Allgemeines Vorgehen
Die Diagnose des Parkinson-Syndroms ist primär eine klinische Diagnose. Zur differenzialdiagnostischen
Abgrenzung des IPS von atypischen bzw. symptomatischen Parkinson-Syndromen sind bestimmte
Warnsymptome, sog. Red Flags, sorgfältig abzuklären. Hierzu gehören insbesondere systemüberschreitende
Symptome wie Beteiligung des pyramidalen oder zerebellären Systems oder eine frühzeitige
autonome oder posturale Dysfunktion. Bei eindeutigen anamnestischen und klinischen
Befunden ist eine weitere zusatzdiagnostische Abklärung nicht zwingend indiziert.
Oft werden insbesondere in der Frühphase der Erkrankung jedoch ergänzende zusatzdiagnostische
Untersuchungen notwendig, um die z. T. subtilen bzw. nur subklinisch fassbaren systemüberschreitenden
Dysfunktionen zu objektivieren. Die hier zum Einsatz kommenden Untersuchungen lassen
sich in bildgebende und elektrophysiologische Verfahren einteilen. Ein mögliches Vorgehen
mit den prinzipiell infrage kommenden Untersuchungen zeigt das Flussdiagramm [Abb. 1]. Die finale Diagnosestellung sollte sich nicht auf einzelne Untersuchungsergebnisse
stützen, sondern aus der Gesamtschau der klinischen und zusatzdiagnostischen Befunde
erfolgen.
Abb. 1 Diagnostik bei Parkinson-Syndromen. doi:10.1055/b-005-149022
(Quelle: Groiss S, Schnitzler A. Bewegungsstörungen – Parkinson-Syndrome. In: Bischoff
C, Buchner H, Hrsg. SOPs Neurophysiologische Diagnostik. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme;
2018. )
Spezielle Fragestellungen
Elektromyogramm (EMG)
Sphinkter-EMG
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Vor allem bei der MSA (> 70% der Fälle), aber auch bei anderen atypischen Parkinson-Syndromen
kann es bereits frühzeitig zu pathologischer Spontanaktivität oder einer verlängerten
Dauer und erhöhten Polyphasierate der PME kommen [7]. Dies beruht auf einer neuronalen Degeneration spezialisierter Vorderhornneurone
des Nucleus onuf, die die gestreifte Muskulatur des externen Blasen- und Rektumsphinkter
versorgen.
-
Die Indikation zu dieser Untersuchung sollte sorgfältig gestellt werden, da es sich
nicht nur um eine unangenehme Untersuchung handelt, sondern die Abgrenzung von pathologischer
Spontanaktivität aufgrund des vorhandenen Ruhetonus im Einzelfall schwierig sein kann.
Cave
Falsch positive Ergebnisse nach transabdominaler Prostatektomie, anderen abdominalen
OPs oder multiparen Frauen sind möglich.
Tremoranalyse
Die Tremoranalyse ist insbesondere beim tremordominanten IPS zur Abgrenzung eines
essenziellen Tremors oder eines funktionellen Tremors hilfreich. [Tab. 1] zeigt typische Befunde verschiedener Tremorformen.
Tab. 1 Befunde verschiedener Tremorformen.
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Parkinson-Tremor
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essenzieller Tremor
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funktioneller Tremor
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Frequenz
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3 – 5 Hz
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7 – 10 Hz
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variabel
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Charakteristika
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überwiegend Ruhetremor, aber auch Haltetremor möglich, kurze Tremorpause bei Bewegungsinitiierung
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überwiegend Haltetremor, keine Tremorpausen bei Bewegung
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oft hohe Variabilität
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Kokontraktionszeichen
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keine
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selten
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typisch
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Load
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keine Veränderung
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keine Veränderung
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ggf. Amplituden- u./o. Frequenzveränderung
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Ablenkung/mentale Anspannung
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keine Veränderung oder Amplitudenzunahme
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keine Veränderung oder Amplitudenzunahme
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Entrainment, Amplitudenabnahme, Tremorpausen bei kontralateralen ballistischen Bewegungen
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Autonome Diagnostik
siehe auch Methodenkapitel
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Kipptischuntersuchung/Schellong-Test
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Herzfrequenzvariabilität
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sympathische Hautantwort
Eine autonome Dysfunktion insbesondere im frühen Krankheitsstadium spricht für das
Vorliegen einer MSA. Der sensitivste Test zur Abgrenzung einer MSA ist die Kipptischuntersuchung/der
Schellong-Test.
Okulografie
Okulomotorikstörungen sind insbesondere bei der PSP häufig und können bereits in der
Frühphase hilfreich zur diagnostischen Abgrenzung sein [4].
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Frühphase: Hypometrie und/oder Verlangsamung vertikaler Sakkaden (insbesondere nach
oben), vertikale Blickparese, Störung der raschen Phase des vertikalen OKN, Konvergenzschwäche,
Ausfall des Bell-Phänomens.
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Im Verlauf: Hypometrie/Verlangsamung horizontaler Sakkaden, Störung der langsamen
Folgebewegungen bis hin zum Ausfall OCR + VOR, komplette äußere Ophthalmoplegie.
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Die Pupillomotorik ist bei der PSP nicht eingeschränkt.
Transkranielle Magnetstimulation/motorisch evozierte Potenziale
Motorisch evozierte Potenziale Auffälligkeiten der MEPs und Hinweise für eine Pyramidenbahnaffektion sprechen für
ein atypisches Parkinson-Syndrom.
Cave
Ausschluss anderer Genese der Pyramidenbahnaffektion wie zervikale Myelopathie erforderlich.
Kortikale Innervationsstille (Cortical Silent Period = cSP) Die cSP ist beim Morbus Parkinson im medikamentösen OFF verkürzt als Hinweis für
eine kortikale Hyperexzitabilität, im medikamentösen ON kommt es zu einer Normalisierung
[6].
Cave
Auf den individuellen Fall bezogen, trägt die Untersuchung wenig zur Differenzialdiagnostik
bei.
Zerebelläre Inhibition.
-
Die zerebelläre Inhibition untersucht den zerebellär efferenten Schenkel des kortiko-ponto-zerebello-thalamo-kortikalen
Netzwerkes [3].
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Beim IPS findet sich eine regelrechte zerebelläre Inhibition, bei der PSP und MSA
kann es zu einer reduzierten zerebellären Inhibition als Zeichen einer (subklinischen)
zerebellären Affektion kommen.
Cave
Die Untersuchung kann insbesondere bei höheren zerebellären Stimulationsintensitäten
unangenehm sein.
Andere Parameter GABAerge (Short intracortical Inhibition = SICI, Long intracortical Inhibition = LICI)
und cholinerge (Short afferent Inhibition = SAI) kortikale Hemmmechanismen können
beim IPS ebenfalls verändert sein, spielen in der Differenzialdiagnostik der Parkinson-Syndrome
im Rahmen der klinischen Routine jedoch keine relevante Rolle [6].
Evozierte Potenziale
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In bis zu 40% der Fälle kann es bei der MSA zu Veränderungen der SEP, VEP oder AEP
kommen [1].
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Beim SEP und VEP gibt es keine relevanten Unterschiede zwischen der MSA-P und MSA-C,
wobei die Latenzverlängerung des Peak III im AEP bei der MSA-C häufiger vorzukommen
scheint.
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Auch beim IPS kann es aufgrund einer eingeschränkten Kontrastwahrnehmung und Farbdiskriminierung
zu Latenzverzögerungen im VEP bei höherer Ortsauflösung kommen.
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In der klinischen Routine haben die evozierten Potenziale (mit Ausnahme der MEPs)
zur Diagnostik der Parkinson-Syndrome einen niedrigen Stellenwert.
Long-Loop-Reflexe
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Long-Loop-Reflexe (LLR) geben Auskunft über die Integrität der zentralen und peripheren
Reflexwege und lassen sich elektrophysiologisch standardisiert durch Stimulation des
N. medianus vom Thenar ableiten [2].
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Vier Komponenten sind beschrieben: der H-Reflex, die frühe Reflexkomponente als elektrophysiologisches
Korrelat des Muskeldehnungsreflexes mit einer Latenz von ca. 28 ms, sowie drei späte
Reflexantworten LLR 1, LLR 2 und LLR 3, mit einer Latenz von ca. 40 ms, 50 ms bzw.
75 ms.
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LLR werden transkortikal verschaltet, wobei LLR 2 beim Gesunden obligat, LLR 1 und
LLR 3 fakultativ vorkommen. Typische pathologische Befunde sind Amplitudenvergrößerung
der LLR 1 sowie Amplitudenreduktion und/oder Latenzverzögerung der LLR 2.
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Morbus Parkinson: Amplitude der LLR 1 und 2 vergrößert.
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Abgrenzung vom hypokinetisch-rigiden juvenilen Morbus Huntington (Westphal-Variante):
LLR 2 vermindert bis erloschen.
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CBS: LLR1 deutlich vergrößert (insbesondere bei Patienten mit Myoklonus).
Elektroenzephalografie
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Dem EEG kommt für die Diagnostik des Parkinson-Syndroms nur eine untergeordnete Bedeutung
zu.
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CBS: Insbesondere im Frühstadium kann es zu einer lateralisierten Allgemeinveränderung
kommen. Sind Myokloni vorhanden, ist ein Backaveraging hilfreich zum Nachweis einer
kortikalen Genese. Ein Backaveraging kann zudem hilfreich sein zur Abgrenzung eines
kortikalen Halte-/Aktionsmyoklonus, der klinisch wie ein ET imponieren kann.
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PSP: Es kann zu einer unspezifischen diffusen Allgemeinveränderung oder fokalen intermittierenden
Verlangsamungen kommen. Das Schlaf-EEG selbst ist unspezifisch, es kann jedoch zu
einem reduzierten oder abwesenden REM-Schlaf kommen.
Posturografie
Gleichgewichtsstörungen durch eine posturale Instabilität im frühen Krankheitsstadium
sprechen für eine MSA, PSP oder auch ein vaskuläres Parkinson-Syndrom.
Transkranielle Sonografie des Hirnparenchyms
Cave
Circa 10% falsch negative, aber auch ca. 10% falsch positive Ergebnisse.
Optische Kohärenztomografie (OCT)
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Beim IPS kommt es zu einer Abnahme der retinalen Nervenfaserschicht, die mit der Schwere
der Erkrankung korreliert [5].
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Die innere und äußere Körnerschicht ist im Mittel insbesondere bei der PSP dünner
als beim IPS (auf den individuellen Fall bezogen trägt die Untersuchung derzeit jedoch
wenig zur Differenzialdiagnostik bei).
Extrakranielle und transkranielle Doppler-/Duplexsonografie der hirnversorgenden Gefäße
Erstveröffentlichung
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: Bischoff C, Buchner H, Hrsg. SOPs Neurophysiologische
Diagnostik. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2018. doi:10.1055/b-005-149022