Der Fall
Vorgeschichte
Der 47-jährige Patient stellte sich am Morgen des 1. Tages gegen 5:30 Uhr im Krankenhaus
seines Wohnorts vor. Er hatte die vergangene Nacht aufgrund starker Schmerzen in der
rechten Leiste sowie dem rechten Bein nicht schlafen können. Die Schmerzen hatten
am Vorabend eingesetzt und rasch an Stärke zugenommen.
Anamnestisch waren keine Vorerkrankungen außer Heuschnupfen bekannt. Eine Dauermedikation
bestand nicht, Voroperationen wurden ebenfalls verneint. Der Patient gab an, er habe
am Vorabend gegen die Schmerzen einmalig Ibuprofen 400 mg eingenommen.
Am vorangegangenen (Feiertags-)Wochenende sei er mit Freunden auf Mallorca gewesen.
An Unternehmungen hätte er nur partiell teilnehmen können, da er sich schon seit längerer
Zeit etwas abgeschlagen fühle. Es wurde darüber hinaus über Phasen von Schüttelfrost
berichtet. Auf einem Rückweg ins Hotel sei es während des Urlaubs zu einem Kollaps
mit Sturz gekommen. Infektiöse Krankheitsbilder oder Fieber in den vorangegangenen
Wochen wurden verneint, Verletzungen habe es nicht gegeben. Fremdanamnestisch wurde
im Verlauf von der Ehefrau eine geringfügige Verletzung am rechten Fuß im Rahmen von
Gartenarbeit angegeben. Diese lag aber etwa 4 Wochen zurück.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland am Vortag der Krankenhausaufnahme habe die Abgeschlagenheit
weiter zugenommen. Es hätten zunehmende Schmerzen im rechten Bein und der rechten
Leiste bestanden, die ihn vom Schlaf abgehalten hätten. Um seine Ehefrau nicht zu
wecken, sei er in der Nacht in das Gästezimmer umgezogen. Bei weiterer Progredienz
der Symptomatik habe er sich morgens zur Abklärung auf den Weg in die Klinik begeben.
Beginn der Versorgung
An jenem 1. Tag um 18:07 Uhr wird der zu unserer Klinik gehörende Rettungshubschrauber
([Abb. 1]) in ein nahe gelegenes regionales Krankenhaus alarmiert. Er soll dort einen Patienten
nach Reanimation übernehmen und in das zu unserer Klinik gehörende Herzkatheterlabor
fliegen.
Abb. 1 DRF Rettungshubschrauber Christoph Weser, Bremen.
Gegen 18:30 Uhr trifft das Rettungsteam auf der Intensivstation des abgebenden Krankenhauses
ein und findet einen intubierten, beatmeten und hoch katecholaminpflichtigen 47-jährigen
männlichen Patienten vor. Ein zentraler Venenkatheter ist gelegt worden, mehrfach
sind arterielle Punktionsversuche unternommen worden, es kleben noch diverse sterile
Tücher auf dem Patienten. Insgesamt wird der Eindruck des Patientenzimmers dominiert
von der dort abgelaufenen Reanimation, sodass zu diesem Zeitpunkt die klinische Relevanz
des umfangvermehrten rechten Oberschenkels untergeht. Ebenso lässt sich keine lokale
Marmorierung am rechten Bein abgrenzen, da der Patient im Rahmen der hämodynamischen
Zentralisation zwischenzeitlich an allen Extremitäten kutane Minderperfusionen aufweist.
In den Übergabegesprächen wird eine Auffälligkeit des rechten Oberschenkels erwähnt
und diese als Grund der Vorstellung im Krankenhaus benannt. Ebenfalls wird über eine
Reise mit einem längeren Flug berichtet, sodass differenzialdiagnostisch neben der
rhythmogenen Genese für den Kreislaufstillstand eine Thrombose mit Lungenarterienembolie
diskutiert wird. Allerdings lässt sich in der noch vor dem Transport durchgeführten
transthorakalen Echokardiografie keine Rechtsherzbelastung erkennen. Ebenso sind die
etCO2-Werte der Beatmung nicht auffällig. Valide Laborwerte gibt es bis auf einige unter
Reanimation durchgeführte Blutgasanalysen nicht.
Es erfolgt eine Notfallversorgung und primär erfolgreiche Kreislaufstabilisierung
des Patienten für den folgenden luftgebundenen Transport unter hochdosierter Katecholamin-
und Volumentherapie. Dann startet der Hubschrauber mit dem Patienten um 19:00 Uhr
und trifft um 19:25 Uhr im Herzkatheterlabor unserer Klinik ein.
Aufnahmebefund
Bei immer noch hochgradigem Verdacht auf eine kardiale Genese des Kammerflimmerns
wird bei dem Patienten umgehend eine Herzkatheteruntersuchung und folgend auch eine
weitere Echokardiografie durchgeführt. Sehr schnell ist klar, dass kein pathologischer
Befund vorliegt, die linke wie rechte Koronararterie stellen sich unauffällig dar,
es liegen keine Klappenvitien vor. Die linksventrikuläre Pumpfunktion entspricht dem
erwarteten Befund unter hochdosierten Katecholaminen und wird vom Kardiologen als
nicht pathologisch eingeschätzt.
Dem regelhaften diagnostischen Ablauf folgend wird der Patient unmittelbar einer CT-Diagnostik
zugeführt und das Augenmerk auf den als auffällig beschriebenen rechten Oberschenkel
gelenkt. Ebenfalls werden eine zerebrale Ursache für den Kreislaufstillstand (z. B.
intrazerebrale/Subarachnoidalblutung) und der schon früh geäußerte Verdacht der Lungenarterienembolie
untersucht. Aufgrund der hoch instabilen Kreislaufsituation erfolgt unmittelbar nach
der CT-Diagnostik die Verlegung auf die Intensivstation – noch bevor die CT-Aufnahmen
durch den Radiologen abschließend beurteilt und bewertet worden sind.
Verlauf
Tag 1 – Fasziotomie des rechten Oberschenkels
Nach der Diagnostik wird der Patient gegen 21:30 Uhr auf die Intensivstation aufgenommen.
Die Katecholamindosierungen liegen zu diesem Zeitpunkt bei Noradrenalin 0,9 µg/kgKG/min
und Adrenalin 0,8 µg/kgKG/min, dieses Therapieregime entspricht dem hausinternen Standard.
Darunter sind die Blutdruckwerte mäßig stabil, der mittlere arterielle Druck liegt
im Bereich von 60 mmHg.
Der radiologische Befund wird kurz darauf telefonisch mitgeteilt. Dort wird eine Imbibierung
– also sinngemäß flüssigkeitsdurchtränktes Gewebe – beschrieben, vorwiegend in der
Bauchdecke sowie dem rechten Oberschenkel mit vereinzelten Lufteinschlüssen. Der Verdacht
einer Lungenarterienembolie bestätigt sich nicht, es zeigen sich keine Auffälligkeiten
im CCT.
Bei hochgradigem Verdacht auf ein Kompartment-Syndrom des rechten Oberschenkels unter
Beteiligung der Bauchdecke unklarer Genese erfolgt um 22:25 Uhr der erste operative
Eingriff: eine Fasziotomie des rechten Oberschenkels, direkt auf der Intensivstation.
Im operativen Bericht werden diffuse Einblutungen im Muskel, anhaltende seröse Sekretionen,
aber eine grundsätzlich gut durchblutete vitale Muskulatur beschrieben. Umfangreiche
mikrobiologische Abstriche werden gewonnen. Bei Aspiration während des Herz-Kreislauf-Stillstandes
ist bereits im Herzkatheterlabor eine Antibiose mit Unacid (3 × 3 g/d) begonnen worden.
Diese wird nun unter dem Verdacht auf ein hochgradig septiformes Bild auf Piperacillin/Tazobactam
(4 × 4,5 g/d) und Clindamycin (3 × 600 mg/d) eskaliert.
In den folgenden 5 Stunden muss bei steigenden Katecholamindosierungen neben der Volumensubstitution
Empressin bis zur Dosis von 0,04 µg/kgKG/min zur hämodynamischen Stabilisierung supplementiert
werden. Parallel wird ein Stabilisierungsversuch mit 200 mg Hydrocortison unternommen.
Der völlig derangierte Säure-Basen-Status ist in der Übersicht der Blutgasanalysen
zu erkennen ([Tab. 1]). Unter kumulativ 600 ml Natriumbikarbonat 8,4% und 40 ml Tris-Puffer gelingt es,
die Progredienz des Zustandes der metabolischen Azidose im Zusammenspiel mit einer
Hyperventilation zu verlangsamen. So kann der Gesamtzustand stabilisiert werden.
Tab. 1 Verlauf der Blutgasanalysen und Elektrolyte.
|
|
Tag 1
|
Tag 2
|
Tag 3
|
|
|
17:02
|
17:29
|
19:53
|
21:30
|
22:30
|
23:50
|
02:35
|
13:41
|
14:25
|
18:06
|
22:12
|
01:05
|
03:00
|
05:06
|
08:45
|
10:43
|
|
Hb: Hämoglobin, BE: Base Excess, Na: Natrium, K: Kalium, Ca: Kalzium
|
|
arteriell/venös
|
|
V
|
A
|
A
|
A
|
V
|
A
|
A
|
A
|
A
|
A
|
A
|
A
|
A
|
A
|
A
|
A
|
|
pH
|
|
7,2
|
7,18
|
7,2
|
7,14
|
7
|
7
|
7,03
|
7,22
|
7,25
|
7,31
|
7,34
|
7,25
|
7,22
|
7,14
|
7,11
|
7,09
|
|
pCO2
|
mmHg
|
41
|
104
|
71
|
47
|
50
|
50
|
48
|
40
|
35
|
36
|
39
|
38
|
40
|
39
|
36
|
27
|
|
pO2
|
mmHg
|
27
|
456
|
84
|
82
|
58
|
111
|
87
|
160
|
192
|
121
|
93
|
93
|
100
|
93
|
118
|
179
|
|
Hb
|
g/dl
|
13,9
|
7,3
|
8,1
|
7,8
|
7,6
|
7
|
9,7
|
10,6
|
9
|
8
|
8,3
|
10,4
|
9,9
|
9,8
|
9
|
6,5
|
|
sO2
|
%
|
35
|
100
|
93
|
92
|
72
|
96
|
93
|
99
|
99
|
99
|
96
|
95
|
96
|
94
|
97
|
99
|
|
HCO3
|
mmol/l
|
12,4
|
31,3
|
28
|
16,2
|
11
|
11
|
11,3
|
16,3
|
14,9
|
18,1
|
15,8
|
16,8
|
16,3
|
13,2
|
11,5
|
8,3
|
|
BE
|
mmol/l
|
− 13,8
|
8,1
|
− 1
|
− 12,1
|
− 18
|
− 19
|
− 18,2
|
− 10,3
|
− 11,7
|
− 7,5
|
− 11,7
|
− 9,6
|
− 10,7
|
− 14,6
|
− 16,7
|
− 19,7
|
|
Na
|
mmol/l
|
125
|
145
|
148
|
139
|
139
|
144
|
145
|
143
|
145
|
146
|
142
|
142
|
141
|
138
|
139
|
134
|
|
K
|
mmol/l
|
3,7
|
5
|
3,2
|
2,9
|
4,6
|
4,2
|
4,8
|
7
|
4,5
|
5,9
|
6,5
|
6,7
|
6,6
|
7,3
|
7,5
|
8,5
|
|
Ca
|
mmol/l
|
0,99
|
0,85
|
0,95
|
0,99
|
1,05
|
0,95
|
1,06
|
0,92
|
0,78
|
0,82
|
0,75
|
0,87
|
0,89
|
0,92
|
0,97
|
0,99
|
|
Glukose
|
mg/dl
|
140
|
126
|
42
|
89
|
55
|
89
|
52
|
80
|
80
|
115
|
167
|
161
|
170
|
171
|
160
|
158
|
|
Laktat
|
mmol/l
|
7,1
|
> 15
|
22
|
26
|
28
|
31
|
n. m.
|
n. m.
|
31
|
29
|
24
|
23
|
23
|
22
|
22
|
25
|
Während dieses Zeitraums wird der Verdacht einer nekrotisierenden Fasziitis gestellt.
Durch die erforderliche massive Volumensubstitution und die Verbrauchskoagulopathie
des septischen Krankheitsbildes wird in dieser Phase der Einsatz von Blut- und Gerinnungsprodukten
notwendig.
Tag 2 – ausgedehnte Nekroseentfernung
Um 3:50 Uhr wird nach erneuter Konsultation der chirurgischen Abteilung die Indikation
zur großzügigen Sanierung der betroffenen Körperpartien gestellt und der Patient einer
10-stündigen Operation unterzogen. [Abb. 2] und [Abb. 3] zeigen das rechte Bein präoperativ vor ausgedehnter Nekroseentfernung (das Epigard
des ersten Eingriffs ist noch zu sehen). [Abb. 4] zeigt den Patienten einige Stunden postoperativ mit aufgeklebten VAC-Verbänden.
Eine reine Amputation des betroffenen rechten Beines kommt zu diesem Zeitpunkt nicht
infrage. Denn der Gewebsuntergang hat sich bereits auf das Becken, die Hüfte und die
rechte Flanke ausgedehnt. Deshalb wird zu Beginn der OP der Entschluss gefasst, das
betroffene Gewebe ausgedehnt zu sanieren und mit VAC-Verbänden zu versorgen. Allerdings
werden im Laufe des operativen Eingriffs immer neue befallene Körperpartien entdeckt.
Schon vorhandene VAC-Verbände müssen wieder entfernt und das Gewebe muss erneut debridiert
werden.
Abb. 2 Präoperativ mit Zustand nach Fasziotomie des rechten Oberschenkels.
Auf den postoperativen Aufnahmen ([Abb. 4]) ist einige Stunden nach der Operation gut zu erkennen: An den Rändern der Débridements
bilden sich erneut Nekrosen aus (bläulich-livide Verfärbungen) als Zeichen des weiteren
Fortschreitens des Gewebezerfalls.
Abb. 3 Rechtes Bein vor der 10-stündigen Nekroseentfernung.
Im OP-Bericht vermerkt das Chirurgenteam: „Im Bereich des gesamten rechten Beines,
des Beckens und des distalen Rumpfes rechts zeigt sich ein unscharf begrenztes Erythem
mit ausgedehntem Weichteilödem […] extensive Nekrosen der Faszie […]. Die befallene
Faszie wird radikal entfernt […] Schnitterweiterung […] bis in den Bereich der rechten
Axilla […]. Es zeigt sich, dass der Faszienbefall die gesamte rechte Rumpfwand bis
in die Achselhöhle einnimmt. […] Schnitterweiterung von der rechten Flanke nach distal
[…] bis zum rechten Außenknöchel. […] Die Ausbreitung der nekrotisierenden Fasziitis
scheint im Verlauf der OP weiter foudroyant fortzuschreiten.“
Abb. 4 Postoperativer Situs mit VAC-Verbänden. a Rechter Oberschenkel, rechte Leiste. b Gesamtes rechtes Bein. c Rechte Flanke, Becken, Hüfte.
Die Antibiose wird um 5 Mio. Einheiten Penicillin (einmalig im OP) und Linezolid (3 × 600 mg/d)
eskaliert. Gegen 13:30 Uhr am 2. Tag wird der Patient erneut auf die Intensivstation
übernommen. Der Großteil der Muskulatur am rechten Bein und am rechten Rumpf ist entfernt
worden. Über mehrere VAC-Pumpen wird das Wundsekret entfernt, der Patient verliert
etwa 1500 ml Volumen in Form von Blut und Gewebsflüssigkeiten pro Stunde. Dies hat
weitreichende Auswirkungen auf den Flüssigkeitshaushalt und die bereits vollständig
entgleiste Gerinnung. Die Substitutionen von Volumen- und Gerinnungsprodukten werden
fortgesetzt. Insgesamt werden während des 38-stündigen Aufenthalts auf unserer Intensivstation
42 Erythrozytenkonzentrate, 38 Frischplasmen, 4 Thrombozytenkonzentrate und 5000 Einheiten
PPSB transfundiert.
Abb. 5 Vitaldaten nach dem Débridement.
Die Katecholamine liegen postoperativ bei Empressin 0,04 µg/kgKG/min, Noradrenalin
0,5 µg/kgKG/min und Adrenalin 0,4 µg/kgKG/min. Hämodynamisch lässt sich der Zustand
des Patienten damit nur mäßig beherrschen. Das hämodynamische Monitoring (Vigileo,
Edwards Lifesciences™) zeigt unter dieser medikamentösen Therapie völlig unzureichende Widerstände als
Zeichen der septischen Vasoplegie und eine hyperdyname Hämodynamik im Rahmen des septischen
Schocks ([Abb. 5] und [6]).
Abb. 6 Hämodynamik (Vigileo) nach dem Débridement.
Wegen einer mittlerweile manifesten Hypothermie wird der Patient mit konvektiven Luftsystemen
von oben und unten gewärmt. Eine CVVHDF (kontinuierliche venovenöse Hämodiafiltration)
läuft mit maximaler Filtrationsleistung, um das durch die Rhabdomyolyse anfallende
Kalium und die dadurch entstandene Hyperkaliämie zu eliminieren und die mittlerweile
sistierende Nierenfunktion zu übernehmen ([Tab. 1] und [2]).
Tab. 2 Verlauf der Laborwerte.
|
|
|
Tag 1
|
Tag 2
|
Tag 3
|
|
|
Normbereich
|
21:05
|
23:58
|
07:23
|
10:45
|
14:00
|
18:20
|
00:29
|
07:13
|
|
INR: International normalized Ratio, pTT: partielle Thromboplastinzeit, GOT: Glutamat-Oxalacetat-Transaminase,
GPT: Glutamat-Pyruvat-Transaminase, GLDH: Glutamatdehydrogenase, γ-GT: γ-Glutamyltransferase,
CHE: Cholinesterase, LDH: Laktatdehydrogenase, CK: Creatinkinase, CK-MB: Creatinkinase
vom Myokardtyp, CRP: C-reaktives Protein, PCT: Procalcitonin
|
|
Quick
|
%
|
70 – 130
|
13−
|
53−
|
60−
|
54−
|
57−
|
48−
|
29−
|
10−
|
|
INR
|
|
2,0 – 4,0
|
5,98+
|
1,57−
|
1,42−
|
1,54−
|
1,48−
|
1,69−
|
2,72
|
8,19+
|
|
pTT
|
s
|
23 – 40
|
> 200+
|
95+
|
51+
|
46+
|
42+
|
45+
|
45+
|
60+
|
|
Fibrinogen
|
g/l
|
2,0 – 4,0
|
2,44
|
2,26
|
1,96−
|
2,16
|
1,93−
|
2,48
|
|
|
|
Antithrombin
|
%
|
80 – 130
|
26−
|
90
|
69−
|
|
55−
|
68−
|
|
|
|
D-Dimer
|
µg/l
|
< 500
|
9 280+
|
|
|
|
|
99
|
|
|
|
Leukozyten
|
/nl
|
4,0 – 10,0
|
5,6
|
4,2
|
3,0−
|
1,8−
|
2,8−
|
|
4,0
|
6,4
|
|
Erythrozyten
|
/pl
|
4,6 – 6,2
|
2,29−
|
2,09−
|
3,15−
|
2,84
|
3,16−
|
|
2,98−
|
3,46−
|
|
Hämoglobin
|
g/dl
|
14,0 – 18,0
|
7,3−
|
6,6−
|
9,0−
|
8,3−
|
9,6−
|
|
8,5−
|
10,0−
|
|
Hämatokrit
|
%
|
42,0 – 52,0
|
21,6−
|
19,7−
|
26,7−
|
24,5−
|
27,8−
|
|
24,7−
|
29,0−
|
|
Thrombozyten
|
/nl
|
150 – 440
|
157
|
100−
|
95−
|
31−
|
75−
|
|
96−
|
89−
|
|
Kreatinin
|
mg/dl
|
0,67 – 1,17
|
4,07+
|
3,92+
|
3,28+
|
3,10+
|
3,08+
|
|
|
1,95+
|
|
Harnstoff
|
mg/dl
|
19 – 44
|
79,9+
|
75,6+
|
74,7+
|
|
70,8+
|
|
|
45,3+
|
|
Bilirubin
|
mg/dl
|
0,1 – 1,2
|
|
0,77
|
|
|
|
|
|
|
|
GOT
|
U/l
|
< 35
|
|
1 708+
|
|
|
|
|
|
13 842+
|
|
GPT
|
U/l
|
< 45
|
437+
|
805+
|
1 878+
|
|
1 604+
|
|
|
3 984+
|
|
GLDH
|
U/l
|
< 6,4
|
|
230,4+
|
|
|
|
|
|
|
|
γ-GT
|
U/l
|
< 55
|
|
24
|
|
|
|
|
|
48
|
|
CHE
|
U/l
|
4 620 – 11 500
|
|
3 379−
|
|
|
|
|
|
5 602
|
|
LDH
|
U/l
|
< 248
|
|
1 915+
|
|
|
|
|
|
8 640+
|
|
CK
|
U/l
|
< 171
|
11 513+
|
18 239+
|
35 749+
|
32 555+
|
30 148+
|
|
51 493+
|
82 290+
|
|
Lipase
|
U/l
|
13 – 60
|
|
15
|
|
|
|
|
|
297+
|
|
CK-MB
|
µg/l
|
< 4,87
|
99,89+
|
185,7+
|
> 300+
|
|
259,3+
|
|
360,2+
|
259,3+
|
|
CRP
|
mg/l
|
< 5,0
|
102,3+
|
65,6+
|
21,9+
|
|
22,0+
|
|
|
53,6+
|
|
PCT
|
µg/l
|
|
|
21,85+
|
|
|
|
|
|
|
In der interdisziplinären Visite, an der auch die Kollegen der Herzchirurgie teilnehmen,
wird der Einsatz einer va-ECMO (venoarterielle extrakorporale Membranoxygenierung)
diskutiert, um dem sich anbahnenden Herz-Kreislauf-Versagen entgegenzuwirken. Schlussendlich
finden sich bei dem Patienten zu diesem Zeitpunkt keine sicheren Punktionsorte für
die Platzierung der erforderlichen Kanülen mehr. Die Option muss vor diesem Hintergrund
verworfen werden. Ebenso wird kontrovers die Gesamtprognose auch unter einer möglichen
ECLS-Therapie (extrakorporales Life Support System) diskutiert.
Tag 3 – weiteres Fortschreiten der Nekrosen
Um 5:00 Uhr fallen livide Verfärbung des rechten Oberarms und des Halses mit Emphysem
und Lufteinschlüssen auf. Eine erneute CT-Diagnostik bestätigt den Verdacht des fortschreitenden
Gewebezerfalls. Allerdings entfällt die Möglichkeit einer erneuten chirurgischen Sanierung
seitens der Chirurgen bei nun vorliegender Beteiligung von Hals und Kopf. Während
dieser CT-Untersuchung kommt es erstmalig im Verlauf zu Bradykardien und einer zeitweisen
konsekutiven Asystolie. Nach kurzer Reanimationsdauer lässt sich ein erneuter Kreislauf
etablieren.
Zurück auf der Intensivstation kann der steigende Kaliumspiegel weder durch den Einsatz
der Nierenersatztherapie (CVVHDF) noch die parallele Gabe von Insulin und Kalzium
unterbunden werden. Die Kaliumwerte übersteigen zu diesem Zeitpunkt 8 mmol/l ([Tab. 1]).
Zusammenfassung
Chronologischer Verlauf
Circa 3 Wochen vor Krankheitsbeginn:
Circa 11 Tage vor Krankheitsbeginn:
Tag 1:
-
5:30 Uhr: Vorstellung in der Notaufnahme mit unspezifischem Krankheitsgefühl
-
17:00 Uhr: innerklinische Reanimation während der Diagnostik
-
18:30 Uhr: erster Kontakt des Hubschrauber-Teams mit dem reanimierten Patienten
-
19:25 Uhr: Übergabe des Patienten im Herzkatheterlabor
-
21:10 Uhr: CT-Diagnostik (CCT, CT Thorax, CT Abdomen, CT-Angiografie, CT HWS)
-
21:30 Uhr: Übernahme auf die Intensivstation
-
22:25 Uhr: Kompartment-Spaltung des rechten Oberschenkels auf der Intensivstation
-
23:20 Uhr: transösophageale Echokardiografie: biventrikuläre hochgradige Kardiomyopathie,
keine Vitien, kein Perikarderguss
Tag 2:
-
3:50 Uhr: ausgedehnte 10-stündige Operation
-
13:30 Uhr: Wiederaufnahme auf der Intensivstation
-
14:00 Uhr: Beginn CVVHDF und intensivierte Insulintherapie
-
16:00 Uhr: interdisziplinäre Evaluation einer ECMO/ECLS
Tag 3:
-
5:00 Uhr: weitere livide Verfärbungen am rechten Oberarm und dem Hals
-
7:00 Uhr: erneute CT-Diagnostik, darunter Reanimationssituation
-
10:30 Uhr: zunehmende Herzrhythmusstörungen unter der progredienten Hyperkaliämie,
folgend Reanimationspflicht, Einschwemmen eines transvenösen Pacers
-
11:06 Uhr: Der Patient verstirbt
Um 11:06 Uhr am 3. Tag – 37 Stunden und 36 Minuten nach Beginn unserer intensivmedizinischen
Behandlung – verstirbt der Patient an einem Herzstillstand nach erneuten Bradykardien
und folgender elektromechanischer Entkopplung durch die Hyperkaliämie. Auch das Einschwemmen
eines transvenösen Schrittmachers während der Reanimation kann keine Herzaktionen
mehr stimulieren. Die Reanimationsbemühungen bleiben auch nach über 45 Minuten frustran.
Im Nachhinein wird als verursachender Erreger Streptococcus pyogenes in sämtlichen
Blutkulturen und Gewebsproben identifiziert.
Diskussion
Die nekrotisierende Fasziitis ist eine seltene Weichgewebsinfektion, die durch ein
rasantes Fortschreiten von Weichteilnekrosen und unbehandelt von einer hohen Letalität
gekennzeichnet ist [1], [2].
Im Gegensatz zu diversen international publizierten Fallberichten wies der Patient
im oben beschriebenen Fall keine für diese Erkrankung typischen Begleiterkrankungen
auf. Dazu gehören z. B. Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz, Adipositas,
periphere arterielle Verschlusskrankheit, arterielle Hypertonie, intravenöser Drogenabusus
und eine Immunsuppression [5]. Auch hatte er keine regelmäßige Medikation und es bestand kein angeborenes Immundefizit.
Auffällig ist daher der fulminante Verlauf der Erkrankung eines scheinbar gesunden
und jungen Patienten; er ist in dieser Ausprägung in der Literatur selten zu finden.
Um herauszufinden, was diese Fulminanz trotz offensichtlich fehlender Komorbiditäten
bedingt hat, soll im Folgenden der Fall in seinen Einzelteilen diskutiert werden.
Faktor „Zeit“
Es gab eine Zeitverzögerung von 10 Tagen von Beginn der Symptomatik, über den stattgefundenen
Kollaps im Hotel, bis zur Vorstellung im Krankenhaus. Diese scheint in diesem Zusammenhang
mitverantwortlich für den fulminanten und schließlich letalen Verlauf zu sein. Noch
weiter zurück lag die Entstehung der mutmaßlichen Eintrittspforte am Fuß bei der Gartenarbeit.
So wurde von der Ehefrau ein Zeitraum von 3 Wochen zwischen der entstandenen Läsion
und dem Symptombeginn beschrieben.
Der Patient wurde unserer Klinik aus einer Akutsituation heraus indirekt zugeführt,
nämlich nach der Reanimation im regionalversorgenden Krankenhaus. Dadurch wurde die
initiale Symptomatik der zu diesem Zeitpunkt fortgeschrittenen Infektion nicht unmittelbar
erfasst. Eine Anamnese durch den Patienten oder seine Angehörigen war zu diesem Zeitpunkt
nicht möglich. Allerdings bestand klinisch ein deutlich septiformes Bild, welches
am ehesten den Kreislaufstillstand verursacht hatte. Ein SOFA- oder qSOFA-Score zur
Identifikation einer Sepsis nach der aktuellen Leitlinie der Surviving Sepsis Campaign
wurde von keinem der initial mit dem Patienten befassten Ärzte erhoben [6].
Chirurgische Sanierung
Die radikale Fasziotomie fand somit erst 9,5 Stunden nach der Aufnahme und 8 Stunden
nach der ergebnislosen Herzkatheteruntersuchung statt. Bei den beschriebenen operativen
Befunden und dem Ausmaß der Gewebsnekrosen war der Zeitverzug der operativen Versorgung
sicherlich nicht ursächlich für den weiteren Verlauf. Er war allerdings auch nicht
begünstigend für einen kurativen Ansatz. Eine frühere Diagnose war bei den unspezifischen
Symptomen des zuvor gesunden Patienten jedoch kaum möglich gewesen. Ebenso bleibt
spekulativ: Hätte eine frühere chirurgische Intervention den Verlauf maßgeblich verändert?
Oder war zum Zeitpunkt des Reanimationsereignisses der Progress der Infektion bereits
so weit fortgeschritten, dass der bis dato fulminante Verlauf nicht mehr reversibel
war?
In vielen anderen beschriebenen Fällen einer nekrotisierenden Fasziitis wird eine
meist initial betroffene Extremität frühzeitig amputiert und so versucht, ein Fortschreiten
der Erkrankung zu verhindern. Die betroffenen Faszien imponieren nicht immer nekrotisch,
sondern oft eher sulzig-imbibiert, sodass das volle Ausmaß des betroffenen Gewebes
übersehen werden kann. In unserem Fall entschieden sich die chirurgischen Kollegen
für ein maximal ausgedehntes Débridement, um so dem Patienten in diesem weit fortgeschrittenen
Stadium eine Chance zu geben – auch unter Inkaufnahme einer langen OP-Zeit bei einem
maximal instabilen Patienten.
Die Beschreibung dieses zeitlichen Verlaufs deckt sich mit der Erkenntnis mehrerer
Studien: Die Zeitverzögerung bis zur chirurgischen Sanierung stellt den Hauptgrund
für die Zunahme der Letalität bei der nekrotisierenden Fasziitis dar [7]. Dabei benannten Wong et al. schon 2003 ein 9-fach erhöhtes Risiko, an der nekrotisierenden
Fasziitis zu versterben, wenn sich die Sanierung um mehr als 24 Stunden verzögerte
[8].
Merke
Der Faktor „Zeit“ scheint eines der wesentlichen Elemente einer erfolgreichen Behandlung
der nekrotisierenden Fasziitis zu sein. Die schnelle Identifikation der Patienten
ist essenziell für einen möglichen kurativen Therapieansatz.
LRINEC Score
Wong et al. entwickelten 2004 einen diagnostischen Score [9]. Dieser soll die Unterscheidung einer nekrotisierenden Fasziitis von anderen Weichgewebsinfektionen
zu einem frühen Zeitpunkt erleichtern, sodass eine zielgerichtete Therapie früher
eingeleitet werden kann (s. „Info – Diagnostischer Score“).
Info
Diagnostischer Score
Der Laboratory Risc Indicator for Necrotizing Fasciitis (LRINEC) basiert auf 6 Routinelaborwerten:
-
C-reaktives Protein
-
Leukozyten
-
Hämoglobin
-
Natrium
-
Kreatinin
-
Glukose
Er gibt die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer nekrotisierenden Fasziitis
an und kann maximal den Wert 13 erreichen. Ab einem Wert von 6 sollte man an eine
nekrotisierende Fasziitis denken, ab 8 sei die Wahrscheinlichkeit für eine nekrotisierende
Fasziitis sehr hoch.
Der positive prädiktive Wert des Scores wurde mit 92% angegeben. Allerdings wurden
bereits Limitationen des Scores beschrieben, da er ausschließlich auf Laborparametern
basiert. Die Komorbiditäten oder das Alter der Patienten und ihr klinischer Zustand
werden nicht berücksichtigt [10], [11].
Im oben beschriebenen Fall konnte zum Aufnahmezeitpunkt des Patienten ein LRINEC-Wert
von 4 ermittelt werden. Laut Definition ist dies kein erhöhtes Risiko für eine nekrotisierende
Fasziitis (CRP 102,3 mg/l, Leukozyten 5,6/nl, Hämoglobin 7,3 g/dl, Natrium 139 mmol/l,
Kreatinin 4,7 mg/dl, Glukose 89 mg/dl). Selbst die oben genannten limitierenden Faktoren
hätten zu keinen weiterführenden Überlegungen neben dem Punktwert geführt: In Bezug
auf Komorbiditäten und sein Alter gehörte der Patient keiner höhergradigen Risikogruppe
an.
Intensivmedizinische Therapie
Der dargestellte Fall unterstreicht neben der Fulminanz des Krankheitsverlaufes auch
die intensivmedizinischen Herausforderungen in der Behandlung einer nekrotisierenden
Fasziitis. Der Patient präsentierte sich nach Aufnahme auf die Intensivstation in
einem schweren septischen Schockgeschehen. Neben der Katecholamintherapie und der
invasiven Beatmung musste frühzeitig eine Nierenersatztherapie (CVVHDF) bei akutem
Nierenversagen und exponentiell ansteigenden Kaliumwerten durch den fortschreitenden
Zellzerfall eingeleitet werden. Trotz einer zusätzlich zur Nierenersatztherapie durchgeführten
Gabe von Insulin und Kalzium konnte der Anstieg des Serumkaliums nicht beherrscht
werden. Aufgrund der massiven Wundfläche und des konsekutiven Blut- und Flüssigkeitsverlustes
war eine Massivtransfusion diverser Blut- und Gerinnungsprodukte erforderlich, da
ebenfalls die Gerinnungssituation massiv kompromittiert war.
Erreger und Antibiose
Bezüglich des Erregerspektrums der nekrotisierenden Fasziitis liegt eine breite Fächerung
vor in prinzipiell mono- oder polymikrobieller Form. Aktuell werden die Erreger in
4 Gruppen eingeteilt [4] (s. „Definition – Erregergruppen“).
Definition
Erregergruppen
-
Bei Typ I handelt es sich um polymikrobielle Infektionen mit obligat und fakultativ
anaeroben Erregern, meist in Zusammenhang mit Vorerkrankungen wie beispielsweise Diabetes
mellitus. Dieser Typ ist am häufigsten bei nekrotisierender Fasziitis nachzuweisen.
-
Typ II stellen Infektionen durch beta-hämolysierende Streptokokken dar. Sie sind am
häufigsten bei jungen und gesunden Patienten mit nekrotisierender Fasziitis nach kleinen
Traumen an den Extremitäten zu finden. Zudem stehen sie im Zusammenhang mit NSAID
(non-steroidal anti-inflammatory drugs).
-
Typ III sind Infektionen mit Clostridien und gramnegativen Bakterien, oft nachzuweisen
bei Drogenmissbrauch und bei Meeresfrüchteverzehr (insbesondere Aeromonas hydrophila).
-
Typ IV beschreibt Pilzinfektionen, hauptsächlich durch Candida, bei immunsupprimierten
Patienten.
Das Robert Koch-Institut (RKI) gibt auf seiner Homepage Informationen und Empfehlungen
zur Therapie von Streptococcus-pyogenes-Infektionen, also für die Erregergruppe II,
die auch im beschriebenen Fall vorlag [4], [12]. Einen Unterpunkt stellen schwere systemische Streptococcus-pyogenes-Infektionen
dar, u. a. Fasciitis necroticans. Bei dieser wird neben parenteralem Penicillin G
ebenfalls die Gabe von Clindamycin sowie von Immunglobulin-Präparaten empfohlen [12].
In der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde existiert eine S2-Leitlinie zur Antibiotikatherapie
der Streptokokken-Infektionen an Kopf und Hals. Im Falle einer nekrotisierenden Fasziitis
werden dort verschiedene Kombinationen von Breitspektrum-Antibiotika empfohlen [13].
Im oben beschriebenen Fall wurde breit kalkuliert antibiotisch therapiert: initial
mit Piperacillin/Tazobactam und Clindamycin, intraoperativ mit Penicillin, später
mit Linezolid, adäquat für beta-hämolysierende Streptokokken der Erregergruppe II.
In allen Wundabstrichen sowie Kulturen aus Blut und Gewebe des Patienten wurden A-Streptokokken
nachgewiesen.
Hyperbare Sauerstofftherapie
Diese Therapie wird schon seit über 20 Jahren diskutiert und bereits in einem Artikel
aus dem Jahre 1998 im Deutschen Ärzteblatt dargestellt [14]. Aktuell im Jahr 2018 hat der Verband deutscher Druckkammerzentren e. V. (VDD) eine
Übersicht über den aktuellen Stand der Literatur zur hyperbaren Sauerstofftherapie
bei nekrotisierender Fasziitis herausgegeben [15]. Dabei soll die direkte Wirkung des Sauerstoffs auf die Bakterien diese abtöten
und die körpereigene Abwehr auf Zellebene unterstützen. Voraussetzung hierfür ist
die Therapie in einer Druckkammer mit deutlich erhöhten atmosphärischen Drücken. Im
beschriebenen Fall hätte die Organisation eines freien Druckkammerplatzes für den
Patienten und eine Verlegung in ein Zentrum viel Zeit gekostet. Laut der Liste der
Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (Stand 01.01.2018) wären in Deutschland
nur 3 Standorte mit Druckkammern und Intensivbetten infrage gekommen: Stuttgart, Ulm
und Regensburg [16]. Darüber hinaus hätte der Patient den Transport in dem zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden
instabilen Zustand höchstwahrscheinlich nicht überlebt.
Merke
Neben der Infektionsbekämpfung durch die kalkulierte Gabe von Antibiotika und die
chirurgische Sanierung der betroffenen Gewebsteile ist die hyperbare Sauerstofftherapie
eine weitere Therapieoption.
Immunglobulin G
Interessant erscheinen Forschungsergebnisse einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe
des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Zusammenarbeit mit Universitätsmedizinern
aus Schweden, Norwegen und Dänemark: Sie untersuchten die Wirkung von spezifischem
Immunglobulin G in der frühen Infektionsphase von Streptococcus pyogenes im Zusammenspiel
mit dem körpereigenen Immunsystem des Patienten [17].
Merke
Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die Gabe von Immunglobulin G durchaus
den Erkrankungsverlauf entscheidend positiv beeinflussen kann. Hat jedoch die Gewebsnekrose
schon begonnen, ist der Zellzerfall nicht mehr aufzuhalten [17].
Diese Therapie ist noch nicht flächendeckend verfügbar, sodass Kliniken ohne universitäre
Strukturen keine Möglichkeit haben, kurzfristig solch eine Therapie bei ihren Patienten
anzuwenden. Angemerkt sei hier, dass die Therapie mit Immunglobulinen – ähnlich wie
die hyperbare Sauerstofftherapie – nicht neu ist. Auch sie wurde bereits vor über
20 Jahren als mögliche Therapieoption bei nekrotisierender Fasziitis diskutiert, aber
es gibt noch keine flächendeckende etablierte Therapieempfehlung [14].