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DOI: 10.1055/a-0945-1750
Doppelkopf: Wiebke Nehls und Anne Letsch
Publication History
Publication Date:
08 July 2019 (online)
Wiebke Nehls
1972 geboren, verheiratet, zwei Töchter im Kindergartenalter. Internistin, Palliativmedizinerin, Hämatologin und Onkologin. 2009 Aufbau einer Palliativstation am HELIOS Klinikum Emil von Behring, Oberärztin in der Lungenklinik Heckeshorn und Bereichsleitung Palliativmedizin. Ausbilderin in Kommunikationstraining für Ärzte. Ausbildung zur Psychodrama-Praktikerin. Mitarbeit an verschiedenen Leitlinien. Prüferin bei der Berliner Ärztekammer für das Fach Palliativmedizin. Dozentin, Referentin und Autorin zu palliativmedizinischen Themen. Mitglied im Vorstand der DGP seit 2014.
Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?
Nach Abschluss des Medizinstudiums habe ich zwischen der Pädiatrie und der Inneren Medizin gewählt. Ich konnte mir immer eine Disziplin gut vorstellen, in der ich mit den Patient*innen gemeinsam auf einem Weg bin. Nach dem PJ-Tertial in der Kinderheilkunde erschien mir der Dialog „über die Köpfe der Kinder hinweg“ mit den Eltern oft nicht einfach; ich konnte von den Empfehlungen abweichende Entscheidungen schlechter hinnehmen. Das war bei den Erwachsenen für mich nie ein Problem. So war ich dankbar, eine Innere-ÄiP-Stelle in der Abteilung und bei der Oberärztin zu bekommen, die ich im PJ schon unglaublich prägend wahrgenommen hatte – für mich, aber auch für die Abteilung. Zunächst dankbar, wenn es um Herzschwäche und Diabetes ging. Und immer sehr unruhig, wenn ich kurz vor dem Wochenende einen Patienten auf die Station aufnehmen musste, der einen unklaren Gewichtsverlust hatte. Nach einem sehr intensiven Ausbildungsjahr bei der Oberärztin, zu der sich inzwischen eine Freundschaft entwickelt hatte, erkrankte sie an einer metastasierten Krebserkrankung. Drei Jahre später durfte ich sie im Sterben begleiten. Das war für mich eine sehr traurige – gleichzeitig aber auch sehr prägende und „reiche“ Erfahrung. Und bestimmt auch der persönliche Schlüssel in die Onkologie und in die Begleitung von unheilbar Erkrankten.In der Onkologie durfte ich an der Seite von vielen engagierten Mitstreitern die Palliativversorgung im Hause mitaufbauen. Leider gab es keine offenen Türen für die Idee einer Palliativstation, der Gedanke von Palliativkonsildiensten war seinerzeit noch nicht ausgereift. So folgte ich gerne dem Ruf aus einem Krankenhaus im Süden Berlins. Ich sollte gemeinsam mit einem neu zusammengestellten Team 2009 eine Palliativstation mit 12 Betten in der größten pneumologischen Abteilung Berlins eröffnen. Mit einem großen Teil der Kolleg*innen arbeite ich heute weiterhin sehr zufrieden zusammen.
Was wäre für Sie die berufliche Alternative?
Ich bin in der Disziplin, in der ich mich befinde und in dem Job gut aufgehoben und richtig! Es gab eine Zeit, in der hätte ich gerne vor dem Studium eine Ausbildung gemacht; zum Beispiel als Tischlerin. Weniger, um langfristig in diesem Beruf zu arbeiten. Sondern mehr, weil ich gerne besser gelernt hätte, mit den Händen was zu schaffen, und gerne tolles Material in den Händen halte. Meine kreative Lust befriedige ich inzwischen ausbildungslos und trotzdem mit großer Freude.
Wie beginnen Sie Ihren Tag?
Ich komme in der Regel leicht aus dem Bett raus, auch wenn es meist noch vor 6 Uhr ist. Ich genieße es dann, einen kleinen Augenblick für mich allein zu haben und versuche, leise aufzustehen und Mann und Kinder noch schlafen zu lassen. Dann gehe ich mit einem schwarzen Tee mit Milch in der Hand im Bademantel auf den Steg vor der Haustür, schaue ein bisschen in die Ferne und springe (im Winter kürzer im Sommer länger) in den See.Danach geht es meist mit größerem Tempo weiter. Bis 7 Uhr sind dann die meisten Dinge halbwegs sortiert, die Kinder und ich in den Klamotten und nicht selten noch ein kleines Buch vorgelesen. Dann verlasse ich als Erste das Haus, fahre mit dem Boot ans Festland. Von da an geht es so weiter, wie leider zu viele zur Arbeit kommen: mit dem Auto.Am Wochenende freue ich mich, wenn die ganze Familie den Morgen auf dem Steg zwei Stunden später beginnt ...
Leben bedeutet für mich ...
Mitgestalten zu können und zu müssen. Wahrzunehmen, wo man sich wie einbringen kann. Schon auch dafür zu sorgen, dass es einem gut geht, damit man auch Kraft hat, überhaupt etwas zu entwickeln. Nicht zu warten darauf, dass sich etwas verändert, sondern selbst anpacken. Sich einlassen und auch Verantwortung übernehmen.Wichtig auch: in der Balance zu bleiben. Und schauen, dass das Verhältnis zwischen Familie, Freunde und Arbeit ausgewogen bleibt. Ich spüre meist sehr viel Energie in mir und habe nur ganz selten das Gefühl, jetzt müsste ich mal was nur für mich machen. Insbesondere in der Familie und auch während der Arbeit tue ich bereits ganz viel für mich …
Sterben bedeutet für mich ...
Mein Gefühl zum Sterben hat sich deutlich verändert, seit ich Kinder habe. Sie sind noch so klein! Vor diesem Hintergrund fällt es mir sehr viel schwerer, über das eigene Sterben nachzudenken. Das ging kinderlos deutlich einfacher.Wenn wir uns darauf einigen können, dass die Kinder groß sind, kann ich mich besser auf den Gedanken an mein eigenes Sterben einlassen …Sterben bedeutet für mich Abschied nehmen von einem irdischen Dasein, das sich sehr reich anfühlt. Ich lebe in der Hoffnung, dass das Leben auf Mutter Erde eine Wegstrecke ist. Allerdings gefällt mir diese Wegstrecke sehr gut und ich bin ein Mensch, der sehr gerne für lange oder für immer an Beziehungen festhält. So begleitet mich auch Sorge vor dem Loslassen im Sterben.Wenn es soweit ist, wäre ich sehr dankbar über Zeit im Abschied.
Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?
Wenn ich ehrlich antworte, fällt mir im Moment kein konkretes Ziel ein. Ich möchte eher weiter auf dem Weg sein. Wenn ich zurückschaue, habe ich bisher weder berufliche noch private Entwicklungen langfristig vorgeplant. Es hat sich sehr vieles bisher in meinem Leben immer sehr gut gefügt.Es gibt doch eine Ausnahme: „gut englisch sprechen“, da wäre ich sehr gerne am Ziel und würde den Weg gerne überspringen. Leider habe ich überhaupt kein Fremdsprachentalent …
Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist ...
… dass die Basis der ärztlichen Tätigkeit die Kommunikation ist. Dass Kommunikation vor allem Wahrnehmen und Zuhören meint. Dass wir in der Palliativversorgung den Betroffenen folgen müssen.Meine persönlich wichtigste und schmerzhafteste Lernerfahrung ist der Abschied und das Gehen-lassen-müssen eines Kindes. Meine reichste und glücklichste Erfahrung ist Mutter zu sein von den zwei allertollsten Kindern der Welt – ganz objektiv.
Was würden Sie gerne noch lernen?
In der Palliativversorgung wäre ich dankbar, wenn ich angesichts der vielen Herausforderungen, die die Betroffenen zu bewältigen haben, doch noch mehr Möglichkeiten der Symptomlinderung lerne; von „Symptomkontrolle“ möchte ich gar nicht sprechen. Für mich selbst würde ich gerne meine Kenntnisse in der Politik und in der Geschichte wieder deutlich auffrischen. Darüber hinaus wünsche ich mir, richtig gut Saxophon spielen zu lernen und genug Wissen und Praxis zu haben, dass es für den Sporthochseeschifferschein reicht.
Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?
Aus der Arbeit selbst. Aus der Begegnung mit Menschen. Mit Patient*innen und ihren Weggefährt*innen. Mit dem Palliativteam. Manchmal würde ich gerne mehr Zeit haben, grundsätzliches auch bei uns im Hause in der Palliativversorgung zu verbessern, auch Zeit für wissenschaftliches Arbeiten. Unter dem Strich möchte ich aber die Zeit am Krankenbett nicht missen. Und daraus, dass es in meinem Leben ein starkes emotionales Gegengewicht zu den Eindrücken aus dem Arbeitsalltag gibt.
Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?
Ich würde wohl die Chance nutzen, Rosa Luxemburg zu treffen. Ich kann mir allerdings weniger vorstellen, mit ihr „einen Abend zu verbringen“, das klingt zu gemütlich für diese Kämpferin für politische Freiheit und soziale Gleichheit. Ich würde ihr gerne einen Tag folgen und so ihren unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit miterleben können. Ich würde gerne diese kluge Frau, ihren revolutionären Geist, ihre Kraft und Klarheit und ihre Wärme erleben.
Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre ...
Das klingt für mich gar nicht attraktiv. Ich bekomme so ungern etwas aus Versehen mit. Und wenn ich mich dann dazu nicht mal richtig verhalten kann, ist das für mich eher sehr anstrengend.
Wie können Sie Anne Letsch beschreiben?
Ich habe Anne erstmals im November 2011 persönlich gesprochen. Wir waren beide in der Ärztekammer. Sie – die Onkologin – war als Prüfling für die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin geladen. Ich – als Palliativmedizinerin – trat an, um die Schwerpunktzeichnung Hämatologie-Onkologie zu erwerben. Mich hat damals beeindruckt, mit wie viel Respekt und Ernsthaftigkeit, Fachwissen und gleichzeitig Haltung sie auf die Prüfung zuging. Und im Grunde genommen ist dieser erste Eindruck genauso geblieben.Die Krankenhäuser, in denen wir tätig sind, liegen nicht so weit auseinander. Es gab Zeiten, in denen waren die Mitarbeiter*innen unserer Palliativstation sehr besorgt darüber, in welcher Situation Patient*innen aus dem Nachbarhaus verlegt worden sind. Das hat sich mit Annes Wirken deutlich verändert.Ihre Klarheit, ihre Tatkraft, aber vor allem ihre Patientennähe haben mich dazu veranlasst, sie für die Vorstandsarbeit in der DGP mitzumotivieren. Und noch zuvor ist Anne dem Vorschlag gefolgt, den Vorsitz des lokalen Organisationskomitees des Weltkongresses der EAPC 5 /2019 in Berlin zu übernehmen. Es hätte keine Bessere für diesen anspruchsvollen Job geben können.Mit der gemeinsamen Vorstandstätigkeit in der DGP ist unser Austausch viel intensiver und regelmäßiger geworden. Darüber freue ich mich sehr.
Wie beenden Sie Ihren Tag?
Gerne sitze ich noch stundenlang nachts an den Nähmaschinen und nähe Kinderkleidung, die kaum noch in den Schrank passt. Es macht mir einfach sehr große Freude, etwas selbst zu entwerfen und ich fühle mich beim Nähen in der Nacht mit den Kindern sehr verbunden. Und ich kann dabei wunderbar entspannen.Schön ist es auch, wenn es sich ungeplant ergibt, dass wir abends mit Nachbarn und Freunden am Lagerfeuer mit Groß und Klein zusammensitzen.Gelegentlich schlafe ich auch gerne gemeinsam mit den Kindern rechts und links im Arm um 20:30 Uhr im großen Familienbett ein, nachdem ich der ganzen Familie „Elmar, der bunt karierte Elefant“ vorgelesen habe. Dabei können mein Mann und meine Kinder sehr gut einschlafen. Ich lausche dann noch ein wenig dem gleichmäßigen Atem der drei Menschen, die ich sehr liebe.
Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?
Das passt nicht zu mir. Wenn ich was für mich Wichtiges zu sagen habe, dann mache ich das auch. Oder ist das hier der Platz für die drei unerfüllten Wünsche in der Palliativversorgung, die immer mit mehr tatkräftigen Menschen und ganz viel Geld zu tun haben?