heute seit 2001 über eine Drittmitteleinwerbung von ca. 5 Mill. Euro, 12 Lehrbeauftragte und 22 Mitarbeiter. Versorgungsforschung dient auch dazu, Fehlentwicklungen zu verhindern, so geschehen bei irrationalen und interessengeleiteten Therapieempfehlungen der spezialisierten Fachgesellschaften oder Breitenimplementierung eines für die hausärztliche Versorgungssteuerung ungeeigneten Klassifikationssystems (ICD-10). Methoden zur Durchführung sieht Szecsenyi in Fokusgruppen, Entwicklung von Fragebögen, Erstellung systematischer Reviews, Nutzung von Routinedaten der GKV und andere mehr. Ein Beispiel für allgemeinmedizinische Versorgungsforschung stellt die ELSID-Studie dar, die DMP-Programme in Hinsicht auf Routine versus optimale Umsetzung evaluiert hat (2005).

Weitere wichtige Themenfelder für VF sind Prävention, Arzneimitteltherapie in der hausärztlichen Versorgung, chronische Erkrankungen oder komplementäre Therapieverfahren.

Ein aktuelles Beispiel für ein Projekt aus der Heidelberger Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung stellt das PraxArt Projekt zur Versorgung von Arthrosepatienten dar, welches Dr. Thomas Rosemann erläuterte. Es ist ein vom BMBF für 3 Jahre gefördertes Projekt zur Verbesserung der Lebensqualität von Arthrosepatienten und untersucht Interventionen auf Hausarztebene versus Interventionen im Team-orientierten Ansatz. Aus den hochrangigen Publikationen der Ergebnisse kann man schließen, dass auch in der Allgemeinmedizin methodisch gute Studien durchgeführt werden können, die den Vergleich mit etablierten klinischen Fächern nicht scheuen müssen.

Mit dem MedVip Projekt (Medizinische Versorgung in der Praxis) und dem Teilprojekt „Therapie des unkomplizierten Harnwegsinfektes“, stellte Prof. Kochen (Göttingen) weitere Möglichkeiten von Versorgungsforschung in der Allgemeinmedizin vor. Bei MedVip handelt es sich um ein vom BMBF gefördertes Projekt zum Ausbau der Abteilung Allgemeinmedizin an der Universität in Göttingen. Ziel ist, die rationale Pharmakotherapie in der hausärztlichen Praxis zu fördern. Dies wird durch einzelne Teilprojekte realisiert, so zum Beispiel „Elektronische Messung der Lebensqualität bei Patienten mit Asthma bronchiale“, Optimierung der elektronischen Routinedokumentation in hausärztlichen Praxen oder „Randomisiert - kontrollierte klinische Studie zur hausärztlichen Therapie unkomplizierter Harnwegsinfekte“. Die zuletzt genannte Studie ist der Prototyp einer RCT in der Praxis und spiegelt die Bedingungen am ehesten situationsgetreu wider. Klinische Studien in künstlichem Umfeld sind immer fraglich in Bezug auf ihre Übertragbarkeit auf die hausärztliche Situation. Beobachtungsstudien dagegen weisen einen Mangel an Evidenz auf.

Prof. Neugebauer (Witten- Herdecke) wies in seinem Vortrag auf einen anderen Ansatz für Versorgungsforschung, den interdisziplinären Schwerpunkt, hin. Das Deutsche Netzwerk für Versorgungsforschung e. V. will die Vernetzung der an der Versorgungsforschung beteiligten Wissenschaftler fördern, Wissenschaft und Versorgungspraxis zusammenführen sowie die Zusammenarbeit verbessern und den Nachwuchs fördern. Zwischen den Gründungsmitgliedern, die sich aus 26 medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen Fachgesellschaften zusammensetzen, soll eine fachübergreifende Diskussion versorgungsforschungsrelevanter Inhalte und Methoden entstehen. Jährlich findet der „Deutsche Kongress für Versorgungsforschung“ statt. Vom BMBF und den Spitzenverbänden der GKV werden Ausschreibungen mit unterschiedlichen Fördervolumen und Themen (z. B. Chronische Krankheiten und Patientenorientierung) unterstützt.

Aus der Sicht des Medizinischen Fakultätentages stellte Prof. von Jagow die Perspektiven der Allgemeinmedizin an den deutschen Hochschulen dar.

Bereits von Baum und Niebling in der ZFA 2006 veröffentlicht, sind an 36 Standorten nur 5 ganze C4-Professuren etabliert. An 8 weiteren Hochschulen wird die Allgemeinmedizin durch mindestens eine halbe C3-Professur vertreten. Herr Prof. von Jagow stellte den Werdegang und die Etablierung der Allgemeinmedizin an der Universität Frankfurt an unterschiedlichen Projekten und Arbeitsschwerpunkten dar, unter anderem E-learning, www.jeder-fehler-zaehlt.de u. a. und erwähnte die Auszeichnung mit dem Richard-Merten-Preis für das Team um Prof. Gerlach. Ab 2006 ist das Institut für Allgemeinmedizin Mitglied des Zentrums für Arzneimittelforschung, wodurch neue Möglichkeiten zur klinischen Forschung unter Alltagsbedingungen in etwa 210 Lehr- und Forschungspraxen eröffnet werden.

Insgesamt beurteilte Prof. von Jagow die Perspektiven in der Allgemeinmedizin als positiv, da die Forschungs- und Lehraktivität gerade an „etablierten Standorten“ mit BMBF-Förderung stark zugenommen habe. Weitere Standorte werden größer ausgestattet werden und für neue Standorte wie Jena, Witten/Herdecke, München Rostock, Lübeck wurden Lehrstühle ausgeschrieben bzw. sind zur Ausschreibung vorgesehen.

Die folgenden Vorträge beschäftigten sich mit dem PJ in der Allgemeinmedizin.

Frau Dr. Gilbert, wissenschaftliche Angestellte am Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt aus dem Arbeitsbereich Lehre, stellte den Stand der Entwicklungen dar. Für die studentische Ausbildung sind 15 PJ-Plätze verfügbar. Vergütet wird das Tertial mit 2400 € pro Student. Die Lehrärzte müssen bereits Erfahrungen als Lehrärzte im Blockpraktikum gesammelt haben und zwar mit guten Evaluationen. Es muss ein geeigneter Raum für den Studenten zur Verfügung stehen, Literatur oder Internetzugang vorhanden sein und die Praxispräsenz mindestens 35 Std./ Woche betragen. Die Lehrärzte werden didaktisch geschult und nehmen an regelmäßigen Treffen zum Erfahrungsaustausch teil. Gleichzeitig finden Begleitseminare (4 Stunden pro Woche) statt, die durch Lehrärzte oder Mitarbeiter des Instituts durchgeführt werden. Seminarthemen sind z. B. Fallseminare wie DEGAM-Leitlinien, Balintgruppe, Gesprächsführung, Betriebswirtschaftliche Aspekte und Prüfungsvorbereitungen M2. Aus Sicht der Studenten können Urlaubszeiten der Praxis problematisch sein, lange Arbeitstage oder auch der Prüfungsdruck im letzten Tertial (es werden nur Studenten im letzten Tertial im PJ Allgemeinmedizin angenommen). Als positiv wird selbstständiges Arbeiten, das breite, vielfältige Tätigkeitsfeld und die sehr gute Betreuung durch die Lehrärzte empfunden.

Die Quintessenz zum ersten Durchlauf im PJ Allgemeinmedizin sei durchaus positiv.

Herr Dr. Gründling, ebenfalls wissenschaftlicher Assistent an der Uni Frankfurt, hat die Selbsteinschätzung zur ärztlichen Kompetenz im PJ-Tertial Allgemeinmedizin untersucht. Die PJ-ler wurden zu Beginn und zu Ende des PJ zu Basistechniken, Kommunikation und Interaktion sowie Team- und Organisationskompetenz befragt. Die Selbsteinschätzung der einzelnen Studenten divergierte sehr stark. In Bezug auf die Basistechniken wurde Verbesserungsbedarf empfunden. Befragt nach der Motivation war sie entweder von Anfang an gut oder verbesserte sich im Vergleich. Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten wurden von allen Studenten als verbesserungswürdig empfunden. Insbesondere bei der Aufklärung über schwierige Diagnosen und dem Umgang mit schwierigen Patienten wurde Unvermögen empfunden.

Prof. Markus Hermann berichtet über das PJ an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg nach einem kleinen Exkurs in die traditionsreiche Geschichte der Universität.

Für das PJ in Halle sind 8 Praxen zertifiziert. Fünf Studenten befinden sich im PJ. Die obligatorischen Anforderungen an die PJ-Praxen sind ähnlich wie in Frankfurt. Der Lehrarzt muss sich qualifizieren mit mindestens 3-jähriger hausärztlicher Tätigkeit, Beteiligung an der Qualitätssicherung sowie Mitarbeit an der Weiterentwicklung der Lehre. Es müssen in der Praxis mindestens 500 GKV-Versicherte pro Quartal behandelt werden, ein Raum für den Studenten zur Verfügung stehen, ein Ruhe-EKG vorhanden sein und in der Praxis mit einem EDV-System gearbeitet werden. Die Praxis sollte das übliche allgemeinmedizinische Patientengut behandeln. PJ-begleitend werden Seminare angeboten über Themen wie Kommunikation, Sozialmedizin, Patientenvorstellung nach dem SOAP-Schema, die teilweise auch von den Lehrärzten durchgeführt werden.

Fertigkeiten, auf die besonderes Augenmerk gelegt wird sind z. B. Gesprächsführung und Dokumentation sowie Untersuchungs- und Behandlungstechniken. Als Motive der Studenten, das PJ als Wahlfach zu wählen werden genannt: Eltern sind Allgemeinärzte, der Wunsch, Allgemeinarzt zu werden, Patienten im sozialen Umfeld zu erleben, bessere Betreuung durch 1:1 Unterricht und PJ als „Generalprobe“. Ein Mangel in der Vorbereitung wird von den Studenten in erster Linie in Bezug auf pharmakologisches Wissen festgemacht, nicht in Bezug auf mangelnde psychosoziale Fertigkeiten. An Wünschen und Erwartungen zum PJ äußern die Studenten beispielsweise Verbesserung der Fertigkeiten, mit einfachen Mitteln einen Patienten untersuchen zu können oder die Fähigkeiten, Differenzialdiagnosen erheben zu können. Sie wünschen sich die Ausbildung einer professionellen Haltung dem Patienten gegenüber. Vom Lehrarzt wünscht der Student sich Autonomie aber gleichzeitig auch Absicherung, falls er nicht weiter weiß. Außerdem wird Teamgeist gewünscht.

Die Lehrärzte auf der anderen Seite möchtem die Studenten zu einer offenen und selbstkritischen Haltung hinführen, aber auch sensibilisieren für die Patientenwahrnehmung.

Das Resumee zeigt hochmotivierte akademische Lehrärzte. Studierende als auch Lehrende haben durch gemeinsames Lernen neue Erfahrungen gemacht. Die Studenten hatten die Gelegenheit, das im Studium Gelernte anzuwenden und in die klinische Praxis zu integrieren. Im Verlauf des Tertials wurde durchaus eine wachsende Eigenständigkeit wahrgenommen. Subjektivität und Emotionen wurden stärker erlebt.

In Planung sind ein Leitfaden PJ, eine PJ-Abschlussveranstaltung mit KV und Ärztekammer und als zentraler Punkt die Fixierung der Finanzierung des PJ in Hausarztpraxen.

Interessenskonflikte: keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. N. Kuth

Lehrgebiet für Allgemeinmedizin

Pauwelsstr. 30

52074 Aachen

eMail: nkuth@ukaachen.de