Einleitung
Trotz der enormen Fortschritte der Frakturversorgung in den letzten Jahrzehnten heilen
5 – 10% aller Knochenbrüche nur verzögert oder inkomplett aus [1]. Frakturheilungsstörungen beeinträchtigen die Lebensqualität und die Lebenserwartung
der betroffenen Patienten und stellen ein erhebliches sozioökonomisches Problem dar.
Die Ursachen für die Entwicklung einer Frakturheilungsstörung sind vielfältig. Neben
unzureichender Frakturstabilisierung, ungünstiger Reposition der Fragmente, mangelnder
Durchblutung des Frakturgebiets oder Infektionen können weitere biologische Störgrößen,
wie Begleitverletzungen und -erkrankungen, eine große Rolle spielen ([Abb. 1]).
Pathophysiologie der gestörten Knochenbruchheilung
Die Häufigkeit von Frakturheilungsstörungen wird je nach Literatur mit 5 – 10% angegeben.
Diese Zahlen schwanken sehr stark in Abhängigkeit der untersuchten Länder, des betroffenen
Knochens und des Frakturtyps [2]. Zu den Frakturheilungsstörungen zählen eine verzögerte Frakturheilung und die Ausbildung
einer Pseudarthrose. Benötigt ein Knochenbruch länger als 3 Monate bis zur Konsolidierung,
spricht man von einer verzögerten Frakturheilung. Ist die Fraktur nach 6 Monaten noch
immer nicht vollständig geheilt, liegt eine Pseudarthrose vor. Diese Zeiträume können
je nach Frakturtyp variieren [3] und werden in verschiedenen Ländern unterschiedlich definiert.
Ablauf der Frakturheilung
Die physiologische Knochenheilung folgt einem komplexen Prozess mit kaskadenartig
ablaufenden, ineinander übergehenden Phasen, die als Entzündungs-, Regenerations-
und Remodeling-Phase bezeichnet werden. Entscheidend für eine erfolgreiche Knochenheilung
sind, neben optimalen biomechanischen Gegebenheiten im Frakturgebiet und einer ausreichenden
Durchblutung, streng regulierte und koordinierte Interaktionen zwischen den verschiedenen
beteiligten Zelltypen, Zytokinen, Wachstumsfaktoren und weiteren biologischen Botenstoffen
[1]. Die initiale Phase der Knochenheilung ist maßgeblich durch entzündliche Prozesse
im Frakturgebiet gekennzeichnet. Durch den Knochenbruch kommt es zur Zerstörung von
Gewebe, Blutgefäßen und Zellen. Dadurch bildet sich rund um die Bruchstelle ein Frakturhämatom,
das durch einen niedrigen pH-Wert, geringe Sauerstoffgehalte und eine hohe Konzentration
an inflammatorischen Mediatoren gekennzeichnet ist. Durch diese lokalen Bedingungen
werden Immunzellen zur Frakturstelle gelockt. Zunächst werden Zellen der angeborenen
Immunantwort, wie neutrophile Granulozyten, Makrophagen und natürliche Killerzellen,
rekrutiert. Später wandern auch Zellen der adaptiven Immunantwort, wie T- und B-Lymphozyten,
in das Frakturhämatom ein [1]. In tierexperimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass die Anwesenheit und
physiologische Funktion von Immunzellen in der inflammatorischen Phase signifikant
zum Heilungserfolg nach Fraktur beiträgt. So konnte in Tiermodellen eine gestörte
bzw. veränderte Frakturheilung in Abwesenheit von neutrophilen Granulozyten [4], Makrophagen [5], Mastzellen [6] und Lymphozyten [7] nachgewiesen werden. Auch eine überschießende Entzündungsantwort wirkt sich negativ
auf die Knochenheilung aus [1]. Immunzellen sind nicht nur für die inflammatorische Phase der Frakturheilung zuständig,
sie interagieren auch mit wichtigen Zellen der regenerativen Phase. So modulieren
Immunzellen unter anderem die Proliferation und Reifung von mesenchymalen Stromazellen
(MSCs), die während der regenerativen Kallusentwicklung in Knorpel- und Knochenzellen
differenzieren [8]. Die Knorpel- und Knochenbildung im Frakturkallus wird von einer Vielzahl von Zytokinen
und Wachstumsfaktoren gesteuert [9]. Parallel zur Knochenformation entstehen neue Blutgefäße im Frakturkallus. Dieser
Prozess der Neovaskularisierung wird maßgeblich durch angiogene Faktoren reguliert
[10]. In der anschließenden Remodeling-Phase wird der externe Kallus durch Osteoklasten
resorbiert und die ursprüngliche Knochenform und -architektur wiederhergestellt. Fehlen
wichtige Botenstoffe oder ist die Funktion und Kommunikation der verschiedenen Zellarten
im Frakturkallus gestört, kann es zu Heilungsstörungen kommen [11].
Biologische Störfaktoren
Häufig treten Frakturheilungskomplikationen im Patienten mit Begleitverletzungen oder
-erkrankungen auf. In diesem Artikel soll auf die Störfaktoren schweres Trauma, Diabetes,
Osteoporose, Alter, Rauchen und Alkoholabusus eingegangen werden. Diese Störfaktoren
stellen aufgrund ihrer hohen Inzidenz in der Bevölkerung ein schwerwiegendes medizinisches
Problem dar.
Störfaktor Begleitverletzung
Knochenbrüche, die mit Begleitverletzungen wie großen Weichteilschäden von Muskulatur
und Periost einhergehen, zeigen oftmals signifikante Heilungsverzögerungen [12]. Schäden an den umliegenden Strukturen und versorgenden Blutgefäßen verursachen
eine lokale Minderdurchblutung, die sich je nach Verletzungsschwere negativ auf die
Frakturheilung auswirken kann. Fehlende Sauerstoffsättigung und Nährstoffversorgung
durch mangelnde Durchblutung können eine physiologische Regeneration verhindern. Als
ein weiterer Pathomechanismus der gestörten Heilung im Patienten mit großem Weichteiltrauma
wird auch die verringerte Rekrutierung von Stammzellen aus den verletzten Geweben
diskutiert [13], [14]. Auch eine systemische Entzündungsantwort, ausgelöst durch schwere Verletzungen
oder Mehrfachverletzungen, kann die Frakturheilung negativ beeinflussen. So konnte
in Experimenten an Maus und Ratte gezeigt werden, dass ein zusätzliches Thoraxtrauma,
das eine überschießende posttraumatische Immunantwort induziert, die Knochenheilung
signifikant stört [1], [15]. Die erhöhte systemische posttraumatische Inflammation sorgt für eine verstärkte
Rekrutierung von Immunzellen ins Frakturhämatom, die sich negativ auf die Knochenregeneration
auswirken kann. Wichtige Mediatoren, die in diesem Prozess beteiligt zu sein scheinen,
sind Komplementanaphylatoxine und inflammatorische Zytokine. Das Komplementsystem
gilt als posttraumatisches Frühwarnsystem und wesentlicher Auslöser einer systemischen
Inflammationsantwort nach Trauma. Seine Funktion besteht unter anderem darin, exogene
Pathogene und endogene Alarmsignale zu erkennen und darauf unter anderem mit der Bildung
der Anaphylatoxine C3a und C5a zu reagieren. Diese Mediatoren besitzen ein ausgeprägtes
proinflammatorisches Wirkspektrum. Beispielsweise erhöhen sie die Bildung und Sekretion
eines weiteren Schlüsselmoleküls in der posttraumatischen Entzündungsreaktion, Interleukin-6.
Dieses Molekül hat ein pleiotrophes Wirkspektrum und ist neben vielen weiteren Funktionen
auch für die Rekrutierung von neutrophilen Granulozyten und T-Lymphozyten verantwortlich.
Eine Dämpfung der Immunantwort nach Fraktur und Thoraxtrauma durch Inhibierung des
Komplementrezeptors C5aR bzw. des Interleukin-6-Trans-Signalwegs zeigte positive Auswirkungen
auf die Heilung des Knochens nach schwerem Trauma [15], [16]. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise darauf, dass eine andere Art der Begleitverletzung,
das Schädel-Hirn-Trauma, die Knochenheilung beschleunigen kann [17]. Eine erhöhte Ausschüttung des neuroendokrinen Hormons Leptin, das osteoanabole
Wirkung besitzt, wird als mögliche Ursache diskutiert [18]. Somit scheint die Art und die Schwere einer Begleitverletzung bei multiplem Trauma
einen großen Einfluss auf die Knochenheilung zu haben.
Störfaktor Diabetes
Diabetes mellitus ist eine Stoffwechselerkrankung, welche den Knochenmetabolismus
stört und das Frakturrisiko erhöht [19]. Beide Arten des Diabetes mellitus (Typ 1 und Typ 2) beeinträchtigen die Frakturheilung
über die Hyperglykämie, die erhöhte Bildung von „Advanced Glycation End Products“
(AGE), die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) und eine erhöhte Entzündungsantwort
[20]. Diese Faktoren führen zu einer erhöhten Osteoklasten- und einer verringerten Osteoblastenanzahl
im intakten Knochen und im Frakturkallus. In vitro konnte gezeigt werden, dass hohe
Glukosekonzentrationen ebenso wie AGEs die Aktivität von Osteoblasten über eine Inhibierung
des osteoanabolen Wnt-Signalwegs reduzieren und die Bildung von Osteoklasten über
eine erhöhte Expression des Zytokins Receptor Activator of NF-κB Ligand (RANKL) fördern
[19]. Zusätzlich zu diesen molekularen Mechanismen ist im Patienten mit Diabetes häufig
eine gestörte Durchblutung der Extremitäten zu finden. Dies wirkt sich ebenfalls negativ
auf die Knochenheilung aus. Ein weiterer Mechanismus ist die erhöhte Expression von
inflammatorischen Mediatoren in diabetischen Patienten. So konnte unter anderem gezeigt
werden, dass in Mäusen mit Diabetes mellitus Typ 1 die Expression des Tumor Necrosis
Factor α (TNF-α) signifikant erhöht ist, was die endochondrale Frakturheilung negativ
beeinflusst [21]. Eine Inhibierung von TNF-α verbesserte die Knochenheilung in diabetischen Mäusen
und könnte eine mögliche therapeutische Intervention im diabetischen Patienten darstellen
[21].
Störfaktor Osteoporose
Die häufigste Form der Osteoporose ist die postmenopausale Osteoporose, die bei 33%
aller Frauen über 65 Jahren auftritt [22]. Sowohl im Patient als auch im Tiermodell ([Abb. 2]) konnte bei Vorliegen einer postmenopausalen Osteoporose eine verzögerte Frakturheilung
gezeigt werden [23], [24].
Abb. 2 Verzögerte Frakturheilung in der osteoporotischen Maus (induziert durch Ovariektomie).
Dargestellt sind µ-computertomografische 3-D-Rekonstruktionen von frakturierten Mausfemora
am Tag 21 nach einer Femurosteotomie und Stabilisierung mit einem Fixateur externe.
a Frakturiertes Femur einer nicht osteoporotischen Maus. b Frakturiertes Femur einer osteoporotischen Maus. Die knöcherne Überbrückung ist in
der osteoporotischen Maus sichtbar verzögert.
Allerdings wird in der Literatur kritisch diskutiert, ob osteoporotisches Knochengewebe
per se schlechter heilt oder ob die im osteoporotischen Knochen schwer zu erzielende
nötige Primärstabilität der Osteosynthese für die verzögerte Heilung sorgt. Grundsätzlich
wirkt das Hormon Östrogen knochenanabol, was über seinen positiven Einfluss auf die
Differenzierung von MSCs zu Osteoblasten und über seine negativen Effekte auf die
Reifung und Aktivität von Osteoklasten vermittelt wird [25], [26]. Analog dazu konnte in Mäusen während der Frakturheilung unter Östrogenmangel eine
erhöhte Anzahl an Osteoklasten im Kallus festgestellt werden, was zu einer verringerten
knöchernen Überbrückung des Frakturspalts führte [27]. Außerdem zeigte sich in östrogendefizienten Mäusen eine gestörte Entzündungsantwort
nach Knochenbruch mit erhöhten Konzentrationen von proinflammatorischen Zytokinen,
was ebenfalls zu einer gestörten Heilung beitragen könnte [28], [29]. Supplementation mit Östrogen, Östrogenanaloga oder selektiven Östrogen-Rezeptor-Modulatoren
verbesserte die Frakturheilung im Tiermodell signifikant, was ebenfalls für einen
negativen Effekt einer postmenopausalen Osteoporose auf die Frakturheilung spricht
[24], [30].
Störfaktor Alter
In der Klinik zeigt sich eine Korrelation zwischen dem Alter des Patienten und einer
gestörten Frakturheilung [31]. Frakturen heilen schneller in Kindern und jungen Erwachsenen als in älteren Patienten.
Dies mag einerseits an der hohen Inzidenz für postmenopausale oder senile Osteoporose
im alten Patienten liegen, andererseits nimmt die Regenerationsfähigkeit des Knochens
im Alter ab [31]. Grundsätzlich umfasst Alterung den kontinuierlichen Verlust von vielen organspezifischen
Funktionen und vermindert den Stammzellpool in den Organen, was die Regeneration des
Gewebes nach Verletzungen verzögert. Die zugrunde liegenden Veränderungen finden auf
unterschiedlichen zellulären und molekularen Ebenen statt: Die erhöhte Bildung von
reaktiven Sauerstoffspezies und inflammatorischen Mediatoren im alten Organismus kann
genetische und epigenetische Veränderungen auslösen, die wiederum die Proteinbiosynthese,
Stammzellerneuerung und Zelldifferenzierung beeinträchtigen. Den Mitochondrien kommt
eine zentrale Bedeutung in der Zell-, Organ- und Organismusalterung zu. Mitochondrien
sind hauptsächlich für die endogene Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies verantwortlich
und steuern dadurch den Alterungsprozess maßgeblich [32]. Auch im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass die Differenzierungskapazität von
MSCs mit dem Alter sinkt und erhöhte Konzentrationen an proinflammatorischen Zytokinen
und reaktiven Sauerstoffspezies die Knochenheilung stören können [31], [33]. Zusammenfassend scheinen die molekularen und zellulären Mechanismen der gestörten
Frakturheilung im alten Patienten sehr komplex zu sein. Mögliche therapeutische Interventionen
umfassen die Stimulation der Kallusreifung mittels Wachstumsfaktoren wie Bone morphogenetic
Protein 7 (BMP7), Tissue Growth Factor β (TGF-β) und Insulin-like Growth Factor 1
(IGF-1), die sich in alten Nagern als effektiv zur Verbesserung der knöchernen Konsolidierung
erwiesen haben [31].
Störfaktor Rauchen
Klinische Metaanalysen zeigen, dass Raucher ein 2-fach erhöhtes Risiko zur Ausbildung
einer Pseudarthrose nach Fraktur haben [34]. Ebenso ist die Zeit bis zur vollständigen knöchernen Überbrückung bei Rauchern
im Durchschnitt 1,5-mal so lang wie bei Nichtrauchern [34]. Kyro et al. führen dies auf eine Minderdurchblutung des verletzten Gewebes zurück
und schlussfolgern daher, dass die negativen Auswirkungen von Rauchen auf die Knochenheilung
in Patientengruppen mit per se gestörter Durchblutung, wie es z. B. in Diabetikern
der Fall ist, verstärkt zum Tragen kommen [35]. Auch im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass Rauchen die Knochenheilung verzögert.
Mäuse, die täglich Zigarettenrauch ausgesetzt waren, zeigten eine signifikante Verzögerung
der Knorpelentwicklung im Frakturkallus, was schließlich zu einer verschlechterten
knöchernen Überbrückung führte [36]. Ein möglicher molekularer Mechanismus ist die verstärkte Bildung von reaktiven
Sauerstoffspezies (ROS) und anderen Radikalen. In vitro konnte bereits gezeigt werden,
dass Zigarettenrauch über die Bildung von ROS die osteogene und chondrogene Differenzierung
von MSCs stört und die Zellproliferation hemmt [37]. Somit stellt Rauchen einen signifikanten Risikofaktor zur Ausbildung einer gestörten
Knochenregeneration dar.
Störfaktor Alkoholabusus
Sowohl chronischer Alkoholismus als auch exzessives Trinken von Alkohol kurz vor einem
Unfall führt zu einem erhöhten Risiko zur Ausbildung einer Pseudarthrose [38]. Dies hat eine hohe klinische Relevanz, da gerade bei jungen Patienten bis zu 40%
einen erhöhten Blutalkoholspiegel zum Zeitpunkt einer Fraktur aufweisen. Im Tiermodell
konnte gezeigt werden, dass Alkoholadministration zu erhöhten Konzentrationen an ROS,
inflammatorischen Zytokinen und einer verringerten Expression von osteoanabolen Wachstumsfaktoren
führt und dadurch die Knochenheilung stört [39]. Besonders der osteoanabole Wnt-Signalweg scheint durch Alkoholabusus beeinträchtigt
zu werden. So konnte im Tiermodell eine Aktivierung des Wnt-Signalwegs die negativen
Effekte des Alkohols auf die Frakturheilung aufheben [39]. Eine weitere therapeutische Option bei alkoholbedingter Frakturheilungsverzögerung
wäre die Applikation von endogenen Stammzellen. So zeigte die Injektion von MSCs im
Tiermodell einen osteoanabolen Effekt und reduzierte die Effekte des Alkohols auf
die Knochenheilung [40].
Schlussfolgerungen
Neben den klinischen Problemen einer unzureichenden Frakturstabilisierung, einer ungünstigen
Reposition der Knochenenden, mangelnder Durchblutung oder des Auftretens von Infektionen
können weitere biologische Störgrößen die Knochenbruchheilung signifikant beeinflussen.
Insbesondere sind hier Begleitverletzungen, Komorbiditäten wie Diabetes und Osteoporose,
fortgeschrittenes Alter und ungünstiger Lebensstil zu nennen. All diese Parameter
sollten in Betracht gezogen werden bei der klinischen Einschätzung des Risikos einer
verzögerten Heilung im individuellen Patienten. Auf Basis der molekularen Besonderheiten
der jeweiligen Störfaktoren könnten in Zukunft individuelle therapeutische Strategien
zur Verbesserung der Frakturheilung im Risikopatienten entwickelt werden.