Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2019; 54(07/08): 474-483
DOI: 10.1055/a-0821-6772
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CME-Fortbildung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ermittlung des Patientenwillens

Determining Patientʼs Wishes and Preferences
Gerald Neitzke
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Publication Date:
25 July 2019 (online)

Zusammenfassung

Die Ermittlung des Patientenwillens ist in der Notfall- und Intensivmedizin oft schwierig. Die Beachtung des Willens stellt ein juristisches und ethisches Gebot dar, der Patient ist jedoch häufig nicht selbst einwilligungsfähig. Dieser Beitrag beschreibt den Prozess der Ermittlung des Patientenwillens und zeigt, welche Bedeutung eine Patientenverfügung, andere Behandlungswünsche oder der mutmaßliche Wille für die Behandlungsentscheidung haben.

Abstract

It is legally required to determine and respect patient preferences and wishes as much as possible under the circumstances given. This also applies to emergency medicine and intensive care, particularly if a patient is unconscious and is not able to give his consent by him-/herself. According to German law, patientsʼ explicit written statements (advance directive, living will) are mandatory. If no advance directive is available, or if the directive does not match the current medical circumstances, other (oral) statements of the individual patient have to be scrutinized to identify presumed wishes and establish presumed consent. Such wishes are equally binding. The article explicates the role of legal proxies (legal guardians, patient representatives) in determining patientsʼ wishes. Detailed instructions and recommendations are given to medical staff on how to support legal representatives and next of kin with respect to shared decision-making and the process of determining patient preferences. This way, patient autonomy and patientsʼ rights can be protected best.

Kernaussagen
  • Die Ermittlung des Patientenwillens folgt einem klaren Ablauf bzw. Prozess. Zuerst wird die Einwilligungsfähigkeit des Patienten geprüft.

  • Der einwilligungsfähige Patient entscheidet selbst, auch wenn er unter Betreuung steht.

  • Für den nicht einwilligungsfähigen Patienten muss ein juristischer Stellvertreter (Bevollmächtigter oder Betreuer) den Patientenwillen ermitteln und gegenüber den Behandlern zur Geltung bringen. Dazu werden – in dieser Reihenfolge – 1. die Patientenverfügung, 2. andere Behandlungswünsche und 3. der mutmaßliche Wille des Patienten geprüft.

  • Solange noch kein Stellvertreter verfügbar ist, klärt der behandelnde Arzt anhand desselben Stufenschemas den Patientenwillen.

  • Falls der individuelle Wille des Patienten aufgrund mangelnder Informationen oder in Notfällen wegen Zeitmangels nicht geklärt werden kann, darf die (lebenserhaltende) indizierte Behandlung durchgeführt werden.

 
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