Laryngorhinootologie 2019; 98(09): 653-657
DOI: 10.1055/a-0954-7315
OP-Techniken
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Plastisch-rekonstruktive Gesichtschirurgie

G. Rettinger
,
O. Guntinas-Lichius
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Publication History

Publication Date:
09 September 2019 (online)

Versorgung von Weichteilverletzungen und Folgezuständen

Primäre Versorgung

Die Erstversorgung von Weichteilverletzungen des Gesichts entscheidet über das spätere Resultat. Wunden, die zu diesem Zeitpunkt nicht adäquat versorgt werden, lassen sich später nur unter großem Aufwand und oftmals nur noch eingeschränkt korrigieren.

Vor einer operativen Versorgung muss die Diagnostik (Röntgen, notwendige Untersuchungen durch Chirurgen, Neurochirurgen, Ophthalmologen, Kieferchirurgen und andere) abgeschlossen sein, um Prioritäten für die Therapie setzen zu können. Bei nicht dringlicher Versorgung knöcherner Verletzungen des Schädels wird zunächst eine lokale Wundversorgung vorgenommen, die Behandlung der Fraktur erfolgt dann in einer späteren Sitzung nach Abklingen der Schwellungen.

Erstversorgung von Gesichtsverletzungen

  • Für eine ausreichende Tetanusimmunisierung sorgen.

  • Wunden auf Fremdkörper kontrollieren, ggf. reinigen und mit physiologischer Kochsalzlösung bzw.Wasserstoffsuperoxid ausspülen; Fremdkörpereinsprengungen („Schmutztätowierung“) durch Ausbürsten beseitigen.

  • Bipolare Koagulation sparsam einsetzen.

  • Zerfetzte Wundränder schonend begradigen, sparsame Hautexzision (keine Friedreich-Wundexzision).

  • Flach abgeschilfertes Epithel mit Fibrinkleber mosaikartig readaptieren.

  • Bei Substanzdefekten keine Naht unter Spannung legen (plastische Versorgung durch Verschiebelappen aus der Nachbarregion).

  • Sorgfältige Naht im Bereich von Haut- und Schleimhautduplikaturen (freier Nasenflügelrand, Lippe, Lidrand).

Bei Hundebissverletzungen liegt meist ein Substanzdefekt, häufig im Bereich der Nasenspitze, vor. Handelt es sich lediglich um eine klaffende Wunde, so wird diese sorgfältig gereinigt und schichtweise primär verschlossen. Bei Substanzdefekten ist eine Frührekonstruktion (bei steriler Abdeckung innerhalb von 24 Stunden) durch geeignete plastisch-rekonstruktive Maßnahmen anzustreben. Bei narbiger Schrumpfung durch Sekundärheilung ist eine ausgiebige Wundrandresektion und -mobilisation erforderlich, welche den Defekt erheblich vergrößern kann.


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Nachkorrektur von Narben

Eine Nachkorrektur von Narben kann aus funktionellen Gründen dann erforderlich sein, wenn starke Schrumpfungen und Verziehungen vorliegen. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch um Korrekturen bei ästhetisch störenden Narben. Diese können zwar nicht unsichtbar gemacht, aber durch chirurgische Maßnahmen weniger auffallend gestaltet werden.

REGELN, TIPPS UND TRICKS

Gesichtspunkte zur präoperativen Beurteilung von Narben

  • eingezogen oder wulstig

  • auf der Unterlage adhärent oder verschieblich

  • Lage der Narbe zu den RSTL

  • Verziehung von Nachbargeweben, funktionelle Beeinträchtigung

  • Alter des Patienten (bei Kindern und Jugendlichen Gefahr der hypertrophen Narbe oder des Keloids)

  • „Reife“ der Narbe; nur eine abgeblasste Narbe eignet sich für eine Nachkorrektur.

Hypertrophe Narben bilden sich bei erhöhter Hautspannung. Vor allem eine nicht in den RST-Linien gelegene Narbe und die verstärkte Wundretraktion bei Kindern und Jugendlichen verursachen eine verstärkte Kollagenbildung und führen zu rötlichen, wulstförmigen Narben, die zwar über dem Hautniveau liegen, aber nicht über das ursprüngliche Verletzungsgebiet hinausgehen.

Keloide dagegen sind echte Neubildungen, die seitlich über die ursprüngliche Wunde hinaus in gesundes Gewebe vordringen. Sie treten vor allem bei Jugendlichen und dunkelhäutigen Menschen auf. Die Anlage zur Keloidbildung kann vererbt werden. Prädilektionsstellen sind u. a. Ohrmuschelrückfläche und Halsregion. Da unauffällige Narben, hypertrophe Narben und Keloide nebeneinander vorkommen können, stellt die Existenz einer „normalen Narbe“ (z. B. Blinddarmnarbe) bei einem Patienten kein sicheres Indiz für eine fehlende „Keloidneigung“ dar.

Allgemeines operatives Vorgehen bei Narbenkorrekturen

Kleine, eingezogene Narben, z. B. Aknenarben, werden entweder exzidiert, oder das betroffene Hautareal wird mit geeigneten Laserverfahren (CO2, Erbium-YAG) „flächig abgetragen“.

Gering erhabene Narben von weniger als 2 cm Länge werden mit einer hochtourig (bis zu 50 000 Umdrehungen pro Minute) rotierenden Drahtbürste oder einem Diamantansatz plan geschliffen (Dermabrasion). Der Eingriff wird in Lokalanästhesie durchgeführt und kann in vier- bis sechswöchigen Abständen wiederholt werden.

Hypertrophe Narben werden, falls sie sich nicht innerhalb eines Jahres spontan zurückbilden, in gesunder Haut exzidiert. Die Zugspannung der Wunde als Ursache für die verstärkte Kollagenbildung muss anschließend reduziert werden. Grundsätzlich ist eine breite Unterminierung des angrenzenden Gewebes notwendig, um die Wundränder unter minimaler Spannung einander nähern zu können. Die Hauptspannung muss dabei von resorbierbaren subkutanen Nähten aufgefangen werden (zur Technik der Narbenkorrektur siehe [ Abb. 1 ]).

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Abb. 1 Narbenkorrektur durch W-Plastik (Beispiel Wangenwunde quer zu RSTL). a Die geschrumpfte Narbe ist ovalär umschnitten. Hilfslinien markieren die Spitzen der Zickzacklinie. b Die Zickzacklinie ist markiert und mit dem spitzen Skalpell geritzt. Zu beachten ist die Schnittführung an den Wundrändern, welche dort weitgehend kongruente Flächen entstehen lässt. Die umschnittene Narbe ist bereits entfernt. c Situation nach Resektion der dreieckigen Hautareale, Mobilisation der Wundränder in der subkutanen Ebene. d Wundverschluss.

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Behandlung von Keloiden

Die Behandlung von Keloiden ist problematisch, da es sich um einen tumorartigen Prozess handelt, der durch eine Verletzung der Dermis ausgelöst wird. Jede Hautinzision zur Narbenkorrektur wird daher die Bildung neuer Keloidsubstanz induzieren.


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OP-Prinzip

Exzision und Wundversorgung ohne Spannung. Rezidivprophylaxe durch weitere Maßnahmen.


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OP-Technik

Sparsame Exzision und anschließend weite subkutane Unterminierung zur spannungsfreien Annäherung der Wundränder. Adaptierung der Hautränder durch subkutane Nähte. Wenn möglich intrakutane Hautnähte.

REGELN, TIPPS UND TRICKS

Vor einer Narbennachkorrektur muss zwischen hypertrophen Narben und Keloiden streng unterschieden werden. Bewährt hat sich bei Keloiden die zusätzliche intradermale Unterspritzung der revidierten Wunde mit einer Kortikoid-Kristallsuspension, welche wöchentlich zu wiederholen ist. Außerdem sollten Druckverbände über einen möglichst langen Zeitraum (abhängig von der betroffenen Region) getragen werden. Eine postoperative Röntgenbestrahlung bei den zumeist jugendlichen Patienten wird heute überwiegend abgelehnt. Sollte der entstandene Defekt nach Keloidexzision zu groß für eine primäre Naht sein, so kann er auch mit einem Vollhauttransplantat gedeckt werden.

Vor allem retroaurikuläre Keloide (z. B. nach Ohrmuschelplastik) lassen sich mit einem Hauttransplantat aus der Leiste versorgen.

Die Indikation zur Korrektur von Keloiden sollte äußerst zurückhaltend gestellt werden, und die Erfolgsaussichten sind dem Patienten gegenüber nicht zu optimistisch darzulegen.


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W-Plastik

OP-Prinzip

Durch die Umwandlung einer linearen Narbe in eine Zickzacklinie werden die Spannungskräfte im Narbenbereich unterteilt und die Narbenlinie wird optisch „aufgelöst“. Bei Narbenverlauf quer zu den RSTL (z. B. Narbe im Wangenbereich, [ Abb. 1 ]) wird ein Teil der neu entstehenden Narbe parallel ausgerichtet. Gleichzeitig werden Einziehungen durch Resektion und Mobilisation beseitigt.


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Indikation

Linearer Narbenverlauf quer zu den RSTL, Stufenbildungen („trap door deformity“).


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OP-Technik

  • Nach Lokalanästhesie Markierung der zickzackförmigen Hautinzisionen, wobei sich die Linien beider Seiten ineinander verzahnen müssen ([ Abb. 1 ]).

  • Mit einem spitzen Skalpell (Nr. 11) die vormarkierte Haut zunächst einritzen. Eine Verwischung der Farbstiftmarkierung ist dann ohne Bedeutung.

  • Mit dem Skalpell wird nun die Narbe unter vertikaler Schnittkantenbildung bis in die Subkutis exzidiert.

  • Ausgiebige Mobilisation und adaptierende subkutane Nähte.

  • Naht der dreieckigen Hautläppchen mit feiner Hautnaht (6/0).

  • Druckverband für eine Woche.

REGELN, TIPPS UND TRICKS

Die dreieckigen Hautläppchen sollten nicht zu klein geschnitten werden und aus „nicht vernarbter“ Haut bestehen. Der Unterminierungsbezirk ist abhängig vom entstandenen Defekt: Er sollte auf jeder Seite mindestens der Defektbreite entsprechen. Diese Hautunterminierung ist die einfachste Technik zur Beseitigung von Hautspannungen. Vor der definitiven Hautnaht sind einige adaptierende Hautnähte hilfreich, damit man sich nicht „verknüpft“ und am Ende ein Hautdreieck „übrig bleibt“.


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Operative Techniken zur Entlastung von Hautspannungen

Z-Plastik

Die Z-Plastik hat drei Effekte:

  • Die Spannung zwischen den Narbenenden wird aufgehoben (eine „zu kurze Narbe“ wird „verlängert“).

  • Zwei dreieckige Hautareale werden ausgetauscht.

  • Der ursprüngliche Narbenverlauf wird bis zu 90° umorientiert.

Für eine Narbenkorrektur ist vor allem der Verlängerungs- und Verlagerungseffekt von Bedeutung. Die Verlängerung geht dabei auf Kosten der seitlichen Umgebung (Pfeile in [ Abb. 2a ]). Eine Verlagerung ist in erster Linie dann wünschenswert, wenn die ursprüngliche Narbe senkrecht zu den RST-Linien verläuft (z. B. vertikale Narbe der Halshaut).

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Abb. 2 Z-Plastik (Beispiel: vertikale Halsnarbe). a Narbenexzision; Hilfsinzision und Hautunterminierung markiert. b Transposition der dreieckigen Hautareale (ausgiebige Mobilisation). c Wundverschluss (gekreuzte Pfeile markieren die vertikale Verlängerung auf Kosten der seitlichen Umgebung.

OP-Technik: Zunächst wird die bestehende Narbe exzidiert. An beiden Wundenden werden Hilfsschnitte angelegt und durch Unterminierung zwei dreieckige Lappen gebildet. Die Lappen werden dann gegeneinander versetzt und zweischichtig eingenäht ([ Abb. 2b ], [ Abb. 2c ]).

REGELN, TIPPS UND TRICKS
  • Eine maximale Verlängerung mit Umorientierung der Narbe um 90° wird nur dann erreicht, wenn die Länge der Hilfsinzisionen der Narbenlänge entspricht und diese in einem Winkel von 60° zur Narbe liegen (Bildung von gleichseitigen Dreiecken). Bei anderem Verlauf der primären Narbe sollte eher eine „multiple W-Plastik“ gewählt werden.

  • Um eine spannungsarme Naht zu ermöglichen, muss die Unterminierung über die Grenzen der dreieckigen Lappen hinaus erfolgen ([ Abb. 2a ]).

  • Bei Operationsplanung ist auf die Verschieblichkeit der seitlich angrenzenden Haut zu achten (ästhetische Einheiten!).

  • Die Hilfsinzisionen sollten annähernd parallel zu den RST-Linien liegen.


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VY-Plastik

Bei dieser Plastik wird eine reine Narbenverlängerung (ohne Verlagerung) durch lineare Hautverschiebung erzielt (z. B. narbige Verziehung des Unterlids, [ Abb. 2a ]). Die Nomenklatur beruht auf der zunächst V-förmigen Hilfsinzision und der anschließenden Y-förmigen Naht (V → Y). Die Verlängerung geht, wie auch bei der Z-Plastik, auf Kosten der seitlichen Umgebung (Pfeile in [ Abb. 2a, c ]). Umgekehrt kann eine Verkürzung durch eine YV-Plastik (V-förmige Vernähung eines Y-förmigen Defektes Y → V) erreicht werden.


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OP-Technik

Nach Exzision der Narbe erfolgt eine V-förmige Inzision an einem Wundende ([ Abb. 3a ]). Anschließend wird die seitliche Haut unterminiert und der gegenseitige Wundwinkel mit einem einzinkigen Haken angespannt ([ Abb. 3b ]). Der V-förmig umschnittene Lappen wird in neuer Position zu den seitlichen Wundrändern eingenäht und dadurch eine „Verlängerung“ erzielt ([ Abb. 3c ]). Die Technik kann auch in umgekehrtem Sinne als YV-Plastik angewendet werden, wenn eine Verkürzung erfolgen soll.

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Abb. 3 VY-Plastik (Beispiel: Unterlidektropium durch vertikalen Narbenzug). a Markierung der Schnittlinien: ovaläre Umschneidung der Narbe, V-förmige Hilfsinzision an einem Wundende. b Resektion des Narbenareals und seitliches Unterminieren der Haut. Der untere Wundpol wird angespannt. c Wundverschluss in Y-Form. Die erreichte Verlängerung ist durch die gestrichelten Linien markiert (gekreuzte Pfeile markieren die vertikale Verlängerung auf Kosten der seitlichen Umgebung).
REGELN, TIPPS UND TRICKS

Es dürfen keine neuen Verziehungen in den seitlichen Hautarealen auftreten, ggf. ist die Unterminierung zu erweitern. Wie bei der Z-Plastik sollten die Hilfsinzisionen in den RSTL liegen. Resultierende lineare Narben können zusätzlich durch W-Plastik „aufgelöst“ werden.


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Operative Techniken bei großflächigen und adhärenten Narben

Bei großflächigen Narben oder anderen Hautveränderungen (z. B. Nävi) sind die einfache Exzision und der primäre Verschluss oft nicht möglich. Der entstandene Defekt muss dann entweder durch eine Lappenplastik oder ein freies Transplantat versorgt werden.

Alternativ kann man sich auch der sog. Serienexzision bedienen ([ Abb. 4 ]). Hierbei wird nur ein Teil des Bezirks entfernt, der so dimensioniert ist, dass der primäre Wundverschluss eben noch möglich ist. Auf diese Weise lässt sich in mehreren Sitzungen die Hautveränderung schrittweise beseitigen. Zu beachten ist die Lage der entstehenden Narben, mögliche Verziehungen von Nachbarregionen (z. B. Unterlid!) und ein ausreichender zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Exzisionen (2–3 Monate). Die Verwendung eines subkutan implantierten Gewebeexpanders kann die Zahl der operativen Sitzungen reduzieren.

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Abb. 4 Serienexzision bei großflächiger Hautveränderung (z. B. Nävus). a Spindelförmige Teilresektion der Hautveränderung und primärer Wundverschluss nach Mobilisation. b Restbefund mit zentraler Narbe. Ovaläre Umschneidung markiert. c Umgestaltung der Wundränder durch W-Plastik. d Zustand nach Wundverschluss.

An der Unterlage adhärente Vernarbungen können meistens durch die mangelnde Mobilisierbarkeit der angrenzenden Haut nach Exzision nicht direkt verschlossen werden. Auch hier sind plastisch-rekonstruktive Eingriffe mit Hautlappen oder freien Transplantaten notwendig. Den Hautlappen ist dabei wegen ihrer Dicke zur Deckung der tief reichenden Defekte der Vorzug zu geben.

Aus: Rettinger G, Hosemann W, Hüttenbrink KW, Werner JA. HNO-Operationslehre – Mit allen wichtigen Eingriffen. 5., vollständig überarbeitete Auflage


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