Keywords
Ketogene Diät - Ernährung - Kohlenhydrate - Kohlenhydratverzicht - Low-Carb
Abb. 1 © anaumenko / Adobe Stock
Stoffwechselumstellung durch Kohlenhydratverzicht — Die aktuelle klinische Forschung
hat neue Behandlungsfelder für die ketogene Diät eröffnet etwa bei Diabetes Typ 2
oder um kardiovaskuläre Risikofaktoren einzudämmen
Einführung
Die ketogene Diät, unter Laien auch in unterschiedlichen Varianten als „Anti-Krebs-Diät“,
„anabole Diät“, „Atkins-Diät“ oder „Low Carb Diät“ bekannt, ist eine extrem fettreiche
und kohlenhydratarme Ernährungsform, von der Therapieerfolge bei zahlreichen Krankheitsbildern
berichtet werden. Das Spektrum der Erkrankungen reicht von Epilepsie, Alzheimer, Multiple
Sklerose, Parkinson, Amyotrophe Lateralsklerose über Diabetes Typ 2, kardiovaskulären
Erkrankungen bis hin zu Krebs [1], [2]. Gleichzeitig wird diese spezielle Ernährungsform oft mit Skepsis betrachtet. Die
Bedenken könnten auf einem falschen Verständnis von den involvierten physiologischen
Prozessen basieren. Ketogene Diäten induzieren einen metabolischen Zustand, der erstmals
von Hans Krebs als „physiologische Ketose“ beschrieben wurde. Diese wird oft mit der
pathologischen Ketoazidose in Verbindung gebracht, wie sie z. B. bei Personen mit
gestörter Insulinsekretion auftreten kann [3].
Ketogene Diät bedeutet Kohlenhydratverzicht. Bei Epilepsie ist sie seit 100 Jahren
etabliert. Bei Diabetes Typ 2 kann sie eine echte Alternative sein, da sie schnell
zur Gewichtsreduktion führt, der Blutzucker konstant bleibt und Insulinspitzen vermieden
werden. Vielversprechende Ergebnisse haben aktuelle Forschungsarbeiten auch bei Multipler
Sklerose, Alzheimer und Krebs als begleitende Therapiemaßnahme ergeben.
Die Autoren geben einen überblick zu den möglichen Wirkmechanismen, den Indikationen
sowie zur Umsetzung in der Praxis.
Was steckt hinter der ketogenen Diät?
Was steckt hinter der ketogenen Diät?
Ketogene Diät bedeutet Kohlenhydratverzicht.
Während einer ketogenen Diät kann der Körper, genauso wie beim Fasten, seinen Energiebedarf
nicht mehr decken und beginnt eigene Kohlenhydratspeicher aus Muskel- und Leberglykogen
zu entleeren. Dies ist notwendig, da es Organe gibt, die rein auf Kohlenhydrate bzw.
deren kleinsten Baustein Glukose angewiesen sind. Eines dieser Organe ist das Gehirn.
Obwohl es nur 2 % unseres Körpergewichts ausmacht, braucht es 20 % der zugeführten
Energie. Der Stoffwechsel ist unter Kohlenhydratverzicht gezwungen sich umzustellen,
um das Gehirn weiter adäquat mit Energie zu versorgen. Es kommt zur Glukoseneubildung
(Gluconeogenese) u. a. aus körpereigenen Aminosäuren. Hält der Kohlenhydratverzicht
an, kommt es schließlich zur Bildung der Ketonkörper ß-Hydroxybutyrat, Acetoacetat
und Aceton in der Leber. Dies kann als wichtiger Überlebensmechanismus betrachtet
werden, um auch bei längeren Fastenzeiten die adäquate Energieversorgung des Gehirns
aufrechtzuerhalten. Der Glukosebedarf des Gehirns sinkt von ca. 130 g auf 40 g am
Tag und der Großteil wird nun durch Ketonkörper abgedeckt. Die ketogene Diät ist eine
Möglichkeit von Effekten des Fastens langfristig zu profitieren ohne einer Kalorienrestriktion
ausgesetzt zu sein.
Indikationen
Gewichtsreduktion und Diabetes Typ 2
Aufgrund der Entleerung von Glykogenspeichern, niedrigem Insulinspiegel und einem
schnelleren Sättigungsgefühl während der ketogenen Diät, kommt es anfangs schnell
zu einer Gewichtsreduktion. Niedrige Insulinspiegel erhöhen zudem den Fettabbau. Auch
die Gluconeogenese fordert hohe metabolische Kosten und trägt zum Abnehmen bei [4]. Während ketogene Diäten für den Autoimmuntyp Diabetes Typ 1 absolut ungeeignet
sind, sind sie für Diabetes Typ 2 eine echte Option. Der Blutzucker bleibt konstant,
Insulinspitzen werden vermieden. Erste Studien zeigen, dass eine ketogene Diät zu
einer normalisierten Nahrungsaufnahme bei übergewichtigen Diabetes-Typ-2-Patienten
führen kann. Weiterhin verbesserten sich Blutzucker, Insulinsensitivität, HbA1c sowie
Blutfette und Triglyceride [5].
Epilepsie und Störungen des zerebralen Energiestoffwechsels
Seit 100 Jahren ist die ketogene Diät in der Epilepsiebehandlung etabliert. Hier wird
sie bei pharmakoresistenten (bei Nichtansprechen von mindestens zwei Antiepileptika)
Anfallserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen als relativ nebenwirkungsarme Alternative
angewandt. In vielen Studien konnte die Anwendung der ketogenen Diät ein signifikantes
Herabsetzen der Anfallsfrequenz bewirken [6]. Die Wirksamkeit ketogener Diäten in der Prävention von Anfällen ist noch nicht
komplett verstanden. Vermutet wird eine Regulierung der Neurotransmitter durch Ketonkörper
[7] sowie eine Hemmung des mTOR-Signalwegs, der eine wichtige Rolle in der Epileptogenese
spielt [8]. In einem großen Cochrane Review konnte im Vergleich zu Kontrollen eine 30–40 %ige
Reduktion der Anfälle beschrieben werden. Die Wirksamkeit sei vergleichbar mit antiepileptischen
Medikamenten [6]. Problematisch sei jedoch die Compliance. Einer ketogenen Diät strikt zu folgen
ist anspruchsvoll und bedarf ausgereifter Planung, ernährungstherapeutischer Beratung
und Begleitung. Es gibt keine „Cheat days“ – bei Nichteinhalten der Diät drohen erneute
Anfälle.
Trotzdem stellt die ketogene Diät aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit und der vergleichsweise
geringen Nebenwirkungen eine außerordentlich bedeutsame Alternative dar. Oft kann
die Diät nach 2 Jahren ausgeschlichen werden und die Anfallsfreiheit bleibt erhalten
[10].
Auch für Störungen des Neurometabolismus, wie dem GLUT1-Defekt und dem Pyruvatdehydrogenasemangel,
ist die ketogene Diät die Therapie erster Wahl und führt zu einer raschen Anfallskontrolle
[10]. Bei diesen Störungen kann Glukose nicht transportiert (GLUT1-Defekt) oder verwertet
werden (Pyruvatdehydrogenasemangel). Ketonkörper können hier als alternative Energiequelle
den zerebralen Stoffwechsel aufrechterhalten.
Für die Wirksamkeit ketogener Diäten bezüglich Gewichtsreduktion, Diabetes Typ 2,
Epilepsie und Störungen des zerebralen Energiestoffwechsels besteht eine wissenschaftlich
fundierte Evidenz [1], [10]. Doch auch für die folgenden Krankheitsbilder wächst die Datenlage.
Es gibt keine „Cheat days” – bei Nichteinhalten der ketogenen Diät drohen erneute
epileptische Anfälle.
Neurologische Erkrankungen
Die Hinweise für potenzielle Therapiemöglichkeiten mit ketogener Diät abseits von
Epilepsie für Erkrankungen des Gehirns, die durch Neurodegeneration charakterisiert
sind, verdichten sich. Dazu gehören Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose (MS) und
Hirntumore [1]. Diese Erkrankungen scheinen eine gemeinsame metabolische Basis zu haben. Bei Alzheimer,
Parkinson und MS ist dies eine gestörte Glukoseaufnahme bzw. -verwertung (Glukose-Hypometabolismus)
[11]–[13].
Alzheimer
Aufgrund eines ausgeprägten zerebralen Glukose-Hypometabolismus und einer Insulinresistenz
wird Alzheimer gelegentlich auch als Diabetes Typ 3 bezeichnet [14]. Bei Alzheimer-Patienten ist die Glukoseaufnahme im Gehirn gestört. Die Ketonkörperaufnahme
unterscheidet sich hingegen nicht im Vergleich mit gesunden Kontrollen [12]. Obwohl eine fettreiche Ernährung mit der Entstehung von Alzheimer in Zusammenhang
steht [15], kann eine ketogene Diät, die fettreich und gleichzeitig kohlenhydratreduziert ist,
im Alzheimer-Tiermodell schädigende Eiweißablagerungen (Amyloid) reduzieren [16]. Da eine selbstständige Umsetzung der ketogenen Diät für Alzheimer-Betroffene in
fortgeschrittenen Stadien nur eingeschränkt möglich erscheint, wird der Einsatz von
oralen oder intravenösen Ketonsupplementen diskutiert. Mehrere klinische Studien zeigten
bereits kognitive Verbesserungen nach Gabe von Ketonsupplementen oder ketogenen MCT-Fetten
(mittelkettige Fettsäuren) [17], [18].
Multiple Sklerose
Lange stand der entzündliche Charakter der Multiplen Sklerose (MS) im Fokus, sodass
alle derzeit zugelassenen Standardtherapien immunmodulatorisch wirken. Die neurodegenerative
Komponente, die ebenfalls einen großen Anteil zum Krankheitsprogress beiträgt, wurde
lange Zeit vernachlässigt. Der Zustand der Mitochondrien hat einen großen Einfluss
darauf, ob ein bereits vorgeschädigtes Axon überlebt oder degeneriert. Dabei scheint
oxidativer Stress Mitochondrien besonders zu schädigen und einen zerebralen Hypometabolismus
zu begünstigen [19]. Studien am Tiermodell der MS (experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis) zeigen
unter ketogener Diät einen Abbau reaktiver Sauerstoffspezies sowie Verbesserungen
von motorischen Behinderungen und Gedächtnisleistung [20]. In einer weiteren Tierstudie konnte die Krankheitsschwere durch eine ketogene Diät
abgemildert werden [21]. In einer Pilotstudie der Berliner Charité mit MS-Patienten konnte eine Verbesserung
der Lebensqualität sowie der Blutfette erzielt werden. Zudem konnte die Machbarkeit
und Sicherheit ketogener Diäten für einen Zeitraum von 6 Monaten bei 60 Patienten
belegt werden [22]. Derzeit läuft die 18-monatige Nachfolge-Studie, die auch die Auswirkungen der Diät
auf den Krankheitsverlauf und zahlreiche MS-Symptome untersucht.
Krebs
Tumorzellen zeigen eine bis zu 200-fach erhöhte Glykolyse-Tätigkeit. Erstmals wurde
diese Auffälligkeit 1924 von Otto Warburg beschrieben und ist daher auch als Warburg-Effekt
bekannt [1], [23]. So entwickelte sich die Idee durch den Entzug von Glukose den Tumormetabolismus
zu stören. Ein 2017 veröffentlichtes Review analysierte 13 Tierstudien und leitete
daraus unter ketogener Diät eine erhöhte Überlebensrate sowie ein verzögertes Tumorwachstum
ab bei Pankreas-, Magen-, Lungen- und Prostatakrebs sowie bei Hirntumoren [24]. Mutmaßliche Wirkmechanismen sind insulinvermittelt ein vermindertes Zell- und Blutgefäßwachstum
sowie der Entzug der Hauptenergiequelle Glukose. Die Kombination mit Standardtherapien
verspricht in einer Vielzahl präklinischer Daten synergistische Effekte. So könnte
zum Beispiel ein Tumor besser auf eine Radiochemotherapie ansprechen. Klinische Studien
zeigen bisher bei geringen Fallzahlen keine eindeutigen Ergebnisse [25], [26]. Ein 2016 veröffentlichtes Review fasste zusammen, dass sich die ketogene Diät nicht
als Monotherapie eignet. Dennoch scheint es einen „messbaren Einfluss auf den Tumorzellstoffwechsel
zu geben, wie in FDG-PET-Studien und anhand von intratumoralen Lactatmessungen bei
HNO-Tumoren gezeigt werden konnte“ [27]. Eine verbesserte Lebensqualität wurde weiterhin in einigen Studien beschrieben.
Die ketogene Diät bleibt mit dem Fasten die einzige therapeutische Ernährungsform,
die am Tumormetabolismus ansetzen könnte, gleichzeitig Entzündungen hemmen und die
Angiogenese herabsetzen könnte [28].
Wie wirkt die ketogene Diät?
Wie wirkt die ketogene Diät?
Die Stoffwechselumstellung durch Kohlenhydratverzicht wirkt auf verschiedene Stoffwechselhormone
wie Insulin, Leptin und Ghrelin.
Im Zell- und Tierversuch konnten weitere potenzielle Wirkmechanismen erarbeitet werden,
von denen einige hier dargestellt werden.
Ketonkörper als Reserve-Brennstoff für das Gehirn bei Glukose-Hypometabolismus
Einige neurologische Erkrankungen wie MS und Alzheimer werden von einem Glukose-Hypometabolismus
begleitet [11], [12]. Dieser kann durch eine Verwertungsstörung, Transportstörung, Insulinresistenz oder
oxidativen Stress verursacht werden. Es scheint naheliegend, dass bei einer bestehenden
Glukoseunterversorgung, Ketonkörper zu einer effizienteren Energiebereitstellung beitragen,
indem sie über eigene Transporter in den Zitratzyklus eintreten ([
Abb. 2
]), leichter die Bluthirnschranke überwinden und so oxidativem Stress entgegenwirken
[19], [29].
Abb. 2 © Glukoseaufnahme in die Zelle über GLUT1, Glykolyse zu Pyruvat, Aufnahme von Pyruvat
in den Zitratzyklus zur Energiegewinnung. 2) Abbau von Fett zu Acetyl-CoA, Umbau in
der Leber zu Ketonkörpern, Ketonaufnahme über MCT1-Transporter und Aufnahme in den
Zitratzyklus als alternatives Substrat (nach [10]).
Ketonkörper und oxidativer Stress bei neurologischen Erkrankungen und Krebs
Der Abbau von oxidativem Stress ist ein vielversprechender Angriffspunkt für Ketonkörper.
Zelluläre Wirkmechanismen von Ketonkörpern
-
können reaktive Sauerstoffspezies reduzieren, indem sie „uncoupling Proteine“ unterstützen
[43]
-
verursachen eine kurzweilige Erhöhung von oxidativem Stress, was zu einer Aktivierung
des Nrf2-Signalwegs führt und folgend zu einer dauerhaften Reduktion von oxidativem
Stress sogar unter gemessenem Baseline-Level [44]
-
inhibieren Histon-Deacetylasen > Hochregulation der Transkription von antioxidativen
Genen [42]
-
unterdrücken proinflammatorische Zytokine, was zumindest teilweise auf die Inhibition
des NRLP3-Inflammasoms zurückzuführen ist [45]
-
verhindern die Bildung von mitochondrialen Permeabilitäts-Transitions-Poren > Prävention
vermehrter Durchlässigkeit der Mitochondrienmembran > zu starke Durchlässigkeit
könnte ein Anschwellen und daraus folgend den Zelltod fördern [41]
-
inhibieren den proinflammatorischen Transkriptionsfaktor NF-κB > antiinflammtorische
Wirkung [40]
-
setzen inhibitorische Transmitter wie GABA frei [46]
-
hemmen den mTOR-Signalweg [8]
β-Hydroxybutyrat kann die Produktion von Entzündungsstoffen reduzieren und zahlreiche
Gene hochregulieren, die am Schutz vor oxidativem Stress beteiligt sind [30]. Bei MS-Patienten kann oxidativer Stress im Vergleich zu gesunden Kontrollen erhöht
sein [31]. Folge von vermehrtem oxidativen Stress ist vermutlich eine mitochondriale Dysfunktion,
die den Glukosestoffwechsel negativ beeinflusst [19]. Dies könnte auch die zum Teil erhöhten Serumlactatspiegel von MS-Patienten erklären
[32].
Auch bei Krebspatienten konnte vermehrt oxidativer Stress gezeigt werden [33]. Zudem wird vermutet, dass oxidativer Stress eine Metastasierung fördern kann [34]. Weiterhin ist bei Tumorpatienten Lactat aufgrund des Warburg-Effekts [23] oft erhöht und könnte zusätzlich die Krebsentstehung sowie Metastasierung begünstigen
[35]. Lactat ist ein untergeordneter, deutlich weniger effizienter Weg der Energiebereitstellung
außerhalb des Mitochondriums und kann Indiz für eine gestörte mitochondriale Funktion
sein.
Weitere zelluläre Wirkmechanismen werden im Kasten rechts dargestellt.
Umsetzung der ketogenen Diät
Es haben sich verschiedene Formen der ketogenen Diät etabliert ([
Abb. 3
]). Sie definieren sich v. a. durch einen unterschiedlich hohen Fettanteil am Energiebedarf.
Abb. 3 © Formen der ketogenen Diät.
Prozentuale Anteile der Makronährstoffe am Energiebedarf für die ketogene Diät mit
einem Gewichtsverhältnis 3:1 (3 g Fett + 1 g Kohlenhydrat / Protein):
-
86 % Fette: absolute Werte richten sich nach Energiebedarf (Empfehlungen für Deutschland,
Österreich und die Schweiz / DACH – Referenzwerte) unter Berücksichtigung von Gewicht
und Aktivität [10].
-
6 % Kohlenhydrate: 20–40 g bei Erwachsenen, je nach Energiebedarf (DACH-Referenzwerte).
-
8 % Proteine: 0,8–2,5 g / kg Körpergewicht, je nach Alter und Vorbelastung (nach DGE
Empfehlung) [10].
Die Ernährungsumstellung sollte stets ärztlich überwacht und ernährungstherapeutisch
begleitet werden. Bei Kindern sollte sie stationär eingeleitet werden. Das 4:1- oder
3:1-Verhältnis ist für Kinder und Jugendliche indiziert, die Atkins-Diät für Erwachsene.
Je höher der prozentuale Fettanteil, desto höher ist meist die Ketose [10].
Abb. 4 © Enthält nur wenige Gramm Kohlenhydrate: ein Ratatouille mit Rindfleisch. © SKARVING
multimedia / Adobe Stock
-
In den ersten 4 Wochen sollten nur 20 g Kohlenhydrate täglich aufgenommen werden,
um eine stabile Ketose zu erreichen. Es kann auch mit einem Fasten begonnen werden,
dann wird die Ketose meist schneller erreicht. Jedoch steigt auch das Risiko für Nebenwirkungen.
-
Jede weitere Woche wird die Kohlenhydratzufuhr um 5 g gesteigert bis 30–40 g / Tag
(abhängig von Energiebedarf und Stabilität der Ketose) erreicht werden.
-
Der Ketosewert sollte bestimmt werden. Hier sind Messungen im Blut Messungen im Urin
vorzuziehen, um die zirkulierende Ketonkörperkonzentration zu erhalten. Gemessen werden
sollte immer morgens, nüchtern, ca. 30–60 min nach dem Aufwachen, um hohe Cortisolwerte
zu vermeiden, die den Ketosewert beeinflussen.
-
Gemessen wird das Kapillarblut aus der Fingerkuppe mit einem Standardmessgerät (Glucometer),
wie es auch zur Blutzuckermessung eingesetzt wird.
-
Die Konzentration sollte zwischen 1,5–5 mmol / l liegen und 8 mmol / l nicht überschreiten
[36].
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Grundvoraussetzung ist eine ausführliche, begleitende Ernährungsberatung. Erste Wochenpläne
mit Ernährungsvorschlägen sollten bereitgestellt werden, um Einseitigkeit, Mangel-
und Fehlernährung vorzubeugen und die Compliance zu erhöhen.
-
Vitamine und Mineralstoffe wie Kalzium sollten ergänzt werden [10].
Die Nahrungsaufnahme kann mit kostenlosen Apps dokumentiert werden, um die Einhaltung
der Diät zusätzlich zu überprüfen. Eine ketogene Diät sollte möglichst folgende Lebensmittel
beinhalten:
Fettreichen Fisch, Nüsse, Saatgut, grüne Salate, ballaststoffreiches Gemüse, Gemüsekohl,
Milchprodukte, Pflanzenöle (reich an Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren), Beerenobst
und fettreiche Früchte wie Avocado. Auf kohlenhydratreduzierte Nudeln, Reis und Eiweißbrot
kann zurückgegriffen werden.
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Es zählen die Netto-Kohlenhydrate, d. h. blutzuckerunwirksame Ballaststoffe müssen
nicht berechnet werden. Bsp.: 100 g Avocado enthalten 9 g Kohlenhydrate, davon sind
7 g Ballaststoffe. Es müssen also nur 2 g berechnet werden.
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Es sollten Lebensmittel mit einem glykämischen Index < 50 und einer glykämischen Last
< 6 verzehrt werden, um den Blutzucker niedrig zu halten. Denn steigt der Blutzucker,
wird Insulin ausgeschüttet und die Ketose unterbrochen.
-
Ungesüßte Flüssigkeiten können und sollten ad libitum konsumiert werden.
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Erfolge lassen sich frühestens nach ca. 3 Monaten stabiler Ketose beurteilen.
„Kann ich überhaupt noch etwas essen? Ja, können Sie!“
Beispiel Tagesplan ketogene Diät
Mit dem folgenden Tagesplan ist man sogar noch unter 30 g KH am Tag. 40 g sind je
nach individueller Ketosestabilität und Energiebedarf erlaubt.
Frühstück
Eiweißbrötchen mit Lachsschinken
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Eiweißbrötchen oder -brot: 3–8 g KH
-
15 g Hüttenkäse: 0,5 g KH
-
40 g Lachsschinken:
-
20 g Cornichons: 0,6 g KH
-
2–3 Salatblätter: 0,5 g KH
Joghurt mit Obst
-
100 g Joghurt natur: 4 g KH
-
50 g Erdbeeren (frisch oder tiefgekühlt): 3 g KH
-
½–1 TL Streusüße oder Süßstoff je nach Bedarf
Mittags
Blumenkohl-Hackfleisch Auflauf
-
150 g Blumenkohl: 3 g KH
-
100 g Ricotta 45 % Fett i. Tr.: 4 g KH
-
200 g Hackfleisch
-
1 TL Öl
-
100 g Hartkäse (z.B. Parmesan, Pecorino, Emmentaler)
-
Curry, Chili, Salz
Abends
Ratatouille
-
80 g Zucchini: 2 g KH
-
20 Zwiebeln: 1 g KH
-
100 g gelber Gemüsepaprika: 5 g KH
-
80 g Tomaten aus der Konserve: 2 g KH
-
200 g Champignons: 1 g KH
-
Thymian, frischer Knoblauch
-
10 g Öl (ca. 2 TL)
-
150 g mageres Rindfleisch
-
Salz, Pfeffer
Zwischenmahlzeiten
Beerenobst, Bitterschokolade (ab 85 %), Nussmischungen, Käsesnacks, Salate, Suppen,
Gemüsesnacks
KH = Kohlenhydrate
Zur Therapieüberwachung sollte folgende Diagnostik ([
Tab. 1
]) durchgeführt werden.
Tab. 1
Mindestdiagnostik nach den Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie 04/2014
(S1-Leitline 022/021: Ketogene Diäten)
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Parameter
|
vorab
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Induktion
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Verlauf
|
|
Blutzucker, BGA
|
×
|
×
|
×
|
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β-Hydroxybutyrat
|
×
|
×
|
×
|
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Elektrolyte
|
×
|
|
×
|
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großes Blutbild
|
×
|
|
×
|
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Nierenwerte
|
×
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|
×
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Leberwerte
|
×
|
|
×
|
|
Lipidstatus
|
×
|
|
×
|
|
Urinstatus
|
×
|
|
×
|
|
EKG
|
×
|
|
1-mal
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|
CRP
|
×
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|
×
|
Unerwünschte Wirkungen
Eine Hochfettdiät lässt die Alarmglocken bei Ärzten und Wissenschaftlern klingeln.
Schließlich steht der Konsum von tierischen Fetten mit zahlreichen Erkrankungen in
Verbindung. Bei gleichzeitigem Verzicht auf Kohlenhydrate und einem erhöhten Konsum
von pflanzlichen Fetten scheint es jedoch Regulationsmechanismen zu geben, die einen
Anstieg von Blutfetten und Herz-Kreislauf-Parametern zumindest kurzfristig verhindern
[37]. Studien zu Langzeitfolgen fehlen.
Auswirkungen auf kardiovaskuläre Risikofaktoren
Eine Schweizer Forschergruppe hat ihre Übersichtsarbeit den Auswirkungen ketogener
Diäten auf kardiovaskuläre Risikofaktoren gewidmet. Es wurden Effekte zwischen Tiermodell
und Mensch (nur Erwachsene) verglichen und gezeigt, dass sich im Tiermodell kardiovaskuläre
Risikofaktoren unter ketogener Diät verschlechterten. Beim Menschen hingegen konnten
sie verbessert werden. Gezeigt werden konnte dieser Gegensatz für Gesamtcholesterin,
LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin, Blutdruck sowie Kurz-und Langzeitblutzuckerspiegel
[37].
Auswirkungen auf Niere und Leber
Es besteht die Gefahr, dass durch eine eingeschränktere Nahrungsmittelauswahl der
Verzehr von tierischen Produkten erhöht wird. Hohe Level von Stickstoff durch erhöhten
Proteinstoffwechsel könnten zur Hyperfiltration führen [38]. Um Nierensteine und Gicht vorzubeugen, ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr
essenziell.
Bei Vorbelastung oder Einnahme von leberbelastenden Medikamenten müssen die Transaminasen
überwacht werden. Zumindest im Tierversuch zeigten sich Hinweise auf eine Belastung
der Leber durch eine ketogene Diät [37].
Unerwünschte Wirkungen bei Kindern
Kurzfristige Nebenwirkungen bei Kindern umfassen u. a. exzessive Ketose, Konstipation,
Fatigue, Dehydration, Reflux, Hypoglykämie und Übelkeit. Langfristige Nebenwirkungen
schließen atherogene Ereignisse ein, Vitamin-D-Mangel, verlangsamtes Wachstum, Hyperlipidämie
und Hyperurikämie [10], [39]. Diesen Nebenwirkungen kann bei engmaschiger Überwachung gut entgegengewirkt werden.
Kontraindikationen
Die ketogene Diät sollte nicht durchgeführt werden bei
-
Hyperinsulinismus,
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Pyruvatcarboxylasemangel,
-
Fettsäureoxidationsstörungen,
-
akuter Porphyrie sowie weiteren seltenen Stoffwechselstörungen, bei denen Ketone nicht
auf- und abgebaut werden.
Relative Kontraindikationen sind
-
ausgeprägter gastroösophagealer Reflux,
-
mangelnde Compliance sowie
-
sprachliche Barrieren [10].
Fazit
Seit über einem Jahrhundert wird die ketogene Ernährung in der Epilepsietherapie angewandt
und hat sich als relativ nebenwirkungsarm und tolerabel – sogar bei Kindern – gezeigt.
Auch bei Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes Typ 2 und um kardiovaskuläre Risikofaktoren
einzudämmen kann sie wirksam sein. Sie wird zunehmend als Ergänzung zu Standardtherapien
bei Krebs und neurologischen Erkrankungen diskutiert.
Stets sollte ein interdisziplinäres Team aus Ärzten und Ernährungstherapeuten eine
ketogene Ernährungsumstellung begleiten. Unter regelmäßiger Überwachung ist eine ambulante
Ernährungsumstellung möglich. Durch aktuelle klinische Forschung haben sich neue Behandlungsfelder
eröffnet, in denen die ketogene Ernährung Symptome mildern und Krankheitsverläufe
beeinflussen könnte. Für eine valide Beurteilung der Wirksamkeit und Verträglichkeit
sind weitere kontrollierte klinische Studien mit größeren Fallzahlen nötig.
Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen
bestehen.
Online zu finden unter
http://dx.doi.org/10.1055/a-0584-5311