retten! 2019; 8(01): 69-72
DOI: 10.1055/a-0586-6317
Mein Einsatz
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sturzgeburt in der 22. Schwangerschaftswoche

Nina Drexelius
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Publication Date:
11 February 2019 (online)

Nicht einmal ein halbes Kilo wiegt ein Kind in der 22. Schwangerschaftswoche – eine Handvoll Leben. So ein winziges Wesen in der Hand zu halten, kann auch erfahrene Retter ins Wanken bringen; erst recht, wenn es unter so dramatischen Umständen auf die Welt kommt wie bei diesem Einsatz. Armin Schmidt hatte 35 Jahre Erfahrung im Rettungsdienst, aber der Einsatz bei einer Sturzgeburt in der 22. Schwangerschaftswoche war auch für ihn eine neue Erfahrung. Eine, die ihn an seine Grenzen gebracht hat.

Kommentar

von Dr. med. Thomas Ahne, Facharzt für Anästhesiologie mit der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und Mitherausgeber von retten!

Das Rettungsteam erlebt hier einen maximal herausfordernden und potenziell sehr belastenden Einsatz. Spontan hat man mit zwei vital bedrohten Patienten zu tun: der blutenden Mutter und dem reanimationspflichtigen Frühgeborenen. Leicht ist da geschrieben und gesagt, dass bei dieser frühen Schwangerschaftswoche das Leben der Mutter vor dem des Kindes Vorrang hat. Glücklicherweise macht eine rasch eintreffende Unterstützung durch weitere Rettungskräfte inkl. neonatologischem Team keine Entscheidung notwendig.

Auch der Kindsvater und die anwesenden Personen befinden sich in einer absoluten Ausnahmesituation. Sie sollten eigentlich eine Krisenintervention erfahren, was aber dem Rettungsteam nicht auch noch abverlangt werden kann. Ggf. wären hier noch weitere Hilfen wie ein Team der Notfallnachsorge hinzuzuziehen. Es ist auch ein Unterstützungsbedarf bei den Mitgliedern des Rettungsteams zu erwarten, leider sind entsprechende Strukturen (z. B. Care-Team) hierzulande noch nicht flächendeckend verfügbar, was in meinen Augen bei dem ansonsten professionellen Anspruch an unser Rettungssystem eine Schande ist.

Die mentale Belastung macht diesen Einsatz speziell. Ansonsten handelt es sich nüchtern betrachtet nämlich „nur“ um eine blutende Patientin mit dem Risiko eines hämorrhagischen Schocks (klare Versorgungsstrukturen sollten hier implementiert und bekannt sein) und eine Neugeborenenversorgung (auch dafür gibt es eindeutige Algorithmen) eines Kindes mit minimalen Überlebenschancen. Glücklicherweise sind wir jedoch alle empfindsame Menschen, was uns tagtäglich ermöglicht, empathisch mit unseren Patienten und Kollegen zu arbeiten. In solch einem hoch belastenden Einsatz kann uns diese Situation mental übermannen, was menschlich und keinerlei Zeichen von Schwäche ist. Es kommt nun der langjährigen Erfahrung des Notfallsanitäters eine herausragende Bedeutung zu, da es ihm dadurch möglich ist, die Handlungsfähigkeit bis zuletzt trotz schicksalhafter Situation zu erhalten.

Im Einsatz-Debriefing sollte herausgestellt werden, dass die Abarbeitung dieses Einsatzszenarios eigentlich exzellent abgelaufen ist und das Versterben des Frühgeborenen in den schlechten Grundvoraussetzungen und nicht in etwaigen Fehlhandlungen in der Notfallversorgung begründet liegt.