Hintergrund
Myeloproliferatives Syndrom, Polyzythämia vera
Der Begriff myeloproliferatives Syndrom bezeichnet eine Gruppe von malignen Erkrankungen,
die durch Proliferation einer hämatopoetischen Stammzelle gekennzeichnet sind
[1]
. Hierzu gehören neben der Polycythaemia vera auch die chronisch myeloische Leukämie,
die essentielle Thrombozythämie und die primäre Myelofibrose. Die Therapie richtet
sich nach der jeweiligen Form des myeloproliferativen Syndroms und gestaltet sich
häufig schwierig. Bei unserem Patienten lag ein myeloproliferatives Syndrom mit Polycythaemia
vera vor, bei der die Anzahl der Erythrozyten und somit auch der Hämoglobinwert stark
erhöht sind. Die häufigste Komplikation sind thromboembolische Ereignisse (arterielle
oder venöse Thromboembolien). Die Therapie der proliferativen Phase der Erkrankung
besteht in Aderlässen, Antikoagulation und zytoreduktiver Chemotherapie. Bringen regelmäßige
Aderlässe nicht den gewünschten Erfolg, so erfolgt die Therapieeskalation mit Hydroxycarbamid.
Medikamente der zweiten Wahl sind neben pegyliertem Interferon alpha der Tyrosinkinaseinhibitor
Ruxolitinib und das Alkylans Busulfan
[1]
.
Wie entstehen Ulzera unter Hydroxycarbamid-Therapie?
Hydroxycarbamid oder Hydroxyurea (Handelsnamen: Litalir
®
, Syrea
®
) ist ein zytotoxisches Chemotherapeutikum. Dieses wird seit den 1960er-Jahren bei
myeloproliferativen Erkrankungen angewendet. Durch die Hemmung der Ribonukleotidreduktase
wird Reduktion von Ribose zu Desoxyribose verhindert. Hierdurch wird direkt die DNA-Synthese
blockiert
[2]
. Neben der gewünschten Wirkung mit Hemmung der Zellteilung bei hämatogenen Neoplasien
kommt es zu Nebenwirkungen wie Schleimhauterosionen und Transaminasenerhöhung. Aufgrund
des Wirkmechanismus ist auch ein karzinogenes Risiko denkbar. Die Datenlage hierzu
ist bislang uneinheitlich
[2]
,
[3]
. Dermatologische Nebenwirkungen durch Hydroxyurea sind gut bekannt. Diese reichen
von Erythemen, Hyperpigmentierungen, Schuppung und Atrophie der Haut, Alopezie, Nagelwachstumsstörungen
und Hauttumoren bis zum Auftreten von schmerzhaften Ulzera insbesondere im Bereich
der Malleoli
[4]
.
Die Häufigkeit von Ulzera unter Therapie mit Hydroxycarbamid wird in der Literatur
mit 8–9 % der behandelten Patienten angegeben
[2]
,
[5]
, in den Fachinformationen je nach Hersteller mit „sehr häufig“ (> 10 %) bis „häufig“
(1–10 %). Insgesamt gilt es zu berücksichtigen, dass auch hämatoonkologische Grunderkrankungen
selbst zu Hautulzerationen führen können
[4]
,
[6]
.
Die Entstehung der Ulzerationen wird zum einen mit der Entstehung einer Megaloblastose
(große, unreife Erythrozyten) bei längerer Einnahme von Hydroxycarbamid erklärt. Diese
führt zu einer Hyperviskosität der Erythrozyten und somit zu einer Beeinträchtigung
der Mikrozirkulation der Haut
[5]
,
[6]
. Zu dieser Theorie passt die mikroangiopathische Morphologie der Hydroxycarbamid-induzierten
Ulzera. Zum anderen wirkt Hydroxycarbamid direkt zytotoxisch auf die basalen Keratinozyten
und auf Kollagenfasern
[5]
,
[6]
, so dass die Haut verletzlicher ist und leichter exulzeriert.
Die Ulzera können zu jedem Zeitpunkt unter der Therapie mit Hydroxycarbamid auftreten.
Im Durchschnitt kommt es drei Jahre nach Beginn der Therapie zum Auftreten von Ulzerationen
[3]
. Die Höhe der Hydroxycarbamid-Dosis korreliert mit der Häufigkeit und der Schwere
der Ulzerationen. Nach Absetzen von Hydroxycarbamid kommt es in der Regel zur raschen
Abheilung innerhalb weniger Monate. Aufgrund der zugrundeliegenden, prognosebestimmenden
hämatoonkologischen Grunderkrankungen ist ein Absetzen von Hydroxyurea oftmals nicht
oder nur kurzfristig möglich. In diesen Fällen empfiehlt sich umso mehr die konsequente
und stadienadaptierte Wundtherapie
[4]
.