CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2019; 79(08): 854-862
DOI: 10.1055/a-0958-9519
GebFra Science
Review/Übersicht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Akademisierung des Hebammenberufes im Kontext der Novellierung des Hebammengesetzes: aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen

Article in several languages: English | deutsch
Claudia Plappert
1   Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Germany
,
Joachim Graf
1   Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Germany
,
Elisabeth Simoes
2   Universitätsklinikum Tübingen, Department für Frauengesundheit, Forschungsinstitut für Frauengesundheit, Tübingen, Germany
3   Universitätsklinikum Tübingen, Stabsstelle für Sozialmedizin, Tübingen, Germany
,
Stefani Schönhardt
1   Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Germany
,
Harald Abele
1   Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Germany
4   Universitätsklinikum Tübingen, Department für Frauengesundheit, Tübingen, Germany
› Author Affiliations
Further Information

Correspondence/Korrespondenzadresse

Joachim Graf, M. A., M. Sc.
Universitätsklinikum Tübingen
Institut für Gesundheitswissenschaften
Abteilung für Hebammenwissenschaft
Hoppe-Seyler-Straße 9
72076 Tübingen
Germany   

Publication History

received 14 April 2019
revised 02 June 2019

accepted 17 June 2019

Publication Date:
12 August 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund der Richtlinie 2013/55/EU steht auch Deutschland vor der Herausforderung, in den nächsten Monaten die Akademisierung des Hebammenberufes durchzusetzen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die damit verbundenen Entwicklungen und Herausforderungen zu skizzieren. Aktuell findet die Hebammenausbildung in Deutschland noch überwiegend an Fachschulen statt. Weniger als 20% der Ausbildungsplätze sind 2019 an Hochschulen verortet. Aktuell dominieren dual-ausbildungsintegrierende Studiengänge, die mit der Umsetzung der EU-Richtlinie so nicht mehr durchgeführt werden können. Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet zwar die vollständige Überführung des Hebammenberufes an Hochschulen, bleibt jedoch in der Konzeption in einigen Punkten unkonkret und ohne Bezug zum Hochschulrecht auf Länderebene. Zudem bedeutet die Verortung an Universitäten und Fachhochschulen eine unterschiedliche Ausformung der Akademisierung innerhalb der relativ kleinen Berufsgruppe der Hebammen. Gerade die Konzeption primärqualifizierender Angebote an Universitäten ist besonders geeignet, dem geforderten Qualitätsanspruch an eine fachliche und wissenschaftsbasierte, sich im eigenen praktischen Handeln selbst reflektierende und evidenzbasierte Hebammenkunde gerecht zu werden.


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Einleitung

Problemstellung und Relevanz

Ausbildung und Beruf der Hebamme bzw. des Entbindungspflegers befinden sich in Deutschland am Anfang eines tiefgreifenden Umbruchprozesses, der aktuell durch die Novellierung des Hebammengesetzes eingeläutet wird [1]. Hintergrund hierfür stellen die in der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlamentes festgehaltenen Eckpunkte für die zukünftige Qualifizierung zum Hebammenberuf dar [2]. Mit der Zielsetzung der Freizügigkeit in Europa wurde als Zugangsvoraussetzung für eine Tätigkeit als Hebamme eine 12-jährige Schulbildung festgelegt. Die Umsetzung in Deutschland zielt – analog der anderen EU-Länder – auf die vollständige Akademisierung der Ausbildung zum Hebammenberuf bis zum 18.01.2020 ab [2], [3]. Sie steht damit im Gegensatz zu den Akademisierungsbestrebungen der Pflegeberufe, bei denen nach Vorstellung des Wissenschaftsrats zunächst nur 20% der jetzigen Ausbildungsplätze für eine akademische Ausbildung zur Verfügung stehen sollen. Die fachschulische Ausbildung wird in diesem Berufsfeld über lange Zeit in Deutschland erhalten bleiben [4]. Eine vollständige Akademisierung bedeutet, dass der Hebammenberuf von einem Ausbildungsberuf an einer Berufsfachschule in einen akademischen Beruf an einer Hochschule überführt werden soll. Dies impliziert, dass zukünftig theoretische und praktische Bestandteile der Qualifizierung auf einem wissenschaftsbasierten Niveau zur Förderung der Reflexionsfähigkeit vermittelt werden. Nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen entsprechen die Fachschulabschlüsse der Niveaustufe 4, Bachelorabschlüsse hingegen der Niveaustufe 6 [5]. Ziel einer akademischen Ausbildung der Hebamme an der Hochschule soll sein, dem immer komplexer werdenden und sich erweiternden Aufgabenfeld der Hebamme Rechnung zu tragen [6] und ihnen erweiterte Kompetenzen zu vermitteln [7]. Knapp ein Jahr, bevor die Richtlinie vollständig im nationalen Recht umgesetzt sein muss, ist in Deutschland der Zeitpunkt einer vollständigen Akademisierung nicht abzusehen. Die Hebammenausbildung erfolgt weiterhin überwiegend an Fachschulen.


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Fragestellung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Status quo der Akademisierung der Hebammenausbildung im Kontext des bestehenden nationalen Rechts in Deutschland unter den Vorgaben der Modellklausel darzustellen und vor dem Hintergrund des Novellierungsentwurfs des Hebammengesetzes aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen des laufenden Akademisierungsprozesses zu skizzieren.


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Übersicht

Stand der Akademisierung 2019

Anders als in anderen europäischen Staaten, in denen die Richtlinie 2013/55/EU bereits vollständig umgesetzt ist, werden Hebammen und Entbindungspfleger in Deutschland 2019 noch überwiegend an Berufsfachschulen ausgebildet. Das hat zur Folge, dass Auszubildende in Deutschland, die sich aktuell noch in fachschulischer Ausbildung an einer von 62 Hebammenschulen befinden [8], keine europaweite Berufsanerkennung mehr erhalten, also nicht von der Freizügigkeit des Bologna-Systems profitieren können. Artikel 43 der Richtlinie verweist darauf, dass die europaweite Anerkennung einer Berufsausbildung mit einer 10-jährigen Schulbildung als Zulassungsvoraussetzung nur bei Ausbildungsbeginn vor dem 18. Januar 2016 möglich ist [2]. Wie in [Tab. 1] dargestellt, finden sich aktuell 16 laufende Studiengänge im Bereich Hebammenwesen in Deutschland, bei denen der akademische Grad Bachelor of Science entweder parallel zur Berufsbezeichnung erworben, oder bei denen der Bachelor nach Abschluss der berufsschulischen Ausbildung erreicht werden kann. Ferner wurden 2 Studiengänge ermittelt, die im Herbst 2020 vorbehaltlich der Zulassung starten sollen (Stand: März 2019). Von den knapp 2800 Ausbildungsplätzen in Deutschland sind damit ein Jahr vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2013/55/EU ca. 20% an Hochschulen verortet. Als Hindernis bei der weiteren Akademisierung stellen sich die bisherige Fassung des Hebammengesetzes (HebG) und der Hebammenausbildungs- und Prüfungsverordnung (HebAPrV) dar, die den Hebammenberuf explizit als Ausbildungsberuf begreifen. Dies erschwert die Einrichtung von Studiengängen aufgrund eines zu erbringenden Praxisausbildungsteils von 3000 Stunden und aufgrund expliziter Vorgaben, die nur eingeschränkt die modulare Umsetzung ermöglichen [9], [10]. Erst recht gilt dies für die Modellstudiengänge, die eine Integration der Ausbildungsinhalte in universitäre Lehrstrukturen versuchen. Erst seit März 2019 liegt ein Referatsentwurf zur neuen Hebammenausbildungsverordnung vor.

Tab. 1 Qualifizierungstypus und Studienplätze der bisher in Deutschland bestehenden Hebammenstudiengänge.

Qualifizierungstypus

Standort: Kooperationspartner

Studiengang, ECTS

Studienplätze/Jahr, Besonderheiten

* Die Studiengänge halten sich die Zahl der Studienplätze entsprechend der angebotenen klinischen Ausbildungsplätze offen.

ECTS = European Credit Transfer and Accumulation System

dual-ausbildungsintegrierend (mit Ausbildungsentgelt)

(Kooperation Hochschule – Hebammenschule – externe Praxispartner)

Berlin:

Evangelische Hochschule Berlin, Schule für Gesundheitsberufe Berlin GmbH, St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof und weitere Kliniken in Berlin

B. Sc. Hebammenkunde

240 ECTS

  • 20 Plätze

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

  • Teilzeitstudium möglich

  • Einstieg im 5. Semester berufsintegrierend möglich

Bremen:

HS Bremen, Kooperationspartner unbekannt

noch keine Angaben verfügbar

  • noch keine Angaben verfügbar

  • Beginn voraussichtlich Oktober 2020

Hamburg:

Hochschule 21, Bildungszentrum für Gesundheitsberufe (BZG) der Asklepios Kliniken Hamburg GmbH; UKE-Akademie, Kliniken im Umkreis

B. Sc. Hebamme

180 ECTS

  • nicht publiziert*

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

  • monatliche Studiengebühren

Heidenheim/Ulm:

DHBW Heidenheim, Akademie für Gesundheitsfachberufe Ulm, Universitätsklinikum Ulm und Lehrkrankenhäuser

B. Sc. Angewandte Hebammenwissenschaft

210 ECTS

  • 18 Plätze

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

Jena:

Ernst-Abbe-Hochschule Jena, diverse Kliniken in Thüringen

B. Sc. Geburtshilfe/Hebammenkunde

240 ECTS

  • nicht publiziert*

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

Karlsruhe:

DHBW Karlsruhe, Hebammenschule Karlsruhe, Kliniken im Umkreis

B. Sc. Angewandte Hebammenwissenschaft

210 ECTS

  • 30 Plätze

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

Ludwigshafen:

Hochschule Ludwigshafen am Rhein, Hebammenschulen Heidelberg, Lahr, Saarbrücken, Speyer samt anliegenden Krankenhäusern

B. Sc. Hebammenwesen

180 ECTS

  • nicht publiziert*

  • 7-semestrig bis zum Doppelabschluss

  • verkürztes berufsintegrierendes Studium möglich

Lübeck:

Universität zu Lübeck, UKSH Akademie gemeinnützige GmbH (Hebammenschule), Kliniken im ganzen Bundesland (u. a. Kiel, Lübeck, Husum, Itzehoe)

B. Sc. Hebammenwissenschaft

  • 35 Plätze

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

Mainz:

Katholische Hochschule Mainz, diverse Hebammenschulen und Kliniken aus dem Rhein-Main-Gebiet

B. Sc. Gesundheit & Pflege, SP Hebammenwesen

210 ECTS

  • nicht publiziert*

  • 7-semestrig bis zum Doppelabschluss

  • verkürztes berufsintegrierendes Studium möglich

München:

Katholische Stiftungshochschule, Kooperationspartner unbekannt

B. Sc. Hebammenkunde

210 ECTS

  • 25 Plätze

  • 7-semestrig bis zum Doppelabschluss

  • Beginn voraussichtlich Okt. 2020

Osnabrück:

HS Osnabrück, Hebammenschulen bundesweit, Praxispartner bundesweit

B. Sc. Midwifery

180 ECTS

  • 35 Plätze

  • 6-semestrig bis zum Doppelabschluss

  • verkürztes berufsintegrierendes Studium möglich

Stuttgart:

DHBW Stuttgart, Hebammenschulen in Stuttgart, Winnenden, Heilbronn, Kliniken im Umkreis

B. Sc. Angewandte Hebammenwissenschaft – Hebammenkunde

210 ECTS

  • 30 Plätze

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

berufsintegrierend (ohne Ausbildungsentgelt, ggf. kostenpflichtig)

(nur Hochschule)

Dresden:

DIU Dresden International University

B. Sc. Hebammenkunde

180 ECTS

  • nicht publiziert*

  • 10-semestrig nach abgeschlossener 3-jähriger Ausbildung oder während der Ausbildung

Stuttgart/Horb:

DHBW Stuttgart (Campus Horb)

B. Sc. Angewandte Hebammenwissenschaft – erweiterte Hebammenpraxis

210 ECTS

  • 30 Plätze

  • 6-semestrig nach abgeschlossener 3-jähriger Ausbildung

Köln:

Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen

B. Sc. Hebammenkunde

180 ECTS

  • 30 Plätze

  • 6-semestrig nach abgeschlossener 3-jähriger Ausbildung

dual-primärqualifizierend (ohne Ausbildungsentgelt)

(Kooperation Hochschule – externe Praxispartner)

Bochum:

HS Bochum

B. Sc. Hebammenkunde

210 ECTS

  • 30 Plätze

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

Fulda:

HS Fulda, diverse Kliniken in Umgebung als Praxispartner

B. Sc. Hebammenkunde

210 ECTS

  • 30 Plätze

  • 8-semestrig bis zum Doppelabschluss

  • verkürztes berufsintegrierendes Studium möglich

dual-primärqualifizierend (ohne Ausbildungsentgelt)

(Kooperation Hochschule mit internen Praxispartnern)

Tübingen:

Eberhard Karls Universität Tübingen und Universitätsklinikum Tübingen

B. Sc. Hebammenwissenschaft

210 ECTS

  • 30 Plätze

  • 7-semestrig bis zum Doppelabschluss; Praxis modular auf akademischem Niveau


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Typisierung der bisherigen Studiengänge

Aktuell können in Deutschland dual-ausbildungsintegrierte, berufsintegrierte und dual-primärqualifizierende Studiengänge unterschieden werden, wobei im Wesentlichen dual-ausbildungsintegrierte Angebote dominieren ([Tab. 1]). Letztere lassen sich im Rahmen der bestehenden Rechtsvorgaben am einfachsten realisieren.

Bei dual-ausbildungsintegrierenden Studiengängen besuchen die Studierenden regulär eine Hebammenschule und absolvieren die vorgeschriebenen Praxisstunden beim jeweiligen Kooperationspartner. Darüber hinaus sind sie an einer Hochschule eingeschrieben, die für die theoretischen und praktischen Bestandteile der Ausbildung pauschal ECTS-Punkte (ECTS = European Credit Transfer and Accumulation System) vergibt und darüber hinaus den Besuch einiger ECTS-hinterlegter Hochschulmodule und die Abfassung einer Bachelorarbeit fordert [11], [12].

Die berufsintegrierenden Modelle können additiv als Präsenzstudium oder als Fernstudium belegt werden. Sie beginnen nach abgeschlossener schulischer Ausbildung zur Hebamme/zum Entbindungspfleger. Während dieses Modell für bereits ausgebildete Hebammen eine gute Möglichkeit darstellt, sich weiter zu qualifizieren und über den zweiten Bildungsweg einen Bachelorabschluss zu erhalten, erscheint das Modell für zukünftige AbiturientInnen eher unattraktiv zu sein. Sie würden dann nach einer 3-jährigen Schulausbildung weitere 6 Semester mit Präsenzwochen anschließen müssen und diese parallel zur beruflichen Tätigkeit (ggf. kostenpflichtig) absolvieren.

Dual-primärqualifizierende Studiengänge vermitteln schließlich neben den einschlägigen hochschulbezogenen Kompetenzen auch sämtliche berufsqualifizierenden Fertigkeiten entsprechend HebG und HebAPrV auf Hochschulniveau [11], [12]. Unterschieden werden können dabei Hochschulen, die für die Praxisstunden auf duale Partner angewiesen sind und Universitäten mit angeschlossenen Universitätsklinika, die ohne externe Partner sämtliche Bestandteile modular verortet vermitteln können. Aufgrund der expliziten Vorgaben des noch bestehenden Hebammengesetzes, die u. a. die Durchführung der theoretischen Ausbildung an Fachschulen vorschreiben, ist die primärqualifizierende Hochschulausbildung aktuell erschwert. Deswegen fallen die bisher bestehenden 3 primärqualifizierenden Studiengänge (Hochschule Bochum und Hochschule Fulda mit externem dualen Praxispartner und Universität Tübingen mit Universitätsklinikum als internen dualen Partner) unter die Modellklausel, die es den Ländern seit 2009 zur „zeitlich befristeten Erprobung von Ausbildungsangeboten, die der Weiterentwicklung“ des Berufes „unter Berücksichtigung der berufsfeldspezifischen Anforderungen dienen“, ermöglicht, vom Primat der Ausbildung „an staatlich anerkannten Schulen von der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung“ abzuweichen [9], [13].

Werden die Studiengänge zu den Standorten in Relation gesetzt, an denen nach wie vor eine fachschulische Ausbildung dominiert, zeigt sich, dass 9 Monate vor Umsetzung der Richtlinie 2013/55/EU nach wie vor an 77% aller Standorte eine Ausbildung an Hebammenschulen durchgeführt wird ([Abb. 1]). 15% der Ausbildungsplätze sind als dual-ausbildungsintegrierende Studiengänge organisiert, während nur 4% in Form von primärqualifizierenden Studiengängen angeboten werden.

Zoom Image
Abb. 1 Organisation der Hebammenausbildung in Deutschland (Stand: März 2019).

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Neufassung des Hebammengesetzes

Für das Jahr 2020 ist eine Novellierung des Hebammengesetzes vorgesehen, um die Vorgaben der Richtlinie 2013/55/EU in nationales Recht umzusetzen. Im aktuell vorliegenden Referentenentwurf des Gesetzes vom März 2019 ist die Umsetzung der Akademisierung vollzogen, da die Erlangung der Berufsbezeichnung „Hebamme“ (die bisher gültige Bezeichnung „Entbindungspfleger“ wird gestrichen) zukünftig die Absolvierung eines dualen Hochschulstudiums voraussetzt, was die fachschulische Ausbildung zukünftig ersetzt: „Das Studium zur Hebamme vermittelt die fachlichen und personalen Kompetenzen, die für die selbständige und umfassende Hebammentätigkeit im klinischen sowie und ambulanten Bereich erforderlich sind“ [14]. Im Gesetzentwurf wird der Anteil an praktischen Stunden spürbar von bisher 3000 auf jetzt 2100 Stunden reduziert und der curricularen Lehre mehr Raum gegeben. Ferner sieht der Entwurf die modulare Ausgestaltung der theoretischen und praktischen Lehre vor, wobei die für die Berufsbezeichnung notwendige Staatsprüfung nach Maßgabe einer noch vom Bundesministerium für Gesundheit zu erlassenden Studien- und Prüfungsordnung in den letzten beiden Semestern modular durchgeführt werden kann [14]. Bedeutsam ist, dass der Gesetzentwurf duale Studiengänge als geeignet für die hochschulische Ausbildung ansieht. Dual bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die theoretische Ausbildung an einer Hochschule und die praktische Ausbildung an einem Klinikum stattfinden soll. Zugleich wird aber betont, dass sämtliche theoretischen Lehrveranstaltungen von den Hochschulen verantwortet werden sollen und die Organisation von Praxisanleitung und Praxis ab 2030 durch die kooperierenden Kliniken erfolgt. Die Gesamtverantwortung für die theoretische und praktische Ausbildung bleibt jedoch bei der Studiengangsleitung. Bis 2030 wird den Hebammenschulen eine Mitarbeit bei der Durchführung der praktischen Ausbildung offeriert, um dem bestehenden Lehrkörper ausreichend Zeit für die eigene Weiterqualifizierung zu geben. Nicht jede Hochschule hat ein angegliedertes Universitätsklinikum, weshalb dual hier bedeutet, dass sich selbige für die Absolvierung der praktischen Module zum Teil mehrere externe Partner suchen müssen [14], [15]. Das Modell des dual-ausbildungsintegrierenden Studiums, das aktuell in einem Großteil der bestehenden Studiengänge Anwendung findet (vgl. [Tab. 1]), verfügt dann jedoch über keine Rechtsgrundlage mehr, da hier (in Übereinstimmung mit dem bisherigen Hebammengesetz ohne Anwendung der Modellklausel) Hebammenschulen einen Teil der theoretischen Ausbildung übernehmen. Zukünftig wird dies entsprechend der geänderten Rechtsvorgaben nicht mehr möglich sein [14]. Gemäß dem Referentenwurf des Gesetzes soll die Erlaubnis zur Aufnahme eines hebammenwissenschaftlichen Studiums bekommen, wer entweder die allgemeine Hochschulreife besitzt oder eine 3-jährige Fachschulausbildung im Pflegebereich absolviert hat, die aktuell noch nicht eine 12-jährige Schulausbildung voraussetzt [14]. Wenngleich der Gesetzgeber hiermit möglicherweise dem Hebammenmangel entgegenwirken will und die Optionen eines Quereinstiegs offeriert, widerspricht diese Vorgabe den Vorgaben der Richtlinie 2013/55/EU explizit, die als alleiniges Kriterium eine 12-jährige allgemeine Schulausbildung fordert [2]. Darüber hinaus manifestiert sich hierdurch die sich aktuell schon andeutende dualistische Hochschulsystematik bestehend aus einem Nebeneinander von universitären und fachhochschulischen Angeboten, da für die Aufnahme universitärer Studiengänge die allgemeine Hochschulreife oder als gleichwertig anerkannte Qualifikationen obligatorisch ist. Nachbesserungsbedarf beim Gesetzentwurf besteht auch bei der Forderung eines durchgängig zu zahlenden Ausbildungsentgelts für die Studierenden, was zum einen den expliziten Vorgaben der Landeshochschulgesetze der Länder zuwiderläuft, die für Studierende einen anderen rechtlichen Status postulieren als für Auszubildende oder Beschäftigte. Zum anderen lassen die Vertreter der GKV-Spitzenverbände erkennen, dass sie ein Ausbildungsgehalt in einem durch die Länder zu regelnden Studium als systemfremde Leistung einstufen und daher die Finanzierung derzeit ablehnen. Die dargelegten Vorstellungen ließen sich nur im Rahmen von dual-ausbildungsintegrierenden Studiengängen realisieren, für welche aber mit Einsetzung der neuen Ausbildungsverordnung die rechtliche Grundlage fehlt, da die bestehenden Hebammenschulen zukünftig nicht mehr an der curricularen Lehre beteiligt werden dürfen [14].


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Primärqualifizierung als Königsweg

Durch die überfällige Änderung des Hebammengesetzes wird die Konzeption von primärqualifizierenden Studiengängen (mit oder ohne externen Partner für die praktische Ausbildung) erleichtert und explizit vorangetrieben. In der EU findet dieses Modell breite Anwendung [16], [17]. Die mit der Reform wegfallenden dual-ausbildungsintegrierenden Studiengänge, bei denen ein Teil der theoretischen Ausbildung von Hebammenschulen geleistet wird, haben gezeigt, dass sie größtenteils nur ergänzend hochschulische Kompetenzen vermitteln, weshalb die Studierenden hier kaum dazu angehalten werden können, ihr professionelles Handeln durchgängig theorie- und wissenschaftsbasiert auszurichten und zu reflektieren. Gerade dies gehört aber insbesondere in den Nachbarstaaten Deutschlands – teils schon seit vielen Jahren – zu den wesentlichen Zielen einer akademisierten Hebammenausbildung [16], [17], [18], [19], [20]. Nicht zuletzt, um neben der Förderung der praktischen Fertigkeiten der AbsolventInnen auch der wissenschaftlichen Entwicklung als weitere Kompetenz Vorschub zu leisten, empfiehlt der Wissenschaftsrat, hebammenwissenschaftliche Studiengänge primärqualifizierend zu gestalten und selbige (sofern hier Medizinische Fakultäten bestehen) bevorzugt an Universitäten zu implementieren. Konsequent wird dadurch eine interprofessionelle Ausbildung unter Einbeziehung der Medizin ermöglicht und ein hohes wissenschaftliches Niveau gewährleistet [4]. Nach Ansicht des Wissenschaftsrates sind Medizinische Fakultäten damit am ehesten geeignet, die Anforderungen der Richtlinie 2013/55/EU zu erfüllen, die auch die Vermittlung von tiefgreifenden und evidenzbasierten Kenntnissen beispielsweise in den Bereichen der Allgemeinmedizin, Pharmakologie und perinatalen Medizin mit Bezug zu frauengesundheitlichen Kontexten fordert [2]. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität der Fragestellungen in der Schwangerschaft, bei der Geburt, im Wochenbett und in der Versorgung des Kindes sind tiefgreifende fach-, praxis- und wissenschaftsbezogene Kenntnisse für Hebammen in Deutschland von steigender Relevanz [21]. Der Einfluss des neuen Kompetenzniveaus von akademisch ausgebildeten Hebammen auf die Kindersterblichkeit und den Geburtsmodus, um nur 2 Beispiele zu nennen, wird im Einzelnen zu erforschen sein. Bisher konnte keine signifikante Reduktion der Kaiserschnittrate nach einer vollständigen Akademisierung von Hebammen in einzelnen EU-Ländern gezeigt werden, weshalb entsprechende Feststellungen im Referentenentwurf lediglich Hypothesen entsprechen und als solche aufzufassen und zu kennzeichnen sind. Einmal mehr wird hierin deutlich, welche zentrale Bedeutung der wissenschaftlichen Evidenz, als handlungsleitend und in der Lehre, für den Prozess der Akademisierung zukommt. Eine hochqualitative, universitär verankerte Hebammenausbildung wird neben der ärztlichen Ausbildung zukünftig viel stärker im Fokus von vergleichenden Indikatoren stehen, mittels derer die Qualität der Geburtshilfe und -medizin evaluiert werden wird [22].

Im Kontext der Vorgaben der Richtlinie 2013/55/EU und der Empfehlungen des Wissenschaftsrats wird explizit auf die Notwendigkeit der Entwicklung von evidenzbasierten Konzepten einer hebammengeleiteten Geburtshilfe verwiesen [14]. Diese können in besonderer Weise an universitären Zentren vermittelt werden, die durch gemeinsame Hebammenforschung und medizinische Forschung im Bereich Geburtshilfe und Perinatalmedizin dazu geeignet sind, der erforderlichen Kompetenzvermittlung und -entwicklung Vorschub zu leisten [4]. Nicht zuletzt können die Medizinischen Fakultäten frühzeitig für eine Sensibilisierung von Studierenden der Humanmedizin und der Hebammenwissenschaft für das gemeinsame und interprofessionelle Handeln Sorge tragen, um die Herausforderungen bei der Betreuung von Frauen und ihren Kindern in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett zukünftig interdisziplinär zu meistern. Während (akademisch ausgebildete) Hebammen die physiologischen Verläufe verantworten, sind ÄrztInnen für die pathologischen Verläufe verantwortlich. Beide Berufsgruppen benötigen jedoch tiefgreifende Kenntnisse im Bereich des anderen Faches, zumal sich die genannte theoretische Abgrenzung in der Praxis als äußerst herausfordernd und Gegenstand auch kontroverser Auseinandersetzung erweist. Ärztliche Tätigkeit ohne Kenntnisse der physiologischen Schwangerschaft, Geburt und des Wochenbettverlaufs sind ebenso wenig zielführend wie Hebammentätigkeit ohne Kenntnisse der pathologischen Verläufe und ihren Prognosen, der Bedeutung interkurrenter Krankheitsbilder oder psychosozialer Faktoren und deren Wirkung. Beiden Berufsgruppen muss eingeräumt werden, in auf Schwangerschaft und Geburt ausgerichteten Schwerpunkten der anderen Disziplin ausgebildet zu werden. Die wissenschaftsbasierte Entscheidung, wann ein physiologischer und wann ein pathologischer Verlauf zu erwarten ist, kann und sollte auf vergleichbarer Wissensgrundlage evidenzbasiert von beiden Akteuren im Zusammenwirken getroffen werden können, was schon bei der akademischen Ausbildung im Rahmen von interprofessionellen Skilltrainings Berücksichtigung erfahren sollte und einen Paradigmenwechsel bedeutet [23], [24], [25], [26].

Den dargestellten Herausforderungen haben Universität und Universitätsklinikum in Tübingen im Oktober 2018 mit der Implementierung des deutschlandweit ersten universitären Bachelorstudiengangs Hebammenwissenschaft Rechnung getragen, der primärqualifizierend ausgerichtet ist. Bereits im ersten Semester werden die Studierenden dazu angeleitet, ihr Handeln (auch bezogen auf die praktischen Fertigkeiten) kontinuierlich wissenschaftsbasiert zu reflektieren und relevante Kompetenzen im Längsschnitt zu entwickeln. [Tab. 2] zeigt in Eckpunkten den in Tübingen eingeschlagenen Weg, die notwendige Weiterentwicklung des Fachs Hebammenwissenschaft/Hebammenkunde in eine evidenzbasierte Fachdisziplin und Profession zu transferieren [27]. Der Studiengang ist an der Medizinischen Fakultät angesiedelt, um den gestiegenen Herausforderungen der Geburtshilfe – wie vom Wissenschaftsrat empfohlen – durch interprofessionelle Lehrkonzepte zu begegnen und von Beginn an eine enge Anbindung an die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten zu verwirklichen [28], [29]. Die praktischen Studienphasen finden dabei vollständig modular, eingebettet im Rahmen des Studienbereichs „Hebammentätigkeit in Theorie und Praxis“ statt.

Tab. 2 Curriculum des primärqualifizierendes Studiengangs B. Sc. Hebammenwissenschaft in Tübingen.

Module

1. Sem.

2. Sem.

3. Sem.

4. Sem.

5. Sem.

6. Sem.

7. Sem.

Σ (ECTS)

1 Studienbereich „Hebammenwissenschaftliche Kompetenz“

2 Studienbereich „Theoretische Medizin und Naturwissenschaften“

3 Studienbereich „Gesundheits- und Sozialwissenschaften“

4 Studienbereich „Hebammentätigkeit in Theorie und Praxis“

ECTS = European Credit Transfer and Accumulation System

Gesundheits- und Versorgungssystem im Kontext von Hebammenwesen und -wissenschaft1

3

3

Gesundheits-/hebammenwissenschaftliches Denken und Methodenkompetenz1

3

3

6

12

Soziale, Gesprächs-, Kommunikations- und Beobachtungskompetenz3

3

3

6

Grundlagen der Physiologie und Anatomie2

3

3

Mikrobiologie und Hygiene2

3

3

Hebammentätigkeit und Pflege: Selbstverständnis und Grundlagen4

15

15

Allgemeine medizinische Kompetenz, Notfallmedizin, Vitalfunktionen2

6

6

Naturwissenschaftliche Grundlagen2

3

3

Prävention und Gesundheitsförderung1

3

3

Pflege und Begleitung in Wochenbett und Stillzeit4

18

18

Geburtshilfliche Kompetenzen, Gynäkologie und Frauengesundheit2

6

6

12

Schwangerschaftsbegleitung4

12

12

Geburten betreuen und begleiten4

12

12

Psychosoziale, ethische und rechtliche Aspekte der Hebammentätigkeit3

6

6

Das Neugeborene4

12

12

Versorgung von Wöchnerinnen4

12

12

Beziehung/Familie, Bonding, Frauengesundheit, Gesundheitskompetenz3

3

3

Pathologische/regelwidrige Geburt überwachen4

6

6

Operative Versorgung bei Schwangeren und im Rahmen der Geburt4

9

9

Pathologische und regelwidrige Schwangerschaftsverläufe4

9

9

Kindliche Entwicklungsstörungen und Krankheiten4

6

6

Interventionen in standardisierten und komplexen Situationen4

18

18

Kolloquium Berufskompetenz1

3

3

Hebammentätigkeit im deutschen Gesundheitssystem, Qualitätskonzepte, Ökonomie1

3

3

Evidenz und klinische Entscheidungsfindung1

3

3

Angewandte Hebammenwissenschaft (1 von 4 Modulen zu Auswahl)1

3

3

Bachelorarbeit1

12

12

Gesamt

30

30

30

30

30

30

30

210

Praktische Studienphasen

Pflege konservativ und chirurgisch4

+

+

Wochenbett4

+

+

Neugeborenenstation4

+

+

Kreißsaal4

+

+

+

+

+

Kinderklinik4

+

Außerklinischer Bereich/Externat4

+

+

Kreißsaal und OP4

+

Peripartale Versorgung4

+

+

+

+

Vor dem Hintergrund einer Vollakademisierung der Hebammenausbildung trägt dieser Studiengang dazu bei, FachexpertInnen auszubilden, die über wissenschaftliche Kompetenz verfügen und in der Lage sind, die Herausforderungen einer Hebammentätigkeit in der Versorgungspraxis zu bewältigen und ihr medizinisches Handeln wissenschaftlich basiert auszurichten. Damit soll der Studiengang dem Bedarf an anwendungsorientierten, qualifizierten ExpertInnen, WissenschaftlerInnen und Führungspersonen sowohl im klinischen als auch im außerklinischen Bereich Rechnung tragen. Der Studiengang umfasst das gesamte Spektrum originärer Hebammentätigkeit und bietet zudem eine wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Ausbildung auf Hochschulniveau unter Vermittlung der notwendigen Grundfertigkeiten zur Ausübung des Hebammenberufes sowie akademischer Tätigkeiten im Bereich Hebammen- und Gesundheitswissenschaften [30].


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Schlussfolgerungen

Mit dem neuen Entwurf des Hebammengesetzes wird die Vollakademisierung des Hebammenberufes vorangetrieben. Dennoch bedarf der vorliegende Entwurf noch trennscharfer Konkretisierungen und Modifikationen, um die Anforderungen der Richtlinie 2013/55/EU zu erfüllen und eine zügige Implementierung neuer Studiengänge zu gewährleisten. Dieser Schritt erfolgt sehr spät und verfolgt daher in der Umsetzung im Hinblick auf die EU-Vorgaben eine kurze Zeitlinie. Zudem ist die im Gesetz angedachte durchgängige Finanzierung auf Bundes- und Länderebene nicht geklärt. Der aktuelle Entwurf ist noch nicht dazu geeignet, den mannigfaltigen Herausforderungen der Geburtshilfe durch ein stimmiges Konzept zu begegnen, insbesondere, weil zwar auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats hinsichtlich Qualität und Exzellenz implizit Bezug genommen wird, bisher aber keine expliziten Qualitätskriterien und – nota bene – auch keine wirksamen Maßnahmen zur Qualitätsüberprüfung definiert wurden. Wenngleich der Entwurf des neuen Hebammengesetzes eine vollständige Akademisierung des Berufes in Aussicht stellt, bleibt er hinsichtlich der konkreten Umsetzung unscharf. Dies erschwert den Hochschulen die Entwicklung und Etablierung kompetenzorientierter Studiengänge. Sowohl auf der Ebene curricularer Konzeption als auch im Hinblick auf die Ausgestaltung und Organisation der praktischen Ausbildung gilt es, für Deutschland operationalisierte Guidelines zu gestalten, welche die Erarbeitung und Implementierung hebammenwissenschaftlicher Studiengänge unterstützen. Ein Großteil der aktuell bestehenden Studiengänge in Deutschland wird durch die dual-ausbildungsqualifizierende Ausrichtung – nach Novellierung des Gesetzentwurfes – ihre Zulassung verlieren. Insbesondere muss die bisher in diesen Studiengängen durch die Hebammenschulen geleistet curriculare Lehre komplett von den Hochschulen übernommen werden. Primärqualifizierende Studiengänge im Bereich Hebammenwissenschaft sind aufgrund der Vorgaben des bisher gültigen Hebammengesetzes im Gegensatz zum europäischen Ausland in Deutschland außerordentlich selten. Sowohl die verzögerte Durchführung der Akademisierung als auch Schwachstellen der bisherigen Gesetzgebung sowie des aktuellen Gesetzesentwurfs erlauben über eine nachhaltige Gefährdung der hohen Qualität der Geburtshilfe in Deutschland nachzudenken. Zahlreiche Hebammenschulen können freie Stellen im Lehrkörper nicht mehr nachbesetzen, da sich interessierte LehrerInnen – soweit es ihre Qualifikation erlaubt – eher in den Studiengängen engagieren wollen. Auch die Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Berufsverband der Frauenärzte befürchten – fern von einer Diskussion über geeignete Arbeitsbedingungen – vor diesem Hintergrund eine Verschärfung des aktuell spürbaren Hebammenmangels. Ein Abschätzungsgutachten des Bundes wäre hier vor Novellierung des Gesetzes von Bedeutung. Die Entwicklung der Studiengänge durch die einzelnen Länder erfordert eine deutschlandweite Koordination. Die Regelungen auf Länderebene lassen vermuten, dass auch hier mit einer Verzögerung des Akademisierungsprozesses zu rechnen ist.

Der aktuelle Entwurf des Hebammenausbildungsgesetzes fördert eine Akademisierung der kleinen Gruppe der Hebammen auf einem unterschiedlichen akademischen Niveau. Es ist zu diskutieren, ob eine solche Entwicklung wünschenswert ist. In der ärztlichen Ausbildung wäre sie nicht denkbar. Zur adäquaten Begegnung der sich aus den Vorgaben hinsichtlich Qualität und Exzellenz ergebenden Herausforderungen sind Fachhochschulen mangels Anbindung an medizinische Forschungszentren, Kliniken und Medizinische Fakultäten als Voraussetzung zur Förderung von wissenschaftlich basierter Reflexionsfähigkeit und interprofessioneller Kompetenz in der Geburtshilfe und Geburtsmedizin nur bedingt geeignet. Anders als z. B. die Angehörigen der Pflegeberufe sollen Hebammen das definierte Feld der Begleitung von physiologischen Schwangerschaften, der Durchführung von physiologischen Geburten und der Begleitung von Mutter und Kind im Wochenbett selbstständig, d. h. ohne ärztliche Anweisung verantworten können. Dabei muss in den breiten Überschneidungen zur ärztlichen Kompetenz bedacht werden, dass ein 7-semestriges Bachelorstudium nicht mit einem 12-semestrigen Medizinstudium und einer 5-jährigen Facharztweiterbildung eins zu eins gleichgesetzt werden kann. Die Akademisierung des Hebammenberufes verweist daher nicht nur auf die Notwendigkeit der Implementierung weiterer primärqualifizierender Bachelorstudiengänge, sondern muss auch die Konzeption von Masterstudiengängen im Auge behalten, um innerhalb des Bologna-Systems bestehen und weiterführende berufliche Perspektiven eröffnen zu können [31]. Eine wissenschaftsbasierte, geburtsmedizinische Ausbildung auf hohem Niveau, die auch andere Bereiche der Hochleistungsmedizin behandeln muss, soll künftig Hebammen dazu befähigen, Entscheidungen evidenzbasiert und analytisch reflexiv zu treffen, um das eigene Fach weiterzuentwickeln. Zur Förderung dieser Weiterentwicklung der Profession hin zu den der EU-Richtlinie zugrunde liegenden Leitgedanken bedarf es deutlicher Konkretisierungen des Gesetzgebers und eindeutiger Positionierungen der Berufs- und Interessensverbände. Nur so kann das übergeordnete Ziel einer neugeordneten, akademischen Ausbildung für Hebammen und damit eine sich kontinuierlich weiter verbessernde Versorgung von Mutter, Kind und ihren Familien erreicht werden.


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Aktualisierung (14.11.2019)

Anders als in [Tab. 1] niedergelegt, stehen beim ausbildungsintegrierenden Studiengang in Lübeck aktuell 35 statt 20 Studienanfängerplätze pro Jahr zur Verfügung.


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

The authors state that they have no conflict of interest./Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Correspondence/Korrespondenzadresse

Joachim Graf, M. A., M. Sc.
Universitätsklinikum Tübingen
Institut für Gesundheitswissenschaften
Abteilung für Hebammenwissenschaft
Hoppe-Seyler-Straße 9
72076 Tübingen
Germany   


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Fig. 1 Organization of midwifery training in Germany (as per: March 2019).
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Abb. 1 Organisation der Hebammenausbildung in Deutschland (Stand: März 2019).