Osteologie 2019; 28(04): 242
DOI: 10.1055/a-0919-8630
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Einfluss neurologischer Erkrankungen auf das Osteoporose- und Frakturrisiko

Impact of neurological diseases on the risk of osteoporosis and fractures
Kilian Rapp
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Publication Date:
14 November 2019 (online)

Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser,

viele neurologische Erkrankungen sind mit einem erhöhten Frakturrisiko assoziiert. Die aktuelle Ausgabe von Osteologie greift eine Reihe dieser neurologischen Erkrankungen auf und beleuchtet deren Assoziation zu Osteoporose und Frakturen. Die Übersichtsarbeiten zeigen, dass die Gründe für das beobachtete Frakturrisiko vielfältig und aus pathophysiologischer Sicht äußerst interessant sind.

Ein bei allen beschriebenen Erkrankungen offensichtlicher Grund ist das erhöhte Sturzrisiko. Dieses kann Ausdruck der Grunderkrankung sein. Das ist z. B. der Fall bei der Parkinson-Erkrankung, der Multiplen Sklerose oder nach einem Schlaganfall. Aber auch die Behandlung der Grundkrankheit, z. B. die medikamentöse Therapie der Depression, kann zu einem erhöhten Sturzrisiko führen.

Darüber hinaus scheinen die Erkrankungen aber auch einen direkten Einfluss auf Knochendichte und Knochenqualität zu haben. Ein offensichtlicher Grund ist die mit vielen neurologischen Erkrankungen assoziierte Immobilität. Schluckstörungen, z. B. im Rahmen eines Parkinson-Syndroms oder nach Schlaganfall, können über eine Mangelernährung ebenfalls Einfluss auf den Knochen nehmen. Zudem werden z. B. bei der Depression pro-inflammatorische Zytokine oder erhöhte Serumkortisonwerte für die Assoziation zwischen Erkrankung und dem erhöhten Frakturrisiko verantwortlich gemacht. Schließlich können auch die Medikamente, die zur Therapie der neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden, einen schädlichen Effekt auf den Knochen haben. Beispiele sind eine (selten eingesetzte) dauerhafte niedrigdosierte Glukokortikoidtherapie bei der Multiplen Sklerose oder CYP-450-induzierende Antikonvulsiva zur Therapie der Epilepsie.

Die aktuelle Ausgabe von Osteologie beinhaltet umfassende Übersichten zur Beziehung zwischen den neurologische Erkrankungen Depression, Epilepsie, Multiple Sklerose, Parkinson-Syndrom und Schlaganfall und dem Auftreten von Osteoporose und Frakturen. Für Leserinnen und Leser, die tiefer in das jeweilige Gebiet eindringen wollen, bieten diese Artikel eine hervorragende Grundlage. Darüber hinaus befasst sich ein Artikel mit einem selten thematisierten Problem, nämlich dem erhöhten Osteoporose- und Frakturrisiko bei Menschen mit geistiger Behinderung. Da zunehmend mehr Menschen mit geistiger Behinderung ein höheres Lebensalter erreichen, werden auch Osteologen, Unfallchirurgen und Hausärzte zunehmend mit diesem Thema befasst sein.

Was folgt aus den Beiträgen? Zum einen sollte ein grundsätzliches Bewusstsein dafür entstehen, dass neurologische Erkrankungen auch folgenschwere Auswirkungen auf den Knochen haben können. Diese Botschaft richtet sich weniger an den Osteologen als vielmehr an Disziplinen wie Allgemeinmedizin, Neurologie und Geriatrie, die diese Patienten im Alltag betreuen. Inwieweit die etablierten Therapien zur Prävention von Stürzen und zur (medikamentösen) Therapie der Osteoporose auch bei den beschriebenen Subgruppen neurologischer Erkrankungen wirksam sind, ist allerdings weniger klar. Hier ist die Studienlage z. T. noch recht dünn. Allerdings ist gerade bei neurologischen Erkrankungen ein körperliches Training mit Kraft- und Balancekomponenten als sinnvoller generischer Ansatz anzusehen. Bei der medikamentösen Therapie der Osteoporose muss von den Zulassungsstudien auf die spezifischen Subgruppen neurologischer Erkrankungen geschlossen werden.

Die aktuelle Ausgabe dokumentiert einmal mehr, wie eng die verschiedenen Systeme des Körpers miteinander verbunden sind. Sie zeigt auch, wie wichtig es gerade bei der Betreuung (multi-) morbider Patienten ist, „quer zu denken“ und über die eigene Fachdisziplin hinaus zu blicken.

Kilian Rapp