Aktuelle Neurologie 2018; 45(07): 511-512
DOI: 10.1055/a-0646-0190
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fake Science, Fake Kongresse und Open-Access-Journale

Fake Science, Fake Congress and Open Access Journals
Hans Christoph Diener
,
Günter Krämer
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Publication Date:
07 September 2018 (online)

Anfang Juli diesen Jahres haben Journalisten der Süddeutschen Zeitung und des WDR auf das Problem von wissenschaftlichen Pseudojournalen und wissenschaftlichen Pseudokongressen aufmerksam gemacht. Ärzte und Wissenschaftler werden täglich mit E-Mails überflutet, in denen dubiose Zeitschriften zur Einreichung von Publikationen ermuntern oder ohne Ansehen der Person die Mitgliedschaft in einem Herausgebergremium einer wissenschaftlichen Online-Zeitschrift anbieten. Hinzu kommen noch zahlreiche E-Mails pro Tag, in denen man zu Pseudokongressen eingeladen wird.

Hinter diesen E-Mails besteht ein unseriöses, profitorientiertes Konzept, in dem Autoren aufgefordert werden, gegen Bezahlung einer Gebühr in einem „Open-Access“-Journal zu publizieren. Die meisten der unseriösen Anbieter behaupten, dass die entsprechenden eingereichten Artikel einem Peer-Review-Verfahren unterzogen werden. Paradebeispiele sind die OMICS Publishing Group in Indien und der WASET-Verlag aus der Türkei. Der OMICS-Pseudoverlag behauptet, über 700 wissenschaftliche Zeitschriften herauszugeben mit über 50.000 (!!) Wissenschaftlern in den Herausgebergremien. Auf seiner Website werden insgesamt 59 (!) Neurologische Zeitschriftentitel gelistet, von denen hier exemplarisch das „Journal of Neurology & Neurophysiology“, das „Journal of Neurological Disorders“, das „Journal of Multiple Sclerosis“, das „Journal of Headache & Pain Management“, das „Epilepsy Journal“ sowie „Stroke Research & Therapy“ genannt seien [1]. Der Wikipedia-Eintrag über dieses Unternehmen weist darauf hin, dass viele Zeitschriftentitel inaktiv sind und die Aktivitäten der Firma „weithin als räuberisch angesehen“ werden. Die US-amerikanische Federal Trade Commission (FTC) habe das Unternehmen wegen betrügerischer Praktiken verklagt. Diese habe ihrerseits einen prominenten Kritiker, den renommierten US-amerikanischen Bibliothekar Jeffrey Beall, einen bekannten Kritiker der Open-Access-Publishing-Bewegung und Schöpfer des Begriffs des „räuberischen Open-Access-Publishing“ [2], mit einer 1 Milliarde-US-Dollar-Klage wegen Verleumdung bedroht [3]. Die mangelnde Seriosität des Verlages zeigt sich schon dadurch, dass es Autoren gelungen ist, völlig sinnfreie Publikationen mit zufällig zusammengestellten Wörtern zu publizieren. Darüber hinaus werden die eingereichten Artikel nach Bezahlung der Gebühr für das Open-Access-Publishing innerhalb von 15 Minuten akzeptiert, was ein Peer-Review definitiv ausschließt. Daneben gibt es noch weitere Pseudoverlage in Indien, China, Afrika, der Golfregion, der Türkei und in Südamerika.

Die Firma OMICS veranstaltet darüber hinaus nach eigenen Angaben mehrere 100 wissenschaftliche Kongresse pro Jahr. Betrachtet man die Webpages der Kongressanbieter OMICS im Detail, findet man ganz überwiegend Redner, die bei einer Autorenrecherche in Medline entweder nicht auftauchen oder nur sehr wenige Publikationen aufzuweisen haben. Dies ist beispielsweise auch bei der für Ende August 2018 in Zürich angekündigten zweitägigen „4th International Conference on Epilepsy & Treatment“ mit einer Teilnahmegebühr von über 700 Dollar der Fall. Die beiden einzigen uns bekannten Mitglieder des 13-köpfigen Organisationskommittees (u. a. von der Mayo Clinic) haben auf Rückfrage versichert, ohne ihre Kenntnis oder gar Zustimmung genannt zu werden und natürlich auch nicht teilzunehmen. Selbstverständlich war weder die Schweizerische Epilepsie-Liga noch die Schweizerische Neurologische Gesellschaft, Schweizerische Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und andere nationale oder europäische Fachgesellschaften angefragt oder beteiligt. Die Absurdität solcher Pseudo-Tagungen, bei denen jeder Teilnehmer, der die Kongress- und gegebenenfalls noch eine zusätzliche Vortragsgebühr bezahlt hat, ohne weitere Prüfung sprechen kann, wird auch daran deutlich, dass WASET am 12./13. September 2016 in einem Berliner Hotel gleichzeitig mehr als 300 Konferenzen abhielt [4].

Was ist nun der Hintergrund des Erfolges von Pseudojournalen und solchen Pseudokongressen? Der internationale Wissenschaftsbetrieb übt einen erheblichen Publikationsdruck auf Ärzte und Wissenschaftler aus. So verlangen viele Fakultäten als Voraussetzung für die Einreichung einer Habilitationsschrift den Nachweis einer minimalen Zahl von publizierten Artikeln oder einen kritischen Wert von kumulativen Impactfaktoren. Dies bringt eine Reihe von Autoren dazu, für ihren Artikel nach Ablehnung von einer etablierten Zeitschrift mit hohem Impactfaktor eine andere und möglichst rasche Publikationsmöglichkeit zu suchen. Es wurde geschätzt, dass bereits mehr als 5000 deutsche Wissenschaftler bei solchen unseriösen Verlagen publiziert hätten, und kürzlich bekamen beispielsweise Mitarbeiter der Mainzer Universität deswegen Probleme, auch weil die erforderlichen entsprechenden Zahlungen als potenzielle Veruntreuung von öffentlichen oder Drittmittel-Geldern eingestuft werden könnten.

Ein weiteres Problem sind Studien mit negativen Ergebnissen. Hier besteht ein erheblicher, auch öffentlicher, Druck, dass alle Studien, auch wenn sie kein Ergebnis oder ein negatives Ergebnis erbracht haben, publiziert werden sollten. Demgegenüber steht die Tatsache, dass viele seriöse Zeitschriften negative Studien nicht zur Publikation annehmen. Auch hier besteht dann ein nicht unerheblicher Druck, sich eine andere Publikationsmöglichkeit zu suchen. Das Konzept der „Open-Access“-Publikation entstand aus dem Wunsch heraus, wissenschaftliche Artikel einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen, insbesondere solchen potenziellen Lesern, die sich die hohen Gebühren der wissenschaftlichen Verlage nicht leisten können oder keinen Zugang zu einer Universitätsbibliothek haben.

Wie kann man nun seriöse von nicht seriösen „Open access“-Journalen unterscheiden?

Sehr viele seriöse Verlage und Zeitschriften haben in der Zwischenzeit parallel zum traditionellen Geschäftsmodell einer Printzeitschrift mit Peer-Review eine „Open-Access“-Zeitschrift, die von derselben Verlagsgruppe oder wissenschaftlichen Gesellschaft herausgegeben wird und in der Artikel ebenfalls einem rigorosen Peer-Review-System unterzogen werden. Bei diesen Journalen können Artikel eingereicht werden. Die DGN wird ab 2019 eine eigene internationale Open-Access-Zeitschrift, die „Neurological Research and Practice“ (NRP), unter der Federführung von Prof. Hacke herausgeben.

Im Zweifelsfalle empfiehlt sich, vor Einreichung bei einer „Open-Access“-Zeitschrift die Universitätsbibliothek zu kontaktieren und klären zu lassen, ob es sich um einen seriösen Verlag handelt. Eine wichtige Aufgabe für die IT-Abteilung der Universitätskliniken in Deutschland und der Schweiz wäre, unseriöse Anbieter von Zeitschriften und Kongressen zu identifizieren und einen universellen Spamfilter für die E-Mail-Accounts der Mitarbeiter zu installieren.

H. C. Diener, Essen, und G. Krämer, Zürich

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Prof. Dr. med. Hans Christoph Diener
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Dr. med. Günter Krämer