Schlüsselwörter
Frühgeburt - Adipositas - Schwangerschaft
Einleitung
Mütterliches Übergewicht und Adipositas sind pränatale Risikofaktoren für geburtshilfliche Komplikationen [1], Frühgeburt [2], neonatale Morbidität [3] sowie kognitive und verhaltensauffällige Entwicklungsstörungen bei Kindern [4]. Die kindliche Morbidität und Mortalität sowie Störungen der Kindesentwicklung sind signifikant mit maternaler Adipositas assoziiert [5], [6], [7], [8]. Besonders im entwicklungsneurologischen und -psychiatrischen Bereich wird zunehmend klar, dass es bei Kindern von Müttern mit erhöhtem Body-Mass-Index (BMI) eine hohe Korrelation zu kindlichen kognitiven Einschränkungen, Aufmerksamkeitsstörungen und Erkrankungen aus dem autistischen Spektrum gibt [6].
Der Zusammenhang und die zugrunde liegenden Mechanismen zwischen maternaler Adipositas und der oben genannten kindlichen Morbidität werden zurzeit intensiv untersucht. Während eine Haupthypothese vornehmlich den Einfluss epigenetischer Faktoren untersucht [9], die nicht Schwerpunkt dieser Arbeit sein soll, haben sich unsere Arbeitsgruppen mit inflammationsassoziierten Mechanismen beschäftigt [8]. Hierbei liegt der Fokus insbesondere auf dem perinatal-neuroepidemiologischen Zugang zu dieser Fragestellung. Durch die Analyse großer Datensätze mit perinatalen und pädiatrischen Entwicklungsdaten prüfen wir die Hypothese, ob mütterliches Übergewicht und Adipositas im Sinne eines chronischen Inflammationsstatus mit einer neonatalen Inflammationssituation zusammenhängt, die wiederum mit einer ungünstigen Entwicklungsprognose assoziiert ist.
Die ELGAN-Studie (ELGAN: Extremely Low Gestational Age Newborn) ist eine seit 2000 von den National Institutes of Health (NIH) geförderte multizentrische Studie, deren Ziel es ist, Prädiktoren für neonatale Hirnschäden und neurologisch-kognitive Folgen bei Frühgeborenen zu erforschen [10]. Schwerpunkte sind der Zusammenhang zwischen mütterlichem Übergewicht und Adipositas und Schwangerschaftskomplikationen, Apgar-Werten [11] und systemischen Inflammationsmarkern [12]. Darüber hinaus beziehen sich eine Reihe von Analysen direkt auf die postulierte Assoziation zwischen mütterlichem BMI und neonatal-pädiatrischen Konsequenzen [13], [14], [15], [16].
In dieser Übersichtsarbeit verfolgen wir das Ziel, die Arbeiten in diesem Bereich zusammenzufassen und auf Basis der aktuellen Literatur kritisch zu diskutieren.
Mütterliches Gewicht und Body-Mass-Index
Mütterliches Gewicht und Body-Mass-Index
Angelehnt an die Deutsche Adipositas Gesellschaft ist die Adipositas definiert als eine Vermehrung des Körperfetts über das Normalmaß hinaus [17]. Zur Berechnung und Einteilung der Gewichtsklassen wird international der Body-Mass-Index verwendet. Während ein BMI zwischen 18,5 und 24,9 kg/m2 als normwertig angesehen wird, gilt ein BMI von 25 bis 29,9 kg/m2 als Übergewicht und ein BMI über 30 kg/m2 als Adipositas. Die Adipositas wird wiederum in Schweregrade von I bis III (Grad I: BMI 30 – 34,9 kg/m2; Grad II: 35 – 39,9 kg/m2; Grad III > 40 kg/m2) unterteilt [17].
Nach Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren 2008 weltweit etwa 1,4 Milliarden Erwachsene übergewichtig und mindestens 500 Millionen Erwachsene adipös. Die WHO rechnete mit 2,3 Milliarden Übergewichtigen im Jahr 2015. In der normalen Population hat sich die Adipositas in den letzten Jahrzehnten generell verdoppelt. Laut der Pressemitteilung 203/2016 von Eurostat hatten im Jahr 2014 46,1% der in der EU lebenden Personen ab 18 Jahren Normalgewicht, während etwas mehr als die Hälfte der Erwachsenen (51,6%) als übergewichtig (35,7% übergewichtig und 15,9% adipös) zu bezeichnen waren. In Deutschland sind 47% der Frauen von Übergewicht und Adipositas betroffen (BMI > 25 kg/m2). Etwa 29% aller Frauen sind übergewichtig (BMI zwischen 25 und 30 kg/m2) und etwa 18% sind adipös (BMI über 30 kg/m2) [18]. Die Prävalenz aus der Kombination von Übergewicht und Adipositas bei Männern zwischen 15 und 49 Jahren betrug in China in den Jahren 2010 bis 2014 etwa 22 – 23% [19]. 2002 publizierte Daten aus China zeigten, dass etwa 14,7% der chinesischen Bevölkerung übergewichtig und weitere 2,6% adipös waren [20]. Dies betraf zu dem analysierten Zeitpunkt 184 Millionen Menschen.
Auch der Anteil der schwangeren Frauen mit Adipositas ist deutlich progredient. In einer deutschen Studie aus dem Jahr 2007, in der die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei Schwangeren zwischen 1980 und 2005 verglichen wurde, ergab sich eine Verdreifachung übergewichtiger und adipöser Schwangerer mit einer überproportional starken Zunahme der höhergradigen Adipositas [21] Im Vereinigten Königreich leiden fast 20% aller schwangeren Frauen an Adipositas [22]. In den USA sind über 50% aller schwangeren Frauen entweder übergewichtig oder adipös [23]. Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei schwangeren Frauen variiert in den verschiedenen Ländern von 1,8 bis 25%.
Eine normale Schwangerschaft und Adipositas teilen sich gemeinsame Charakteristika. Mechanismen, die in der Pathogenese der Adipositas involviert sind, stellen ebenfalls essenzielle Teile der physiologischen Prozesse der mütterlichen Adaption auf die Schwangerschaft dar. Während der Schwangerschaft ist eine Gewichtszunahme normal und erwünscht. Es besteht eine positive Korrelation zwischen maternaler Gewichtszunahme in der Schwangerschaft und dem Geburtsgewicht des Feten. In einer Empfehlung des Institute of Medicine wird bei Schwangeren mit einem BMI > 30 kg/m2 eine maximale Gewichtszunahme von 5 bis 9 kg empfohlen [24]. Eine weitere Reduktion der Gewichtszunahme für adipöse Schwangere wird kontrovers diskutiert, da dieses gegebenenfalls mit einem erhöhten Risiko intrauteriner Wachstumsretardierungen korreliert [25].
Bezüglich der Ernährung und des Lebensstils vor und während der Schwangerschaft können die Handlungsempfehlungen des bundesweiten Netzwerks Gesund ins Leben herangezogen werden. Die dortigen Empfehlungen adressieren Körpergewicht vor Konzeption, die Gewichtsentwicklung in der Schwangerschaft, Energie- und Nährstoffbedarf sowie die Ernährungsweise [67], [68].
Mütterliches Gewicht und systemische Inflammation
Mütterliches Gewicht und systemische Inflammation
Sowohl Adipositas [26], [27] als auch Schwangerschaft [28] können zu einer chronischen Inflammationsreaktion führen. Zytokine sind Proteinmoleküle mit vielfältigen Funktionen. Einige Zytokine werden als Wachstumsfaktoren bezeichnet, da sie die Proliferation und Differenzierung von Zielzellen einleiten oder regulieren. Andere Zytokine spielen eine wichtige Rolle bei immunologischen Reaktionen und Entzündungsprozessen, bei denen sie vor allem als Signalmoleküle zwischen dem Immun- und dem Nervensystem dienen [29]. Das C-reaktive Protein (CRP) ist ein Akute-Phase-Protein, welches eine Inflammation weiter antreibt, während Leptin ein Adipokin ist, welches nicht nur mit dem Sättigungsgefühl und der Energiehomöostase, sondern auch mit einer Pro-Inflammationsreaktion assoziiert ist [30].
Die systemische Antwort auf eine Schwangerschaft, die u. a. die Mediatoren IL-6, CRP und Leptin beinhaltet, war bei übergewichtigen Frauen vor der Konzeption erhöht [12], [31], [32]. In der 4. Schwangerschaftswoche konnten bei übergewichtigen Frauen im Vergleich zu normalgewichtigen schwangeren Frauen höhere Level von CRP detektiert werden [33].
Ein BMI > 30 kg/m2 stellt einen erheblichen Risikofaktor für eine Frühgeburt dar. Erhöhte Spiegel inflammatorischer Proteine, die zu einer Zervixreifung sowie zu Myometriumkontraktionen führen, werden hierbei als Ursache angenommen. Durch eine vermehrte Produktion von Adipokinen (wie beispielsweise Leptin) durch das Fettgewebe sowie eine erhöhte Sekretion proinflammatorischer Zytokine scheint die maternale Adipositas eine chronische Entzündungsreaktion zu triggern [25].
In 80 Blutproben, die Schwangeren während des 2. Trimesters abgenommen wurden, konnte in der Gruppe der schwer adipösen Schwangeren ein Anstieg von MCP-1, ein proinflammatorisches Zytokin, produziert von Makrophagen, Monozyten und Endothelzellen, sowie ein Anstieg von Leptin und CRP nachgewiesen werden [12]. Die Assoziationsmuster der pro- und antiinflammatorischen Marker mit den verschiedenen Schwangerschaftscharakteristika variieren dabei deutlich [34].
Während bei spontan Frühgeborenen in der ELGAN-Studie kein Zusammenhang zwischen mütterlichem BMI und erhöhten Inflammationsproteinen der Kinder bestand, ließ sich dieses jedoch in der Gruppe der Entbindungen aufgrund mütterlicher oder fetaler Probleme nachweisen [14]. Diese sogenannte Effektmodifikation lässt sich durch die Tatsache, dass die spontane Frühgeburt, im Gegensatz zu Frühgeburten durch mütterliche oder fetale Indikationen, stark mit pränataler Infektion und Inflammation assoziiert ist, sehr gut erklären. Es ist anzunehmen, dass in der Gruppe der spontanen Frühgeburten alle Frauen, also auch die mit einem normalen BMI, einen „inflammatorischen Phänotyp“ besitzen, während dies in der Gruppe der mütterlichen und fetalen Indikationen nicht der Fall ist. Aus diesem Grund könnte es bei spontan geborenen Kindern mit oder ohne neonataler Inflammationsreaktion keinen wahrnehmbaren Kontrast bezüglich mütterlicher Inflammation durch einen erhöhten BMI geben. Das Signal kann sozusagen wegen eines deutlichen „Hintergrundrauschens“ nicht sicher wahrgenommen werden.
In der ELGAN-Studie wurde eine Einteilung der Phänotypen der Frühgeburt nach klinischer Präsentation vorgenommen [69]. Unter mehr als 1000 extrem unreifen Frühgeborenen, die vor der 28. SSW zur Welt kamen, war die Verteilung der klinischen Präsentation wie folgt: vorzeitige Wehen 40%, vorzeitiger Blasensprung 23%, Präeklampsie 18%, Plazentalösung 11%, Zervixinsuffizienz 5% und fetale Indikation/Wachstumsrestriktion 3%. In einer darauffolgenden Analyse dieser Daten zeigte sich bezüglich des neurologischen Outcomes ein deutlicher Prävalenzkontrast zwischen 2 Phänotyp-Clustern: (A) vorzeitige Wehen, Blasensprung, Zervixinsuffizienz und Plazentalösung (3 – 5%) und (B) Präeklampsie oder fetale Indikation (1 – 2%) [70].
Die Verbindung zwischen Frühgeburtsphänotyp und Outcome wird u. a. durch eine neonatale protrahierte systemische Inflammation vermittelt [71]. Im Vergleich zu Frühgeborenen des Phänotyp-Clusters B haben Frühgeborene des Clusters A ein deutlich höheres Risiko für hohe Blutkonzentrationen von Zytokinen und anderen Inflammationsmarkern nach der Geburt [72]. In statistischen Clusteranalysen von Zytokinen aus Plazentalysaten konnte gezeigt werden, dass Plazenten nach Präeklampsie (Cluster B) erhöhte Werte für VEGF (vascular endothelial growth factor) und TGF-beta (transforming growth factor beta) sowie niedrige Inflammationsmarker aufwiesen, während etwa die Hälfte der Plazenten aus Cluster A eine erhöhte Inflammationsantwort zeigten [73]. Die postnatale systemische Inflammationsreaktion korreliert ebenso mit Plazentainfektion und -inflammation [74] sowie mit einem erhöhten Risiko für neurokognitive Entwicklungsstörungen im Alter von 10 Jahren [75].
Somatische Konsequenzen für das Kind
Somatische Konsequenzen für das Kind
Wachstum
Das mütterliche Körpergewicht hat Konsequenzen für das Wachstumsmuster ihres Kindes. Oostvogels hat in der ABCD-Studie mehr als 3800 Mutter-Kind-Paare studiert und festgestellt, dass während der ersten Lebensjahre sowohl Söhne als auch Töchter übergewichtiger Mütter schneller an Gewicht und BMI zulegen. Diese Effekte werden von Alter und Geschlecht modifiziert: Unterschiede zwischen den beobachteten Gruppen werden mit der Zeit größer und sind bei Mädchen stärker ausgeprägt als bei Jungen [7].
Strukturelle Fehlbildungen
Mütterliches Übergewicht und Adipositas sind nicht nur mit einem erhöhten Risiko für fetale Makrosomie und neonatale Mortalität vergesellschaftet [5], sondern auch mit strukturellen Veränderungen, wie beispielsweise Verschlussstörungen des Neuralrohres, Herzanomalien oder orofaziale Fehlbildungen [35]. In einer systematischen Analyse von 18 Studien haben Stothard et al. [36] nicht weniger als 10 solcher Entwicklungsauffälligkeiten aufgezeigt ([Tab. 1]). Nur im Fall der Gastroschisis war die Auftrittswahrscheinlichkeit reduziert.
Tab. 1 Assoziation von mütterlichem Übergewicht und Adipositas mit strukturellen Veränderungen beim Feten. Ergebnis einer systematischen Analyse von 18 Studien in Anlehnung an Stothard et al. [36]. Nur im Fall der Gastroschisis war die Auftrittswahrscheinlichkeit reduziert.
Fehlbildung
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Odds Ratio
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95%-Konfidenzintervall
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Quelle: [36]
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Neuralrohrdefekte
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1,87
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1,62 – 2,15
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Spina bifida
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2,24
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1,86 – 2,69
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kardiovaskuläre Anomalien
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1,30
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1,12 – 1,51
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Septumdefekte
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1,20
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1,09 – 1,31
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Gaumenspalten
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1,23
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1,03 – 1,47
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Lippen-Gaumen-Spalten
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1,20
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1,03 – 1,40
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Analatresien
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1,48
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1,12 – 1,97
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Hydrozephalus
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1,68
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1,19 – 2,36
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Hüftgelenksdysplasien
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1,34
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1,03 – 1,73
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Gastroschisis
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0,17
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0,10 – 0,30
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Übergewicht und Adipositas
Es ist möglich, dass die Entstehung von Adipositas schon pränatal beeinflusst wird und dass die mütterliche Gewichtszunahme in der Schwangerschaft eine Auswirkung auf eine spätere Adipositas des Kindes haben könnte [37]. Ein solcher Zusammenhang lässt sich durch das Modell des sogenannten „metabolic imprinting“ erklären. Hierbei handelt es sich um eine Modifizierung des intrauterinen Umfeldes, die einen direkten Effekt auf den BMI des Ungeborenen haben kann [38] und damit auch einen Risikofaktor für eine Adipositas im Erwachsenenalter darstellen könnte [39], [40]. Die Hypothese dahinter ist, dass durch die Fehlernährung und die Hyperglykämien der Mutter der fetale Stoffwechsel verändert und die Entstehung von Adipositas gefördert wird [40].
Neurologische und kognitive Entwicklung
Neurologische und kognitive Entwicklung
Übergewicht und Adipositas vor der Schwangerschaft sind mit antenatalen und peripartalen Komplikationen wie Gestationsdiabetes, Präeklampsie, schwangerschaftsinduzierter Hypertonie und Komplikationen unter der Geburt assoziiert [41], [42]. Des Weiteren scheint die mütterliche Adipositas zusätzlich negative Auswirkungen auf das Neugeborene [43], wie beispielsweise kognitive Defizite [44], [45], autistische Entwicklungsstörungen [46], [47] oder Zerebralparese (CP) [48], [49], [50], [51], [52], zu haben.
Zerebralparese
Zwei umfangreiche Metaanalysen [53], [54] haben die Beziehung zwischen mütterlichem BMI und dem Risiko einer Zerebralparese untersucht. Beide Analysen haben einen signifikanten Zusammenhang zwischen mütterlichem Übergewicht oder Adipositas und dem Auftreten einer Zerebralparese ergeben. Mütterliches Übergewicht und mütterliche Adipositas Grad II und Grad III waren mit einem erhöhten Risiko von 29, 45 oder sogar 125% assoziiert [53]. Im Gegensatz dazu ergaben die Daten der ELGAN-Studie bei sehr frühgeborenen Kindern kein erhöhtes Risiko für eine CP bei übergewichtigen oder adipösen Müttern im Vergleich zu normalgewichtigen Müttern [55]. Wie bei der oben beschriebenen Effektmodifikation durch spontan versus induzierte Geburt könnte das Fehlen eines Zusammenhanges bei extrem Frühgeborenen durch ein höheres „inflammatorisches Hintergrundrauschen“ im Vergleich zu Termingeborenen bedingt sein.
Neurokognitive Entwicklung
In einer kleinen, unizentrischen Studie von 62 Mutter-Kind-Paaren, die vor der Vollendung der 31. SSW entbunden wurden, war eine mütterliche Adipositas mit einem positiven Autismus-Screening und niedrigen Sprachentwicklungs-Scores assoziiert [56]. In der ELGAN-Studie wurden von 852 frühgeborenen Kindern die mütterlichen Körpergrößen und Körpergewichte vor der Schwangerschaft gesammelt und in einem multinominalen logistischen Regressionsmodell analysiert. Es zeigte sich, dass, verglichen mit Neugeborenen von Müttern mit normalem BMI, Neugeborene von adipösen, aber nicht übergewichtigen Müttern, eine größere Wahrscheinlichkeit aufwiesen, Bayley Scales Indizes mit mehr als 3 Standardabweichungen unterhalb des Referenzbereiches zu errreichen (mental: OR = 2,1; 95%-KI: 1,3, 3,5; motorisch: OR = 1,7; 95%-KI: 1,1, 2,7) [13]. Diese Assoziation war sogar noch deutlicher bei Neugeborenen, die nachweislich keine intermittierenden oder länger bestehenden systemischen Inflammationsmarker-Profile hatten. Entsprechend scheint die mütterliche Adipositas mit einem erhöhten Risiko für eine beeinträchtigte Entwicklung des Neugeborenen assoziiert zu sein.
Im Alter von 10 Jahren fand sich in einer Analyse von 535 Kindern der ELGAN-Studie [15] ein erhöhtes Risiko für herabgesetzte Scores in den „verbalen ability scale-II“, IQ-Bestimmungen für die Verarbeitungsgeschwindigkeit und feinmotorische Kontrolle (developmental neuropsychological assessment II) sowie für die Aussprache und Rechtschreibung (Wechsler individual achievement test-III). Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft exzessiv an Gewicht zunahmen, hatten ein erhöhtes Risiko für niedrige Scores im Bereich der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit. Allerdings hatten auch Kinder von Müttern ohne adäquate Gewichtszunahme ein erhöhtes Risiko für niedrige Scores in den Bereichen sprachlicher Ausdruck und Lesefähigkeit. Die Gewichtszunahme im physiologischen Rahmen in der Schwangerschaft scheint also einen protektiven Einfluss auf die neurokognitive Entwicklung des Kindes zu haben.
Inflammation als Pathomechanismus
Inflammation als Pathomechanismus
Ein möglicher Pathomechanismus für die genannten Zusammenhänge zwischen mütterlichem Gewicht und neuropädiatrischem Outcome ist die perinatale Inflammation [8].
Das Szenario Infektion in der Schwangerschaft, Inflammationsreaktion bei Mutter und Kind, Frühgeburt und neonatale Hirnschäden wird bereits seit mehr als 20 Jahren postuliert [57], [58] und mittlerweile auch umfangreich belegt [59], [60]. Dabei bietet sich der folgende Syllogismus an:
-
Mütterliches Übergewicht und Adipositas sind mit Frühgeburt und maternofetaler Inflammation assoziiert;
-
mütterliches Übergewicht und Adipositas sind mit perinatalen Hirnschäden und späteren Entwicklungsstörungen assoziiert;
-
Frühgeburt und Inflammation sind mit perinatalen Hirnschäden und späteren Entwicklungsstörungen assoziiert;
-
mütterliches Übergewicht und Adipositas könnten über eine systemische Inflammationsreaktion zu Entwicklungsstörungen bei Frühgeborenen führen.
Welche potenzielle Rolle dabei die systemische Inflammationsreaktion bei der Verbindung zwischen mütterlichem Übergewicht bzw. Adipositas und den Entwicklungsstörungen bei Frühgeborenen spielt, bleibt ausführlicher zu evaluieren. Mütterliches Übergewicht oder eine Adipositas kann, ebenso wie die Schwangerschaft selbst [28], über Zytokine wie CRP, IL-6, und/oder Leptin zu einer chronischen Inflammationsreaktion der Mutter beitragen [26], [27]. Diese mütterliche systemische Inflammation kann zu einer direkten fetalen Inflammation mit Schädigung des kindlichen Gehirns führen [61]. Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft hohe Level der ebenfalls proinflammatorischen Mediatoren TNF-a [62] oder IL-8 [63] hatten, haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie. Mütterliche Adipositas scheint zu einer prolongierten systemischen Inflammation beim Neugeborenen beizutragen [14], welche wiederum ein deutliches Entwicklungsrisiko für das frühgeborene Kind darstellt.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass es multiple valide Hinweise für einen Zusammenhang zwischen mütterlichem Übergewicht oder einer mütterlichen Adipositas und einem breiten Spektrum von Entwicklungsstörungen bei den jeweiligen Kindern gibt. Wir haben vornehmlich Resultate der ELGAN-Studie diskutiert, in der ausschließlich Frühgeborene mit einem Gestationsalter < 28 Schwangerschaftswochen rekrutiert wurden. Diese Ergebnisse können daher möglicherweise nicht vollständig auf Kinder > 28 SSW Gestationsalter übertragen werden.
Darüber hinaus gibt es plausible Gründe, diese Zusammenhänge durch systemische fetale und neonatale Inflammationsreaktionen, die ein wesentlicher inhaltlicher Fokus der ELGAN-Studie sind, zu erklären. Wir haben uns dementsprechend in dieser Arbeit auf diese Pathomechanismen konzentriert. Natürlich gibt es multiple weitere Möglichkeiten, wie beispielsweise der Folatmangel bei Adipositas in der Schwangerschaft als potenzieller Risikofaktor bei Neugeborenen [64].
Eine Gewichtszunahme in der Schwangerschaft ist normalerweise wünschenswert. Trotzdem sollte aus den hier diskutierten Gründen eine Intervention zur Risikoreduktion bei Übergewicht und Adipositas in der Schwangerschaft erwogen werden [65]. Die Evidenzlage bezüglich einer möglichen Wirksamkeit, beispielsweise in Form von Diätberatung in der Schwangerschaft zur Prävention eines Gestationsdiabetes, ist bislang noch unklar. Neonatale Daten und Entwicklungsdaten liegen bisher gar nicht vor [66]. Entsprechende Studien würden daher insbesondere von einer Kooperation zwischen Geburtshelfern und Entwicklungspädiatern profitieren.