Hintergrund
Abb. 1 Der finnische Griff ist eine Dammschutzmethode, mit der die Geschwindigkeit der Kopfgeburt reguliert werden kann. Dammschutz zählt zu den vier Komponenten des OASI Care Bundle Projects. (Foto: D. Garten)
OASI (obstetric anal sphincter injuries) ist die englische Abkürzung für geburtshilfliche Sphinkterverletzungen, also Dammverletzungen III. und IV. Grades.
In Industrieländern ist in den vergangenen Jahren ein Anstieg der Inzidenz dieser geburtshilflichen Verletzungen zu beobachten. Zeitgleich begann eine Debatte über die Art und Weise des Dammschutzes. In Befragungen gaben viele Hebammen an, die „hands-off“-Methode zu favorisieren [32].
Begründet wurde der Anstieg der Inzidenz von OASI anhand verbesserter Klassifikation, Diagnoseverfahren und demografischer Verschiebungen [7]
[30]
[23]. Weitere in der Literatur vermerkte Faktoren sind u. a. ein erhöhter maternaler BMI (Body Mass Index), größere kindliche Geburtsgewichte, vermehrt vaginal-operative Geburten und die Art der Episiotomie [12].
Die Folgen hochgradiger Dammverletzungen sind weitreichend bekannt:
Aktuelle Ergebnisse zeigen, dass bei Durchführung einer Hands-on-Methode die OASI-Rate gesenkt werden konnte [20]
[17]
[5].
Unwissen und Uneinigkeit in Bezug auf Richtlinien und Evidenz führten dazu, dass das OASI Care Bundle Project erarbeitet wurde. Ein „care bundle“ ist ein Maßnahmenpaket mit einzelnen evidenzbasierten Elementen [27]. Das OASI Care Bundle wurde von der britischen Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (RCOG) und dem Royal College of Midwives (RCM) entwickelt. Es beinhaltet vier Maßnahmen, mit denen die Inzidenz geburtshilflicher Sphinkterverletzungen evidenzbasiert reduziert werden soll. Die Durchführung aller Maßnahmen ist entscheidend für das Outcome [6].
Relevanz
Auch in Deutschland gibt es eine Inkonsistenz zum Thema Prävention geburtshilflicher Sphinkterverletzungen. Aufgrund fehlender Forschung, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie fehlenden Wissens ist das Vorgehen nicht standardisiert [28].
Es sollte der Anspruch jeder geburtshilflichen Einrichtung sein, die Rate an hochgradigen Dammverletzungen so gering wie möglich zu halten und die eigene Praxis stets zu reflektieren und zu verbessern.
Evidenzbasierte Elemente des OASI Care Bundles
Evidenzbasierte Elemente des OASI Care Bundles
Nachfolgend seien die hier aus dem Original zitierten vier vom RCM und RCOG ausgewählten Elemente des OASI Care Bundles näher erläutert [6]:
-
The woman is aware of the care bundle
-
Episiotomy, when indicated, at 60 degrees at crowning
-
Use of manual perineal protection wehnever possible
-
Perineal examination, including a per rectum examination, carried out following all vaginal deliveries [6]
Kommunikation
Frauen sollen über geburtshilfliche Sphinkterverletzungen aufgeklärt werden, möglichst schon in der Schwangerschaft oder bei Aufnahme in der geburtshilflichen Einrichtung. Es ist wichtig, klar zu kommunizieren, was das „care bundle“ beinhaltet. Die Frauen müssen in die Durchführung des Maßnahmenpakets einwilligen. Da die einzelnen Elemente evidenzbasiert sind, stellen sie kein Risiko für die Frauen dar.
Episiotomie
Falls eine Episiotomie indiziert ist, sollte diese mediolateral und im 60°-Winkel, beim Durchschneiden des kindlichen Kopfes durchgeführt werden. Ziel ist es, die Episiotomie in einem 45°-Winkel nähen zu können. RCOG und RCM verweisen auf Ergebnisse, die zeigen, dass eine Episiotomie, die im 45°-Winkel geschnitten wurde, nach der Geburt nur 22,5° misst.
Da eine Episiotomie keine Routinemaßnahme darstellt, sollte diese weiterhin nur nach klarer Indikationsstellung und Einwilligung der Frau erfolgen. Der Grund für den Eingriff der Episiotomie muss dokumentiert werden.
Episcissors-60
Die Episcissors-60 ist eine spezielle chirurgische Schere für die akkurate Durchführung einer Episiotomie (s. Anwendungsbeispiel [
Abb. 2
]). Sie ist so konzipiert, dass eine mediolaterale Episiotomie im 60-Grad-Winkel, ausgehend von der Mittellinie des Perineums, geschnitten wird.
Abb. 2 Mediolaterale Episiotomie im 60°-Winkel beim Durchschneiden des kindlichen Kopfes mit einer chirurgischen Schere. EPISCISSORS-60 ist nicht im „care bundle“ eingeschlossen, kann aber verwendet werden. (Quelle: 2018 Medinvent Ltd)
Studien zeigen, dass eine Episiotomie mithilfe von Episcissors-60 nach der Geburt in einem Winkel von 30-60 Grad genäht werden konnte. Besonders das geburtshilfliche Personal in Ausbildung schätze die Episcissors-60. Die wiederverwendbare Episcissors-60 kostet um die 400 britische Pfund [25].
Dammschutz
Obwohl die Datenlage uneindeutig ist und die Begriffe hands-off, hands-on und hands-poised nicht klar definiert sind, sollte – wann immer möglich – ein manueller Dammschutz während einer Kopf- und Schultergeburt durchgeführt werden [29]
[3]. Dabei wird die evidenzbasierte Methode Finnish Grip empfohlen. Es ist wichtig, dass die Hebamme das Perineum zu jedem Zeitpunkt überblicken kann.
Finnish grip
Der finnische Griff (Finnish grip) ist eine spezielle Dammschutzmethode, um die Geschwindigkeit der Kopfgeburt zu regulieren. Dieser Griff sollte während der Kopfgeburt ohne Unterbrechung und mit angemessenem Druck angewendet werden [26]
[29]
[21]:
-
Beim Durchschneiden des kindlichen Kopfes die rechte Hand auf das Perineum legen. Dabei sollen Daumen und Zeigefinger so positioniert sein, dass diese gegenüberliegen. Die restlichen Finger zum Anus hin beugen und den Damm stützen [
Abb. 3
].
-
Die linke Hand auf den kindlichen Kopf auflegen, sodass die Kopfentwicklung mit angemessenem Gegendruck gesteuert werden kann [
Abb. 1
].
-
Sobald das kindliche Kinn mit dem gebeugten Mittelfinger durch das Perineum tastbar ist, sollte die Frau zum „Hecheln“ bzw. „Kurzatmen“ angeleitet werden und nicht mehr aktiv mitpressen. So kann der kindliche Kopf langsam und kontrolliert geboren werden.
-
Wichtig: Mit der Hand am Perineum sollte die Dammhaut nicht zusammengerafft werden!
Abb. 3 Bei der Dammschutzmethode Finnischer Griff wird beim Durchschneiden des kindlichen Kopfes die rechte Hand auf das Perineum gelegt. Dabei sollen Daumen und Zeigefinger so positioniert sein, dass diese gegenüberliegen. Die restlichen Finger zum Anus hin beugen und den Damm stützen. (Foto: D. Garten)
Rektale Untersuchung
Zu einer postpartalen Diagnostik des Perineums sollte nach jeder vaginalen Geburt routinemäßig auch eine rektale Untersuchung durchgeführt werden. Nur mithilfe einer rektovaginalen Untersuchung lassen sich geburtshilfliche Sphinkterverletzungen ausschließen [16]. Die Frau sollte über die Notwendigkeit aufgeklärt werden und ihr Einverständnis geben. Eine Dokumentation sollte erfolgen.
Diskussion weiterer Dammschutzmaßnahmen
Diskussion weiterer Dammschutzmaßnahmen
Zusätzlich zu den evidenzbasierten Elementen des OASI Care Bundle werden weitere Maßnahmen diskutiert, um geburtshilfliche Sphinkterverletzungen zu vermeiden.
Gebärposition
Unabhängig vom OASI Care Bundle Project sollte es Frauen während der Geburt ermöglicht werden, sich frei zu bewegen. Zudem sollten Frauen über die gewünschte Gebärposition individuell entscheiden können [5]
[6].
Die Literatur verweist darauf, dass die halbsitzende Rückenlage eine ungünstige Position für die Geburt ist, besonders in Kombination mit aktivem Mitpressen [13]. Falls Frauen im Stehen oder im Wasser gebären wollen, entfällt laut RCM und RCOG das Maßnahmenpaket [6].
Sollten spezielle Risikofaktoren für eine hochgradige Dammverletzung bekannt sein, kann der Frau nur empfohlen werden, eine Position einzunehmen, in der die Hebamme / der Geburtshelfer das Perineum problemlos überblicken kann und eine kontrollierte und langsame Geburt möglich ist.
Warme Kompressen
Diverse Studienergebnisse zeigen, dass warme Kompressen durchaus eine Rolle bei der Vermeidung von geburtshilflichen Dammverletzungen spielen [1]. Da es sich jedoch um keine standardisierte Methode handelt und die Durchführung stark variiert, wurde dieses Element nicht in das Projekt aufgenommen. Die Verwendung von warmen Kompressen sollte trotzdem in geburtshilflichen Einrichtungen erwogen und angeboten werden [6].
Dammmassage
Vereinzelte Studien verweisen auf die Möglichkeit der Dammmassage zur Verringerung von Dammverletzungen, unterliegen jedoch verschiedenen Limitationen und wurden somit nicht als Teil des OASI Care Bundle integriert. So ist u. a. nicht klar, ob eine Dammmassage bereits in der Schwangerschaft oder erst während der Geburt durchgeführt werden sollte [1]
[18].
Kristeller-Handgriff
Die Anwendung des Kristeller-Handgriffs (uterine fundual pressure) ist aktuell nur wenig belegt. Die angewandte Technik variiert stark. Studienergebnisse konnten keine Vorteile für das fetale Outcome herausstellen. Jedoch wird immer wieder auf Komplikationen durch den Kristeller-Handgriff verwiesen [13]
[33]
[4]
[22]
[15]
[10]. Dazu gehört auch das Risiko für geburtshilfliche Sphinkterverletzungen [24].
Die offizielle Implementierung des OASI Care Bundle Projects in den 16 teilnehmenden britischen Kliniken ist abgeschlossen. Die Daten werden ausgewertet und die Ergebnisse sind abzuwarten.
Deutschlandweit lag die Rate an Dammrissen III. oder IV. Grades bei spontanen Einlingsgeburten im Jahr 2017 bei 1,39 %. Sie ist damit unverändert zu 2016 und 2015 [14].
Trotzdem stellt das OASI Care Bundle Project bereits jetzt eine evidenzbasierte Grundlage dar, die auch für geburtshilfliche Teams in Deutschland relevant erscheint. Es ist durchaus möglich, klinikinterne Statistiken bzgl. OASI zu erheben, zu analysieren und ein angepasstes „care bundle“ zu implementieren. Mithilfe von standardisierten Methoden lässt sich die Qualität in der Betreuung stets verbessern.