Zusammenfassung
Hintergrund Die erste Anlaufstelle eines Opfers nach körperlicher Gewalt ist zumeist die zentrale Notaufnahme eines Krankenhauses. Die Behandlung beschränkt sich dabei in der Regel auf die vordringliche chirurgische Versorgung der Verletzungsfolgen. Der Status „Gewaltopfer“ wird als solcher oft nicht erkannt. Deren Erkennung und Notfallversorgung durch den Unfallchirurgen vorausgesetzt, beinhaltet die adäquate Versorgung eines Gewaltopfers idealerweise eine forensisch aussagekräftige Dokumentation sowie eine interdisziplinäre Weiterbehandlung. Unter diesem Aspekt wurden in Deutschland an mehreren Standorten sogenannte Gewaltopferambulanzen etabliert, die mit den Angeboten der notfallmedizinischen Versorgungsinstitutionen eine interdisziplinäre Gewaltopferversorgung anbieten. Ziele dieser Studie waren: I. Erfassung und Charakterisierung von Gewaltopfern in einer unfallchirurgischen Notaufnahme. II. Dokumentation des Inanspruchnahmeverhaltens in der angebundenen rechtsmedizinischen Gewaltopferambulanz.
Material und Methoden Die Datenauswertung umfasste auf der einen Seite einen Zeitraum von 3 Jahren (2007 – 2009), dem die Implementierung der Gewaltopferambulanz am Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum voranging, auf der anderen Seite 3 weitere Jahre (2014 – 2016) nach mehrjähriger routinemäßiger Arbeit der erfolgreich etablierten Gewaltopferambulanz. Im Patientenkontakt wurde durch den erstbehandelnden Unfallchirurgen eine Wertung „Gewaltopfer“ oder „kein Gewaltopfer“ vorgenommen, die Informationen anonymisiert gesammelt und die empfohlene Weiterleitung an die rechtsmedizinische Gewaltopferambulanz dokumentiert. Diese Daten wurden der Anzahl der Patienten gegenübergestellt, die durch die Empfehlung der Unfallchirurgie in der rechtsmedizinischen Ambulanz betreut wurden. Zusätzlich wurde die Relation zu anderen Einweisern bestimmt.
Ergebnisse Die Unfallchirurgie war unter den medizinischen Zuweisern am stärksten vertreten. Im Vergleich zum Zeitraum 2007 – 2009 mit 0,9% konnte im Follow-up-Zeitraum 2014 – 2016 mit 1,6% eine höhere Patientenzahl als Gewaltopfer identifiziert werden. Die Inanspruchnahme der Gewaltopferambulanz war im Zeitraum 2007 – 2009 mit 22,2% jedoch deutlich niedriger als im Folgezeitraum 2014 – 2016 mit 17,2%.
Schlussfolgerung Als Hauptzuweiser für die rechtsmedizinische Gewaltopferambulanz obliegt insbesondere der Unfallchirurgie die Aufgabe, Gewaltopfer zu identifizieren und die Dunkelziffer an Gewaltopfern gering zu halten. Neben der Identifikation eines Gewaltopfers liegt die Verantwortung des erstbehandelnden Arztes auch in der Förderung der Inanspruchnahme nachgelagerter Hilfeangebote. Dementsprechend sind die Charakterisierung unfallchirurgischer Gewaltopfer sowie die Kenntnis über deren unterschiedliches Inanspruchnahmeverhalten für eine zukünftig bessere Gewaltopferidentifikation und Versorgung von entscheidender Bedeutung. Durch entsprechend empathisches Handeln der Erstbehandler, Information der Betroffenen und Ermutigung zur Inanspruchnahme psychosozialer Hilfen können nachgeschaltete Institutionen deutlich wirksamer tätig werden.
Schlüsselwörter häusliche Gewalt - zentrale Notaufnahme - Gewaltopferambulanz - Versorgungsangebot für Gewaltopfer - Rechtsmedizin