Der Klinikarzt 2008; 37(5): 215
DOI: 10.1055/s-2008-1081269
Editorial

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Intensivmedizin - Organmedizin: Wer gehört zusammen?

Winfried Hardinghaus
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Publication Date:
13 June 2008 (online)

Im vorliegenden Heft führen uns die Autoren markante Fortschritte der Intensivmedizin vor Augen. Vergleichbar beeindruckend ist auch, wie sich die Praxis der Organtransplantation entwickelt hat: Im vergangenen Jahr hat nach einer Mitteilung des Niedersächsischen Ärzteblattes vom März 2008 die Zahl der Organspenden in Deutschland einen Höchststand erreicht: 1313 Menschen haben nach ihrem Tod anderen Menschen mit einer Organspende geholfen, das sind immerhin 4,3 % mehr als im Vorjahr.

Viele Patienten, die wir noch vor Jahren sicher verloren hätten, können damit heute überleben - und das meist zu einem annehmbaren Preis. Damit meine ich nicht die Behandlungskosten, sondern den möglichen Preis einer Minderung späterer Lebensqualität um des reinen Überlebens willen. Im Gegensatz zu anderen invasiven therapeutischen Verfahren sind die nach einer Transplantation zu erwartenden Einbußen im Vergleich zum hohen Gegenwert im Allgemeinen tolerabel und kalkulierbar. Das heißt aber nicht, dass wir über Probleme, insbesondere im ethischen Bereich, hinwegsehen können.

Bei der der Organtransplantation beobachte ich auch in meiner klinischen Erfahrung häufig einen Widerspruch zwischen dem theoretischen Konzept des Hirntods und der empirischen Wahrnehmung bei Ärzten, Seelsorgern und nicht zuletzt bei Pflegenden. Dabei obliegt die Begleitung des Entscheidungsprozesses sowohl auf der Spender- als auch auf der Empfängerseite dem Arzt. Sinnvollerweise bedienen wir Ärzte uns dabei fachkundiger pflegerischer und auch psychosozialer Beratung.

Auf den ersten Blick mag es so aussehen, dass den Spender die Autonomie, den Empfänger das Leiden und den Arzt das Ethos zu allem Möglichen rechtfertigt. Bei näherer Betrachtung erfassen wir zweifelsohne, mit welcher vielschichtigen Gemengelage aus medizinischen, anthropologischen und juristischen Fragen wir es zu tun haben. Schwierig bleiben auch andere Fragen wie die Begriffsauslegung einer „Spende” durch „Sterbende” oder „wann der Mensch tot ist”. Der Hirntod scheint aus ganzheitlicher Sicht nur ein (!), wenn auch zentrales Kriterium für das Ende eines Lebens.

Sind dies Gründe dafür, dass trotz der oben erwähnten optimistischen Zahlen nur rund 10 % der Bevölkerung einen Organspendeausweis besitzen, sich dagegen Umfragen zufolge 70 % durch ein Spenderorgan retten lassen würden? Hinsichtlich der Lebendspende schränkt das deutsche Transplantationsgesetz von 1997 die Erlaubnis zur Lebendspende auf Verwandte ersten und zweiten Grades, auf Ehepaare, „Verlobte und andere Personen” selbst ein - die Theologie im Übrigen auf die Nächstenliebe. Ob wir nun für die (erweiterte) Zustimmungslösung oder die Widerspruchsregelung sind: Beachtenswert ist hierbei die Initiative der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die sich fürsorglicher als früher mit den Angehörigen auseinandersetzt.

Hierbei haben wir sicher auch aus den Erfahrungen der Intensivmedizin gelernt. Die oben genannte Widerspruchslage zwischen Hirntodkonzept und empirischen Wahrnehmungen beschränkt sich nicht nur auf das therapeutische Team, sondern bezieht vornehmlich die Angehörigen mit ein. Bleibt zu hoffen, dass uns im klinischen Alltag zuvor eine wahrhaftige Aufklärung der Prognose, die Respektierung persönlicher Gefühle und die Achtung weltanschaulicher Zweifel der Betroffenen gelingt.

Intensivmedizin - Transplantation: Es geht um das Organ. Ich meine aber irgendwo um uns alle.

Prof. Dr. Winfried Hardinghaus

Osnabrück