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DOI: 10.1055/a-0926-0217
Wirbelsäulentrauma im Kindes- und Jugendalter
- Epidemiologie und Ätiologie
- Anatomische Besonderheiten der kindlichen Wirbelsäule
- Diagnostik
- Verletzungen der oberen HWS
- Verletzungen der subaxialen HWS
- Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule
- Grundlagen der Therapie
- Prognose
- Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
- Literatur
Verletzungen der Wirbelsäule bei Kindern sind selten. Die Art, die Lokalisation des Traumas sowie die zugrunde liegenden Ursachen variieren mit dem Lebensalter. Anatomische Charakteristika stellen besondere Herausforderungen an die Diagnostik und Therapie. Aufgrund der biomechanischen Besonderheiten der heranwachsenden Wirbelsäule können im Vergleich zum Erwachsenen etablierte Therapien nicht undifferenziert übernommen werden.
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Abkürzungen
Epidemiologie und Ätiologie
Wirbelsäulenverletzungen werden in der Literatur mit 1 – 4% aller Frakturen bei Kindern und Jugendlichen angegeben. Bei Kindern unter dem 10. Lebensjahr ist am häufigsten die Halswirbelsäule (HWS) betroffen, wovon zwei Drittel dieser Verletzungen in der oberen HWS lokalisiert sind [1]. Im Vergleich zum Erwachsenen ist die Mortalität im Kindesalter erhöht.
Verletzungen der Wirbelsäule bedürfen meist einer massiven Gewalteinwirkung. In rund zwei Drittel der Fälle zeigen sich relevante Begleitverletzungen des Schädels, des Thorax oder der Extremitäten [2]. Erwartungsgemäß finden sich neurologische Ausfälle eher bei Verletzungen der HWS, werden aber insgesamt in der Literatur eher selten angegeben. So betreffen nur etwa 2 – 8% aller Rückenmarkverletzungen Kinder.
Die Unfallursache ist abhängig vom Alter. Bis zum 2. Lebensjahr dominieren Geburtstraumata, ab dem 3. Lebensjahr sind Stürze, Verkehrsunfälle, aber auch Kindesmisshandlungen führend, wohingegen bei den Adoleszenten meist Sport- und Verkehrsunfälle die Ursache sind.
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Anatomische Besonderheiten der kindlichen Wirbelsäule
Aufgrund der anatomischen Besonderheiten der kindlichen Wirbelsäule sind sowohl für die Diagnostik als auch Therapie Kenntnisse über die anatomischen Besonderheiten der wachsenden Wirbelsäule obligat.
Ossifikation der Wirbelkörper
Um die Interpretation von Apophysen als Frakturen zu verhindern, müssen die Grundsätze der Ossifikation der Wirbelkörper bekannt sein.
So weist der Atlas 3 Ossifikationszentren auf. Um das 3. Lebensjahr herum erfolgt der dorsale, der ventrale Bogenschluss hingegen erst um das 7. Lebensjahr herum. Der Axis weist 4 Ossifikationszentren auf. Der Dens ist vom Wirbelkörper durch eine dentozentrale Synchondrose getrennt, die normalerweise zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr verschwindet ([Abb. 1]).
Die Synchondrose des Dens kann durchaus auch über Jahre als röntgentransparente Struktur bestehen und wird häufig als Fraktur fehlinterpretiert.
Die Fusion mit dem Ossifikationszentrum an der Densspitze erfolgt erst mit dem 12. Lebensjahr.
Kaudal des 3. Wirbelkörpers verknöchern alle Wirbelkörper uniform. Ein Ossifikationszentrum entsteht im Wirbelkörper, zwei weitere in den Wirbelbögen. Die Ossifikation erfolgt zunächst nach kranial und kaudal und ab dem 2. Lebensjahr nach vorn und in die Breite. Ab dem 5. bis 6. Lebensjahr ossifiziert die ventrale neurozentrale Synchondrose. Der Spinalkanal hingegen schließt sich variabel (zervikal: 6. – 7. Lebensjahr; thorakal: 7. – 9. Lebensjahr; lumbal: 9. – 10. Lebensjahr).
In der zervikalen und thorakalen Wirbelsäule erscheinen während der Adoleszenz fünf weitere sekundäre Ossifikationszentren:
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an den Spitzen der Dornfortsätze (Fusion mit 25 Jahren),
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an den Querfortsätzen (Fusion in der Pubertät) und
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an den Grenzen zu den oberen und unteren Endplatten (sog. Ringapophyse; [Abb. 2]).
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Form der Wirbelkörper
Die physiologische anteriore Keilform der Wirbelkörper zeigt sich typischerweise bei jüngeren Kindern und sollte nicht mit Frakturen verwechselt werden ([Abb. 3]).
90% der Kinder bis zu einem Alter von 2 Jahren zeigen ein physiologisches Auseinanderweichen der Massae laterales des Axis bis 6 mm.
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Bandapparat der Wirbelsäule
Auch die ligamentären und muskulären Besonderheiten sind zu beachten: Beim Kleinkind artikuliert der Kopf mit dem Atlas horizontal. Die horizontalen und noch flachen Facettengelenke werden hier von einem schwachen Muskelapparat mit laxen Bandstrukturen bei großer Kopf-Körper-Relation gehalten. Das Lig. cruciforme atlantis verbindet Dens axis und vorderen Atlasbogen. Sekundäre Stabilisatoren sind die paarigen Ligg. alaria, die vom seitlichen Dens zum Foramen magnum, medial zu den Okzipitalkondylen und zum vorderen Atlasbogen ziehen. Mit zunehmendem Wachstum vergrößern sich die Neigungswinkel der Gelenkflächen, wodurch eine höhere knöcherne Stabilität resultiert. Zudem nimmt auch die muskuloligamentäre Stabilität zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr zu.
Aufgrund der größeren Beweglichkeit der Halswirbelsäule bei Kindern bis zum 8. Lebensjahr können häufig physiologische Pseudoluxationen zwischen den ersten beiden Halswirbelkörpern (atlantodentaler Abstand ≤ 5 mm) sowie zwischen dem 2. und dem 3. Halswirbelkörper ([Abb. 3]) beobachtet werden.
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Diagnostik
Anamnese
Die Anamnese gibt nach Unfällen wichtige Hinweise auf die Verletzungsart. Durch die Bewertung des Unfallmechanismus sind Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit einer Wirbelsäulenverletzung möglich, zudem werden vorangegangene Operationen oder Vorerkrankungen erfragt.
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Klinische Untersuchung
Grundvoraussetzung für die Diagnosestellung ist eine umfassende körperliche Untersuchung des Kindes. Die Inspektion auf Verletzungszeichen, Verformungen und das Abtasten (Druck und Klopfschmerz, Stufen, Versetzungen, tastbare Lücken zwischen Dornfortsätzen, Hämatome, Kontusionen, Muskelhartspann) des gesamten Rückens vervollständigen die Basisuntersuchung [3]. Ist die Palpation der gesamten Wirbelsäule schmerzfrei, kann die Prüfung der Beweglichkeit folgen. Gerade bei den häufigen Verletzungen der oberen HWS im Kleinkindalter muss eine Verweigerung der Beweglichkeit ernst genommen werden. Zudem kann sich eine Schiefhaltung oder Rotationsfehlstellung des Kopfes zeigen.
Torticollis traumaticus bezeichnet eine Fehlstellung des Halses aufgrund eines akuten Traumas. Ursächlich kann z. B. eine rotatorische atlantoaxiale Dislokation sein.
Auch muss eine orientierende neurologische Untersuchung der Sensibilität, der Motorik und der Reflexe erfolgen. Ein segmentbezogenes neurologisches Defizit kann Hinweise auf das Vorliegen einer Rückenmark-, Nervenwurzel- oder Plexusverletzung geben. Die entsprechende Höhe sowie das Ausmaß der Läsion können eingrenzend bestimmt werden.
Beim bewusstlosen Kind bzw. Kleinkind ist eine Wirbelsäulenverletzung klinisch oft schwer fassbar. Dennoch können ein schlaffer Muskeltonus, insbesondere auch des Analsphinkters, die reine Bauchatmung, eine fehlende Schmerzabwehr und ein Priapismus auf eine Querschnittlähmung hinweisen.
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Bildgebende Diagnostik
Röntgen
Zur Standarddiagnostik bei Verdacht auf eine Wirbelfraktur im Wachstumsalter gehört beim Monotrauma, auch wegen der guten Verfügbarkeit, zunächst die Röntgendiagnostik des entsprechenden Wirbelsäulenabschnittes in 2 Ebenen. Im Bereich der HWS sollte bei älteren Kindern zusätzlich eine Zielaufnahme des Dens axis durchgeführt werden.
Bei der Interpretation der angefertigten Röntgenbilder sollten die in der Infobox aufgeführten Details beachtet werden.
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Würdigung der physiologischen Knochenkerne und Synchondrosen ([Abb. 1], [Abb. 2])
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Würdigung der Verschmelzung der Knochenkerne und des Verschlusses der Synchondrosen
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Beachtung der besonderen und leicht zu übersehenden Verletzungsmuster im Bereich der Synchondrosen und Apophysen
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Beachtung der initial physiologischen Keilform der Wirbelkörper ([Abb. 3])
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Beachtung des physiologischen Stufenphänomens bei HWK 2/HWK 3 ([Abb. 3])
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Beachtung des möglichen physiologischen Auseinanderweichens der Massae laterales des Atlas bis zum Alter von 2 Jahren in der Frontalebene
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Beachtung des normalen Atlas-Dens-Intervall von ≤ 4 mm (atlantoaxiale Pseudoluxation)
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Beachtung des normalen Basion-Dens-Intervalls von ≤ 5 mm (s. u.: [Abb. 7])
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Beachtung des prävertebralen Weichteilschattens von ≤ 8 mm bei HWK 2 und von ≤ 14 mm bei HWK 6
Besteht aufgrund der klinischen Untersuchung der begründete Verdacht auf eine Wirbelsäulenverletzung, kann auch über die Durchführung einer kernspintomografischen Bildgebung als initiale bildgebende Diagnostik nachgedacht werden.
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Computertomografie (CT)
Bei Mehrfachverletzungen, komplexem Verletzungsmechanismus oder kreislaufinstabilen, intubierten Kindern wird eine komplette CT-Abklärung (Schädel, HWS und thorakoabdominal) mit Kontrastmittel durchgeführt.
Verbesserte Low-Dose-Protokolle können hier für eine Reduzierung der Strahlenbelastung sorgen [6]. Zum Ausschluss von Gefäßverletzungen ist an die angiografische Darstellung der A. vertebralis zu denken, vor allem bei Fraktureinstrahlung in das Foramen transversarium oder Facettengelenkfrakturen [6].
Die Computertomografie ist darüber hinaus bei Kompressionsfrakturen zur Planung einer operativen Therapie hilfreich. Besteht im konventionellen Röntgenbild der Verdacht auf eine Luxation, ist eine CT mit multiplanarer Rekonstruktion und ggf. die dreidimensionale Darstellung notwendig.
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Kernspintomografie (MRT)
Diskoligamentäre Verletzungen lassen sich in der MRT am sichersten detektieren. Auch zeigen sich Ödeme in den Wirbelkörpern, welche die Diagnose von seriellen Kompressionsfrakturen ([Abb. 4 a]) zulassen. Allerdings handelt es sich bei der MRT um eine sehr aufwendige Untersuchung, da sie oft nur in Narkose erfolgen kann.
Die MRT ist bei Vorliegen neurologischer Symptome eine Standarduntersuchung, darf aber bei eindeutigen Befunden, wie etwa einer knöchernen fragmentbedingten Spinalkanalverlegung, die indizierte operative Intervention nicht verzögern.
In Ausnahmefällen kann bei Kindern die MRT bei unklaren Unfallmechanismen auch als initiale Bildgebung herangezogen werden ([Abb. 4 b]). So kann die Strahlenbelastung reduziert werden.
Eine Rückenmarkverletzung ohne Nachweis von Veränderungen in der Bildgebung wird als SCIWORA („spinal cord injury without radiologic abnormalities“) bezeichnet. Aufgrund der verbesserten MRT-Bildgebung kann allerdings immer öfter eine ursächliche Pathologie diagnostiziert werden [7].
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Dynamische Röntgenuntersuchung
Da sowohl das Röntgenbild als auch die Schnittbildgebung eine statische Momentaufnahme wiedergibt, kann bei verbleibender Unklarheit bzw. vorliegenden Verletzungen die dynamische, ärztlich geführte Durchleuchtung Sicherheit über eine eventuelle Instabilität bzw. deren Ausmaß geben. Auf diese Weise können gerade bestehende Instabilitäten der Wirbelsäule von Pseudoluxationen abgegrenzt werden ([Abb. 5]).
So kann z. B. ein Ventralversatz eines Wirbelkörpers gegenüber dem nächsten eine knöcherne oder ligamentäre Verletzung vermuten lassen. Allerdings kann ein Ventralversatz von ≤ 3 mm vor allem in der oberen HWS im Kindesalter noch physiologisch sein [4]. Diese Pseudosubluxation wird zumeist in den Segmenten HWK 2/3 und HWK 3/4 gesehen. Normalerweise zeigt sich diese anteriore Subluxation sowohl in neutraler Position als auch in Flexion und reduziert sich bei Extension [5].
Statische Funktionsaufnahmen in Flexion und Extension ohne Führung des Untersuchers werden explizit nicht empfohlen.
Ein 13-jähriges Mädchen stellt sich nach einem Pferdesturz in der Notfallambulanz vor. Die Anamnese ergibt einen Sturz mit dem Kopf auf den Boden. Die junge Patientin klagt über Schmerzen im Bereich der oberen Halswirbelsäule und über einige Schürfwunden an den Extremitäten. Die klinische Untersuchung zeigt keine neurologischen Defizite.
In der initialen radiologischen Diagnostik ist eine gering dislozierte Fraktur des Dens axis zu finden ([Abb. 8]). Die CT-Bildgebung bestätigt diesen Befund. Es erfolgen die geschlossene Reposition und die Anlage eines Halo-Fixateurs ([Abb. 6 b]) in Narkose, was zur kompletten Ausheilung führt ([Abb. 3 c]).
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Verletzungen der oberen HWS
Okzipitale Kondylenfrakturen
Okzipitalkondylenfrakturen sind sehr selten bei Kindern und werden oft nur im Rahmen von Feinschicht-CT-Aufnahmen diagnostiziert. Nach Anderson und Montesano unterscheidet man 3 Typen:
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Impaktionsfrakturen,
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Schädelbasisfrakturen mit Frakturlinie durch die Okzipitalgelenkstrukturen,
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Avulsionsfrakturen.
In der Regel ist eine kurze Ruhigstellung mittels Zervikalorthese ausreichend. Bei größerer Asymmetrie der Gelenkflächen bzw. bei größerer Dislokation ist eine Fixierung mittels Halo-Fixateur notwendig ([Abb. 6]).
Kreuzt die Fraktur das Neuroforamen der Schädelbasis, können durch eine sekundäre Kompression nach Kallusbildung [8] neurologische Defizite an Hirnnerven auch nach längerer Latenz von bis zu 3 Monaten auftreten.
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Atlantookzipitale Instabilität
Atlantookzipitale Verletzungen werden besonders durch starke Dezelerationstraumata ausgelöst. Bei kleinen Kindern kommt es durch den im Verhältnis zum Körper relativ großen Kopf zu starken Beschleunigungskräften. Durch die kondyläre Struktur wird die Stabilität des atlantookzipitalen Gelenks hauptsächlich ligamentär durch die Lig. alaria und die Membrana tectoria als Verlängerung des hinteren Längsbandes gesichert, sodass bei entsprechenden Unfallmechanismen hohe Scherkräfte nicht abgefangen werden können. Dies führt dann zu einer Separation zwischen Kopf und Wirbelsäule ([Abb. 7]). Hierdurch kommt es sehr häufig zu neurologischen Schäden bis hin zur Myelonzerreißung.
Durch die steigende Kenntnis dieser Verletzung und der verbesserten präklinischen und initialen klinischen Maßnahmen wird diese Verletzung zunehmend überlebt.
Nicht alle Patienten zeigen neurologische Ausfälle, auch unspezifische Symptome wie Übelkeit, Kopfschmerzen, Schiefhals, aber auch Hirnnervenausfälle sowie motorische oder sensorische Defizite können auftreten.
Als instabile ligamentäre Verletzung ist dieses Trauma eine Domäne der operativen Versorgung, da wegen mangelnder Erfolgsaussichten eine rein konservative Therapie ungeeignet ist. Die Fusion vom Okziput auf HWK 1 ist anzustreben und erfolgt in der Regel durch Luque-Drähte, Cerclagen oder durch ein Schrauben-Stab-System mit ggf. additiver Knochenanlagerung. Bei kleinen Kindern mit noch nicht voll ausgebildetem dorsalem Atlasbogen muss ggf. bis auf C2 oder auch längerstreckig instrumentiert werden [9].
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Frakturen des Atlas
Verletzungen des Atlasbogens entstehen durch axiale Krafteinwirkungen.
In der Frontalebene spricht ein addierter Gesamtüberstand der Massae laterales des Atlas um mehr als 7 mm über die seitliche Begrenzung des Axis für eine instabile Atlasfraktur mit Verletzung vom Lig. transversum [10], wobei ein Auseinanderweichen bis 6 mm physiologischerweise bei 90% der 2-jährigen Kinder gefunden wird und bis zum Alter von 7 Jahren auftreten kann [5].
Die Klassifikation erfolgt nach Gehweiler, wobei vor allem die Unterscheidung zwischen stabilem Typ 3a (ohne Verletzung des Lig. transversum) und instabilem Typ 3b (mit Verletzung des Lig. transversum) hervorzuheben ist.
Die Therapie besteht überwiegend in einer Ruhigstellung mittels semirigider Orthese, seltener durch Anlage eines Halo-Fixateurs. Operative Fusionen oder direkte Verschraubungen sind im Kindesalter meist nur bei anhaltender Instabilität notwendig.
Sowohl die Halo-Ringe als auch die Westen müssen der Körpergröße der Kinder angepasst werden. Bei der Anlage des Halo-Fixateurs werden die bekannten Pin-Eintrittspunkte genutzt. Bei Kindern werden mehr Pins als beim Erwachsenen eingesetzt. Diese müssen streng rechtwinklig zum Knochen eingebracht werden. Das Drehmoment ist entsprechend anzupassen.
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Atlantoaxiale Subluxation
Die Subluxation im atlantoaxialen Segment ist eine der häufigsten Ursachen des kindlichen Schiefhalses. Die überwiegende Rotationsbewegung der HWS wird im Segment HWK 1/2 ausgeführt. Aufgrund der sehr flach ausgebildeten Gelenkflächen und der großen Gelenkbeweglichkeit können insbesondere Kinder eine Subluxation erleiden.
Klinisch zeigt sich das typische Bild der Rotation zu einer Seite mit Kopfneigung zur Gegenseite. Bei Bewegung in die Normalposition werden Schmerzen angegeben, wohingegen oft eine Verstärkung der Rotation oder Seitneigung möglich sind.
Nach einem Infekt der oberen Atemwege als häufigste Ursache (Grisel-Syndrom) ist das Trauma der zweithäufigste Auslöser einer atlantoaxialen Subluxation.
Die einseitige Facettengelenksubluxation ist am häufigsten und fast immer verbunden mit einer Rotation. Diese Verletzung gilt als gut therapierbar. Beidseitige Sub- oder komplette Luxationen mit Ventralversatz der Massa lateralis von > 3 mm sind deutlich schwerwiegender. Hier ist das Lig. transversum elongiert oder rupturiert und wirkt somit nicht mehr stabilisierend.
Wichtig sind anterior–posteriore und transorale Aufnahmen bei bestmöglicher Neutralposition des Kopfes. Mittels 3-D-CT-Rekonstruktionen kann die Fehlstellung am besten detektiert werden.
Eine frische traumatische atlantoaxiale Subluxation wird in Kurznarkose bei relaxiertem Kind über eine transorale digitale Manipulation reponiert. Im Anschluss hieran erfolgt eine Ruhigstellung in einem semirigiden Kragen für 4 Wochen. Eine operative Therapie mit dorsaler Spondylodese ist nur in Ausnahmefällen bei veralteten Luxationen mit persistierender Instabilität erforderlich. So kann die Neutralposition des Kopfes wiederhergestellt werden und dem muskulären Hartspann entgegengewirkt werden, welcher sich infolge der Fehlrotation ausbildet [12].
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Frakturen des Dens axis
Dens-axis-Frakturen zählen zu den häufigsten Frakturen im Bereich der Halswirbelsäule. Ursächlich sind zumeist Autounfälle oder Stürze aus größerer Höhe mit Gewalteinwirkung auf den Kopf. Meist werden Schmerzen im Nacken angegeben. Klinisch vermeiden es die Kinder, den Kopf aktiv zu reklinieren, und wehren sich bei dem Versuch entsprechender Funktionsüberprüfungen.
Häufig verläuft die Verletzung im Bereich der Synchondrose, also etwas kaudal der Basis des Dens.
Für gewöhnlich ist der Dens bei Frakturen nach anterior verschoben. Oft bleibt hierbei der ventrale Periostschlauch intakt und sorgt für eine gewisse Reststabilität sowie für eine gute Konsolidierungstendenz während der Ruhigstellung. Wachstumsstörungen im Verlauf werden eher nicht beobachtet.
Diagnostisch kann die anterior–posteriore Röntgenaufnahme unauffällig erscheinen, im seitlichen Röntgen lässt sich die Fraktur aber meist klar darstellen ([Abb. 8], obere Reihe). Wenn die Verletzung durch die Synchondrose verläuft und sich spontan reponiert hat, kann jedoch die Röntgenaufnahme täuschen [8]. Um die Diagnose zu sichern, ist eine Schnittbildgebung ([Abb. 8], untere Reihe) notwendig.
Neurologische Defizite sind bei dieser Verletzung selten und dann eher als Folge einer gleichzeitigen Zerrung des Myelons zu werten.
Bei stärker dislozierten Frakturen ist ggf. eine Reposition in Narkose mit Extension notwendig, ggf. mittels transoralem Repositionsmanöver. Es sollte dann eine Ruhigstellung durch den Halo-Fixateur für 6 – 8 Wochen durchgeführt werden. Bei guter Compliance und wenig dislozierten Frakturen kann die Therapie mittels Zervikalorthese erwogen werden. Aufgrund der guten Ergebnisse der konservativen Therapie sind operative Versorgungen mit osteosynthetischer Verschraubung oder Fusionsoperationen in aller Regel nicht notwendig.
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Hanged-Man-Fracture (traumatische Spondylolyse)
Durch ein Hyperextensionstrauma kann es auch bei Kindern zur beidseitigen traumatischen Spondylolyse des HWK 2 bzw. zur traumatischen Spondylolisthese HWK 2/3 („Hanged-Man Fracture“) kommen. Diese Verletzungen sind insgesamt sehr selten. Klinisch imponieren Nackenschmerzen und das Vermeiden von jeglichen Bewegungen der HWS.
Radiologisch zeigen sich eine Lücke oder Aufhellungslinien ventral der Pedikel des 2. HWK. Bei ligamentärer oder diskaler Beteiligung kann sich zusätzlich ein Versatz des HWK 2 gegenüber HWK 3 zeigen. Die Einteilung erfolgt nach Effendi bzw. Josten.
Die Therapie besteht in einer Ruhigstellung für 8 – 12 Wochen mittels Halo-Fixateur. Eine ventrale oder dorsale Stabilisierung ist im Kleinkindalter nur bei ausbleibender Konsolidierung und im höheren Alter bei hoher Instabilität notwendig, dann ggf. mit ventraler Fusion.
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Verletzungen der subaxialen HWS
Ein 16-jähriges Mädchen wird nach einem Motorradsturz durch den Rettungsdienst in der Notfallambulanz vorgestellt. Der Sturz hatte unbeobachtet stattgefunden, und bei der Patientin besteht eine retrograde Amnesie zum Unfallereignis. Die Patientin gibt Schmerzen im Bereich der unteren Halswirbelsäule an. Bei der klinischen Untersuchung werden gering ausgeprägte Sensibilitätsstörungen an den Oberarmen beidseits gefunden. Die initiale Röntgenuntersuchung zeigt eine Fraktur des 5. Halswirbelkörpers ([Abb. 10 a]) Typ A4 nach der AO Spine-Klassifikation. Die weiterführende MRT-Bildgebung zeigt darüber hinaus eine Beteiligung der angrenzenden Bandscheiben ([Abb. 10 b]). Es wird deshalb die Indikation zur operativen Therapie im Sinne einer Implantation eines Wirbelkörperersatzes des HWK 5 nach partieller Korporektomie und Diskektomie gestellt ([Abb. 10]).
Subaxiale Verletzungen von HWK 3 bis HWK 7 treten eher bei jugendlichen Patienten auf. Aufgrund der Kombination aus morphologischen und klinisch-neurologischen Kriterien wird dann die AO Spine-Klassifikation für subaxiale HWS-Verletzungen empfohlen [13]. Hier erfolgt die Einteilung in
-
Kompressionsverletzungen (Typ A),
-
Zerreißungen der vorderen oder hinteren Zuggurtung (Typ B) oder
-
translatorisch instabile Verletzungen mit Zerreißung der vorderen und hinteren Zuggurtung (Typ C).
Typ-A-Verletzungen sind die häufigste Form.
Bei axialer Krafteinwirkung auf die flektierte HWS kommt es zur Kompression des Wirbelkörpers, welche zumeist problemlos im konventionellen Röntgenbild diagnostiziert werden kann. Mittels MRT-Untersuchungen können Begleitverletzungen sowie serielle Frakturen dargestellt werden ([Abb. 4 a]).
Der Sprung in ein flaches Gewässer ist neben Stürzen aus einer Höhe über 2 m und Verkehrsunfällen nach wie vor als häufiger Unfallmechanismus zu verzeichnen.
Im Gegensatz zu den Frakturen von Jugendlichen und Erwachsenen können die Frakturen bei Kindern unter 8 Jahren in den Bereichen der subaxialen HWS sowie der oberen BWS im Sinne von Salter-Harris-I- oder auch Salter-Harris-III-Frakturen durch die knorpelige Endplatte verlaufen und dann in Erscheinung treten. Aufgrund der stabilisierenden Effekte der Artikularportion (Processus uncinatus) findet sich die Fraktur am häufigsten im Bereich der Endplatte ([Abb. 9]).
Flexions- oder Distraktionsverletzungen können zu einer traumatischen Ablösung der Bandscheibe von der Grund- oder Deckplatte mit Ruptur des hinteren Längsbandes führen.
Diskoligamentäre Zerreißungen der HWS im Kindes- und Jugendalter stellen hoch instabile Verletzungen dar, können aber durch die fehlenden knöchernen Verletzungszeichen leicht übersehen werden. Auch in der MRT kann die geringe oder fehlende Einblutung über die Schwere der Verletzung hinwegtäuschen.
Zur sicheren Diagnostik einer Instabilität ist eine dynamische arztgeführte Bildwandleruntersuchung notwendig ([Abb. 5]). Sollte hierbei eine Instabilität diagnostiziert werden, ist eine Fusion in diesem Segment notwendig.
Als Basis der Therapieentscheidung bei Verletzungen der HWS dienen die therapeutische Strategie der AO Spine (s. Infobox).
-
A0-, A1-, A2-Frakturen sollten konservativ behandelt werden mit einer kurzeitigen Ruhigstellung in einer semirigiden Halskrawatte.
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A3-Frakturen sind zumeist Einzelfallentscheidungen, hier kann sowohl eine konservative als auch eine operative Behandlung indiziert sein.
-
A4-, B-, C-Frakturen bedürfen einer operativen Therapie.
Bei den meisten Verletzungen wird die ventrale Plattenspondylodese mit interkorporeller Abstützung empfohlen. Bei Berstungskomponente muss oftmals eine Korporektomie und die Implantation eines Wirbelkörperersatzes erfolgen ([Abb. 10]). Eine additive dorsale Instrumentierung kann bei verbleibender dorsaler Instabilität erforderlich sein.
Facettengelenkfrakturen/Facettengelenkluxationen
Die ein- oder beidseitige Facettengelenkluxation ist die zweithäufigste Verletzung der subaxialen HWS im Jugendalter. Der Unfallmechanismus beinhaltet eine Krafteinwirkung in Rotationshaltung der HWS. Die Diagnose kann meist mit der konventionellen Röntgenaufnahme gestellt werden. Die CT lässt begleitende Frakturen der Gelenkfacetten erkennen und hilft bei der Planung der Reposition. Diskoligamentäre Verletzungen werden durch die MRT detektiert. Bei der AO Spine-Klassifikation werden die Facettengelenke separat beurteilt. Bei nachgewiesener Facettengelenkfraktur vom Typ F1 oder F2 oder bei Fraktureinstrahlung in das Foramen transversarium sollte eine CT-oder MR-Angiografie erwogen werden [14].
Die Reposition geschieht unter Bildwandlerkontrolle und Längszug mit entsprechender Rotation. Ist eine geschlossene Reposition nicht möglich, muss eine offene Reposition mit anschließender Fusion entsprechend der B- oder C-Verletzung durchgeführt werden.
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Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule
Einteilung
Die Klassifikation der Verletzungen richtet sich nach dem Alter des jungen Patienten ([Tab. 1]). Bei älteren Kindern kann es zu einer Verletzung der ringförmigen Wirbelkörperrandleiste (Apophysenring) kommen. Hierbei handelt es sich um eine frakturierte Wachstumsfuge, die sich zum Teil spontan reponieren kann. Der konventionellen Röntgendiagnostik bleibt sie häufig verborgen.
Alter1 |
Klassifikation |
---|---|
1 Kleine Kinder unter 3 Jahren lassen sich aufgrund der seltenen Verletzungen mit ihren Besonderheiten schwer in dieses Schema einordnen. |
|
< 8 Jahre |
Salter-Harris |
> 8 – 18 Jahre |
Takada/Epstein |
> 12 Jahre |
AO Spine |
Die meisten Apophysenabrisse liegen bei den meist männlichen Adoleszenten lumbal und kranial ([Abb. 11]), selten thorakal oder zervikal. Als Ursache werden chronische Überlastungen durch Sport oder ein adäquates Monotrauma angenommen.
Die Symptome können einer Diskushernie ähneln. Die Einteilung erfolgt nach Takada und Epstein ([Tab. 1], [Tab. 2]). Prinzipiell wird zwischen einer Dislokation nach ventral (betroffen Anulus fibrosus und vorderes Längsband) und nach dorsal unterschieden. Die häufigere dorsale Dislokation wird wie in [Tab. 2] dargestellt unterteilt [19].
Einteilung |
Kennzeichen |
---|---|
Typ 1 |
Lösung des gesamten hinteren Längsbands (11. – 13. Lebensjahr) |
Typ 2 |
Randleiste mit spongiösen Anteilen des Wirbelkörpers (13. – 18. Lebensjahr) |
Typ 3 |
lateraler Teil der Randleiste mit Teilen des Wirbelkörpers (> 14. Lebensjahr) |
Typ 4 |
Fraktur der gesamten Hinterwand zwischen den Endplatten, ggf. mit Spinalkanaleinengung |
Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelkörper sind zudem Abrisse der Synchondrosen zwischen den Bogenkernen und dem bipolaren neurozentralen Knorpel in Form einer traumatischen Spondylolyse möglich. Bei neurologischen Defiziten wird eine Dekompression erforderlich, zudem ist die mögliche Ausbildung sekundärer Deformitäten zu beachten.
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Grundlagen der Therapie
Das Korrektur- und Regenerationspotenzial der verletzten Wirbelsäule im Kindes- und Jugendalter unterscheidet sich von dem der Erwachsenen und verändert sich mit dem Älterwerden ([Abb. 12]).
Der Großteil der Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule im Kindesalter kann konservativ therapiert werden.
Je älter die Kinder jedoch werden, umso fließender ist der Übergang zum bekannten Behandlungsregime beim Erwachsenen. Mit zunehmender Instabilität wird eine operative Behandlung auch im Kindesalter notwendig. So werden eine frühe Schmerzlinderung erreicht, eine progrediente Deformierung vermieden und nervale Strukturen durch eine frühzeitige Dekompression geschützt bzw. entlastet.
Instabilität bei Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule
Die AO-Klassifikation gibt einen Hinweis auf die Instabilität [20]:
-
Typ-A0-Frakturen sind nicht stabilitätsgefährdend.
-
Typ-A1-Frakturen sind generell als stabil anzusehen. Bei einem Grund-Deckplatten-Winkel von 15 – 20° (Röntgenbilder im Stehen) kann es aber im Verlauf zu einer weiteren Fehlstellung kommen. Als weiteres Instabilitätskriterium wird in der Literatur ein Wirbelkörperödem in über zwei Drittel des Wirbelkörpervolumens angesehen [15], sodass in diesem Fall auch A1-Frakturen als geringgradig instabil anzusehen sind.
-
Typ-A2-Verletzungen können bei begleitender Bandscheibenbeteiligung instabil sein.
-
Typ-A3- und Typ-A4-Frakturen zeigen eine Verletzung der vorderen und mittleren Säule, i. d. R. ist die Bandscheibe zerstört. Laut Literatur [15], [16] zeigen 87% der Bandscheiben nach 12 Monaten einen Defekt. Als weitere Instabilitätsfaktoren bei Berstungsfrakturen werden eine fehlende Verdichtung der Fragmente, eine Zerstörung von mehr als einem Drittel der Wirbelkörperhöhe und eine Fragmentdislokation von über 2 mm angesehen, sodass hier durchaus die Schwelle zur hochgradigen Instabilität überschritten werden kann.
-
Typ-B- und Typ-C-Verletzungen gelten bei Versagen der dorsalen oder ventralen osteoligamentären Zuggurtung als hochgradig instabil und sollten dementsprechend stabilisiert werden.
-
Zudem werden eine Höhenreduktion der Wirbelkörper und eine Spinalkanaleinengung von mehr als jeweils 40 – 50% als Instabilitätskriterien gewertet.
[Tab. 3] zeigt eine Zusammenfassung der Diagnosen und Therapieempfehlung bei Verletzungen der Wirbelsäule im Kindes- und Jugendalter.
Lokalisation |
Diagnose |
Therapieempfehlung |
---|---|---|
obere HWS |
Okzipitalkondylenfrakturen Typ I und II |
konservativ (Orthese) |
Typ III |
Halo-Fixateur bei starker Zerstörung: dorsale Fusion (Ausnahmeindikation) |
|
atlantookzipitale Instabilität |
temporäre Ruhigstellung mittels Halo-Fixateur für 8 – 10 Wochen bei persistierender Instabilität: Instrumentation/Fusion C0–C1 (C2) |
|
Frakturen des Atlas Typ 1, 2, 3a, 4, 5 |
konservativ (Orthese) |
|
Typ 3b |
bei Kontinuitätsunterbrechung des Lig. transversum atlantis mit bei persistierender Instabilität: Fusion, direkte Verschraubung |
|
atlantoaxiale Subluxation/Luxation |
überwiegend konservativ, nach ggf. vorheriger Reposition operativ nur bei persistierender Fehlstellung und Instabilität |
|
Frakturen des Dens axis |
Halo-Fixateur bei Dislokation mit frustranem Versuch der geschlossenen Reposition: Osteosynthese |
|
Hanged-Man-Fraktur |
überwiegend konservativ (Orthese) bei Bandscheibenverletzungen mit Instabilität: Halo-Fixateur/OP |
|
mittlere und untere HWS |
Kompressionsverletzungen A1 und A2 |
konservativ bei starker Fehlstellung durch segmentale Instabilität: OP in Einzelfällen |
A3 |
überwiegend operativ (Einzelfallentscheidung) |
|
A4, B, C |
operative Therapie |
|
Facettengelenkfrakturen/Luxationen |
Reposition unter Durchleuchtung, Ruhigstellung bei persistierender Fehlstellung: OP |
|
BWS/LWS |
A0 |
konservativ |
A1 und A2 |
konservativ; bei starker Fehlstellung durch segmentale Instabilität: OP in Einzelfällen |
|
A3 |
überwiegend operativ (Einzelfallentscheidung) |
|
A4, B, C |
operative Therapie |
|
Frakturen durch die knorpelige Endplatte (Salter-Harris I/III) |
bei Instabilität: OP-Indikation |
|
Apophysenabrisse (Takada/Epstein) |
konservativ; bei neurologischen Symptomen: Dekompression und Fusion |
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Konservative Therapie
Generell können persistierende ventrale Kyphosewinkel bis zu 10° kompensiert werden, im Risser-Stadium 1 – 2 auch 10 – 20°.
Die Spontankorrekturfähigkeit keilfömig komprimierter Wirbelkörper im Kindes- und Jugendalter ist bekannt; ab Risser-Stadium 3 ist diese jedoch reduziert.
Bei einer Keilwirbelbildung von mehr als 10° wird das Tragen eines Reklinationskorsetts zur Druckentlastung der Wachstumszone und Stimulation des vorderen Wirbelkörperwachstums bis zu einem Jahr empfohlen. Bei Kompressionsfrakturen im oberen BWS-Bereich ohne weitere thorakale Verletzung mit einem Kyphosewinkel ≤ 15° ist die frühfunktionelle Behandlung mit Krankengymnastik, Rückenschulung und Muskelaufbau die zu empfehlende Therapie. Eine Sportkarenz sollte für 3 Monate eingehalten werden.
Zur Verlaufskontrolle werden von den Autoren Zielaufnahmen nach 1, 3 und 6 Wochen bei exakter Darstellung der betroffenen Region sowie nach 6 Monaten und einem Jahr empfohlen.
Aufgrund der besseren Kompensationsmechanismen scheint insbesondere bei Kindern der Bandscheibenschaden keine so wesentliche Rolle zu spielen. Kerttula et al. [17] wiesen in einer MRT-Untersuchung mindestens ein Jahr nach thorakolumbaler Berstungsfraktur und konservativer Therapie bei Kindern unter 14 Jahren keine Bandscheibenläsionen nach. Dies scheint auch für den Langzeitverlauf zu gelten [18]. Demgegenüber zeigten sich bei den über 15-jährigen Patienten mehrheitlich Diskusschäden in den frakturangrenzenden Segmenten.
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Operative Therapie
Bei älteren Kindern und und Adoleszenten folgen Stabilisierungen der thorakolumbalen Wirbelsäule den Grundsätzen der Erwachsenentherapie. Die Instrumentierung erfolgt je nach Frakturmorphologie zumeist mono- oder bisegmental. Je nach Befund kann vor allem in der Brustwirbelsäule eine multisegmentale Stabilisierung notwendig werden.
Ligamentäre Verletzungen sollten zuerst reponiert werden und je nach Alter des Kindes durch Verbinden der Dornfortsätze durch Cerclagen oder im fortgeschrittenen Alter ebenfalls mit einem dorsalen Fixateur stabilisiert werden. Bei sehr kleinen Kindern können die Dornfortsätze auch mit Polydioxanonkordeln oder FiberWire®-Fäden verbunden werden, die Nachbehandlung sollte dann im Korsett erfolgen.
Generell kommen auch minimalinvasive Verfahren mit kurzstreckigen dorsalen Stabilisierungen bei guter Aufrichtung durch die Lagerung bzw. mit minimalinvasiven Repositionssystemen zur Anwendung ([Abb. 12]).
Eine Materialentfernung sollte zumeist frühzeitig nach 6 – 9 Monaten erfolgen. Bei Verdacht auf eine Bandscheibenschädigung sollte vorher eine MRT-Untersuchung durchgeführt werden.
Ventrale Spondylodesen sind i. d. R. bei jüngeren Patienten so gut wie nicht erforderlich. Selten werden diese Verfahren mit Wirbelkörperersatz bzw. Cage im Falle einer Korrektur bei größeren Fehlstellungen bzw. Defekten benötigt.
Thorakolumbale Apophysenschäden mit in den Spinalkanal dislozierten Fragmenten ([Abb. 11]) müssen bei neurologischen Symptomen chirurgisch entfernt werden.
Laminektomien sind bei Kindern kontraindiziert, außer es findet sich eine anders nicht zu behebende mechanische Einengung des Spinalkanals mit zuzuordnenden neurologischen Defiziten. Anderenfalls können so im weiteren Wachstum erhebliche Deformitäten erzeugt werden.
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Prognose
Die Prognose von HWS-Verletzungen im Kindes- und Jugendalter ist sehr gut, wenn die Verletzung frühzeitig diagnostiziert wird.
Fehlstellungen im Bereich der BWS und LWS werden teilweise über das weitere Wachstum ausgeglichen, vor allem je jünger die Kinder zum Zeitpunkt der Verletzung sind. Mitunter kann sich im Verlauf eine leicht progressive balancierte Skoliose (< 10°) um den frakturierten Bereich ausbilden.
Kaum ausgeglichen werden frontale Fehlstellungen; hier können im weiteren Verlauf posttraumatische Skoliosen entstehen, die jedoch selten 20° überschreiten.
Endplattenfrakturen korrigieren sich i. d. R. nicht, hier kann dann eine Störung des Wachstums die Folge sein. Verletzungen der Endplatten und Bandscheiben können zudem zu Spontanfusionen des Segments führen.
Inkomplette neurologische Defizite haben bei Kindern ebenfalls eine relativ gute Prognose, da das Regenerationspotenzial hoch ist. Komplette Querschnittsyndrome dagegen erfahren auch bei Kindern selten eine Verbesserung. Für den Einsatz von Steroiden gibt es laut Literatur für diese Altersklassen keine Evidenz.
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Bei Diagnostik und Therapie ist die genaue Kenntnis der Anatomie und Biomechanik der sich entwickelnden Wirbelsäule unabdingbar.
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Neben der klinisch-neurologischen Untersuchung erfolgt die Diagnostik hauptsächlich über die Bildgebung mittels Röntgen und Kernspintomografie.
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Die arztgeführte dynamische Bildwandlerkontrolle ist zur Diagnostik von diskoligamentären Verletzungen ein wichtiges Zusatzinstrument.
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Die CT ist speziellen Fragestellungen bzw. schwerverletzten Kinder vorbehalten.
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Zumeist ist eine konservative Therapie möglich.
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Bei instabilen Verletzungen kann eine operative Stabilisierung indiziert sein.
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Je älter die Kinder werden, umso fließender wird der Übergang zur Therapie des Erwachsenen.
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Die schwierige Indikation und Besonderheiten der operativen Therapie machen die Behandlung in einem kinderwirbelsäulenchirurgisch erfahrenen Zentrum notwendig.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist PD Dr. med. Dr. Michael Kreinest, Ludwigshafen.
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Jan-Sven Jarvers
Dr. med., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Zusatzbezeichnung Spezielle Unfallchirurgie. Oberarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie am Universitätsklinikum Leipzig. Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Wirbelsäulentrauma im Kindesalter der Sektion Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Stefan Matschke
Dr. med., Facharzt für Chirurgie sowie für Orthopädie und Unfallchirurgie, Zusatzbezeichnung Spezielle Unfallchirurgie. Wirbelsäulenchirurg an der ATOS Klinik Heidelberg. Leiter der Arbeitsgemeinschaft Wirbelsäulentrauma im Kindesalter der Sektion Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Christoph-E. Heyde
Prof. Dr. med. habil., Facharzt für Orthopädie, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie; Zusatzbezeichnungen: Sportmedizin, Rheumatologie, Manuelle Medizin. Bereichsleiter Wirbelsäulenchirurgie und stellvertretender geschäftsführender Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie an der Universität Leipzig. Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Wirbelsäulentrauma im Kindesalter der Sektion Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Michael Kreinest
PD Dr. med. Dr. rer. nat., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Funktionsoberarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie und Koordinator des Wirbelsäulenzentrums der BG Klinik Ludwigshafen. Stellvertretender Leiter der Arbeitsgemeinschaft Wirbelsäulentrauma im Kindesalter der Sektion Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Interessenkonflikt
Erklärung zu finanziellen Interessen
Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: nein; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an im Bereich der Medizin aktiven Firma: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an zu Sponsoren dieser Fortbildung bzw. durch die Fortbildung in ihren Geschäftsinteressen berührten Firma: nein.
Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
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Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
04 June 2020
Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
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Literatur
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