CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2018; 78(10): 991-998
DOI: 10.1055/a-0704-3461
GebFra Science
Original Article/Originalarbeit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Management von Urethraläsionen und urethrovaginaler Fistelbildung nach Anlage einer spannungsfreien suburethralen Schlinge: Evaluation aus einem universitären Kontinenz- und Beckenbodenzentrum

Article in several languages: English | deutsch
Dorit Schöller
Obstetrics and Gynecology, University of Tübingen, Tübingen, Germany
,
Sara Brucker
Obstetrics and Gynecology, University of Tübingen, Tübingen, Germany
,
Christl Reisenauer
Obstetrics and Gynecology, University of Tübingen, Tübingen, Germany
› Author Affiliations
Further Information

Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Christl Reisenauer
Universitätsklinikum Tübingen
Frauenklinik
Calwerstraße 7
72076 Tübingen
Germany   

Publication History

received 17 July 2018
revised 18 August 2018

accepted 19 August 2018

Publication Date:
19 October 2018 (online)

 

Zusammenfassung

Einleitung Die Komplikation einer Banderosion in die Urethra nach Anlage einer retropubischen (TVT) oder transobturatorischen (TOT) spannungsfreien suburethralen Vaginalschlinge oder die iatrogen akzidentiell verursachte transurethrale Bandlage können eine urethrovaginale bzw. vesikovaginale Fistelbildung zur Folge haben. Zielsetzung der Untersuchung ist die Auswertung des Managements solcher seltenen Komplikationen.

Patienten und Methode Retrospektive Analyse von 14 Patientinnen, die aufgrund einer urethralen Läsion bzw. urethrovaginaler Fistelbildung im Zustand nach TVT-/TOT-Anlage zwischen Juni 2011 und Februar 2018 in der Universitäts-Frauenklinik Tübingen behandelt wurden.

Ergebnisse Als operative Therapie erfolgte in 57,1% (n = 8) der vaginale Fistelverschluss mittels Martius-Flap des Labium majus und in 21,4% (n = 3) mittels eines vaginalen Schwenkhautlappens. In 21,4% (n = 3) erfolgte ausschließlich die vaginale Nahtrekonstruktion der Urethra nach Exzision des transurethral verlaufenden Bandes bzw. der Banderosion. 50% (n = 7) der Patientinnen waren postoperativ anhaltend kontinent ohne weiteren Therapiebedarf. Bei 28,6% (n = 4) bestand eine anhaltende Belastungsharninkontinenz, bei 21,4% (n = 3) eine Mischharninkontinenz. Bei 6 der 7 persistierend inkontinenten Patientinnen erfolgte die Neuanlage einer spannungsfreien suburethralen retropubischen Schlinge (TVT) im Mittel 8,8 Monate (5 – 13 Monate) postoperativ, die bei allen Patientinnen komplikationslos verlief und eine zufriedenstellende Kontinenz erreichte. Die 3 Patientinnen mit Mischharninkontinenz und persistierender Drangkomponente erhielten ergänzend eine anticholinerge Medikation. Es traten keine Langzeitkomplikationen, insbesondere keine Fistelrezidive, im untersuchten Zeitraum auf.

Schlussfolgerung Die seltene, aber relevante Komplikationen einer urethralen Erosion, transurethralen Bandlage oder urethrovaginaler Fistelbildung im Zustand nach TVT-/TOT-Anlage kann erfolgreich vaginal operativ gemanagt werden. Eine postoperativ persistierende Harninkontinenz mit der Notwendigkeit einer zweizeitigen erneuten TVT-Anlage nach ausreichender Wundheilung muss präoperativ aufgeklärt werden.


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Einleitung

Die Anlage einer retropubischen (TVT) oder transobturatorischen (TOT) spannungsfreien suburethralen Vaginalschlinge gilt als Goldstandard zur Therapie der Belastungsharninkontinenz und findet eine breite Anwendung [1]. Komplikationen hierbei sind selten. Während iatrogene akzidentielle Blasenperforationen mit 4% beschieben werden, erscheinen intraoperative Verletzungen der Urethra mit 0,5% deutlich seltener [2]. Postoperative Banderosionen in die Blase werden mit 0,5 – 0,6% und in die Urethra mit 0,007 – 1,5% beschrieben [3], [4]. Allerdings können die Erosion des Bandes in die Urethra oder die iatrogen akzidentiell verursachte transurethrale Bandlage sowie notwendige Revisionsoperationen z. B. im Sinne einer sekundären Banddurchtrennung bei Blasenentleerungsstörung eine urethrovaginale bzw. vesikovaginale Fistelbildung zur Folge haben [5], [6]. Diese sehr seltene Komplikation bedeutet eine massive Einschränkung der Lebensqualität für die Patientin mit meist Inkontinenz und Schmerzen sowie oftmals mehrfachen Operationen, was auch für den Chirurgen eine große operative Herausforderung bedeutet.

Wir berichten über unsere Erfahrung mit 14 Patientinnen, die mit einer urethralen Erosion oder urethralen Läsion bzw. urethrovaginalen Fistel nach einer TVT-/TOT-Anlage der Universitäts-Frauenklinik Tübingen zugewiesen wurden. Zielsetzung dieser Untersuchung ist die Beschreibung der Diagnostik und des Managements solcher seltenen Komplikationen.


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Patienten und Methoden

Retrospektiv wurden die Fallakten von 14 Patientinnen, die zwischen Juni 2011 und Februar 2018 aufgrund einer urethralen Läsion bzw. urethrovaginalen oder urethrovesikovaginalen Fistelbildung nach Anlage eines TVTs (n = 10) oder TOTs (n = 4) in einem externen Krankenhaus im zertifizierten Kontinenz- und Beckenbodenzentrum der Universitäts-Frauenklinik Tübingen behandelt wurden, anhand der internen digitalen Patientenakten analysiert. Die Identifikation der Fälle erfolgte aufgrund einer internen Statistik. In der Universitäts-Frauenklinik Tübingen werden jährlich ca. 3000 Patientinnen mit Harninkontinenz therapiert.

Die detaillierten Charakteristika der Patientinnen gehen aus [Tab. 1] hervor. Bei allen Patientinnen wurden monofile Bänder eingesetzt. 13 der 14 Patientinnen wurden bereits mit der extern gesicherten Diagnose zugewiesen. Eine Patientin stellte sich aufgrund einer ausgeprägten Rezidivharninkontinenz nach TOT-Anlage vor, bei der die intraurethrale Bandlage sonografisch bzw. zystoskopisch im Rahmen der Erstvorstellung diagnostiziert wurde. Als Symptome wurden eine Rezidiv-Harninkontinenz, Schmerzen oder vaginaler Urinabgang angegeben. Bei einigen ließ sich eine Mikrohämaturie nachweisen. Die Primäroperationen der TVT-/TOT-Anlage lagen zwischen 3 Monaten und 15 Jahren zurück. In 10 der 14 Fälle (71,4%) waren extern bereits bis zu 3 Revisionsoperationen (Banddurchtrennung, [Teil-]Entfernung des Bandes, Fistelverschluss/-exzision) durchgeführt worden.

Tab. 1 Fallübersicht. Patientencharakteristika.

Fall Nr.

Alter zum Zeitpunkt der Erstvorstellung in der Frauenklinik Tübingen

Diagnose

externe Voroperationen

operatives Management

1

52

transurethraler TOT-Verlauf

TOT-Anlage 02/2014

TOT-Exzision, Urethrarekonstruktion.

Interposition eines Martius-Flaps von der rechten großen Labie 11/2016.

TVT-Anlage 12/2017.

2

50

in der Urethra liegende TVT-Schenkel

TVT-Anlage 06/2016.

Durchtrennung des durch die Urethra verlaufenden TVT-Bandes nach frustranem Versuch der Bandentfernung 11/2016.

TVT-Exzision, Urethrarekonstruktion mittels 2 spannungsfreien Nahtreihen von Einzelknopfnähten 12/2017.

TVT-Anlage 7/2018.

3

58

transurethraler TVT-Verlauf

TOT-Anlage 05/2011

TOT-Exzision, Urethrarekonstruktion mittels 2 spannungsfreien Nahtreihen von Einzelknopfnähten 09/2016.

TVT-Anlage 03/2017.

4

50

0,5 cm urethrovaginale Fistel

TVT-Anlage 03/2012.

TVT-Durchtrennung bei persistierendem Harnverhalt 04/2012.

TVT-Teilentfernung aufgrund von Schmerzen und zweimalige operative Revision bei Nachblutung 10/2012.

Urethrovaginaler Fistelverschluss mit Martius-Flap-Interposition der großen Labie rechts 03/2013.

Laparoskopische Adhäsiolyse und Ovarialzystenentfernung links, Minilaparotomie mit Entfernung beider TVT-Schenkel in toto aus dem Cavum Retzii aufgrund persistierender abdominaler Schmerzen 05/2014.

Kolposuspension nach Burch am 03/2016 ex domo nach Ablehnung der empfohlenen Re-TVT-Anlage.

5

53

4 cm urethrovesikovaginale Fistel mit Destruktion der kompletten Urethra und des Blasenhalses

TVT-Anlage 12/2016.

Entfernung des transurethral laufenden Bandes 03/2017.

Rekonstruktion der Urethra und des Blasenhalses und Martius-Flap-Interposition der großen Labie links 10/2017

6

64

vaginale, vesikale und urethrale Erosion des TVT und des vorderen Netzes

Vordere Netzimplantation 2005.

TVT-Anlage 2006.

Exzision der Implantaterosionen und Rekonstruktion der Blase und der Urethra 01/2014

7

65

doppelte 1 mm urethrovaginale Fistel

TVT-Anlage 03/2007.

Bandlockerung 04/2007. Banddurchtrennung bei Restharnbildung und Blasenentleerungsstörung 05/2016.

Partielle TVT-Durchtrennung bei Blasenentleerungsstörung mit intraoperativer Urethraläsion 05/2016.

Urethrovaginaler Fistelverschluss und Martius-Flap-Interposition der großen Labie rechts 07/2016

8

59

1,5 cm urethrovaginale Rezidivfistel

Vaginale Hysterektomie und TVT-Anlage 2000.

Versuch des Verschlusses einer urethrovaginalen Fistel nach Exzision eines periurethralen Granuloms auf dem Boden eines erodierten TVT-Bandes 05/2014.

Urethrarekonstruktion mit Vaginalhautschwenklappen 02/2015.

TVT-Anlage 03/2016.

9

58

2 mm urethrovaginale Fistel bei transurethralem TOT-Verlauf

TOT-Anlage 02/2014

TOT-Teilentfernung, urethrovaginaler Fistelverschluss und Martius-Flap-Interposition von der großen rechten Labie 07/2014

10

41

doppelte 8 mm urethrovaginale Rezidivfistel

TOT-Anlage mit Nahtdehiszenz und Sekundärenaht 09/2016.

TOT-Bandentfernung 12/2016.

Urethrovaginaler Fistelverschluss 01/2017.

Urethrovaginale Fistelexcision und Übernähung 03/2017.

Urethrovaginaler Fistelverschluss und Martius-Flap-Interposition von der großen Labie rechts 09/2017

11

60

2 mm urethrovaginale Fistel mit TVT-Erosion in die Urethra

TVT-Anlage 2007

TVT-Teilentfernung, Urethranaht mittel Einzelknopfnahttechnik 03/2013.

T-invertierter Vaginalhautlappen bei Fistelpersistenz 09/2013.

TVT-Anlage 03/2014.

12

72

2 mm vesikourethrovaginale Fistel im Bereich des Blasenhalses

Vaginaler Hysterektomie, Vaginaefixatio sacrospinalis nach Amreich-Richter, TVT-Anlage 02/2012.

TVT-Durchtrennung bei Blasenentleerungsstörung 05/2012.

Partielle Resektion des TVT bei Dranginkontinenz; Naht einer Blasenläsion 05/2012.

Urethrovesikovaginaler Fistelverschluss und Martius-Flap-Interposition von der rechten großen Labie 11/2012.

TVT-Anlage 04/2013.

13

60

2 cm urethrovaginale Fistel

TVT-Anlage 2004.

Urethrotomia externa mit Resektion des intraluminal liegenden Bandes 10/2009.

Suprapubische TVT-Explantation links 10/2010.

Urethrarekonstruktion mit Vaginalhautschwenklappen 09/2011.

14

62

2 cm urethrovaginale Fistel

TVT-Anlage 04/2017.

TVT-Explantation und Verschluss einer Blasenscheidenfistel, Querübernähung der Harnröhre und Lappenplastik der vorderen Scheidenwand 09/2017.

Urethrovaginaler Fistelverschlus und Martius-Flap-Interposition von der rechten großen Labie 02/2018.


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Ergebnisse

Wir stellen ein Kollektiv von 14 einzigartigen Fällen mit einer urethralen Banderosion/Bandpenetration nach Einlage einer suburethralen retropubischen oder transobturatorischen Schlinge zur Behandlung der Belastungsharninkontinenz dar und beschreiben das diagnostische und das therapeutische Management.

Das mittlere Alter der Patientinnen lag bei 54,8 Jahren (41 – 67 Jahre).

Die präoperative Diagnostik umfasste neben einer ausführlichen Anamnese eine gynäkologische Untersuchung, eine Introitussonografie und Nierensonografie und eine Urethrozystoskopie ([Abb. 1 a] und [b]). Während bei einigen Patientinnen die urethrovaginale Fistel eindeutig bei der gynäkologischen Untersuchung darstellbar war ([Abb. 2]), ließ sich bei anderen Patientinnen die urethrovaginale Fistelbildung erst nach Sondierung nachweisen ([Abb. 3 a]). Nach intraurethrale Einbringung von Blaulösung konnte bei 2 Patientinnen sogar eine doppelte urethrovaginale Fistel diagnostiziert werden ([Abb. 3 b]). Die [Abb. 3 c] zeigt den Urinaustritt in die Scheide durch die urethrovaginale Fistel hindurch. Als Symptome gaben alle Patientinnen eine Rezidiv-Belastungsharninkontinenz oder einen ständigen ungewollten Urinverlust an. Bei 28,6% (n = 4) bestanden zusätzlich eine Drangsymptomatik und bei 21,4% (n = 3) zusätzlich lokale Schmerzen.

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Abb. 1 Urethroskopie: a durch die Urethra verlaufendes Band, b rechsseitige urethrale Bandpenetration.
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Abb. 2 Gynäkologische Untersuchung: urethrovaginale Fistel.
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Abb. 3 Gynäkologische Untersuchung: a urethrovaginale Fistel mit liegender Sonde, b zweifache urethrovaginale Fistel nach urethraler Auffüllung mit Blaulösung, c urethrovaginale Fistel mit Urinaustritt.

Als operative Therapie erfolgte, bei unauffälligem Urinbefund, in 57,1% (n = 8) der vaginale Fistelverschluss mittels Martius-Flap-Interposition des Labium majus ([Abb. 4 a] bis [c]) und in 21,4% (n = 3) mittels vaginalem Schwenkhautlappen ([Abb. 5 a] bis [c]). Die operativen Techniken wurden wie bereits in der Literatur beschrieben durchgeführt [6], [7]. In 21,4% (n = 3) erfolgte ausschließlich die vaginale Nahtrekonstruktion der Urethra in 2 spannungsfreien Nahtreihen von Einzelknopfnähten nach Exzision des transurethral verlaufenden Bandes bzw. der Banderosion. Alle Operationen wurden durch dieselbe urogynäkologische Operateurin (CR) durchgeführt, in einem Fall in Kooperation mit dem urologischen Kollegen. Die Wahl der OP-Methode erfolgte aufgrund der Größe und der Lokalisation des Urethradefektes sowie der lokalen Gewebeverhältnisse als individuelle Fallentscheidung. Lag die Fistel in Nähe des externen Urethraostiums, führten wir die Urethrarekonstruktion mittels eines vaginalen Schwenkhautlappens durch. Aufgrund eines infizierten TVT-Bandes erfolgte in einem Fall ein geplantes zweizeitiges Vorgehen mit zunächst Teilentfernung des TVT und Fistelverschluss im Intervall. Bei allen Patientinnen erfolgten eine intraoperative Urethrozystoskopie sowie die Anlage eines suprapubischen Harnblasenkatheters (SPK) und eines transurethralen Dauerkatheters (DK). Der DK konnte nach 2 – 12 Tagen entfernt werden. Die stationäre Entlassung erfolgte unter prophylaktischer oraler Antibiose mit Nitrofurantoin retard mit liegendem SPK, welcher in allen Fällen nach 3 – 4 Wochen nach zuvor über 1 – 3 Tage durchgeführtem Blasentraining regelrecht entfernt werden konnte. Es traten keine schwerwiegenden postoperativen Komplikationen auf. In einem Fall erfolgte am 6. postoperativen Tag die ambulante Urethrozystoskopie und Blasenspülung bei Abflussstörung des SPK und bei einer weiteren Patientin die ambulante Urethrozystoskopie und Narkoseuntersuchung 4 Wochen postoperativ zum Ausschluss eines Fistelrezidivs bei ungewolltem Urinabgang. Es traten keine Wundheilungsstörungen oder Fistelrezidive auf.

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Abb. 4 Verschluss der urethrovaginalen Fistel mit Martius-Flap-Interposition vom Labium majus: a aus dem vulvären in das vaginale Wundgebiet geschwenkter Fettlappen; der Pfeil zeigt auf die Urethranaht, b der Fettlappen bedeckt die Urethranaht spannungsfrei, c Bild nach Einnaht des Fettlappens (des Martius-Flaps).
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Abb. 5 Urethrarekonstruktion und Fistelverschluss der sehr ostiumnah sitzenden urethrovaginalen Fistel (a) mit einem Scheidenhautschwenklappen (b), Urethrarekonstruktion mit eingenähtem Scheidenhautlappen, die Allis-Klemmen fassen die Scheidenhautränder, die zum Schluss über dem in die Urethra eingenähten Scheidenhautlappen adaptiert werden (c).

50% (n = 7) der Patientinnen waren postoperativ beschwerdefrei und anhaltend kontinent ohne weiteren Therapiebedarf. Bei 28,6% (n = 4) bestand eine anhaltende Belastungsharninkontinenz, bei 21,4% (n = 3) eine Mischharninkontinenz. Bei 6 der 7 persistierend inkontinenten Patientinnen erfolgte nach Ausschöpfung der konservativen Maßnahmen die Neuanlage einer spannungsfreien suburethralen retropubischen Schlinge (TVT) im Mittel 8,8 Monate (5 – 13 Monate) postoperativ, die bei allen Patientinnen komplikationslos verlief und eine zufriedenstellende Kontinenz erreichte. Bei einer Patientin ist bisher die Anwendung von Inkontinenztampons zur Therapie der Belastungsharninkontinenz ausreichend. Eine Patientin lehnt die empfohlene erneute TVT-Anlage ab. Eine extern erfolgte Kolposuspension nach Burch brachte hier keine zufriedenstellende Kontinenz. Die 3 Patientinnen mit Mischharninkontinenz und persistierender Drangkomponente erhielten ergänzend eine anticholinerge Medikation. Bei einer Patientin erfolgte aufgrund persistierender abdominaler Schmerzen nach vaginalem Verschluss der urethrovaginalen Fistel mittels Martius-Flap sekundär die laparoskopische Adhäsiolyse und Entfernung der beiden TVT-Schenkel in toto aus dem Cavum Retzii per Minilaparotomie 14 Monate postoperativ. Die Nachbeobachtungszeit lag im Mittel bei 7,5 Monaten. Es traten keine Langzeitkomplikationen, insbesondere keine Fistelrezidive, im untersuchten Zeitraum auf.


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Diskussion

Die Anlage einer retropubischen (TVT) oder transobturatorischen (TOT) spannungsfreien suburethralen Vaginalschlinge zur Therapie der Belastungsharninkontinenz findet eine sehr breite Anwendung [1]. Die Erosion eines TVT- oder TOT-Bandes in die Urethra, die akzidentiell iatrogen verursachte transurethrale Bandanlage und eine urethrovaginale bzw. urethrovesikovaginale Fistelbildung nach Anlage eines TVT oder TOT bzw. Revisionsoperationen sind hierbei seltene, aber äußerst relevante und komplexe Komplikationen [2]. Eine persistierende oder neu aufgetretene Harninkontinenz, aber auch genitale Schmerzen sind klinisch hinweisend. Zur Diagnosestellung erscheinen eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung sowie eine diagnostische Urethrozystoskopie ggf. in Narkose ausreichend (Literatur Reisenauer). In unserem Kollektiv wurden 13 der 14 (92,9%) Patientinnen bereits mit der extern gesicherten Diagnose zugewiesen. Die Primäroperationen der TVT-/TOT-Anlage lagen in unserer Untersuchung zwischen 3 Monaten und 15 Jahren zurück.

Als Risikofaktoren dieser meist multifaktoriell begründeten Befunde gelten unter anderem narbige Verhältnisse aufgrund von Voroperationen, genitale Infektionen, ein Zustand nach Radiatio, aber auch ein unerfahrener Operateur bzw. eine ungeeignete OP-Technik [2]. Eine diagnostische Urethrozystoskopie erscheint daher nicht nur bei postoperativ persistierender oder erneuter Harninkontinenz erforderlich, sondern sollte zwingend im Rahmen der primären TVT-/TOT-Anlage durchgeführt werden, um eine Verletzung der Urethra oder Blase intraoperativ auszuschließen [2]. In 10 unserer 14 Fälle (71,4%) waren extern bereits bis zu 3 Revisionsoperationen aufgrund von Blasenentleerungsstörungen, Banderosionen, Schmerzen, Nachblutung, Fistel oder akzidentieller transurethraler Bandanlage erfolgt. In einem Review aus 38 Fallserien und Case Reports zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen retropubischer und transobturatorischer Schlingenanlage hinsichtlich der Häufigkeit einer urethralen Perforation oder Erosion [2]. Aufgrund der individuell sehr variablen Befunde in Ausprägung und Lokalisation und den oftmals mehrfach voroperierten Patientinnen bestätigen unsere Daten die Notwendigkeit eines individuellen Vorgehens. Verschiedene vaginale und abdominale operative Verfahren werden in der Literatur diskutiert, wobei vaginale Verfahren priorisiert werden. Die vaginale Interposition eines Martius-Flaps als Defektdeckung hat sich hier als effiziente Methode mit geringer Morbidität erwiesen [3], [8], [9], [10], [11], [12], [13]. In unserer Untersuchung wurde bei kleineren Defekten ausschließlich die Urethrarekonstruktion mittels zweireihiger spaannungsfreier Nahtreihen von Einzelknopfnähten durchgeführt. Alle größeren oder multiplen Urethradefekte oder Rezidivfisteln wurden vaginal mittels Interposition eines Gewebelappens im Sinne eines gestielten Fettlappens des Labium majus als Martius-Flap oder als Vaginalhautschwenklappen erfolgreich verschlossen.

Eine ausführliche Aufklärung der Patientinnen über die operativen Möglichkeiten sowie eine sorgfältige Therapieplanung und die Versorgung in Zentren ist erforderlich, um Rezidive oder Langzeitkomplikationen zu vermeiden. In unserem Kollektiv bestanden postoperativ bei 28,6% (n = 4) eine anhaltende Belastungsharninkontinenz, bei 21,4% (n = 3) eine Mischharninkontinenz. Bei 6 dieser 7 persistierend inkontinenten Patientinnen erfolgte nach Ausschöpfung der konservativen Maßnahmen die Neuanlage einer spannungsfreien suburethralen retropubischen Schlinge (TVT) im Mittel 8,8 Monate (5 – 13 Monate) postoperativ, die bei allen Patientinnen komplikationslos verlief und eine zufriedenstellende Kontinenz erreichte. Eine weitere Patientin lehnt aufgrund multipler Voroperationen und traumatischer Erfahrungen im Zusammenhang mit der TVT-Anlage trotz ausgeprägter Belastungsharninkontinenz nach erfolgreichem Verschluss der urethrovesikalen Fistel die erneute TVT-Anlage ab. Unsere Daten unterstreichen die Notwendigkeit der sorgfältigen Aufklärung und interdisziplinären Betreuung komplexer Fälle. Insbesondere über die postoperativen Maßnahmen und das postoperative Verhalten, wie beispielsweise das Tragen eines suprapubischen Blasenkatheters für 3 Wochen zur besseren Heilung der Urethranaht und Sicherung des operativen Ergebnisses, aber auch über eine möglicherweise postoperativ persistierende oder erneut auftretende Harninkontinenz und deren Therapieoptionen sollten die Patientinnen aufgeklärt werden, um eine gute Zufriedenheit und Compliance zu erreichen. 50% der Patientinnen unseres Kollektivs waren bereits nach der Urethrarekonstruktion bzw. dem Fistelverschluss kontinent ohne weiteren Therapiebedarf, sodass dies ein zweizeitiges Vorgehen bestätigt.


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Schlussfolgerung

Unsere Untersuchung zeigt, dass die seltenen, aber relevanten Komplikationen einer urethralen Banderosion, akzidentiellen transurethralen Bandanlage oder urethrovaginaler Fistelbildung im Zustand nach TVT-/TOT-Anlage erfolgreich über ein individuelles vaginales operatives Vorgehen gemanagt werden können. Eine hohe operative Expertise sowie die Möglichkeit einer evtl. interdisziplinären Zusammenarbeit mit der Urologie ist für ein erfolgreiches individuelles Therapiekonzept die Voraussetzung. Eine postoperativ persistierende Harninkontinenz muss präoperativ aufgeklärt werden. Eine zweizeitige erneute TVT-Anlage ist nach ausreichender Wundheilung möglich und zu empfehlen.


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  • References/Literatur

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Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Christl Reisenauer
Universitätsklinikum Tübingen
Frauenklinik
Calwerstraße 7
72076 Tübingen
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Fig. 1 Urethroscopy: a Tape running through the urethra, b right-sided urethral tape penetration.
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Fig. 2 Gynaecological examination: urethrovaginal fistula.
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Fig. 3 Gynaecological examination: a urethrovaginal fistula with probe in place, b double urethrovaginal fistula following urethral filling with blue solution, c urethrovaginal fistula with urine leakage.
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Fig. 4 Closure of the urethrovaginal fistula with Martius flap interposition of the labium majus: a Fat flap rotated from the vulvar to the vaginal wound area; the arrow points to the urethral suture, b the fat flap covers the urethral suture tension-free, c photo after suturing of the fat flap (of the Martius flap).
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Fig. 5 Urethral reconstruction and fistula closure of the urethrovaginal fistula which is very near the ostium (a) with a vaginal tissue rotation flap (b), Urethral reconstruction with sutured vaginal tissue flap, the Allis clamps grasp the edges of the vaginal tissue which, in the end, are adapted over the vaginal tissue flaps sutured in the urethra (c).
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Abb. 1 Urethroskopie: a durch die Urethra verlaufendes Band, b rechsseitige urethrale Bandpenetration.
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Abb. 2 Gynäkologische Untersuchung: urethrovaginale Fistel.
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Abb. 3 Gynäkologische Untersuchung: a urethrovaginale Fistel mit liegender Sonde, b zweifache urethrovaginale Fistel nach urethraler Auffüllung mit Blaulösung, c urethrovaginale Fistel mit Urinaustritt.
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Abb. 4 Verschluss der urethrovaginalen Fistel mit Martius-Flap-Interposition vom Labium majus: a aus dem vulvären in das vaginale Wundgebiet geschwenkter Fettlappen; der Pfeil zeigt auf die Urethranaht, b der Fettlappen bedeckt die Urethranaht spannungsfrei, c Bild nach Einnaht des Fettlappens (des Martius-Flaps).
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Abb. 5 Urethrarekonstruktion und Fistelverschluss der sehr ostiumnah sitzenden urethrovaginalen Fistel (a) mit einem Scheidenhautschwenklappen (b), Urethrarekonstruktion mit eingenähtem Scheidenhautlappen, die Allis-Klemmen fassen die Scheidenhautränder, die zum Schluss über dem in die Urethra eingenähten Scheidenhautlappen adaptiert werden (c).