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DOI: 10.1055/s-2007-996166
Pulmonale Komplikationen bei HIV-Patienten
Pulmonary Complications in Patients with HIV InfectionPublication History
Publication Date:
15 February 2008 (online)


Allgemeine Bemerkungen
HIV und AIDS im Jahr 2007
Die HIV-Infektion hat in Deutschland eine Prävalenz von etwa 40 000. Aufgrund der verbesserten Prognose der Erkrankung und des in den letzten Jahren beobachteten Anstiegs der Inzidenz kommt es jedoch zu einer Zunahme infizierter Personen [1]. Seit Beginn der HIV-Epidemie 1982 mit der Häufung von zwei bis dahin sehr seltenen Erkrankungen, dem Kaposi-Sarkom und der Pneumocystis-Pneumonie (PCP), hat sich die medizinische Problematik der HIV-Medizin insbesondere durch die Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (ART) 1996 stark gewandelt. Die klassischen AIDS-definierenden Infektionen werden bei Patienten mit effektiver ART und Chemoprophylaxe nur noch selten beobachtet. Im Rahmen der Therapie kann es jedoch zu Nebenwirkungen und Komplikationen kommen, die auch die Lunge betreffen. Insbesondere das Immunrekonstitutions- und Inflammationssyndrom (IRIS) bereitet differenzialdiagnostische und therapeutische Probleme. Bei Patienten mit HIV-Infektion stellen die Atemwege die Haupteintrittspforten für Infektionen dar. Neben Infektionen gibt es eine breite Palette nichtinfektiöser Krankheitsmanifestationen und Therapiekomplikationen ([Tab. 1]). Bei bisher nicht HIV positiv getesteten Patienten sollte die Möglichkeit, dass ein unklares Krankheitsbild mit HIV in Zusammenhang steht, stets differenzialdiagnostisch bedacht werden. Auch primär „unverdächtige” Krankheiten wie die ambulant erworbene Pneumonie können Ausdruck einer HIV-Infektion sein.
Tab. 1 Pulmonale Komplikationen bei Patienten mit HIV-Infektion Infektionen Neoplasien andere Pneumocystis jiroveci Kaposi-SarkomNon-Hodgkin-LymphomHodgkin-LymphomBronchialkarzinom lymphozytäre interstitielle Pneumonieunspezifische interstitielle Pneumoniepulmonale HypertonieCOPDbronchiale Hyperreagibilität BakterienS. pneumoniaeS. aureusH. influenzaeB. catarrhalisP. aeruginosaRhodococcus equiNocardia asteroides Komplikationen unter ARTDyspnoe + Husten als Hypersensitivitätsreaktion MykobakterienM. tuberculosisatypische Mykobakterien Dyspnoe + Tachypnoe bei Lakatatazidose AndereCytomegalovirusAspergillus spp.Cryptococc. neoformansHistoplasma capsulatumToxoplasma gondii Pneumonie unter T-20 Infiltrate, Lymphknoten und/oder Fieber als Immunrekonstitutionssyndrom Seit Einführung der ART ist es zu einem drastischen Rückgang der AIDS-definierenden Ereignisse gekommen. Problematisch sind unerkannte HIV-Infektionen und Immunrekonstitutionssyndrome.Immunstatus und Risiko für Infektionen/Neoplasien
Eine differenzialdiagnostisch sehr wichtige Frage ist: Wie ist der aktuelle Immunstatus des Patienten?
Anhand der absoluten Zahl der CD4+T-Lymphozyten im Blut lässt sich das Risiko, an definierten Infektionen zu erkranken, grob abschätzen, wobei im Einzelfall mit Abweichungen zu rechnen ist ([Abb. 1]). Bakterielle Pneumonien, Tuberkulosen, Lymphome und Kaposisarkome kommen in allen Krankheitsstadien vor, die Inzidenz steigt jedoch mit Abnahme der CD4+T-Lymphozyten. Die Pneumocystispneumonie (PCP) findet sich erst bei Patienten mit fortgeschrittener Immundefizienz (< 200 - 250 CD4+-Zellen/µl). Infektionen durch Cytomegalovirus (CMV), Mycobacterium avium/intrazellulare Komplex (MAC), Aspergillen und Kryptokokken manifestieren sich erst ab CD4-Zellzahlen unter 50/µl [2].
Abb. 1 26-jähriger Patient mit ambulant erworbener Legionellen-Pneumonie (Nachweis im Urin mittels Antigen-Test) und Erstdiagnose einer HIV-Infektion in einem frühen Stadium (nach CDC A2). Bei Patienten mit Pneumonie sollte immer einer HIV-Infektion bedacht werden. Die CD4-Zellzahl ist entscheidend für die Differenzialdiagnose.Antiretrovirale Therapie und Risiko für Infektionen/Neoplasien
Bei Patienten mit initial fortgeschrittenem Immundefekt (CD4+ Zellen < 200/µl) kommt es unter ART bei ca. 90 % der Patienten zu einer partiellen Immunrekonstitution mit Immunkompetenz gegenüber opportunistischen Erregern. Steigt bei Patienten unter ART die CD4-Zellzahl für einen Zeitraum von drei Monaten stabil über 200/µl an, ist das Risiko für das Auftreten opportunistischer Infektionen sehr gering [3]. Für die PCP-Infektion gilt dann, dass sowohl die primäre als auch sekundäre Chemoprophylaxe beendet werden kann. In den industrialisierten Ländern hat die Einführung der ART (und die dadurch resultierende Immunrekonstitution) zu einer 90 % Reduktion der Inzidenz opportunistischer pulmonaler Infektionen geführt [4]. Während die Inzidenz der PCP, die zu Beginn der HIV-Epidemie die häufigste pulmonale Infektion darstellte, in Deutschland zurückgegangen ist, steht die bakterielle Pneumonie inzwischen in vielen Studien an erster Stelle [4].
Durch die Immunrekonstitution unter ART sind opportunistische Infektionen bei Patienten eine Rarität.Pulmonale Komplikationen unter antiretroviraler Therapie Pulmonale Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapie Nach Einleitung der HIV-Therapie kann es zu akuten allergischen und pseudoallergischen Reaktionen kommen. Insbesondere die Hypersensitivitätsreaktion unter Therapie mit Abacavir, einem Nukleotidanalgon, kann sich mit Dyspnoe und Husten, manchmal auch ohne weitere Begleitsymptome (typisch ist ein Hautausschlag), bemerkbar machen. Eine Reexposition kann zu lebensgefährlichen Reaktionen führen. Selten ist eine Dyspnoe und Tachypnoe unter ART, verursacht durch eine Laktatazidose. Aufmerksamkeit ist geboten, da Hypersensitivität und Laktatazidose fälschlicherweise als pulmonaler Infekt fehlgedeutet werden können. Immunrekonstitution und Inflammationssyndrom (IRIS) Durch die Immunrekonstitution unter ART kann es zu paradoxen akuten inflammatorischen Reaktionen auf Infektionen kommen 5. „Unmasking” Immunrekonstitution und Inflammationssyndrom (IRIS): Patienten, die bei schlechtem Immunstatus (CD4 kleiner als 100 - 200/µl) und hoher HIV-Viruslast eine ART erhalten, entwickeln zu ca. 5 - 10 % ein Immunrekonstitutions- und Inflammationssyndrom (IRIS) auf bis dahin kryptogene Infektionen: typisch sind z. B. Lymphome, pulmonale Infiltrate und Abszesse bei Mykobakteriosen (Abb. 2 a u. b) und inflammatorische Verlaufsformen der CMV-Retinitis und Kryptokokkenmeningitis. Paradoxe Form des IRIS: Bei Patienten, die mit Mykobakteriose als HIV-Erstdiagnose eine ART erhalten, kommt es unter kombinierter HIV- und Mykobakterientherapie bei ca. 30 % zu einem IRIS. Das Syndrom ist auch für die PCP und viele andere Infektionen, aber auch Tumoren und Autoimmunopathien (z. B. Sarkoidose) beschrieben. Ein rascher Abfall der HIV-Viruslast scheint ein Prädiktor für ein IRIS zu sein 6. Bei einigen Patienten konnte ein signifikanter Anstieg der Mykobakterien-spezifischen T-Zell-Antwort gezeigt werden 7. Generelle Therapieempfehlungen gibt es bisher nicht, eine Unterbrechung der ART ist in der Regel nicht sinnvoll, insbesondere bei Mykobakteriosen hat sich die Gabe von systemischen Glukokortikoiden bewährt. Die Mortalität von Patienten mit IRIS ist nicht höher als bei Patienten ohne IRIS 8. Abb. 2 a, b 42-jähriger Patient, der bei zerebraler Toxoplasmose antiretroviral therapiert wird. Nach 8 Wochen antiretroviraler Therapie Fieber, Nachtschweiß und zunehmende Dyspnoe. Radiologisch imponieren mediastinale Lymphome, histologisch (Mediastinoskopie) verkäsende Granulome. Die mikrobiologischen Befunde inklusive TB-PCR bleiben negativ. Die Erkrankung heilt unter antimykobakterieller Therapie vollständig aus, so dass von einem Immunrekonstitutions- und Inflammationssyndrom (IRIS) bei Tuberkulose ausgegangen wird. Paradoxe inflammatorische Reaktionen (IRIS) kommen insbesondere bei Infektionen mit Mykobakterien vor.