Geriatrie up2date 2019; 1(01): 7-10
DOI: 10.1055/a-0838-9024
SOP / Arbeitsablauf
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

SOP Bewegungsstörungen – Parkinson-Syndrome

Stefan Groiss
,
Alfons Schnitzler
Further Information

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. med. Alfons Schnitzler
Klinik für Neurologie, Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie
Moorenstraße 5
40225 Düsseldorf

Publication History

Publication Date:
27 March 2019 (online)

 

Parkinson-Syndrome (PS) gehören zu den häufigsten Bewegungsstörungen und sind klinisch definiert durch das Vorliegen einer Akinesie sowie eines der Kardinalsymptome Rigor, Ruhetremor und posturale Instabilität. Dabei handelt es sich beim Parkinson-Syndrom um einen syndromatischen Oberbegriff, der weiter nach seinen verschiedenen Ätiologien klassifiziert werden kann.


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Klassifikation der Parkinson-Syndrome

  • neurodegenerativ

    • idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS)

    • Multisystematrophie (MSA)

    • progressive supranukleäre Blickparese (PSP)

    • kortikobasales Syndrom (CBS)

    • Lewy-Körperchen-Demenz (LBD)

  • sekundär

    • toxisch (z. B. Kohlenmonoxid, Mangan)

    • medikamenteninduziert: vor allem klassische Neuroleptika, aber auch Antiemetika (MCP), Kalziumantagonisten Flunarizin, Valproinsäure, Lithium

    • traumatisch

    • Tumor

    • metabolisch (z. B. Morbus Wilson)

    • entzündlich (z. B. AIDS-Enzephalopathie)

  • Pseudoparkinsonsyndrome

    • Normaldruck-Hydrozephalus

    • subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (vaskuläres Parkinson-Syndrom)


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Allgemeines Vorgehen

Die Diagnose des Parkinson-Syndroms ist primär eine klinische Diagnose. Zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung des IPS von atypischen bzw. symptomatischen Parkinson-Syndromen sind bestimmte Warnsymptome, sog. Red Flags, sorgfältig abzuklären. Hierzu gehören insbesondere systemüberschreitende Symptome wie Beteiligung des pyramidalen oder zerebellären Systems oder eine frühzeitige autonome oder posturale Dysfunktion. Bei eindeutigen anamnestischen und klinischen Befunden ist eine weitere zusatzdiagnostische Abklärung nicht zwingend indiziert. Oft werden insbesondere in der Frühphase der Erkrankung jedoch ergänzende zusatzdiagnostische Untersuchungen notwendig, um die z. T. subtilen bzw. nur subklinisch fassbaren systemüberschreitenden Dysfunktionen zu objektivieren. Die hier zum Einsatz kommenden Untersuchungen lassen sich in bildgebende und elektrophysiologische Verfahren einteilen. Ein mögliches Vorgehen mit den prinzipiell infrage kommenden Untersuchungen zeigt das Flussdiagramm [Abb. 1]. Die finale Diagnosestellung sollte sich nicht auf einzelne Untersuchungsergebnisse stützen, sondern aus der Gesamtschau der klinischen und zusatzdiagnostischen Befunde erfolgen.

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Abb. 1 Diagnostik bei Parkinson-Syndromen. doi:10.1055/b-005-149022 (Quelle: Groiss S, Schnitzler A. Bewegungsstörungen – Parkinson-Syndrome. In: Bischoff C, Buchner H, Hrsg. SOPs Neurophysiologische Diagnostik. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2018. )

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Spezielle Fragestellungen

Elektromyogramm (EMG)

Sphinkter-EMG

  • Vor allem bei der MSA (> 70% der Fälle), aber auch bei anderen atypischen Parkinson-Syndromen kann es bereits frühzeitig zu pathologischer Spontanaktivität oder einer verlängerten Dauer und erhöhten Polyphasierate der PME kommen [7]. Dies beruht auf einer neuronalen Degeneration spezialisierter Vorderhornneurone des Nucleus onuf, die die gestreifte Muskulatur des externen Blasen- und Rektumsphinkter versorgen.

  • Die Indikation zu dieser Untersuchung sollte sorgfältig gestellt werden, da es sich nicht nur um eine unangenehme Untersuchung handelt, sondern die Abgrenzung von pathologischer Spontanaktivität aufgrund des vorhandenen Ruhetonus im Einzelfall schwierig sein kann.

Cave

Falsch positive Ergebnisse nach transabdominaler Prostatektomie, anderen abdominalen OPs oder multiparen Frauen sind möglich.


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Tremoranalyse

Die Tremoranalyse ist insbesondere beim tremordominanten IPS zur Abgrenzung eines essenziellen Tremors oder eines funktionellen Tremors hilfreich. [Tab. 1] zeigt typische Befunde verschiedener Tremorformen.

Tab. 1 Befunde verschiedener Tremorformen.

Parkinson-Tremor

essenzieller Tremor

funktioneller Tremor

Frequenz

3 – 5 Hz

7 – 10 Hz

variabel

Charakteristika

überwiegend Ruhetremor, aber auch Haltetremor möglich, kurze Tremorpause bei Bewegungsinitiierung

überwiegend Haltetremor, keine Tremorpausen bei Bewegung

oft hohe Variabilität

Kokontraktionszeichen

keine

selten

typisch

Load

keine Veränderung

keine Veränderung

ggf. Amplituden- u./o. Frequenzveränderung

Ablenkung/mentale Anspannung

keine Veränderung oder Amplitudenzunahme

keine Veränderung oder Amplitudenzunahme

Entrainment, Amplitudenabnahme, Tremorpausen bei kontralateralen ballistischen Bewegungen


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Autonome Diagnostik

siehe auch Methodenkapitel

  1. Kipptischuntersuchung/Schellong-Test

  2. Herzfrequenzvariabilität

  3. sympathische Hautantwort

Eine autonome Dysfunktion insbesondere im frühen Krankheitsstadium spricht für das Vorliegen einer MSA. Der sensitivste Test zur Abgrenzung einer MSA ist die Kipptischuntersuchung/der Schellong-Test.


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Okulografie

Okulomotorikstörungen sind insbesondere bei der PSP häufig und können bereits in der Frühphase hilfreich zur diagnostischen Abgrenzung sein [4].

  • Frühphase: Hypometrie und/oder Verlangsamung vertikaler Sakkaden (insbesondere nach oben), vertikale Blickparese, Störung der raschen Phase des vertikalen OKN, Konvergenzschwäche, Ausfall des Bell-Phänomens.

  • Im Verlauf: Hypometrie/Verlangsamung horizontaler Sakkaden, Störung der langsamen Folgebewegungen bis hin zum Ausfall OCR + VOR, komplette äußere Ophthalmoplegie.

  • Die Pupillomotorik ist bei der PSP nicht eingeschränkt.


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Transkranielle Magnetstimulation/motorisch evozierte Potenziale

Motorisch evozierte Potenziale Auffälligkeiten der MEPs und Hinweise für eine Pyramidenbahnaffektion sprechen für ein atypisches Parkinson-Syndrom.

Cave

Ausschluss anderer Genese der Pyramidenbahnaffektion wie zervikale Myelopathie erforderlich.

Kortikale Innervationsstille (Cortical Silent Period = cSP) Die cSP ist beim Morbus Parkinson im medikamentösen OFF verkürzt als Hinweis für eine kortikale Hyperexzitabilität, im medikamentösen ON kommt es zu einer Normalisierung [6].

Cave

Auf den individuellen Fall bezogen, trägt die Untersuchung wenig zur Differenzialdiagnostik bei.

Zerebelläre Inhibition.

  • Die zerebelläre Inhibition untersucht den zerebellär efferenten Schenkel des kortiko-ponto-zerebello-thalamo-kortikalen Netzwerkes [3].

  • Beim IPS findet sich eine regelrechte zerebelläre Inhibition, bei der PSP und MSA kann es zu einer reduzierten zerebellären Inhibition als Zeichen einer (subklinischen) zerebellären Affektion kommen.

Cave

Die Untersuchung kann insbesondere bei höheren zerebellären Stimulationsintensitäten unangenehm sein.

Andere Parameter GABAerge (Short intracortical Inhibition = SICI, Long intracortical Inhibition = LICI) und cholinerge (Short afferent Inhibition = SAI) kortikale Hemmmechanismen können beim IPS ebenfalls verändert sein, spielen in der Differenzialdiagnostik der Parkinson-Syndrome im Rahmen der klinischen Routine jedoch keine relevante Rolle [6].


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Evozierte Potenziale

  • In bis zu 40% der Fälle kann es bei der MSA zu Veränderungen der SEP, VEP oder AEP kommen [1].

  • Beim SEP und VEP gibt es keine relevanten Unterschiede zwischen der MSA-P und MSA-C, wobei die Latenzverlängerung des Peak III im AEP bei der MSA-C häufiger vorzukommen scheint.

  • Auch beim IPS kann es aufgrund einer eingeschränkten Kontrastwahrnehmung und Farbdiskriminierung zu Latenzverzögerungen im VEP bei höherer Ortsauflösung kommen.

  • In der klinischen Routine haben die evozierten Potenziale (mit Ausnahme der MEPs) zur Diagnostik der Parkinson-Syndrome einen niedrigen Stellenwert.


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Long-Loop-Reflexe

  • Long-Loop-Reflexe (LLR) geben Auskunft über die Integrität der zentralen und peripheren Reflexwege und lassen sich elektrophysiologisch standardisiert durch Stimulation des N. medianus vom Thenar ableiten [2].

  • Vier Komponenten sind beschrieben: der H-Reflex, die frühe Reflexkomponente als elektrophysiologisches Korrelat des Muskeldehnungsreflexes mit einer Latenz von ca. 28 ms, sowie drei späte Reflexantworten LLR 1, LLR 2 und LLR 3, mit einer Latenz von ca. 40 ms, 50 ms bzw. 75 ms.

  • LLR werden transkortikal verschaltet, wobei LLR 2 beim Gesunden obligat, LLR 1 und LLR 3 fakultativ vorkommen. Typische pathologische Befunde sind Amplitudenvergrößerung der LLR 1 sowie Amplitudenreduktion und/oder Latenzverzögerung der LLR 2.

  • Morbus Parkinson: Amplitude der LLR 1 und 2 vergrößert.

  • Abgrenzung vom hypokinetisch-rigiden juvenilen Morbus Huntington (Westphal-Variante): LLR 2 vermindert bis erloschen.

  • CBS: LLR1 deutlich vergrößert (insbesondere bei Patienten mit Myoklonus).


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Elektroenzephalografie

  • Dem EEG kommt für die Diagnostik des Parkinson-Syndroms nur eine untergeordnete Bedeutung zu.

  • CBS: Insbesondere im Frühstadium kann es zu einer lateralisierten Allgemeinveränderung kommen. Sind Myokloni vorhanden, ist ein Backaveraging hilfreich zum Nachweis einer kortikalen Genese. Ein Backaveraging kann zudem hilfreich sein zur Abgrenzung eines kortikalen Halte-/Aktionsmyoklonus, der klinisch wie ein ET imponieren kann.

  • PSP: Es kann zu einer unspezifischen diffusen Allgemeinveränderung oder fokalen intermittierenden Verlangsamungen kommen. Das Schlaf-EEG selbst ist unspezifisch, es kann jedoch zu einem reduzierten oder abwesenden REM-Schlaf kommen.


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Posturografie

Gleichgewichtsstörungen durch eine posturale Instabilität im frühen Krankheitsstadium sprechen für eine MSA, PSP oder auch ein vaskuläres Parkinson-Syndrom.


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Transkranielle Sonografie des Hirnparenchyms

  • Bei den neurodegenerativen Parkinson-Syndromen zeigt sich eine hyperechogene Substantia nigra, dies kann somit zur Abgrenzung eines essenziellen Tremors oder sekundären Parkinson-Syndroms hilfreich sein.

Cave

Circa 10% falsch negative, aber auch ca. 10% falsch positive Ergebnisse.

  • Bei der MSA kann sich der Nucleus lentiformis hyperechogen darstellen.

  • Ein erweiterter 3. Ventrikel ist gehäuft bei der PSP zu beobachten.


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Optische Kohärenztomografie (OCT)

  • Beim IPS kommt es zu einer Abnahme der retinalen Nervenfaserschicht, die mit der Schwere der Erkrankung korreliert [5].

  • Die innere und äußere Körnerschicht ist im Mittel insbesondere bei der PSP dünner als beim IPS (auf den individuellen Fall bezogen trägt die Untersuchung derzeit jedoch wenig zur Differenzialdiagnostik bei).


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Extrakranielle und transkranielle Doppler-/Duplexsonografie der hirnversorgenden Gefäße

  • zur Abklärung des zerebrovaskulären Status bei V. a. ein vaskuläres Parkinson-Syndrom bzw. subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie.

Erstveröffentlichung

Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: Bischoff C, Buchner H, Hrsg. SOPs Neurophysiologische Diagnostik. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2018. doi:10.1055/b-005-149022


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Autorinnen/Autoren

Alfons Schnitzler

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Prof. Dr. Alfons Schnitzler ist Ärztlicher Leiter der Klinik für Neurologie – Bewegungsstörungen und Neuromodulation sowie Direktor des Instituts für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Zu seinen klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkten gehören die Erforschung und Behandlung von Parkinson und anderen neurologischen Bewegungsstörungen. Er ist Autor von über 350 Originalarbeiten.

Stefan Groiss

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Dr. med. Stefan Groiss ist Oberarzt der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Sprecher des Düsseldorfer Parkinsonnetzwerkes. Zu seinen klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkten gehören die Behandlung und Erforschung von neurologischen Bewegungsstörungen sowie die interventionelle Neurophysiologie und Neuromodulation.

Interessenkonflikt

Prof. Schnitzler hat Vortrags- bzw. Beraterhonorare erhalten von: Abbott/SJM, Boston Scientific, Teva Neuroscience, UCB, MEDA Pharma, Novartis, Abbvie. Er hat institutionelle Forschungsförderung erhalten von: DFG, BMBF, HGF, EU, Jacques und Gloria Gossweiler Stiftung.

  • Literatur

  • 1 Abele M, Schulz JB, Bürk K. et al. Evoked potentials in multiple system atrophy (MSA). Acta Neurol Scand 2000; 101: 111-115
  • 2 Deuschl G. Langlatenzige Reflexe (LLR). In: Bischoff C, Dengler R, Hopf HC, Hrsg. EMG NLG. 3. aktual. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014
  • 3 Groiss SJ, Ugawa Y. Cerebellum. Handb Clin Neurol 2013; 116: 643-653
  • 4 Pinkhardt EH, Jürgens R, Becker W. et al. Differential diagnostic value of eye movement recording in PSP-parkinsonism, Richardsonʼs syndrome, and idiopathic Parkinsonʼs disease. J Neurol 2008; 255: 1916-1925
  • 5 Satue M, Seral M, Otin S. et al. Retinal thinning and correlation with functional disability in patients with Parkinsonʼs disease. Br J Ophthalmol 2014; 98: 350-355
  • 6 Siebner HR, Ziemann U. Hrsg. Das TMS-Buch. Berlin, Heidelberg: Springer; 2007
  • 7 Vodusek DB. Sphincter EMG and differential diagnosis of multiple system atrophy. Mov Disord 2001; 16: 600-607

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. med. Alfons Schnitzler
Klinik für Neurologie, Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie
Moorenstraße 5
40225 Düsseldorf

  • Literatur

  • 1 Abele M, Schulz JB, Bürk K. et al. Evoked potentials in multiple system atrophy (MSA). Acta Neurol Scand 2000; 101: 111-115
  • 2 Deuschl G. Langlatenzige Reflexe (LLR). In: Bischoff C, Dengler R, Hopf HC, Hrsg. EMG NLG. 3. aktual. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014
  • 3 Groiss SJ, Ugawa Y. Cerebellum. Handb Clin Neurol 2013; 116: 643-653
  • 4 Pinkhardt EH, Jürgens R, Becker W. et al. Differential diagnostic value of eye movement recording in PSP-parkinsonism, Richardsonʼs syndrome, and idiopathic Parkinsonʼs disease. J Neurol 2008; 255: 1916-1925
  • 5 Satue M, Seral M, Otin S. et al. Retinal thinning and correlation with functional disability in patients with Parkinsonʼs disease. Br J Ophthalmol 2014; 98: 350-355
  • 6 Siebner HR, Ziemann U. Hrsg. Das TMS-Buch. Berlin, Heidelberg: Springer; 2007
  • 7 Vodusek DB. Sphincter EMG and differential diagnosis of multiple system atrophy. Mov Disord 2001; 16: 600-607

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Abb. 1 Diagnostik bei Parkinson-Syndromen. doi:10.1055/b-005-149022 (Quelle: Groiss S, Schnitzler A. Bewegungsstörungen – Parkinson-Syndrome. In: Bischoff C, Buchner H, Hrsg. SOPs Neurophysiologische Diagnostik. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2018. )