Ernährung & Medizin 2008; 23(2): 55
DOI: 10.1055/s-2008-1081319
Editorial
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Funktionelle Lebensmittel –was ist davon zu halten?

Hans-Joachim F. Zunft
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. Juli 2008 (online)

Wie hat sich doch das Lebensmittelangebot in den letzten 50 Jahren gewandelt! Wenig mehr als ein ­halbes Jahrhundert ist es her, dass man mit Krug oder Kanne zum Händler an der Ecke loszog, um sich Milch oder Bier einfüllen zu lassen, dabei das frisch eingetütete Pfund Mehl mitzunehmen sowie manch andere Zutat, woraus man daheim die Speisen für die Familie bereitete. Und nicht immer hatte man sich mit dem Gewünschten versorgen können. Heutzutage eilen wir an übervollen Supermarktregalen vorbei und haben uns nur zu entscheiden, welcher der ­phantasiereichen Verlockungen der Lebensmittelindustrie wir ­erliegen. Setzen wir mehr auf Convenience oder läuft uns am Frischeregal das Wasser im Munde zusammen? Segeln wir auf der Biowelle oder sorgen wir uns beim Einkauf gar um unser Wohlbefinden?

„Nimm mich, ich bin gesund!” ruft es uns aus jedem Produktbereich zu, und die Verpackungen übertreffen sich in ihren Heilsversprechen für Körper und Geist. „Functional Food” heißt das Zauberwort, das uns eine verbesserte Gesundheit sogar dann verheißt, wenn die originäre Zusammensetzung eines Lebensmittels dazu wenig beiträgt. Einen gesundheitlichen Zusatznutzen wollen solche Produkte bieten. Deshalb sind sie mit Supplementen ausgestattet, und die derart veränderte Rezeptur soll neue, bislang nicht in den betreffenden Lebensmitteln vorhandene gesundheitsfördernde Wirkungen herbeiführen. Diese Auslobung, zusammen mit hoher sensorischer Qualität kann sie trotz eines erhöhten Preises gegenüber dem ­Ausgangslebensmittel für den Verbraucher attraktiv ­machen.

Aber stellen sich die angekündigten Effekte auch tatsächlich ein? Wir vernehmen Warnungen: Der Verbraucher werde durch überzogene Werbeaussagen in die Irre geführt. Es mangele an der nötigen Evidenz der behaupteten Zusammenhänge zwischen Supplement und gesundheitlicher Wirkung. Und überhaupt seien derartige Zusätze grundsätzlich unnötig, denn eine gesundheitsfördernde Ernährung gelinge auch allein mit dem konventionellen Lebensmittelangebot.

Andererseits: Mahnt nicht bei jeder Neuerung irgendeine Stimme zu Vorsicht und Ablehnung? Hörten wir auf all solche Unkenrufe, so gingen wir noch immer mit Krug und Kanne einkaufen. Fortschritt bleibt aus, wenn wir jede Innovation beargwöhnen und sie einzig als Ausdruck eines egoistischen Profitstrebens und wuchernden Lobbyismus fehldeuten.

Kritische Betrachtung ist also erforderlich, und das Functional-Food-Konzept verdient eine derartige ­Betrachtung unbedingt. Muss doch angesichts der Gesundheitssituation in den Ländern der Überflussgesellschaft jeder Weg beschritten werden, der die ausufernde Prävalenz nichtübertragbarer chronischer Erkrankungen einzudämmen verspricht. Das vorliegende Heft widmet sich solch kritischer Durchleuchtung funktioneller Lebensmittel. Vorgestellt werden Pro- und Präbiotika, ihre Natur bzw. Struktur, Wirkungsweise, Effizienz und Einsetzbarkeit. Noch sind viele Fragen offen, dennoch wird deutlich, dass sich die Suche nach besseren Antworten lohnt.

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