Aktuelle Neurologie 2008; 35(3): 108-109
DOI: 10.1055/s-2008-1067365
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Aut-idem-Ankreuzen: bei Antiepileptika wichtiger denn je!

Tick Aut-Idem: More Important than ever for Antiepileptic Drugs!G.  Krämer1 , C.  Elger2 , D.  Dennig3 , B.  A.  Neubauer4
  • 1Schweizerisches Epilepsie-Zentrum, Zürich
  • 2Klinik für Epileptologie der Universität, Bonn
  • 3Schwerpunktpraxis Epilepsie, Stuttgart
  • 4Abteilung Neuropädiatrie, Sozialpädiatrie und Epileptologie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, Gießen
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Publication Date:
28 March 2008 (online)

Anlässlich der Einführung des Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetzes 2002 vertraten die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie und die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft übereinstimmend die Auffassung, dass Antiepileptika wegen verschiedener Besonderheiten von der vorgesehenen Zwangsaustauschregelung ausgenommen werden sollten [1] [2]. Bei der Bewertung verschiedener Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen durch den gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA; oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland) wurde in der Folge auch kein Antiepileptikum auf die bis Ende 2003 regelmäßig publizierten Listen „aut-idem”-tauglicher Präparate gesetzt. Deswegen erhielten Epilepsiepatienten bis Ende März 2008 in der Apotheke i. d. R. selbst bei nicht erfolgtem „aut-idem”-Ankreuzen auch das verordnete Präparat. Diese für die medikamentöse Epilepsiebehandlung beruhigende Situation hat sich jetzt aber grundlegend geändert.

Der ohne Beteiligung der Ärzteschaft und der pharmazeutischen Industrie zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband abgeschlossene und zum 1.4.2008 in Kraft getretene Rahmenvertrag [3] enthält Neuregelungen, die bei fehlendem „aut-idem”-Kreuz zwangsläufig nicht nur zur Substitution führen, sondern die Auswahl des Präparates dem Apotheker überlassen. So heißt es in dem Vertrag: „Hat der Vertragsarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung eines unter seinem Produktnamen verordneten Fertigarzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen (aut idem), hat die Apotheke unter folgenden Voraussetzungen ein der Verordnung entsprechendes Fertigarzneimittel auszuwählen …:

gleicher Wirkstoff, gleiche Wirkstärke, gleiche Packungsgröße, gleiche oder austauschbare Darreichungsform …, gleicher Indikationsbereich (im Falle der aut-idem-Ersetzung), keine einer Ersetzung des verordneten Arzneimittels entgegenstehenden betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften.

Weiter heißt es: „Treffen die Voraussetzungen nach Satz 1 bei einer Krankenkasse für mehrere rabattbegünstigte Arzneimittel zu, kann die Apotheke unter diesen frei wählen.” Im Gegensatz zur bisherigen Praxis wird nicht mehr gefordert, dass das Arzneimittel einer Gruppe wirkstoffgleicher Arzneimittel angehören muss, für die der G-BA-positive Hinweise zur Austauschbarkeit gegeben hat. Jetzt wird davon ausgegangen, dass gleiche Darreichungsformen grundsätzlich austauschbar sind und Hinweise des G-BA für einzelne Wirkstoffe nicht erforderlich sind. Dies bedeutet in der Praxis, dass der Apotheker bei einem Antiepileptikarezept ohne „aut-idem”-Kreuz überprüfen muss, welche Rabattverträge mit der jeweiligen Krankenkasse bestehen und dann gezwungen ist, das oder eines der dort genannten Präparate abzugeben. Kommt der Patient nach einigen Wochen oder Monaten wieder, geht in eine andere Apotheke oder wechselt die Krankenkasse, besteht darüber hinaus ein erhebliches Risiko, dass er erneut ein anderes Präparat erhält.

Die Zulassungsbehörden erlauben für Generika ein Schwanken der Bioverfügbarkeit in einem Bereich von 80 - 125 % der Referenzsubstanz, was für Antiepileptika im Gegensatz zu vielen anderen Pharmaka relevant sein kann. In Befragungen berichteten sowohl US-amerikanische [4] als auch deutschsprachige Neurologen und Neuropädiater [5] von häufigeren Problemen mit Anfallsrezidiven oder einer vermehrten Toxizität durch eine Substitution. Es verwundert daher nicht, dass solche Probleme nach Zwangsaustauschen von Antiepileptika bei 10 - 20 % der Patienten einer kanadischen Studie eine Rückumstellung erforderlich machten [6].

Eine unkontrollierte Substitution von Antiepileptika infolge der Rabattverträge ist nach Auffassung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie medizinisch nicht zu verantworten. Insbesondere nach Erreichen einer Anfallsfreiheit ist deren Aufrechterhaltung für die Betroffenen oft von erheblicher sozialer Bedeutung. Schon das einmalige Wiederauftreten eines epileptischen Anfalls kann erhebliche Folgen haben. Inwieweit ein Präparatewechsel bereits die Fahrtauglichkeit beeinträchtigt, ist noch nicht geklärt. Bei den in Vorbereitung befindlichen Neuregelungen zur Kraftfahrertauglichkeit bei Epilepsie wird daher die Empfehlung ausgesprochen, anfallsfreien Patienten bei einem Präparatewechsel für sechs Monate vom Führen eines Kraftfahrzeuges abzuraten. Darüber hinaus sind die mit einem wiederholten Präparatewechsel verbundenen Risiken auch für alle anderen Epilepsiepatienten abzulehnen, also nicht nur für anfalls- und nebenwirkungsfrei eingestellte, sondern auch für solche mit Neueinstellungen oder Umstellungen. Der verschreibende Arzt ist verpflichtet, die möglicherweise aus dem Austausch resultierenden Probleme anzusprechen. Sollte er dies unterlassen, können im Falle negativer Folgen Haftungsprobleme entstehen.

Die oft als wesentliches Argument für einen Präparateaaustausch genannte Kostenersparnis ist bei Antiepileptika zum Teil vernachlässigbar gering [7]. So beträgt der Unterschied zwischen dem teuersten und günstigsten Präparat bei einer bereits seit langer Zeit festbetragsgeregelten Substanz wie der Valproinsäure nur 2 % und beim Carbamazepin sind es 26 %. Bei einer Substanz wie Lamotrigin, die erst seit Anfang 2008 einem Festbetrag unterliegt, ist das Gefälle mit 59 % noch deutlich größer. Wie schon in früheren Stellungnahmen ausgeführt [8], spricht nichts gegen einen Einsatz preisgünstiger Präparate zu Beginn einer Therapie oder bei einer ohnehin erforderlichen Therapieumstellung, vorausgesetzt, die Behandlung wird dann kontinuierlich mit dem einmal gewählten Präparat weitergeführt.

Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie nimmt die Einführung von Rabattverträgen daher zum Anlass, nochmals an ihre beiden früheren Stellungnahmen [1] [8] zu erinnern und alle Ärzte dazu aufzurufen, bei Antiepileptika-Rezepten grundsätzlich „aut idem” anzukreuzen. Die Quote der im letzten Quartal 2007 „aut-idem”-angekreuzten Antiepileptikarezepte lag für Valproinsäure nur noch bei 14,2 %, für Oxcarbazepin bei 15,1 %, für Carbamazepin bei 16,2 % und für Lamotrigin bei 21,5 % [9]. Dies bedeutet in etwa eine Halbierung im Verlauf des Jahres 2007, für die in erster Linie die bereits einleitend erwähnte Tatsache verantwortlich sein dürfte, dass die Patienten bislang auch ohne „aut-idem”-Ankreuzen das verordnete Präparat erhielten. Nach Inkrafttreten der Rabattverträge zum 1. April muss dieser Prozentsatz aber wieder massiv gesteigert werden, weil ansonsten bei 80 - 85 % der Epilepsiepatienten die Präparatewahl ohne ärztliche Beteiligung getroffen wird und diese den mit dauernd wechselnden Präparaten verbundenen Risiken ausgesetzt werden.

Literatur

  • 1 Krämer G, Schneble H, Wolf P. Ad hoc-Kommission der Deutschen Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie . Risiken der neuen Aut-idem-Regelung für die Behandlung mit Antiepileptika.  Akt Neurol. 2002;  29 115-122
  • 2 Blume H, Brauer K G, Dingermann T. et al . Gute Substitutionspraxis - GSP.  Dtsch Apoth Ztg. 2002;  142 1205-1214
  • 3 Spitzenverbände der Krankenkassen und Deutscher Apothekerverband (DAV) .Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V in der Fassung vom 17. Januar 2008. 
  • 4 Wilner A N. Therapeutic equivalency of generic antiepileptic drugs: results of a survey.  Epilepsy Behav. 2004;  5 995-998
  • 5 Krämer G, Steinhoff B, Feucht M. et al . Generic preparations of antiepileptic drugs: experiences in Germany, Austria and Switzerland.  Epilepsia. 2007;  48 609-611
  • 6 Andermann F, Duh M S, Gosselin A, Paradis P E. Compulsory generic switches of antiepileptic drugs: high switchback rates to branded compounds compared with other drug classes.  Epilepsia. 2007;  48 464-469
  • 7 Informationsstelle für Arzneispezialitäten (IFA) GmbH .Große Deutsche Spezialitätentaxe (Lauertaxe). Frankfurt am Main; Stand 15.2.2008
  • 8 Krämer G, Dennig D, Schmidt D. et al, Ad hoc-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie . Generika in der Epilepsietherapie: Was ist zu beachten?.  Akt Neurol. 2005;  32 275-278
  • 9 Aut-idem-Daten 2007. Waldems-Esch; Insight Health GmbH & Co. KG 2008

Dr. med. G. Krämer

Schweizerische Epilepsie-Klinik

Bleulerstr. 60

8008 Zürich, Schweiz

Email: g.kraemer@swissepi.ch

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